Organhandel, Drogengeschäfte und Auftragsmord. Machenschaften des Kosovo-Präsidenten wurden vom Westen gedeckt
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Von REDAKTION, 22. Dezember 2010 –
Nachdem der Schweizer Europarats-Abgeordnete Dick Marty berichtete, dass der Kosovo-Regierungschef Hashim Thaci jahrelang am Handel mit Organen serbischer Kriegsgefangener beteiligt gewesen sei, geraten zunehmend auch die westlichen Schutzmächte der ehemaligen serbischen Provinz in die Schusslinie der Kritik.
Thaci sei nach dem Kosovo-Krieg Ende der 90er Jahre Chef einer mafiaartigen Gruppe gewesen, die auch Morde und andere Verbrechen begangen habe. Mit seinem Bericht habe er zeigen wollen, „dass Verbrechen begangen wurden, die bis heute ungestraft geblieben sind“, sagte Marty bei einer Pressekonferenz in Paris. Vorwürfe über verbrecherische Handlungen und Menschenrechtsverletzungen seien bekanntgewesen. „In Privatgesprächen wurde das zugegeben, doch aus politischen Gründen hat man es vorgezogen, zu schweigen.“
Thaci und andere ehemalige Führer der kosovarischen Befreiungsarmee UCK sollen nach dem Kosovokrieg Ende der 90er Jahre in einen Handel mit Organen serbischer Gefangener und in Drogengeschäfte verwickelt gewesen sein. Die frühere Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofes für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, Carla del Ponte, forderte nach den jüngsten Berichten juristische Schritte. Strafrechtliche Ermittlungen dürften jedoch nicht von den Behörden des Kosovos oder Albaniens geführt werden. „Die haben ja schon gesagt, dass alle unschuldig sind“, betonte die heutige Botschafterin der Schweiz im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. „Infrage kommt eigentlich nur die EU-Kosovo-Mission Eulex, die dafür aber entsprechend ausgestattet werden müsste“, fügte Del Ponte hinzu.
Westliches Versagen
Del Ponte bestätigte zugleich, sie habe nach Ende ihrer Tätigkeit als Chefanklägerin erfahren, dass Beweisstücke für die mögliche Entnahme von Organen in Albanien beim Tribunal verschwunden seien. „Es waren Blutproben, Lappen, Fotos und Ähnliches aus dem gelben Haus in Rribe in Nordalbanien“, erinnert sich Del Ponte: „Es war uns damals klar, dass in dem Haus etwas Medizinisches stattgefunden hatte.“ Die Anfangsermittlungen des Tribunals seien damals dann ins Stocken geraten, weil Albanien die Zusammenarbeit einstellte. „Wir hatten von Massengräbern mit möglichen Opfern von Organentnahmen in Albanien gehört, und ich wollte das untersuchen lassen, aber die albanischen Behörden sperrten sich“, sagte Del Ponte. Zudem hätten Zeugen die Aussage verweigert. „Sie hatten Angst, weil mehrere unserer Zeugen ermordet worden waren“, sagte Del Ponte. Die Unterstützung durch die Mission der Vereinten Nationen im Kosovo, Unmik, habe damals ebenfalls spürbar abgenommen. Del Ponte, die den Verdacht des Organhandels schon 2008 in einem Buch geäußert hatte, will die Gerüchte darüber zunächst für unwahrscheinlich gehalten haben.
Marty wirft den westlichen Schutzmächten vor, die vermeintliche Stabilität des von ihnen verwalteten Protektorats sei ihnen wesentlich wichtiger gewesen als die verkündete Heilsbotschaft der Schaffung eines demokratischen Rechtsstaates. Für nennenswerte innenpolitische Turbulenzen scheinen die Enthüllungen Martys bislang aber nur in der Schweiz zu sorgen.
Terrordrehscheibe Schweiz
Marty hatte n einem Interview mit der Zeitung Le Temps gesagt, dass auch die Schweiz von den Verbrechen im Umfeld der kosovarischen Führung gewusst, aber aus politischen Gründen nichts dagegen unternommen habe. Denn die Schweiz hatte sich schon 2005 als eines der ersten Länder überhaupt für die Unabhängigkeit der nach Unabhängigkeit strebenden serbischen Provinz ausgesprochen.
Bereits zehn Tage nach der Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar 2008 legte der Bundesrat alle Bedenken beiseite und erkannte den ohne westlichen Schutz nicht lebensfähigen Staat trotz erheblicher Bedenken aus dem Parlament und von Völkerrechtsexperten an.
