Palästinensische Bauern werden wie Kriminelle behandelt
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Von AMIRA HASS, 5. Februar 2010 –
Unter der Geräuschkulisse des unaufhörlichen Lärms der Straßen im Hebron Distrikt begeht ein anonymer Araber ein schweres „Verbrechen“: mit einem kleinen Hammer gräbt er eine Zisterne, damit er auf seinem felsigen Land Regenwasser sammeln kann. Andere ähnliche „Kriminelle“ haben andere Methoden, um ihre üblen Taten auszuführen – d.h. um ihr Land für die Anpflanzung von Gemüse, Korn, Weintrauben und Mandelbäume vorzubereiten.
„Wenn jemand eine Terrasse auf seinem Land bauen will, nimmt er einen Stein vom Boden und fügt ihn zur Stützmauer – einmal im Monat oder wenigstens einmal in der Woche, so dass man die Veränderung kaum bemerkt,“ sagt ein Hebroner Bewohner und erklärt eine der Methoden.
Die Erfahrung lehrt, wenn man schwere Maschinen nimmt, um das Land zu bearbeiten, zieht das sofort die Inspektoren der Zivilen (isr.) Verwaltung und die Siedler an und bald darauf folgen die Anordnungen, dass man mit der Arbeit aufhören müsse. Im Sinne des volkstümlichen Sprichwortes: „Gib einem Mann lieber eine Angel statt einen Fisch“ hat die EU in den letzten Jahren den palästinensischen Bauern Geld gegeben. Diese Projekte sind dafür bestimmt, das Einkommen der armen Bauernfamilien zu vergrößern, indem sie ihr Land beanspruchen und das kultivierte Land vergrößern. Die Logik von „Gib einem Mann eine Angel“ bedeutet auch, dass man zu den alten umweltfreundlichen landwirtschaftlichen Methoden zurückkehrt, alte Nutzpflanzen anbaut und auch vom Wasser den größten Nutzen hat – und so gegen die wachsende Wüstenwerdung ankämpft.
„Und wir waren tatsächlich davon überzeugt, dass die Palästinenser und Israel ein gemeinsames Interesse haben: die Zone C zu entwickeln, was die palästinensische Wirtschaft unterstützt und Projekte, die beiden Seiten hinsichtlich der Umwelt nützen“, sagte ein europäischer Diplomat, der entdeckte, dass er falsch verstanden worden war.
Während der letzten zwei Jahre hat die Zivilverwaltung in Hebron Dutzende von Verordnungen an palästinensische Bauern vergeben, die das in ihrem Besitz befindliche Land zu kultivieren versuchten , sie sollten mit der Arbeit aufhören . So erfuhren Europäer, Vertreter von Geberstaaten, dass es Palästinensern ohne Genehmigung der Zivilverwaltung nicht erlaubt sei, einen Stein zu bewegen, einen Baum zu pflanzen oder Regenwasser auf ihrem Land zu sammeln,“ wie einer von ihnen Haaretz erzählte.
Die Palästinenser haben mehrere alte landwirtschaftliche Vereinigungen, die seit den frühen 80er-Jahren arbeiten; Sie brauchen die Europäer nicht, um das Rad neu zu erfinden. Aber sie brauchen finanzielle Unterstützung.
Das System arbeitet folgendermaßen: Die Europäer überweisen das Geld an internationale NGO-Agenturen. Eine davon ist die Union der Agricultural Work Committees, eine der ältesten palästinensischen NGOs. Diese Organisation erhielt 2,25 Mill. Euros von der EU für ein dreijähriges Projekt, um 2000 Dunum von (früher) landwirtschaftlich genütztem Land im Hebron-Distrikt neu zu kultivieren. Das heißt: Felsen und Steine zu entfernen, den Boden einzuebnen, Terrassen zu bauen, Steinzäune aufzubauen, Zisternen zu graben und die Wege zu diesem Stück Land zu verbessern. Zu diesem Projekt gehören mehrere hundert Familien. Alle stimmen mit der Hauptbedingung überein. Sie übernehmen 25 Prozent der Kosten der Arbeit auf ihrem Land.
Etwa 70 Prozent des palästinensisch landwirtschaftlichen Landes liegt in der von Israel (nach Oslo) bezeichneten Zone C, die unter voller israelischer Kontrolle ist. Deshalb ist für die Non-profit-Organisationen das Kultivieren des Landes ein Teil des politischen, allgemeinen Kampfes gegen die Annexion durch israelische Siedlungen und Außenposten. Aber für die Bauern selbst schließt diese Schlacht viele Risiken ein, die nicht viele auf sich nehmen wollen.
Anordnungen zum Aufhören
Keiner will die Erfahrungen durchmachen, die vor vier Monaten Familie Rabia Jaber durchgemacht hat. Im Oktober überfielen IDF-Soldaten und Leute der zivilen Verwaltung das trockne felsige Land (10 Dunum) der Familie im Südosten von Hebron. Ein IDF-Bulldozer zerstörte die Steinwand der Terrassen, grub Land um und zerstörte die Zisterne.
