Mordanschläge in Westpapua/Indonesien
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Ein Gespräch mit Sabine Kuegler über andauernde Menschenrechtsverletzungen an der Urbevölkerung, False Flag-Operationen und die Verantwortung des Freeport-Konzerns (USA) –
Von THOMAS WAGNER, 3. August 2009 –
Die indonesische Provinz Westpapua ist seit dem 11. Juli Schauplatz von bislang sechs blutigen Anschlägen und Schusswechseln im Umfeld des US-Bergbaukonzerns Freeport-McMoran Copper & Gold geworden. Nachdem ein australischer Mitarbeiter der zum US-Bergbau-Konzern Freeport gehörenden Grasberg-Kupfermine erschossen worden war, kam es in den folgenden Tagen zu wiederholten Schusswechseln, bei denen nach Angaben der Behörden bislang vier Polizisten und Angestellte des Bergwerks ums Leben kamen. Auch nachdem 20 Verdächtige festgenommen worden sind, setzt sich die Anschlagsserie fort. Die indonesische Polizei macht die Bewegung für die Befreiung Westpapuas (Organisasi Papua Merdeka, OPM) für die Überfälle verantwortlich. Vertreter der halbautonomen Provinz bezweifeln dies.
Hintergrund hat Sabine Kuegler zu ihrer Einschätzung der aktuellen Lage und zur Vorgeschichte des Konflikts befragt. Die 1972 als Kind einer Familie von Sprachforschern geborene Bestsellerautorin („Dschungelkind“, Ruf des Dschungels“) ist in Westpapua aufgewachsen und engagiert sich seit vielen Jahren für soziale und ökologische Projekte in der Region. „Der US-Konzern Freeport schafft den Nährboden für Menschenrechtsverletzungen an der papuanischen Bevölkerung“, ist sich die Autorin gewiss. „Zudem zerstört das Unternehmen die Umwelt ganz massiv. Das können Sie sogar auf den Satellitenbildern von Google-Earth sehen. Zwar haben sie in unmittelbarer Umgebung des Bergwerks, in der Stadt Timika die besten Ärzte und Schulen und tun sehr viel für die Gemeinde. Aber die meisten ihrer Mitarbeiter sind keine Papuaner. Ich weiß, wie schwierig es sein kann mit Stammesangehörigen zusammenzuarbeiten. Aber durch entsprechende Trainingsprogramme könnten sie auf die Arbeit für das Bergwerk vorbereitet werden. Das Geld dafür wäre da. Die ausländischen Mitarbeiter leben zum Teil wie die Könige und fliegen zum Shoppen nach Australien.“
Dass Freeport aus dem Land verschwinden könnte, hält Kuegler für unrealistisch, weil Jakarta von den Steuergeldern abhängig sei, die nach Medienberichten bis zu 30 Prozent seiner Staatseinnahmen ausmachen. Ein Wegfall dieser Einnahmen könnte den ökonomischen und politischen Zerfall des Inselstaates nach sich ziehen.
Das ist geopolitisch nicht im Interesse der USA und ihrer Verbündeten, für die Indonesien schon jetzt ein wichtiges Zentrum ihres „Kriegs gegen den Terror“ darstellt.
„Klar ist, dass die indonesische Regierung von Freeport abhängig ist. Interessant wäre es zu recherchieren, welche Verbindungen der nordamerikanische Mutterkonzern zur US-Regierung unterhält.
Damit sich die Menschenrechtslage unter den gegebenen Umständen zumindest verbessert, dürften die westlichen Staaten indonesische Spezialstreitkräfte – wie die für ihre Menschenrechtsverletzungen berüchtigte Kopassus – nicht mehr ausbilden und ausrüsten. Freeport sollte aufhören, das indonesische Militär für seinen Schutz zu bezahlen. Jakarta müsste dafür sorgen, dass seine Truppen in Westpapua keine Geschäfte mehr machen. In ganz Indonesien erhält das Militär nur etwa ein Drittel seiner Einkünfte vom Staat. Die Streitkräfte finanzieren sich überwiegend selbst, indem sie unternehmerisch tätig werden und sich Konzernen als Sicherheitsdienst anbieten. Das sind zum Teil die gleichen Soldaten, die vorher in Osttimor stationiert waren und deren Kommandeure für ihre Verbrechen niemals zur Rechenschaft gezogen worden sind.
