Weltpolitik

Massenprotest gegen Machtrausch

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Zehntausende demonstrieren in Burkina Faso. Proteste richten sich gegen eine Verfassungsänderung, die Präsident Blaise Compaoré eine weitere Amtszeit sichern soll.

Von SIMON LOIDL, 29. Oktober 2014 –

Seit Wochenbeginn kommt es in Burkina Faso zu Massenprotesten. Diese waren nicht spontan entstanden, vielmehr hatten Oppositionskräfte eine Protestwoche angekündigt, die sich gegen eine geplante Verfassungsänderung richtet. Am Donnerstag soll das Parlament des westafrikanischen Landes über eine von der Regierung vorgelegte Reform abstimmen, die drei statt den bisher zwei fünfjährigen Amtszeiten für den Präsidenten vorsieht.

Blaise Compaoré, der das Land seit 1987 regiert, will auf diese Weise seine geplante neuerliche Kandidatur legitimieren. Die Regierung ließ Schulen und Universitäten für die gesamte Woche vorsorglich schließen.

Am Montag startete die Protestwoche mit einer Kundgebung, an der sich mehrere hundert Frauen beteiligten. Später formierten sich die ersten Demonstrationen mit massenhafter Beteiligung, bereits in der Nacht zu Dienstag reagierten die Sicherheitskräfte des Landes repressiv auf die Proteste. (1) Internationale Medien berichteten von Versuchen vornehmlich jugendlicher Demonstranten, Ausfahrtstraßen aus der Hauptstadt Ouagadougou zu blockieren. Polizeieinheiten wollten dies verhindern und setzten Tränengas ein. (2)

Steine gegen Wasserwerfer

Am Dienstag weiteten sich die Proteste aus, in mehreren Städten des Landes fanden Kundgebungen statt. Sprecher der Opposition von Burkina Faso berichteten von einer Million, Nachrichtenagenturen von mehreren zehntausend Menschen, die gegen die Machtrauschpolitik ihres Präsidenten auf die Straße gingen. (3) Es kam zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und Polizei, die gewaltsam gegen die Menschen vorging. Der bereits am Dienstag morgen gestartete Marsch war zunächst friedlich verlaufen. Als die Menschen sich in Richtung des Parlamentsgebäudes bewegten, versuchten Sicherheitskräfte, den Zug mit Tränengas und Wasserwerfern zu stoppen. Diese antworteten mit Steinen und zündeten Autoreifen an. Über Festnahmen gab es zunächst keine Meldungen, Mitarbeiter des Roten Kreuzes berichteten allerdings von verletzten Demonstranten. (4)

Die unmittelbare Reaktion der Regierung auf die Massenproteste ist der Versuch, diese in gute und böse Demonstranten zu spalten. Am Dienstag abend, als die Situation längst eskaliert war, wandte sich die Regierung mit einem Schreiben an die Opposition. In diesem beglückwünschte sie die Organisatoren der Proteste zu der gelungenen Durchführung einer friedlichen Großkundgebung, die nur leider am Ende in einigen Städten des Landes von einigen missbraucht worden sei. (5)

Compaorés Versuche, seine Macht zu zementieren, machen mittlerweile auch seine westlichen Gönner nervös. Der Präsident der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, Francois Hollande, wies in einem Schreiben an seinen Amtskollegen Compaoré auf jene Passagen in der Charta der Afrikanischen Union hin, die sich gegen konstitutionelle Veränderungen zum Zweck des Machterhalts richten. Frankreich hat in Burkina Faso – so wie in vielen anderen seiner ehemaligen Kolonien – Militäreinheiten stationiert, die bei diversen „Antiterror-Operationen“ in der Region eingesetzt werden. Auch für Washington hat sich Compaoré während der vergangenen Jahre als treuer Partner positioniert. Für die aktuelle Strategie westlicher Mächte, den politischen und militärischen Einfluss in West- und Zentralafrika via „Krieg gegen den Terror“ auszuweiten, hat sich der burkinische Präsident – wie viele andere Machthaber der Region – als nicht hinderlich erwiesen.

An die Macht geklammert

Blaise Compaoré regiert Burkina Faso seit 27 Jahren. An die Macht kam er nach einem Putsch gegen den legendären revolutionären Präsidenten Thomas Sankara, der aus dem postkolonialen Obervolta ein neues Land, Burkina Faso – zu deutsch etwa „Land der Aufrichtigen“ –, zu formen begonnen hatte. Compaoré und Sankara waren Weggefährten gewesen, der jetzige Präsident hatte bei der Revolution in Obervolta 1983 eine wesentliche Rolle mitgespielt. Zum Zeitpunkt des Staatstreichs gegen Sankara warfen die Putschisten dem Revolutionär vor, vom Weg abgekommen zu sein. Mit der Vorwand, den „Sankarismus“ vor Sankara schützen zu müssen, ermordeten die Putschisten unter Führung Compaorés den Revolutionären und führten Burkina Faso statt auf einen vertieften revolutionären Weg zurück zu Verhaltensweisen, die den alten und neuen Kolonialmächten bestens ins Konzept passten.

