Waffenexporte

Mit deutschen Waffen gegen das Völkerrecht

Die saudisch geführte Offensive auf die jemenitische Hafenstadt Hudaida verschärft die schlimmste humanitäre Katastrophe unserer Zeit. Gleichzeitig erhöht Deutschland die Zahl der Ausfuhrgenehmigungen für Waffenexporte nach Saudi-Arabien.

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Bombardement von Sana’a, Jemen
Lizenz: Creative Commons Attribution 3.0 Unported license. Autor: fahd sadi, Mehr Infos

Am 7. Juli 2018 veröffentlichte Amnesty International (AI) eine Dokumentation von Kriegsverbrechen im Jemen, begangen von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Milizen, die von ihnen ausgerüstet und trainiert werden. Die AI-Recherchen belegen das systematische Verschwindenlassen von Menschen, Folter teils bis zum Tod, sexualisierte Gewalt sowie andere Formen der Misshandlung. In Geheimgefängnissen würden Menschen teils jahrelang ohne Anklage festgehalten. Die meisten dieser Verbrechen blieben straffrei.

Neben den VAE selbst fordert AI sowohl die USA als «Partner der VAE bei der Terrorismusbekämpfung» als auch die international anerkannte, jedoch mit einer höchst zweifelhaften Legitimität ausgestattete jemenitische Regierung auf, diese Verbrechen zu unterbinden. Tirana Hassan, Direktorin des Krisenreaktionsteams von AI, geht sogar so weit, eine Untersuchung der «Rolle von US-Personal bei den im Jemen im Gewahrsam begangenen Menschenrechtsverstößen» zu fordern. 1

Die VAE sind Teil einer von Saudi-Arabien angeführten Militärkoalition, 2 die seit dem 26. März 2015 einen erbarmungslosen Krieg gegen den Jemen führt. Die dortige Bevölkerung ist längst zum Spielball geostrategischer Interessen und der Paranoia vor einem angeblichen vom Iran kontrollierten «schiitischen Halbmond», der vom Libanon über Syrien, Irak und Iran bis nach Bahrain und schließlich in den Jemen reiche, geworden. Die Militärallianz hat eine umfassende Land-, See- und Luftblockade über das gesamte Land verhängt, mittels derer der jemenitischen Bevölkerung seit Jahren konsequent der Zugang zu Hilfslieferungen verwehrt und zugleich auch die Fluchtwege abgeschnitten werden. Aktiv unterstützt werden die Invasoren von den USA, Großbritannien und Frankreich, sowohl in Form von logistischer Hilfe wie dem Betanken von Kriegsflugzeugen und der Weitergabe von geheimdienstlichen Erkenntnissen als auch durch die Entsendung von Spezialkräften. 3 Eine Vielzahl weiterer Staaten, darunter auch Deutschland, gehören mit Rüstungsexporten in Milliardenhöhe ebenfalls zu diesem Unterstützerkreis.

Aktuelle Militäroffensive

Die Vereinten Nationen sprechen in Bezug auf den Jemen von der größten humanitären Katastrophe unserer Zeit. Infolge der Invasion sind inzwischen drei Viertel der jemenitischen Bevölkerung, die bereits vor dem Krieg als ärmste der Region galt, auf humanitäre Hilfe angewiesen. 11,3 Millionen Menschen sind akut vom Tod bedroht, 8,4 Millionen befinden sich an der Schwelle zu einer Hungersnot, 4 17,8 Millionen gelten als ernährungsunsicher. Hilfsorganisationen weltweit warnen davor, dass die im Juni begonnene aktuelle Offensive auf die Hafenstadt Hudaida neben der unmittelbaren Gefährdung der rund 600 000 Einwohner der Stadt 5 mittelbar die gesamten 28 Millionen Jemenitinnen und Jemeniten akut bedroht: Der Jemen musste bereits vor Beginn des Krieges 90 Prozent der benötigten Nahrungsmittel importieren. Allein über den seit dem Jahr 2014 unter Kontrolle der Ansarollah (in westlichen Medien zumeist «Huthis» genannt) stehenden Hafen Hudaida werden 70 Prozent davon eingeführt. Zudem müssen etwa 90 Prozent des Treibstoffes importiert werden. Medikamente, medizinisches Gerät und andere lebenswichtige Güter kommen ebenfalls zu großen Teilen über Hudaida. Der dortige Hafen ist die letzte, durch die Militärallianz ohnehin streng kontrollierte und stark reglementierte Verbindung des Jemen zur Außenwelt 6 und damit die einzige verbliebene Lebensader seiner Bewohner.

