Weltpolitik

Parlamentswahlen im Libanon

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Eine neue Chance für den Libanon? Pro-westliches Lager ganz vorne – doch ohne Hisbollah geht nichts –

Von DORIS BULAU, Amman/Beirut 11. Juni 2009 –

Drei Stunden musste Ahmed Itani in praller Sonne vor seinem Wahllokal im Beiruter Hamra-Viertel ausharren ehe er seine Stimme abgeben konnte. Nicht besser erging es den Wartenden im christlichen Stadtteil Ashrafiyeh – nur zwei Räume in der Ali bin Taleb-Schule standen hier für 6000 Wahlberechtigte zur Verfügung. Wortgefechte mit hilflosen Polizisten, denen es nicht gelang, den Strom der Wähler zu kanalisieren – das war aber auch schon die größte Aufregung an diesem denkwürdigen Wahltag im Libanon.

Ahmed Itani zeigte wie die meisten Verständnis: „Früher hat das nur eine Viertelstunde gedauert. Aber diesmal wählt ja das ganze Land zum ersten Mal an nur einem Tag. Da muss halt jeder lange anstehen“. Früher, da zog sich die Parlamentswahl über mehrere Wochenenden hin. Früher, da fand die Wahl fast drei Jahrzehnte unter Aufsicht der syrischen Besatzer statt. Erstmals haben die Libanesen das Gefühl, dass es sich lohnt zu wählen, dass es um etwas geht. Das drückt die Rekordbeteiligung von 55 Prozent aus. Europa am selben Tag bringt es auf gerade mal 43. Das Ergebnis in Libanon bei 128 Parlamentsitzen: Der pro-westliche Hariri-Block hat mit 71 Sitzen die eindeutige Mehrheit, die Opposition unter Führung der Hisbollah-Fraktion ist mit 57 Sitzen mit im Parlament, ein fast identisches Ergebnis zu 2005.

Kein Zweifel: Wahlen im europäischen Sinne waren das nicht – Libanesen entscheiden nicht nach Parteien und Programmen, sondern nach familiären und religiösen Bindungen. Einheitliche Stimmzettel fehlen, Gruppierungen verteilen ihre eigenen oft noch vor den Wahllokalen. Die werden dann lediglich in staatlichen Umschlägen eingetütet und gestempelt. Weshalb Carmen Geha von der libanesischen Initiative für demokratische Wahlen, LADE, kritisiert: „Die Wahlen sind alles andere als demokratisch. Es gibt keine staatlichen Stimmzettel, die werden von den Parteien ausgegeben. Wir können nicht im Ausland wählen, Frauen machen nicht mal zwei Prozent der Kandidaten aus. Aber diesmal ist es alles in allem etwas besser – ein Lichtblick, immerhin.“

Positiv neben dem ruhigen Verlauf und der hohen Beteiligung bleibt gleichwohl: der überraschende Verlierer Hisbollah und Co steht zu seiner Niederlage, die Sieger überziehen nicht in ihrem Triumph. Denn Gewinner Saad Hariri und seine sunnitisch-christlich-drusische Allianz wissen: grundsätzlich hat das Ergebnis die diffizilen politischen Verästelungen im Land der 18 Religionen nicht aufheben können. Ob Hariris Prognose in der Stunde des Erfolgs, die Wahlen kennten „weder Sieger noch Verlierer, sondern einziger Sieger ist ie Demokratie und der größte Gewinner ist Libanon“ – der Belastung der kommenden Wochen und Monate standhält, darf nach libanesischen Erfahrungen der Vergangenheit zumindest in Zweifel gezogen werden.

Klar ist: die Sieger können den politischen Gegner nicht ignorieren, voran Hisbollah. Hariri steht vor schwierigen Verhandlungen, wohl auch schmerzhaften Kompromissen. Syrien, neben Iran enger Verbündeter der Hisbollah, gibt sich neutral: Die Wahl sei eine innere Angelegenheit Libanons.

