Maßgeschneiderte Propaganda
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Wie stimmt man die Öffentlichkeit auf den Tod von Soldaten und Zivilisten ein? Ein Dokument des US-Geheimdienstes CIA gibt Auskunft –
Von HANS BERGER, 15. Juni 2015 –
Im März 2010 beschäftigten sich Analysten der amerikanischen Central Intelligence Agency (CIA) mit einem kniffligen Problem: Der Krieg in Afghanistan war in jenen europäischen Ländern, die Truppenkontingente für die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) stellten, in der allgemeinen Wahrnehmung nicht populär. 80 Prozent der Bevölkerungen in Frankreich und Deutschland lehnten eine Beteiligung ihres Militärs ab. Die jeweiligen Regierungen, so stellt ein kürzlich von der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichtes CIA-Dokument fest, verließen sich nur auf die “Apathie” der Opposition. Was aber, wenn die negative Stimmung in der Bevölkerung in “aktive Ablehnung” des Einsatzes umschlage?
Das geht natürlich nicht. Wie sollte man auch erlaubten, dass sich womöglich noch Staaten Europas vom Einsatz am Hindukusch zurückziehen, nur weil deren Bewohner es so wollen. Die CIA entwickelte also Gegenstrategien, die auf die Schaffung nachhaltiger Zustimmung zum Krieg gegen die Taliban abzielten. Das nun geleakte CIA-Red-Cell-Special-Memorandum unter dem Titel “Afghanistan: Die westeuropäische Unterstützung für die NATO-Mission erhalten – Warum es nicht genug ist, auf Apathie zu setzen” beschäftigt sich dabei vor allem mit Kommunikationsstrategien, die den unwilligen Bevölkerungen Frankreichs und Deutschlands das Sterben und Töten in Kandahar, Kabul und Masar-e Scharif schmackhaft machen sollen.
“Tailoring Messaging”, das “Maßschneidern” einer Diskursstrategie entlang der persönlichen, politischen, moralischen Überzeugungen des zu erreichenden Publikums, soll, geht es nach dem CIA-Papier, dabei helfen: “Die Öffentlichkeit in Westeuropa könnte besser darauf vorbereitet werden, einen Frühling und Sommer mit einer höhren Anzahl von militärischen und zivilien Opfern zu tolerieren, wenn sie eine klare Verbindung zwischen den Ergebnissen in Afghanistan und ihren eigenen Prioritäten sieht.”
So solle etwa einem französischen, “überwiegend säkularen” Publikum erklärt werden, dass ein Sieg der Taliban einen Rückschlag für die hart erkämpften Fortschritte auf dem Gebiet der Ausbildung für Mädchen nach sich ziehen werde. Den Deutschen, die eher auf die möglichen Kosten des Einsatzes fokussiert seien und seinen Sinn nicht sähen, solle man vermitteln, “wie eine Niederlage in Afghanistan Deutschlands eigene Gefährdung durch Terrorismus, Opium und Flüchtlinge erhöht”. Zusätzlich sei es anzustreben, dass Präsident Barack Obama, dem man in Deutschland wie Frankreich zutraue, “außenpolitische Belange zu managen”, zum einen direkt den Beitrag dieser Länder zur ISAF-Mission heraushebe und sein Bedauern über Alliierte, die nicht “helfen” wollen, äußere.
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Nachdruck legt das Papier auch auf die Instrumentalisierung von Frauenrechten für den Waffengang: “Afghanische Frauen könnten als ideale Botschafter dafür dienen, die Rolle der ISAF im Kampf mit den Taliban zu humanisieren.” Dafür sollten “Gelegenheiten für die Medien geschaffen werden”, so dass afghanische Frauen ihre Geschichten mit einem westeuropäischen Publikum teilen könnten. Das könnte helfen, den “weit verbreiteten Skeptizismus unter Frauen in Westeuropa gegen die ISAF-Mission zu überwinden”.
Fraglich bleibt, wie und ob die angestrebten Meldungen in der öffentlichen Debatte gezielt plaziert wurden. Fakt ist allerdings, dass in der Kriegsberichterstattung auflagenstarker Medien exakt diese Themen immer wieder einen zentralen Platz eingenommen haben, meistens ohne jegliche kritische Distanz. Letztlich spielt das aber für das Ergebnis der Berichterstattung eine untergeordnete Rolle, wie Tobias Riegel in der Tageszeitung Neues Deutschland hervorhebt: “Konnte jenes, von der CIA geforderte ‘konsistente, strategische Programm’ Einfluss auf die großen deutschen Medien gewinnen? Oder entspringt die schwer zu bestreitende Gleichförmigkeit zu Afghanistan (oder auch zur Ukraine, zu Syrien oder Libyen) einem in den großen Medien ohnehin vorhandenen Konsens? Diese Frage wird im Rahmen der aktuellen Mediendebatte heiß diskutiert. Doch welche Erklärung ist beunruhigender?”