Leere Rhetorik: Obama tritt zweite Amtszeit an
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Von REDAKTION, 22. Januar 2013 –
Kriege beenden, Klimawandel bekämpfen und Bürgerrechte stärken – diese hehren Ziele stellte US-Präsident Barack Obama in den Mittelpunkt seiner Rede anlässlich seines zweiten Amtsantritts. Unter dem Jubel hunderttausender Schaulustiger beschwor er nach seiner Vereidigung vor dem Capitol in Washington: „Ein Jahrzehnt des Krieges ist beendet. Eine wirtschaftliche Erholung hat begonnen.“
Zugleich mahnte er bei der Zeremonie am Montag soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit an. Auch für den Kampf gegen den Klimawandel machte er sich stark. Kommentatoren sprachen von einer ungewöhnlich konkreten Antrittsrede – Obama habe unmissverständlich klargestellt, dass er die nächsten vier Jahre nutzen will.
Unmittelbar vor seiner Rede hatte Obama – der 2009 als erster schwarzer Präsident ins Weiße Haus eingezogen war – an der Seite seiner Frau Michelle und seiner beiden Töchter seinen Amtseid für die zweite Regierungszeit abgelegt. Obama ist der 44. Präsident der USA. Auch Vizepräsident Joe Biden wurde vereidigt.
Populistische Verklärung
Fast eine Million Menschen hatten zuvor im Freien auch die Vereidigung und Obamas Rede verfolgt. „Wir wissen, dass unser Land keinen Erfolg haben wird, wenn es einer immer kleineren Gruppe sehr gut geht und eine immer größere Gruppe kaum durchkommt“, rief Obama ihnen und Millionen Menschen daheim vor dem Fernseher zu. Obama spekuliert offenbar darauf, dass die Masse der US-Bürger inzwischen vergessen hat, dass er nach seinem Amtsantritt den bereits von seinem Vorgänger initiierten „Bail-Out“, also das Einspringen des Staates für verschuldete Banken, fortführte, wenn auch in modifizierter Form.
Er wusste, wie unbeliebt diese Entscheidung bei der Bevölkerung war und trat entsprechend später die populistische Flucht nach vorne an, indem er die staatliche Garantie der Bankschulden als alternativlos darstellte.
„Als ich vor einem Jahr die Präsidentschaft übernahm, stand unser Finanzsystem vor dem Kollaps. Experten sagten uns, dass wir es vielleicht mit einer zweiten großen Depression zu tun bekommen, wenn wir nicht schnell handeln. Also handelten wir unverzüglich und aggressiv“, so Obama.
„Viele Menschen verstehen nicht, warum schlechtes Verhalten an der Wall Street belohnt wird, aber die harte Arbeit der Mittelschicht nicht.“ Es herrsche Verwunderung darüber vor, „warum wir die Banken stützen, die die Krise verursacht haben“, erklärte der Präsident, um sich sodann selbst an die Spitze des allgemeinen Unbehagens gegenüber den Banken zu stellen: „Wir alle hassten den Banken Bail-Out. Ich hasste es. Es war so populär wie eine Wurzelbehandlung.“ (1)
Obama wies in seiner Rede unmissverständlich auf die brennenden Probleme der Vereinigten Staaten hin, wie etwa schlechte Infrastruktur und hohe Schulden. „Wir müssen harte Entscheidungen treffen, um die Kosten unseres Gesundheitssystems zu senken und unser Haushaltsdefizit zu verringern.“ Jetzt sei eine Zeit des Handelns gekommen: „Diese Generation von Amerikanern ist durch Krisen geprüft worden, die unsere Entschlossenheit und Widerstandskräfte gestärkt haben.“
Kriegsfürst als Friedensengel
Der Präsident betonte auch die Rolle der USA in der Welt und ihr vermeintliches Eintreten für Frieden. „Wir glauben weiterhin, dass anhaltende Sicherheit und dauerhafter Frieden keinen immerwährenden Krieg erfordern.“ Die Vereinigten Staaten würden aber auch weiterhin von Asien bis Afrika, vom Nahen Osten bis Lateinamerika die Demokratie unterstützen. Amerika müsse weiterhin „eine Quelle der Hoffnung für die Armen, die Kranken und die Marginalisierten sein“, so die zynisch klingende Aussage des wieder vereidigten Präsidenten, unter dessen Ägide die Anzahl der US-Bürger, die auf Lebensmittelmarken angewiesen ist, von 30 auf über 45 Millionen gestiegen ist.