Entscheidend für die Niederlage der Hisbollah waren nicht die eigenen Wähler. Die brachten alle ihre – allerdings nur elf – Kandidaten durch. Überschätzt hat sich ihr christlicher Verbündeter. General Michel Aoun wollte der Hisbollah zum Sieg helfen, denn angesichts der komplizierten Verhältnisse im Libanon, der nach Religions- oder Familienzugehörigkeit wählt, war nur das Drittel christlicher Stimmen wirklich umkämpft. Und Auon, der früher auf der Seite von Hariri stand, hatte den Mund ganz schön voll genommen: „Ich spalte doch nicht die Christen, weil sie meiner Auffassung folgen. Schauen wir mal, ob es zur Spaltung kommt oder nach der Wahl im christlichen Lager eine kleine Minderheit verschwindet. So ist nun mal Demokratie.“ Und weil diesmal die Demokratie gegen Aoun entschied, hatte der Führer der „Freien Patriotischen Front“ nicht nur den Schaden, sondern auch noch den Spott: seinen Gegnern galt er schon immer als „Loser“. Als Verlierer. Vor allem aber als einer, der mehr seine Karriere denn das Wohl des Landes im Auge hat. Aouns Ziel, im Kielwasser und als christlicher Gehilfe der islamistischen „Partei Gottes“ von Hassan Nasrallah doch noch mal libanesischer Präsident zu werden, dürfte sich mit seinem Desaster endgültig zerschlagen haben.

Insbesondere die Christen waren sich mit ihrer außerordentlichen Bereitschaft wählen zu gehen ihrer Bedeutung und Verantwortung bewusst. Ob – wie Analysten in der „Herald Tribune“ oder „Jordan Times“ glauben – die Rede von Barack Obama in Kairo eine Rolle gespielt habe oder die vielen Auslandslibanesen, die eigens zur Wahl in den Libanon gereist sind, mag dahingestellt sein. Sicher ist, die Libanesen wollen endlich Frieden und Wohlstand. Und dass eine westlich orientierte Regierung mehr Anreiz für ausländische Investoren bringt, war zu mindestens für den Wahlsieg der Hariri-Fraktion sicherlich mit ausschlaggebend.

Während sunnitische, schiitische und drusische Stimmen wegen vorbestimmter Allianzen und Bindungen praktisch schon vor dem Wahltag vergeben waren, bildete das in beide großen Lager tendierende Drittel christlicher Libanesen das Zünglein an der Waage. Und das hat gegen eine – wenn am Ende sicher auch nur symbolische Mehrheit des Hisbollah-Lagers entschieden. Symbolisch deshalb, weil es ebenso wie Hariris Block am Ende nicht hätte allein regieren können und wollen.

Den Christen und ihren sunnitisch-drusischen Alliierten ist noch zu gut in Erinnerung, dass ihr Land vor gut einem Jahr am Rand eines neuen Bürgerkriegs stand. Damals hatte Hisbollah, die einzige politische Bewegung, die nicht bereit ist, ihre Waffen abzugeben und weitaus schlagkräftiger ist als die schlecht ausgerüstete libanesische Armee, diese Waffen gegen die eigenen Landsleute erhoben. Waffen, die nach eigener Definition doch nur dem Widerstand gegen Israel dienen sollten.

Damit hat Hisbollah viel an gewonnener Reputation verloren und Angst verbreitet. Angst vor einem neuen Abgleiten in Gewalt und Chaos, Angst aber auch, dass Libanon nach ihrer Machtübernahme Israel einen leichten Vorwand zu neuen Angriffen auf ihr Land dienen könne. Alleine der Gedanke einer Zweitauflage der israelischen Invasion vor zwei Jahren oder gar ein Krieg wie Anfang des Jahres in Gaza versetzt die Menschen in Schrecken. Ein routiniertes Geschäft mit der Angst hat den Wahlkampf mit bestimmt – übrigens von beiden Seiten. Und damit hat Hisbollah weitreichendes Ansehen weit über das eigene Lager verloren.