Nach Informationen der Tagesschau des Schweizer Fernsehens soll Außenministerin Micheline Calmy-Rey die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats (APK) 2008 in den Diskussionen um die staatliche Anerkennung des Kosovo nicht über ein gegenüber Thaci verhängtes Einreiseverbot informiert haben. „Allerdings war bekannt, dass gegen mehrere Mitglieder der kosovarischen Führung Anklageverfahren hängig waren“, sagte der damalige APK-Präsident Geri Müller (Grüne/AG). (1)
Unterdessen forderte die APK-Präsidentin Christa Markwalder (FDP) Klarheit über die Vorwürfe, wonach Gelder aus dem kosovarischen Drogen- und Organhandel über Schweizer Konten liefen. „Sollte sich der Verdacht erhärten, muss die Bundesanwaltschaft aktiv werden“, sagte Markwalder. Die schweren Vorwürfe, die Marty insbesondere gegen Thaci vorbrachte, sollen bei der nächsten APK-Sitzung am 10. und 11. Januar 2011 besprochen werden. Hier soll auch Außenministerin Calmy-Rey der APK Rede und Antwort stehen.
Marty geht in seinem Bericht davon aus, dass das mutmaßliche Mafia-Netzwerk rund um Premier Thaci über Finanzquellen im Ausland verfügte. Mitglieder der sogenannten Drenica-Gruppe sollen demnach die Kontrolle über Gelder an sich gerissen haben, welche die UCK ursprünglich für den Befreiungskampf von der kosovarischen Diaspora erhalten hatte. Diese Gelder seien unter anderem auf Bankkonten in der Schweiz und Deutschland gelagert worden.(2)
„Zahlreiche Mitglieder der kosovarischen Rebellen hatten in den 90er-Jahren in der Schweiz gelebt. Thaci selbst war Student in Zürich, bevor er zum politischen Führer der UCK aufstieg. Die Schweiz war für die UCK von strategischer Bedeutung. Von hier aus wurden Kämpfer rekrutiert und die Finanzierung des Widerstands organisiert. In der Schweiz leben heute ca. 200.000 Kosovaren.“ (3)
BND wusste Bescheid
Die Sächsische Zeitung schrieb am Mittwoch, der deutsche Nachrichtendienst BND habe schon 2005 in einer vertraulichen Analyse über engste Verflechtungen früherer UCK-Kommandanten mit der Organisierten Kriminalität berichtet – und dabei Hashim Thaci als eine von drei Schlüsselfiguren mit direkten Kontakten zur tschechischen und albanischen Mafia benannt. Der BND-Rapport habe von einer Beteiligung an Auftragsmorden, Drogen- und Waffenhandel berichtet. Trotz dieser Erkenntnisse sei „Thaci vom Westen als Garant für eine gewisse Stabilität geschätzt – und gehätschelt“ worden. (4)
Nach Ansicht des serbischen Präsidenten Boris Tadic hat sich nach dem Bericht Dick Martys der Ruf der Serben verbessert. Nach Medienberichten sagte Tadic, die internationale Gemeinschaft habe nun begonnen, auch Verbrechen seitens der Albaner einzusehen und nicht nur den Serben allein alle Schuld zuzuweisen. „Ich denke, dass wir nach sorgfältigen Ermittlungen die Gründung des so genannten unabhängigen Staates Kosovo aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten werden“, sagte Tadic. (5)
Vorwurf der Wahlfälschung
Auch die derzeit laufenden Untersuchungen wegen des Vorwurfs der Wahlfälschung bei der Parlamentswahl im Kosovo könnten zu einer Korrektur des westlichen Blicks auf den Kosovo beitragen. Fast alle Parteien warfen der siegreichen PDK von Regierungschef Hashim Thaci vor, die Wahlen massiv gefälscht zu haben und hatten eine komplette Wiederholung der Abstimmung verlangt.
„Mehr als 25 Prozent der Wahllokale weisen Unregelmäßigkeiten und Manipulationen auf“, zitierten die Medien die viertplatzierte AAK-Partei: „Daher verlangt die AAK die Wiederholung des Wahlprozesses in ganz Kosovo.“ Auch die drittplatzierte Vetevendosje will sich mit der angeordneten Wahlwiederholung in fünf Wahlkreisen nicht zufriedengeben. Da es auch in anderen Städten Fälschungen gegeben habe, reiche dies nicht aus.
Die zweitplatzierte LDK-Partei hat inzwischen Klage beim obersten Gerichtshof des Landes angekündigt. Es habe „zahllose Unregelmäßigkeiten“ in vielen weiteren Städten gegeben, zitierten die Medien am Samstag Parteichef Isa Mustafa. Demgegenüber hatten internationale Beobachter Regierungschef Thaci zur „fairen und gerechten“ Wahl gratuliert. Ob sie diesmal genau hingeschaut haben?
(1) http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2010/12/19/Schweiz/Schweiz-verbot-Thaci-2002-die-Einreise
(2) http://www.bielertagblatt.ch/News/Ausland/193264
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(3) http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2010/12/19/Schweiz/Schweiz-verbot-Thaci-2002-die-Einreise
(4) http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=2644577
(5) http://de.rian.ru/politics/20101221/257940281.html