Kriegstrommeln gegen Libyen – der Westen rüstet nicht nur verbal auf
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Von REDAKTION, 10. März 2011 –
Mit verschärften Sanktionen gegen Staatschef Muammar al-Gaddafi will die internationale Staatengemeinschaft weiteres Blutvergießen in Libyen verhindern, meldete heute die Nachrichtenagentur dpa. Noch vor einem entsprechenden Beschluss der EU-Außenminister sperrte die Bundesregierung Konten der libyschen Notenbank und des libyschen Staatsfonds bei deutschen Kreditinstituten und fror damit Gelder in Milliardenhöhe ein. „Geld, mit dem Gaddafi Krieg und Unterdrückung nicht mehr finanzieren kann“, erklärte heute Regierungssprecher Steffen Seibert. Die Bundesregierung setze so „ein weiteres deutliches Zeichen dafür, dass sie fest an der Seite derjenigen ist, die Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Libyen fordern“, so Wirtschaftsminister Rainer Brüderle.
Doch tatsächlich tun die Vertreter der „internationalen Staatengemeinschaft“ – ein Euphemismus, der gerne benutzt wird, wenn es darum geht, die imperialistischen Interessen der USA und der EU als Interessen der Menschheit darzustellen – ihr Möglichstes, um ein Ende des Blutvergießens zu verhindern und den Konflikt eskalieren zu lassen.
Wäre wirklich ein Ende der Gewalt das Ziel, würde die „internationale Staatengemeinschaft“ Druck auf die Konfliktparteien ausüben, sich an einen Tisch zu setzen und Verhandlungen zu führen. Stattdessen werden die Positionen einer Seite übernommen, die der Aufständischen. Von Berlin über London bis nach Washington herrscht Einigkeit in der Übernahme der Forderung der Rebellen: Gaddafi muss weg. Da dieser nicht freiwillig gehen wird und sich zudem die libysche Armee in der Offensive befindet, ist das vom Westen propagierte Ziel nur durch eine Eskalation zu erreichen, in der der Westen die Aufständischen militärisch unterstützen muss. Entweder indirekt durch die Lieferung von Waffen oder direkt durch den Einsatz von Truppen oder der Errichtung einer Flugverbotszone.
Trotz eines gegen alle Seiten verhängten UN-Waffenembargos, haben die Aufständischen laut eigener Aussage keine Schwierigkeiten, an neue Waffen zu gelangen. „Ich sehe kein Problem darin, Waffen zu bekommen. Katar und viele andere Länder haben ihre Hilfe angeboten“, so Mustafa Gheriani, Mediensprecher des National Libyan Council, dem organisatorischen Rückgrat der Aufständischen. (1)
Seit dem heutigen Donnerstagmorgen überwacht die NATO den libyschen Luftraum. Der erste Schritt hin zu einer direkten militärischen Intervention. Unterdessen kam ein Gesandter des spanischen Ministerpräsidenten Zapatero in Libyen mit den Führern der Rebellen zusammen. Wie die Zeitung El País unter Berufung auf Madrider Regierungskreise berichtete, nahm Spanien damit als eines der ersten europäischen Länder auf libyschem Staatsgebiet Kontakt zu den Aufständischen auf.
Das Treffen habe bereits am vergangenen Samstag in der Rebellenhochburg Bengasi stattgefunden. Der spanische Emissär sei unter anderem mit dem Vorsitzenden des Nationalrats, Mustafa Abdul Dschalil, zusammengekommen.
Die Rebellenführung habe von den westlichen Staaten vor allem die Anerkennung des Nationalrats als der legitimen libyschen Regierung erbeten. Frankreich ist dieser Bitte bereits nachgekommen. Als erster EU-Staat hat es die libysche Opposition in Bengasi als alleinige und rechtmäßige Vertretung des libyschen Volkes anerkannt. Das teilte die französische Regierung heute mit. Zuvor war der französische Präsident Nicolas Sarkozy mit zwei Vertretern des libyschen Nationalrats aus Bengasi im Elysée zusammengetroffen.