Denn es gab und gibt – noch – Respekt für den Widerstand gegen Israel im 34-Tage-Krieg 2006, der mit schweren Zerstörungen vor allem des schiitischen Südens Beiruts und dem Süden des Landes mit etwa 1200 meist zivilen Toten endete, aber eben auch nicht mit einem Sieg Israels. Gesteigert wurde das Ansehen der Hisbollah noch durch die Heimholung aller libanesischer Gefangener aus israelischen Gefängnissen im letzten Juli – vermittelt übrigens durch den deutschen BND. Nicht wenige wiesen damals darauf hin, dass Hisbollah mit Gewalt den Erfolg durchsetzen konnte, während trotz ständiger Treffen von Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas mit der israelischen Führung noch immer Tausende palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen einsitzen. Die gesamte, in den USA und Europa immer gern „pro-westlich“ titulierte Führung Libanons inklusive des Präsidenten erwarteten die Freigelassenen damals bei ihrer Ankunft am internationalen Flughafen Beiruts wie Staatsgäste und bekundeten damit Hisbollah offiziell ihre Anerkennung.

Doch über diese politischen Analysen und Machtkämpfe bleiben die täglichen Sorgen und Probleme der Libanesen auf der Strecke. Wassermangel im wasserreichsten arabischen Land. Städtisches Trinkwasser gibt es nur alle zwei Tage und dann auch nur für acht Stunden, ähnlich ist die Elektrizitätsversorgung: Täglich wird der Strom abgeschaltet, drei Stunden Minimum, aber es geht manchmal auch den ganzen Tag.

So hat im Alltag die Hisbollah längst in weiten Teilen des Landes den faktisch nicht existenten Staat mit sozialen Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäusern ersetzt. Hisbollah ist für das Drittel der meisten schiitischen Libanesen eben nicht Terror-, sondern Widerstands-Bewegung und auch soziale Hilfe. Darüber hinaus politisch in Parlament und Regierung verankert.

Nach den Mai-Unruhen im letzten Jahr, durch Ungeschicklichkeit der Regierung verursacht, von der Hisbollah zur Demonstration eigener Stärke missbraucht, konnte das Schlimmste zwar durch den Kompromiss von Doha verhindert worden. Es kam zur Regierung der nationalen Einheit unter Einschluss der Hisbollah und ihrer Anhänger. Doch das bedeutete gleichzeitig politischen Stillstand, denn Hisbollah konnte mit elf von 30 Ministern im Kabinett ein Vetorecht gegen alle ihr missliebigen Themen durchsetzen. Das in der neuen Regierung zu verhindern wird das Hauptanliegen von Saad Hariri werden. Zwar haben er und seine Koalitionäre klugerweise bereits die Hand in Richtung einer Neuauflage der All-Parteien-Regierung ausgestreckt. Doch so leicht wird Hisbollah nun nicht klein beigeben. Möglicherweise ist eine Stärkung der Rolle des christlichen Präsidenten Michel Suleiman ein gangbarer Ausweg.

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Hisbollah selbst, deren geistlicher Führer überraschend schnell seine Niederlage eingestand – mit dem ungewöhnlicher Zusatz, man nehme sie „mit Sportgeist“, mag über die entstandene Lage letztlich gar nicht so unglücklich sein. Die mit Syrien und Iran liierte Bewegung entgeht so dem Schicksal der palästinensischen Hamas, nach dem Sieg in einer halbwegs demokratischen Wahl am Ende weitgehend isoliert dazustehen. USA und EU, ein kleiner, aber wichtiger Nebeneffekt, müssen sich nun vorerst nicht den Kopf darüber zerbrechen wie sie mit einer Hisbollah-geführten Regierung umgehen und sie kann weiterhin aus der zweiten Reihe die Fäden ziehen. Denn Libanon bleibt nach dieser Wahl so wie vorher ein tief gespaltenes Land, in dem die agierenden Politiker nun ein weiteres Mal versuchen müssen, die tiefen Gräben zwischen dem so genannten pro-westlichen und dem pro-syrischen-iranischen Lager zuzuschütten – wenn sie es denn wirklich wollen.

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