Während der ersten Amtszeit des Friedensnobelpreisträgers wurden Einsätze der Armee und der im Geheimen operierenden Special Forces stark ausgeweitet. Obama intensivierte massiv die Drohneneinsätze in Pakistan. Auch im Jemen und in Somalia wurden im Rahmen des War on Terror Drohnen aktiv. Erstmals kam es dabei auch zu Kill-Einsätzen gegen US-Staatsbürger. Der US-Präsident „beaufsichtigt persönlich ein verdecktes Tötungsprogramm, das es einer kleinen Gruppe hochrangiger Beamten erlaubt, eigenständig diejenigen Personen auszuwählen, zu überwachen und zur Tötung freizugeben, die als eine Gefahr der nationalen Sicherheit angesehen werden.“ (2)
Der Einsatz geheimer Spezialkommandos wurde von 60 auf 75 Länder ausgeweitet. (3) Zudem waren die USA führend am Krieg gegen Libyen beteiligt.
Mit der Unterzeichnung des National Defense Authorization Act 2012 legalisierte er die unbefristete Inhaftierung terrorverdächtiger Bürger durch das Militär. Die Betroffenen verfügen dabei über keinerlei Rechtsbeistand oder die Möglichkeit, eine Berufungsinstanz anzurufen. Damit werden den Inhaftierten sämtliche Verfassungsrechte, die ein normales Gerichtsverfahren garantieren, entzogen. Das Prinzip des „Habeas Corpus“, das besagt, dass jede Inhaftierung einer richterlichen Überprüfung bedarf, wurde damit ad acta gelegt. (4) Wie das mit der von ihm beschworenen „Stärkung der Bürgerrechte“ zu vereinen ist, ließ der Präsident unerwähnt.
Zum Thema Umweltschutz meinte Obama: „Wir werden auf die Bedrohung durch den Klimawandel eine Antwort finden, weil wir wissen, dass ein Versagen einem Betrug an unseren Kindern und künftigen Generationen gleichkäme.“ Ausdrücklich setzte er sich auch für die Rechte der Homosexuellen ein.
Mit diesen Aussagen will Obama vor allem beim linken Flügel der Demokratischen Partei punkten, der ihn in der Vergangenheit immer wieder kritisiert hatte. Obama habe in seiner ersten Amtszeit nicht entschlossen genug gekämpft und Themen wie Klimawandel und Bürgerrechte vernachlässigt, lauteten die Vorwürfe
Die New York Times sprach in einem ersten Kommentar von einer ungewöhnlich starken Rede. „Die zweite Antrittsrede war kraftvoller als die erste.“ Obama habe klargestellt, „dass er die verbleibende Zeit im Amt nutzen will, um das Land in die Richtung zu treiben, die er sich vorstellt“. Zu einem anderen Urteil kam die Washington Post: „Flach, parteiisch und fußlahm“, sei die Rede gewesen.
Ohnehin ist völlig unklar, wie Obama seine Ziele, selbst wenn er sie ehrlich verfolgt, durchs Parlament bringen will. Auch nach den Wahlen im November herrscht im Kongress weiterhin ein Patt: Die Demokraten beherrschen den Senat. Die oppositionellen Republikaner haben im Repräsentantenhaus die Mehrheit.
Außerdem ist es Obama noch nicht gelungen, sein Kabinett für die zweite Amtszeit zu bilden. Er muss ein halbes Dutzend Ministerposten neu besetzen. Seine erste Unterschrift der neuen Amtszeit setzte Obama unter die Nominierung von vier neuen Ministern – diesen muss allerdings der Kongress noch zustimmen.