„Wir werden in Kürze unsere Botschaft in Paris eröffnen, und ein französischer Botschafter wird in Bengasi erwartet“, zitiert die dpa Ali Essaoui, Mitglied des libyschen Nationalrats nach dem Gespräch. Dies sei jedoch nur eine vorübergehende Lösung. Später werde die französische Botschaft wieder in Tripolis sein. Doch dazu muss Tripolis, wo rund ein Drittel der libyschen Bevölkerung lebt, erst erobert werden. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Rebellen dies aus eigener Kraft schaffen können. So ist es kaum verwunderlich, dass laut Pariser Regierungskreisen Präsident Sarkozy der Europäischen Union gezielte Luftangriffe auf libysche Ziele vorschlagen will.
In Sachen Libyen lehnt der Westen im Gegensatz zu Ägypten oder Tunesien Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition bedingungslos ab. Zu verlockend sind Libyens Ölvorräte, als dass man sie weiterhin in Gaddafis Händen wissen will. Außerdem hat sich das Land als eines der wenigen nie dem Diktat des IWF gebeugt. Daraus resultiert der vergleichsweise hohe Lebensstandard der Bevölkerung. So hat sich beispielsweise die durchschnittliche Lebenserwartung seit der Machtübernahme durch Gaddafi von 53 auf 75 Jahre gesteigert.
Die übliche Strategie des IWF, Länder durch die Vergabe von Krediten in die Abhängigkeit zu bringen, sie durch ihre Verschuldung erpressbar zu machen, um diesen dann eine anti-soziale und neoliberale Politik aufzuzwingen, kann in Libyens Fall nicht funktionieren.
Laut CIA-Factbook steht Libyen in der insgesamt 131-Staaten umfassenden Liste der öffentlichen Schulden an letzter Stelle. (2) Beim derzeitigen Ölpreis entsprechen Libyens Schulden ungefähr dem, was der Öl-Export in einem Monat einspielt. Andere Staaten können von solchen Daten und den sich daraus ergebenden Handlungsspielräumen nur träumen. Offenbar ist selbst der geistig verwirrt erscheinende und für seine Spleens bekannte Gaddafi in der Lage, eine vernünftigere Haushaltspolitik umzusetzen, als alle westliche Staaten, welche haushoch verschuldet sind.
Unterdessen mehren sich die Anzeichen dafür, dass mittels gezielter Manipulationen die Öffentlichkeit auf Pro-Kriegskurs gestimmt werden soll. Laut der Aufklärung des russischen Militärs habe es keine Luftangriffe der Armee auf Demonstranten gegeben. Auch sei Bengasi nicht bombardiert worden.(3) Dass Bilder, die Rebellen angeblich im Gefecht mit Gaddafis Truppen zeigen, für die Medien gestellt werden, darauf weist Helmut Scheben, Redakteur der schweizerischen Tagesschau, hin. (4)
Auch der Auslöser des Konflikts – via Facebook war zu einem „Tag des Zorns“ am 17. Februar aufgerufen worden – scheint bereits auf westlicher Einmischung zu beruhen. Wie die junge Welt gestern berichtete, geht der Aufruf auf die National Conference of the Libyan Opposition (NCLO) zurück, welche unter Kontrolle der CIA steht.(5) Ihr Anführer Ibrahim Sahad gilt schon seit den 1960er Jahren als Mann Washingtons.
Wenn Sanktionen oder das Errichten einer Flugverbotszone damit begründet werden, der Gewalt um der Bevölkerung willen möglichst schnell ein Ende zu setzen, ist das nichts als Heuchelei. Egal wie der Krieg verläuft oder wer ihn am Ende gewinnt, es ist vor allem die Zivilbevölkerung, die darunter zu leiden hat. In einem Krieg gibt es nur zwei Möglichkeiten, Frieden zu erreichen. Entweder durch Verhandlungen der Konfliktparteien. Oder dadurch, dass eine der beiden Seiten mittels Gewalt zur Kapitulation gebracht wird, was im Zweifelsfall auch deren Auslöschung beinhalten kann.