Die Arbeit an dem sehr felsigen Bergabhang gegenüber von Jabers Haus begann im Mai 2008. Ein großer palästinensischer Bagger entfernte die Felsen und zerkleinerte sie, grub ein Zisterne, die das Regenwasser sammeln sollte. Ein kleinerer Bagger brach die Steine in kleinere Stücke und begann am Abhang, Terrassen zu bauen. Die Familie – vier Brüder und insgesamt 35 Leute – planten Weinstöcke, Oliven und Mandelbäume zu pflanzen; das sind alles Pflanzen die keine künstliche Bewässerung benötigen. Aber im Oktober 2008, als die Arbeit fast fertig war, kam die Anordnung, mit der Arbeit aufzuhören…
Nach der Anordnung kam heraus, dass die Zivilverwaltung entschieden hat, dass sie Land bearbeiten würden, das ihnen gar nicht gehört, obwohl die Jabers Dokumente hatten, dass sie für dieses Land seit der jordanischen Herrschaft Steuern zahlen und zwar nicht nur sie, sondern auch die Besitzer des Landes daneben, die auch wussten, dass dies ihr Land ist.
Die Zerstörung schlug Wellen, nachdem geschriebene und gefilmte Berichte in der Pro-settler-Website erschienen waren. Die letzteren legten Wert darauf, die Partner dieser Invasion auf das Land ihrer „Heimat“ zu identifizieren: die EU und Oxfam (Belgien).
Khader Shibak von Halhoul erhielt die Stopp-work Anordnung im August 2008, vier Tage nachdem er mit der Arbeit begonnen hat. Bis vor 10 Jahren hatten er und sein Bruder Weinstöcke und Mandelbäume dort gepflanzt. Ende 2000 wurde ein Militärlager auf die Höhe des Berges gesetzt. Dieses und Reisebeschränkungen während der 2. Intifada hinderte die Familie daran, zum Weinberg und zum Obstbaumhain zu kommen. 2008 wurde das Militärlager abgebaut und die Familie entschied, ihr Land wieder zu kultivieren und neue Bäume zu pflanzen.
Beide – die Jabers und die Shibacks – sind Begünstigte der Vereinigung des Landwirtschaftlichen Arbeitskomitee-Projekts. Sie wurden darum gebeten, den israelischen Behörden die Dokumente zu zeigen, die ihren Besitzstand des Landes ausweisen, und dass sie das Recht haben, dieses zu kultivieren. Das ist ein teurer und zeitraubender Prozess, der Gebühren, einen Anwalt, Fahrten zum Beit El-Hauptquartier der Zivilbehörde einschließt und das Durchsuchen von Archiven. Die Ergebnisse befriedigen die Israelis oft nicht, da sie eine sehr dehnbare Definition für Staatsland und privates Land haben. Beide Familien haben sich da richtig rein gekniet.
Hani Zemaara von Halhoul, 56, wollte drei Dunum seines Landes kultivieren. Auch seine Arbeit wurde gestoppt. Zemaaras Land war zufällig vor 1993 schon kultiviert. Aber seine Ernte wurde zerstört, als die Hebroner Umgehungsstraße befestigt wurde. Er brachte tatsächlich alle notwendigen Dokumente zusammen, um den Israeli zu zeigen, dass er der Besitzer des Landes ist – einschließlich einer detaillierten Karte mit Plan, die extra für ihn von einem Landvermesser skizziert wurde. Er investierte 3500 NIS, die er nicht hatte, um alle notwendigen Papiere zu bekommen. Es verging mehr als ein Jahr, und er wartet noch immer auf die Genehmigung. Die fast vollendeten Terrassen auf seinem Stück Land liegen trocken am Hang des Berges. „ Wenn wir auf unserm Land arbeiten, ist es für Israel so, als ob wir einen Israeli töten,“ wie es ein Mitglied des Landwirtschaftskomitee sagte.
Europäische Mitarbeiter, die mit dem Finanzierungsprozess zu tun haben, sind davon überzeugt, dass die Zivilverwaltung in den letzten Jahren gegenüber den palästinensischen Bauern härter geworden ist, und zwar allgemein unter dem Druck der Siedler und besonders unter der Regavim-Vereinigung . Regavim, das sich selbst „die Bewegung zur Erhaltung des Landes der Nation“ nennt, dehnt seine Arbeit immer weiter aus und findet palästinensische „Verletzungen“ in der Zone C.
Ein Regavim-Sprecher sagte zu Haaretz, dass die Organisation es sehr ernst nimmt, wenn Araber „illegal“ Land in Zone C – in Judäa und Samaria – nehmen, einschließlich durch landwirtschaftliche Bearbeitung, die nur für diesen Zweck bestimmt ist.
Regavim verfolgt mit Sorge die wachsende Einmischung anderer Länder, die zunehmend einseitig neue Fakten vor Ort schaffen, und dabei die Gesetze des Staates Israel verletzen und unverschämt seine Souveränität unterwandern … Regavim ruft das Außenministerium an, es möge den internationalen Parteien eine eindeutige Botschaft vermitteln und darlegen, dass Israel durch ihr Verhalten sehr verärgert sei und sofort Abstand davon nehmen solle.
„Die Regavim-Bewegung freut sich zu hören, dass die Zivilverwaltung auf ihre Forderungen reagiert habe und das Gesetz in gleicher Weise, also auch unter den Arabern durchgesetzt habe.
Der Artikel erschien im Original unter dem Titel Palestinian farmers are being treated like criminals am 28. Januar 2010 bei Ha’aretz.
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Die Autorin: Amira Hass , geboren 1956 in Jerusalem, ist die einzige israelische Journalistin, die jenseits der “grünen Linie”, nämlich in Ramallah lebt, und das seit 1977. Vorher verbrachte sie ein paar Jahre in Gaza. Sie ist Korrespondentin der israelischen Tageszeitung Ha’aretz.
Sie studierte als Tochter Holocaust-Überlebender Geschichte in Jerusalem und Tel Aviv und arbeitete danach als Lehrerin.
Übersetzung: Ellen Rohlfs