Die offizielle Begründung der saudisch geführten Militärkoalition für die Blockade lautet: Der angebliche Schmuggel iranischer Waffen in den Jemen und die Gefahr, selbst zum Ziel von Angriffen aus dem Nachbarland zu werden, müssten gebannt werden. Dass in der Vergangenheit mehrfach Raketen aus dem Jemen auf Saudi-Arabien abgefeuert wurden, wird zur Untermauerung ergänzt; ins Verhältnis zu den bislang über 15 000 in diesem Krieg getöteten Jemenitinnen und Jemeniten wird das nicht gesetzt. Und dass die Raketenangriffe aus dem Jemen auch als Selbstverteidigung in Reaktion auf den brutalen Angriffskrieg Saudi-Arabiens gewertet werden könnten, verschweigt man ebenfalls. Gerade erst haben die Saudis ein Angebot der Ansarollah abgelehnt, die bereits zuvor in Hudaida präsenten UN-Beobachter wieder zurück ins Land zu holen. Sie hätten sicherstellen können, dass über den Hafen von Hudaida kein Waffenschmuggel abgewickelt und zugleich die nötigste Versorgung der Bevölkerung gewährleistet würde.

Letztlich hat die Bundesregierung in den vergangenen drei Jahren eine Politik unterstützt, die dem Jemen eine selbstbestimmte politische und wirtschaftliche Entwicklung versagt und eine politische Lösung verhindert hat.

Die zahllosen Bilder halb verhungerter Kinder aber scheinen die gegen den Jemen Krieg Führenden genauso wenig zu beeindrucken wie die Tatsache, dass das Gesundheitssystem und die Wasserversorgung im Land vor dem Kollaps stehen – mit oft tödlichen Folgen für die Zehntausenden Verletzten und die drei Millionen Binnenflüchtlinge. Kinder sterben, weil ihre Eltern kein Geld haben, sie ins Krankenhaus zu bringen. Lebensnotwendige Operationen können nicht durchgeführt werden, weil es an Treibstoff sowie an Medikamenten und medizinischem Gerät fehlt. Der weltweit größte je dokumentierte Cholera-Ausbruch hat bislang 2 200 Todesopfer gefordert, über 900 000 Menschen sind infiziert. Vor allem Kinder sterben an eigentlich vermeidbaren Krankheiten wie Cholera und Diphterie, für deren Ausbruch die Blockade der Militärkoalition maßgeblich mitverantwortlich ist.

«Gunst der Stunde»

Begonnen wurde der Angriff vor drei Jahren auf Bitten des damaligen «Präsidenten» des Landes, Abed Mansur Rabbo Hadi, der im Februar 2012 infolge des Sturzes von Ali Abdullah Salih für eine auf zwei Jahre begrenzte Amtszeit gewählt worden war. Hadi weigerte sich abzutreten und nutzte stattdessen die «Gunst der Stunde»: Saudi-Arabien, das den Jemen ohnehin seit Jahrzehnten als seinen Hinterhof betrachtet und entsprechend behandelt hatte, sah im Jahr 2015 seinen Kampf um Vormachtstellung in der Region gefährdet. Durch die Unterzeichnung des Atomabkommens mit Teheran schien eine Beteiligung Washingtons an einem möglichen Krieg gegen den Iran in weite Ferne gerückt. Die syrische Armee und ihre Verbündeten befanden sich auf dem Vormarsch gegen von den Golfstaaten unterstützte Terrormilizen. Riad musste mitansehen, wie sich das Kräfteverhältnis in der Region deutlich zu seinen Ungunsten verschob. 2015 war außerdem das Jahr, in dem der saudische König Abdallah starb und der zukünftige Kronprinz und Verteidigungsminister des Landes, Muhammad bin Salman, an Einfluss gewann. Dieser wollte sich profilieren und war dafür bereit, sich auch auf direkte militärischeAbenteuer in Kooperation mit lokalen, oft radikalen Milizen 7 einzulassen. Der Vormarsch der Ansarollah bot einen willkommenen Anlass; die Person Hadis spielte allenfalls eine Nebenrolle. Den Golfstaaten geht es genau wie ihren westlichen Bündnispartnern in erster Linie um die Kontrolle der Meerenge, die den Golf von Aden mit dem Roten Meer verbindet. Diese ist für den weltweiten Transport von Erdöl, aber auch anderen Rohstoffen zentral.

Legendenbildung

Hadi hatte zum Zeitpunkt der Intervention längst die Kontrolle über das Land verloren, seine Amtszeit war seit einem Jahr abgelaufen. Die Ansarollah, von denen die saudische Regierung glauben machen will, sie seien reine Handlanger Teherans, die mit iranischen Waffen ausgerüstet und von iranischen Geldern finanziert dessen Interessen durchsetzten, hatten große Teile des Landes, insbesondere den Norden und die Hauptstadt Sanaa, eingenommen. Entgegen den saudischen Legendenbildungen handelt es sich bei den Ansarollah um eine genuin jemenitische Bewegung, die sich keinesfalls von ausländischen Interessen abhängig macht. Bereits seit den 1980er Jahren tritt sie für die religiös-kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Rechte der von der Zentralregierung massiv vernachlässigten Zaiditen, die etwa 40 Prozent der jemenitischen Bevölkerung ausmachen, sowie insbesondere für eine eigenständige, von Saudi-Arabien unabhängige Entwicklung des Landes ein. Die Ansarollah, die während der Präsidentschaft Salihs von dessen Militär und mit Unterstützung Saudi- Arabiens bekämpft worden waren, hatten sich inzwischen mit ebendiesem Salih verbündet, dem gegenüber große Teile des Militärs weiterhin loyal waren. Die Waffen kamen nicht aus dem Iran, sondern einerseits aus den Beständen der Armee, andererseits vom jemenitischen Schwarzmarkt, wo sie leicht und billig zu haben sind.