Die Rebellen haben genauso wie die Vertreter der westlichen Staaten Verhandlungen ausgeschlossen. Es ist das dämonisierte Gaddafi-Regime, welches sich zu Verhandlungen bereit zeigt. So wurden die Vermittlungsbemühungen von Venezuelas Staatschef Hugo Chavez positiv aufgenommen. (6) Auch haben laut Medien-Berichten Unterhändler der libyschen Regierung Gespräche mit Aufständischen und Stammesführern aufgenommen, um den Konflikt am Verhandlungstisch lösen zu können. (7) Auch diplomatisch geht die Gaddafi-Regierung in die Offensive. Diplomaten wurden ins Nachbarland Ägypten und auch in EU-Länder entsandt. Die Aussichten auf Erfolg, mittels dieser diplomatischen Offensive zu einem Ende des Konflikts beitragen zu können, sind aber als äußerst gering einzuschätzen.
So weigerte sich Spaniens Ministerpräsident Zapatero, ein Gespräch mit Gaddafi anzunehmen. Spanien betrachte Gaddafi nicht mehr als einen akzeptablen Gesprächspartner. Eine Aussage, die sich wohl auch auf Gaddafis Diplomaten beziehen wird.
Innerhalb der EU wurde sich scheinbar darauf geeinigt, Gaddafi als eine Figur der Geschichte zu betrachten. Eine Geschichte, die der Westen bereit ist, auch mittels offener Gewalt zu schreiben.
Größtes Hindernis bei diesem Anliegen dürften die Positionen Chinas und Russlands sein. Russland unterstrich erneut seine ablehnende Haltung gegenüber Militärinterventionen. Die Charta der Vereinten Nationen besage eindeutig, dass jedes Land das Recht habe, sein Schicksal selbst zu bestimmen, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow in Moskau. Die Einrichtung einer Flugverbotszone müsse genauestens geprüft werden. Russlands NATO-Botschafter Dmitri Rogosin sagte in Brüssel, der Westen sei zu einer Flugverbotszone derzeit nicht in der Lage. „Die NATO hat keine einheitliche Position.“
Dass die Aufständischen wenig bis gar nicht mit den Protestierenden in Ägypten und Tunesien gemein haben, zeigen jüngste Berichte über Gräueltaten, die von ihnen verübt wurden. Lynchmorde an Schwarzafrikanern durch Aufständische sind an der Tagesordnung. Es herrscht eine regelrechte Pogromstimmung. (8) Ein Mitarbeiter einer kanadischen Ölfirma, die von Aufständischen ausgeplündert wurde, bezeichnete diese als eine „Bande von Räubern und Banditen“. (9)
Hinzu kommt, dass sich Gaddafis Behauptung, die Aufstände seien von Al-Qaeda durchdrungen, nicht einfach nur als Propaganda abtun lässt. Unterstützt wird diese These ausgerechnet von Richard Haass, Chef der US-Denkfabrik The United States Atlantic Council. In einem Artikel für das Wall Street Journal schreibt er, dass der eigentliche Grund für Washingtons Zurückhaltung – die US-Regierung will nur aufgrund eines UN-Mandats militärisch aktiv werden, wobei sie in der Vergangenheit oft genug unter Beweis gestellt hat, dass sie dem Völkerrecht bei der Durchsetzung der eigenen Interessen ziemlich gleichgültig gegenüber steht – bei Al-Qaeda zu suchen sei. Zwar sei Gaddafi ein „skrupelloser Despot“, aber damit seien diejenigen, die sich ihm widersetzen, „noch lange keine Demokraten“, so Haass. (10)
Der russische Nachrichtensender Russia Today berichtete zu Beginn der Woche unter Berufung auf offizielle US-Studien, dass im Osten Libyens ein Fünftel der weltweit agierenden Gotteskrieger konzentriert sind. Derzeit seien sie aktiv im Widerstand und Teil der Rebellenbewegung.