Anmerkungen
(1) http://www.dailyfinance.com/2010/01/27/obama-bailing-out-the-banks-was-necessary-but-i-hated-it/
(2) http://www.commondreams.org/headline/2012/05/29
(3) http://www.thenation.com/blog/obamas-expanding-covert-wars#
(4) http://www.hintergrund.de/201112211841/politik/welt/vorwaerts-in-die-vergangenheit.html
Dokumentiert: Auszüge aus der Antrittsrede
„Jedes Mal, wenn wir einen neuen Präsidenten in sein Amt einführen, werden wir Zeuge der großen Stärke unserer Verfassung. Wir bekräftigen das Versprechen unserer Demokratie. Das, was unsere Nation zusammenhält, ist nicht unsere Hautfarbe, nicht unser Glaube oder die Herkunft unserer Namen. Was uns auszeichnet, was uns zu Amerikanern macht, ist unsere Loyalität einer Idee gegenüber, die vor mehr als zwei Jahrhunderten in einer Erklärung niedergeschrieben wurde: ‘Wir halten diese Wahrheiten für selbstverständlich, dass alle Menschen gleich geschaffen sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit bestimmten unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind, zu denen Leben, Freiheit und das Streben nach Glück gehören.’ … Die Geschichte lehrt uns, dass diese Wahrheiten vielleicht selbstverständlich sind, aber sie stellen sich nicht von alleine ein. Freiheit ist eine Gabe Gottes, aber sie muss hier auf Erden bewahrt werden.“
„Wenn die Zeiten sich ändern, müssen wir uns ändern. … Der Schutz unserer persönlichen Freiheiten bedarf gemeinschaftlicher Anstrengungen. Das amerikanische Volk kann die Anforderungen der Welt nicht mehr allein erfüllen, so wenig wie amerikanische Soldaten Kommunismus und Faschismus mit Musketen und Milizen bekämpfen konnten. … Jetzt, mehr als jemals zuvor, müssen wir zusammenarbeiten.“
„Ein Jahrzehnt des Krieges endet nun. Die wirtschaftliche Erholung hat begonnen. Amerikas Möglichkeiten sind unbegrenzt, weil dieses Amerika alle Eigenschaften hat, die eine Welt ohne Grenzen verlangt: Jugend, Schwung, Vielfalt und Offenheit, Risikobereitschaft und die Gabe, sich immer wieder neu zu erfinden. Wir sind für diesen Moment gemacht, und wir werden die Chance nutzen können, wenn wir es gemeinsam anpacken.“
„Wir, das Volk, glauben, dass unser Land nicht erfolgreich besteht, wenn es einer immer kleiner werdenden Minderheit sehr gut geht und eine immer größer werdende Mehrheit kaum über die Runden kommt. Wir glauben, dass der Wohlstand auf eine breite Mittelschicht verteilt werden muss. … Wir stehen zu unserem Credo, wenn ein in Armut geborenes Mädchen weiß, dass es die gleiche Chance hat, es zu schaffen, wie alle anderen auch; weil sie Amerikanerin ist, weil sie frei ist, weil sie ebenbürtig ist, nicht nur in den Augen Gottes, sondern auch in unseren.“
„Wir glauben nicht, dass Freiheit in diesem Land für die reserviert ist, die Glück gehabt haben, oder Freude nur für wenige. Wie verantwortungsbewusst wir auch leben mögen, jeden von uns können Arbeitslosigkeit oder Krankheit treffen, oder unser Haus wird von einem furchtbaren Sturm weggeschwemmt. Dass wir füreinander einstehen, über die Kranken- und Sozialversicherung, macht uns nicht schwächer, es macht uns stärker. Das macht aus unserem Land kein Land der Nehmer, sondern es befreit uns und gibt uns die Möglichkeit, die Risiken einzugehen, die unser Land so großartig machen.“
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„Wir, das Volk, glauben an unsere Verpflichtung, nicht nur uns selbst gegenüber, sondern auch der Nachwelt. Wir werden auf die Bedrohung durch den Klimawandel reagieren, weil wir wissen, dass ein Versagen eine Bedrohung für unsere Kinder und künftige Generationen darstellt. … Der Weg zu erneuerbaren Energien ist lang und manchmal schwierig. Aber Amerika kann sich da nicht raushalten, wir müssen vorweggehen!“
„Wir, das Volk, erklären heute, dass die selbstverständlichste aller Wahrheiten die ist, dass alle von uns gleich geschaffen sind. Und das ist unser Leitstern, nach wie vor. … Aber wir haben unser Ziel noch nicht erreicht, solange unsere Ehefrauen, Mütter und Töchter nicht das gleiche Geld verdienen. Wir haben unser Ziel noch nicht erreicht, solange unsere homosexuellen Brüder und Schwestern vom Gesetz nicht behandelt werden wie jeder andere auch. Denn wenn wir gleich geschaffen sind, muss auch die Liebe eines Menschen zu einem anderen gleichwertig sein. Wir haben unser Ziel noch nicht erreicht, solange Menschen stundenlang warten müssen, bis sie ihr Wahlrecht ausüben können. Wir haben unser Ziel noch nicht erreicht, ehe wir einen besseren Weg gefunden haben, die Einwanderer in Empfang zu nehmen, die in Amerika immer noch das Land der Möglichkeiten sehen. Und wir haben unser Ziel noch nicht erreicht, ehe alle Kinder von den Straßen Detroits über die Hügel der Appalachen bis zu den stillen Straßen von Newtown wissen, dass man sich um sie kümmert, sie respektiert und sie beschützt. Das ist die Aufgabe unserer Generation.“