Ethnische Konflikte zwischen Papuanern und Indonesiern, die in früheren Zeiten die Insel als Sklavenhändler heimgesucht hatten, verschärfen die Situation. Freeport sollte daher vorwiegend Einheimische für ihren Wachschutz einstellen.“
Die bei den jüngsten Überfällen verwendete Munition stammt laut Informationen der britischen Free West Papua Campaign U.K. aus Armeewaffen. In Teilen der indonesischen Presse wird spekuliert, die von Freeport bezahlten Sicherheitskräfte könnten die Überfälle selbst angezettelt haben, um die Unverzichtbarkeit ihrer Dienstleistung zu unterstreichen. Auch Kuegler hält das für sehr wahrscheinlich
„Fast in jeden Vorfall der Vergangenheit war das Militär verwickelt. Man kann ein Muster erkennen, das sich ungefähr alle fünf Jahre wiederholt. Immer dann, wenn Freeport ankündigte oder in Erwägung zog, den Militärs künftig weniger Geld für ihren Schutz zu zahlen, kam es zu Gewaltakten, die das Militär der OPM in die Schuhe zu schieben versuchte. Vor ein paar Jahren wurde ein Lehrer aus den USA umgebracht. Leute vor Ort haben mir erzählt, dass Kämpfer der OPM von getarnten Mitarbeitern des Militärs zu diesem Überfall angestiftet und mit Gewehren versorgt worden sind. Man habe den OPM-Leuten erzählt, um die und die Zeit komme ein Auto vorbei, in dem ganz hohe Vertreter des indonesischen Militärs und der Regierung sitzen würden. Daraufhin hätten sich die Männer der OPM im Gebüsch versteckt und tatsächlich geschossen.“
Entstanden ist die OPM vor über vierzig Jahren. 1969 hatte Jakarta mittels einer ganz offensichtlich manipulierten Wahlmännerabstimmung die Unabhängigkeitsbestrebungen der ehemaligen niederländischen Kolonie vereitelt. Schon vor der fingierten Abstimmung hatte die indonesische Regierung dem US-Bergbaukonzern Freeport-McMoran Copper & Gold in einem Vertrag widerrechtlich die Kupfer- und Goldschürfrechte in Westpapua zugesichert.
Für die indonesischen Regierung ist die OPM eine Terrororganisation, die sie mit Spezialeinheiten bekämpft. Ihre Kämpfer halten sich seit Jahrzehnten im Urwald versteckt. Dort traf Kuegler 2007 Mathias Wenda*, den Befehlshaber des bewaffneten Widerstands und einige weitere Anführer der OPM. Diese Männer wären schon aufgrund ihrer schlechten Bewaffnung nicht zu Feuerüberfallen in der Lage, wie sie in den vergangenen Wochen verübt worden sind. „Sie hatten im ganzen ein Gewehr, das noch aus dem Zweiten Weltkrieg stammte. Ab und zu ballern sie vielleicht rum. Aber das ist selten. Denn sie haben kein Geld für Patronen.“
Kuegler hat Verständnis dafür, dass diese Männer sich mit Gewalt zu wehren versuchen. „Ein Häuptlingssohn, der mittlerweile erschossen worden ist, hat mir erzählt, wie er zusehen müsste, als man seinen Vater aufgeschlitzt und sein ganzes Blut in einem Eimer aufgefangen hat. Dann wurden die Angehörigen gezwungen, dieses Blut zu trinken. Ich glaube, dass die meisten Menschen auf der Welt nach so einem Erlebnis auch zur Waffe greifen würden, um sich zu verteidigen. Mathias Wenda lebt nun schon seit vierzig Jahren im Urwald versteckt und weiß überhaupt nicht mehr, was draußen überhaupt vor sich geht. Er denkt noch immer so wie vor vierzig Jahren und glaubt, dass die USA eines Tages kommen und ihn retten werden.