Seit 1987 klammert sich Compaoré an die Macht. 1991 ließ er sich erstmals bei Wahlen im Präsidentenamt bestätigen. Nach einem Boykottaufruf nahmen damals gerade mal 27 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung teil. 1998 folgte die nächste Wahl, die Compaoré weitere sieben Jahre Präsidentschaft bescherten. 2000 setzte seine Regierung dann eine Verfassungsänderung durch, welche die Amtszeit auf zwei Mal fünf Jahre festlegte. Da er ja zuvor zwei Mal sieben Jahre als Präsident regiert hatte, so die Argumentation der Regierungspartei, dürfe Compaoré erneut antreten. Der Trick ging auf, Compaoré wurde 2005 und 2010 wieder gewählt. Die Opposition – insbesondere die linken Kräfte in der Nachfolge Sankaras – in Burkina Faso blieb zersplittert, die Wahlbeteiligung war bei allen Abstimmungen gering.

Nun, da er laut Verfassung nicht mehr erneut kandidieren darf, versucht der 63jährige Compaoré den Trick aus dem Jahr 2000 erneut. Dieses Mal allerdings unter einigermaßen veränderten innenpolitischen Vorzeichen. Immer wieder kam es während der vergangenen Jahre zu  Protesten gegen die Politik der Regierung. Im Verlauf des ersten Halbjahres 2011 stand das Land am Rande eines Staatsstreichs. Anfang 2011 fanden Studentendemonstrationen und Proteste gegen Teuerungen statt. Kurz darauf kam es zum Aufstand von Teilen der Armee, ausgelöst wegen nicht bezahlter Löhne. Compaoré musste zeitweilig sogar die Hauptstadt Ouagadougou verlassen. Andere Staatsbedienstete – etwa Polizisten und Lehrer – protestierten im Frühjahr 2011 ebenfalls für eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen, die Oppositionsparteien verlangten Compaorés Rücktritt. Durch Verhandlungen, einige Zugeständnisse und viele Versprechungen gelang es Compaoré, die meuternden Soldaten wieder auf seine Seite zu ziehen, und im Verlauf des Sommers 2011 flauten die Proteste allmählich ab. Dennoch kam es seither immer wieder zu Demonstrationen – denn trotz aller Versprechungen hat sich nach dem Frühling 2011 nichts Wesentliches geändert in dem Land, das laut Human Development Index zu den ärmsten der Welt zählt. (6)

Ausgedient

Die Unfähigkeit Compaorés, die unzufriedene und verarmte Bevölkerung ruhig zu stellen, ist genau der Punkt, der die Neokolonialstrategen in Washington und Paris etwas unruhig werden lässt. Compaorés Aufgabe in diesem Zusammenhang ist es, das Land am südlichen Rand der Sahelzone ruhig und stabil zu führen. Die Rolle des Präsidenten bei Verhandlungen in den Konflikten in den Nachbarländern Côte d’Ivoire und Mali machten die Funktion Burkina Fasos als relativer Stabilitätsfaktor in der Region deutlich. Sollte Compaoré die Situation nicht in den Griff bekommen, dann würden ihm nicht mehr nur die aufgebrachten Menschenmengen und die Oppositionsführer eine „letzte Warnung“ aussprechen (7), sondern auch die westlichen Mächte.

Laut dem Internetportal Independent Online haben Demonstranten am Dienstag in Bobo Dioulasso, der zweitgrößten Stadt Burkina Fasos, eine Statute des Präsidenten vom Sockel gestoßen. Unbehelligt blieb ein zweites Denkmal, das Muammar al-Ghaddafi zeigt. Der nach dem NATO-Angriff auf Libyen ermordete Präsident war in Burkina Faso seit jeher eine angesehene Persönlichkeit – nicht zuletzt aufgrund der solidarischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern, um die sich Ghaddafi stets bemüht hatte. (8)


 

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Anmerkungen

(1) http://www.dw.de/ausschreitungen-bei-protesten-in-burkina-faso/a-18025766
(2) http://allafrica.com/stories/201410290514.html
(3) http://www.bbc.com/news/world-africa-29804216
(4) http://www.iol.co.za/news/africa/teargas-used-against-burkina-faso-crowds-1.1772205#.VFDEiiKG-yg
(5) http://www.iol.co.za/news/africa/teargas-used-against-burkina-faso-crowds-1.1772205#.VFDEiiKG-yg
(6) http://hdr.undp.org/en/2014-report
(7) http://allafrica.com/stories/201410290514.html
(8) http://www.iol.co.za/news/africa/teargas-used-against-burkina-faso-crowds-1.1772205#.VFDEiiKG-yg

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