Auch nach drei Jahren Krieg mit über 15 000 gezählten Luftangriffen, von denen mehr als ein Drittel zivile Ziele traf, scheint eine Rückkehr Hadis, der innerhalb des Jemen kaum Anhänger hat, 8 an die Macht in weiter Ferne. Mit der Begründung, die Intervention sei von einem «legitimen Präsidenten » erbeten worden, bezeichnet die Bundesregierung den Jemen-Krieg trotz der massiven äußeren Einmischung als «innerstaatlichen bewaffneten Konflikt». 9 Die katastrophalen Folgen der See-, Land- und Luftblockade werden zwar kritisiert, für die Maßnahme aber zugleich Verständnis artikuliert. Letztlich hat die Bundesregierung in den vergangenen drei Jahren eine Politik unterstützt, die dem Jemen eine selbstbestimmte politische und wirtschaftliche Entwicklung versagt und eine politische Lösung verhindert hat. So verhängte der UN-Sicherheitsrat im April 2015, also Wochen nach Beginn der Luftangriffe durch die saudisch geführte Militärallianz, ein einseitiges Waffenembargo gegen die Ansarollah. Moskau enthielt sich damals, weil der Vorschlag, ein Waffenembargo gegen alle Konfliktparteien zu verhängen, nicht angenommen worden war. 10 Die Resolution forderte außerdem die Ansarollah zum Rückzug aus allen von ihnen kontrollierten Gebieten auf, zugunsten von «Präsident » Hadi. Hätten sich die Ansarollah der Resolution gefügt, wäre dies einer hundertprozentigen Verwirklichung der saudischen Kriegsziele gleichgekommen. Der damalige Sondergesandte der Vereinten Nationen für den Jemen, Jamal Benomar, reichte kurz nach dem UN-Beschluss seinen Rücktritt ein. Für das Scheitern seiner Mission machte er vor allem die Kompromisslosigkeit der Golfstaaten verantwortlich. Obwohl die Bundesregierung für sich in Anspruch nimmt, eine «zurückhaltende, verantwortungsvolle Rüstungsexportpolitik» zubetreiben, profitieren deutsche Rüstungsunternehmen massiv vom Handel mit den an der Militärallianz gegen den Jemen beteiligten Staaten. Allein in den letzten drei Kriegsjahren genehmigte der Bundessicherheitsratb Rüstungsexporte in Höhe von mehr als 4,6 Milliarden Euro an diese Länder – Tendenz steigend. Zu einem Einsatz von aus Deutschland stammenden Rüstungsgütern im Jemen-Krieg liegen der Bundesregierung angeblich keine «eigenen Erkenntnisse» vor. 11

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Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD wurde festgeschrieben, man werde keine Ausfuhren mehr an Länder genehmigen, die «unmittelbar» am Jemen-Krieg beteiligt sind. Welche Länder konkret betroffen wären, würde diese Klausel umgesetzt, weigert sich die Bundesregierung allerdings bis heute bekannt zu geben. Außerdem wurden Umgehungsmöglichkeiten in Form eines «Vertrauensschutzes» für Rüstungsfirmen gleich miteingebaut: Sie dürfen bereits bestehende Verträge ausführen, wenn sie «nachweisen, dass die schon genehmigten Lieferungen ausschließlich im Empfängerland verbleiben». 12 Ein solcher Beweis ist kaum zu erbringen. Außerdem musste die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der stellvertretenden Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag, Sevim Dagdelen, zugeben, im ersten Quartal des Jahres 2018 mit Waffen im Wert von 161,8 Millionen Euro fünfmal so viele Ausfuhrgenehmigungen nach Saudi-Arabien erteilt zu haben wie im Vorjahreszeitraum. 13 An Saudi-Arabien werden zudem acht weitere Patrouillenboote geliefert. 14

Europas Interessen

Im Jemen stirbt alle zehn Minuten ein Kind. Jedes zweite jemenitische Kind erreicht das fünfte Lebensjahr nicht. Aber Europa ist neben der Verfolgung eigener wirtschaftlicher und geostrategischer Interessen vor allem damit beschäftigt, sich weiter abzuschotten. Die Bekämpfung von Fluchtursachen dient den Regierungen der westlichen Industrienationen in erster Linie dem Zweck, möglichst viele Geflüchtete von Europa fernzuhalten. Aus dem Jemen schafft es kaum ein Geflüchteter bis hierher, die meisten können aufgrund der Blockade noch nicht einmal das Land verlassen – so sie denn wollten. Das Engagement der westlichen Industrienationen zur Beendigung des grausamen Krieges gegen den Jemen wird sich voraussichtlich weiter in engen Grenzen halten und den Interessen der Rüstungsindustrie untergeordnet bleiben.

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