Die älteren Männer der OPM leben in einer Welt, die nicht existiert. Ich war die erste, die ihnen seit langem erzählen konnte, was in der Außenwelt abläuft. Ich habe ihnen erklärt, welche Rolle Freeport spielt und warum ihnen die US-Regierung nicht zu Hilfe kommen wird. Während Mathias für den bewaffneten Kampf steht, arbeitet Benny Wenda von London aus für eine diplomatische Lösung. Ich schätze diesen Mann sehr.“
An die 10.000 Angehörige der OPM sowie ehemalige Unabhängigkeitskämpfer und Stammesangehörige halten sich heute in Flüchtlingslagern und Urwaldverstecken im benachbarten Papua Neuguinea vor der Verfolgung durch das indonesische Militär versteckt. Vor zwei Jahren war Kuegler in die Grenzregion gereist, um die Existenz dieser Flüchtlingslager zu dokumentieren und medizinische Hilfe zu leisten. Seitdem habe sich die Lage der Menschen, die von Indonesien als illegale Grenzübertreter verfolgt werden, eher noch verschlechtert. „Es gibt eine von den Vereinten Nationen gesicherte Stelle für die Flüchtlinge. Aber dort ist es zu eng, es gibt nicht genug zu Essen und die Frauen sind zu weit weg von ihren Männern, die zum Teil als Angehörige der OPM in Westpapua im Urwald leben. Sie haben sich an der Grenze in der Nähe ihrer Männer ganz kleine Dörfer aufgebaut. Sie leben dort ohne Rechte und sehr unsicher. Ich wollte diese Menschen unterstützen und zumindest ihren Kindern eine Schulausbildung ermöglichen, aber es gibt keine Möglichkeit, ihnen das Geld zu schicken.“
Zahlreiche Indizien deuten darauf hin, dass das Militär seinen Einfluss in der Region immer weiter ausdehnt.
„Vor einigen Jahren ist ein 10-Punkte-Plan aufgetaucht, der dokumentiert, wie die indonesische Regierung unter Präsident Suharto (1968-1998) Papua Neuguinea übernehmen wollte. Es ist genau der gleiche Plan wie für Osttimor. Man versucht die Leute an der Grenze einzukaufen, baut Verbindungsstraßen und marschiert dann ein. Meine Gesprächspartner in den Flüchtlingsdörfern befürchteten 2007, dass eine Invasion unmittelbar bevorstünde. Indonesische Soldaten seien über die Grenze gekommen und hätten den Menschen indonesische Pässe angeboten.
Abo oder Einzelheft hier bestellen
Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.
Die Unternehmen entlang der Grenze sind bereits in der Hand des indonesischen Militärs. Im Norden gibt es eine Stadt, da geht der ganze illegale Holzhandel durch, von dem das indonesische Militär und die Regierung Papua Neuguineas profitieren. Das Holz wird in Westpapua geschlagen, in Papua Neuguinea als legal deklariert und von dort in aller Herren Länder verschickt.. Die Verbindungsstraße zwischen Westpapua und Papua Neuguinea ist vor kurzem fertig geworden. Gleichzeitig wurde die Militärpräsenz an der Grenze aufgestockt. ‚Wenn die hier rüberkommen, können wir nichts machen’, hat mir ein Militär aus Papua Neuguinea erklärt. Die Bewohner der Flüchtlingsdörfer fürchten, dass sie die ersten sein werden, die man im Zuge einer Invasion umbringt. Bis jetzt ist aber nichts passiert. Vielleicht hat man sich entschieden, das Nachbarland nicht militärisch, sondern ökonomisch zu erobern.“
* Mathias Wenda gehört zu einer bekannten papuanischen Familie. Durch die christliche Missionierung während der niederländischen Kolonialzeit (oder der deutschen im ehemaligen Deutsch-Neuguinea) tragen nicht wenige Mitglieder der dortigen Stämme christliche Namen.