Mit „Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ haben die Aufständischen wenig am Hut. Es geht schlichtweg um einen Machtkampf. Dank der Ölvorkommen und Gaddafis hervorragender Haushaltspolitik gibt es viele Pfründe zu verteilen. Vor allem im Osten des Landes sind einige Stämme offenbar nicht länger bereit, dem Gaddafi-Clan den Großteil dieser Pfründe zu überlassen.
Natürlich will man auch im Westen nicht leer ausgehen. Im Unterschied zu den Kriegen gegen Irak und Afghanistan sind in Sachen Libyen auch führende Vertreter der Partei Die Linke bereit, ihre „Regierungsfähigkeit“ unter Beweis zu stellen, indem sie einer militärischen Intervention das Wort reden.
So unterstützte der Vorsitzende der deutschen GUE/NGL-Fraktion (Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke), in der Die Linke organisiert ist, Lothar Bisky, den „Gemeinsamen Resolutionsantrag“ des Europaparlaments, der die Einrichtung einer Flugverbotszone fordert. Bisky handelte damit allerdings im Widerspruch zu den von seiner Partei abgegebenen Erklärungen. Das GUE/NGL-Bündnis könnte sich an der Libyen-Frage spalten. Neben Bisky wurde der EU-Antrag auch von Mitgliedern der Parlamentariergruppe Miguel Portas (Bloco de Esquerda, Portugal) und Marie-Christine Vergiat (Front de Gauche, Frankreich) befürwortet.
In einem Brief kritisierte Willy Meyer, Vertreter der spanischen Izquierda Unida,
die Haltung der linken Resolutions-Unterstützer. Die Resolution demonstriere den Doppel-Standard der EU in Bezug auf humanitäre Krisen oder kriminelle Handlungen von Staaten. So habe die „Aggression Israels gegen Libanon oder das Massaker an der Zivilbevölkerung in Gaza die internationale Gemeinschaft nicht veranlasst, eine Flugverbotszone in Israel einzurichten.“ (11)
Auch nachgewiesene Verbrechen des israelischen Militärs an Zivilisten ändern nichts daran, dass Israel weiterhin in Politik und Medien als „einzige Demokratie im Nahen Osten“ bezeichnet und als Hort der Rechtsstaatlichkeit dargestellt wird. Im Fall Libyens reichten hingegen schon unbestätigte Meldungen von Übergriffen des Militärs auf Zivilisten aus, um ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ einzuleiten.
Die Heuchelei und Doppelmoral, die Propaganda und die Manipulation der Öffentlichkeit sowie die wirklichen Interessen des Westens herauszustellen, ist keineswegs gleichbedeutend mit einer Parteinahme für Gaddafi oder mit dem Gutheißen seiner Taten und der seiner Getreuen. Es handelt sich dabei lediglich um die Einhaltung journalistischer Mindeststandards, die verlangen, der Öffentlichkeit ein möglichst objektives Bild der Lage zu vermitteln, soweit dies in chaotischen und unüberschaubaren Konflikten wie in Libyen möglich ist. Mindeststandards, die weite Teile der deutschen Medien längst über Bord geworfen haben.
Anmerkungen
(1) http://www.trust.org/alertnet/news/libya-rebels-say-arms-no-issueqatarothers-to-help
(2) https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/rankorder/2186rank.html?countryName=Libya&countryCode=ly®ionCode=af&rank=131#ly
(3) Siehe Hintergrund: http://www.hintergrund.de/201103081428/politik/welt/libyen-widerspruechliche-aussagen-ueber-angriffe-auf-demonstranten.html
(4) http://bazonline.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/Die-meisten-Kampfbilder-aus-Libyen-sind-gestellt/story/27307628/print.html
(5) http://www.jungewelt.de/2011/03-09/048.php
(6) Siehe Hintergrund: http://www.hintergrund.de/201103041420/politik/welt/buergerkrieg-in-libyen-chavez-startet-friedensinitiative.html
(7) http://online.wsj.com/article/SB10001424052748703386704576185800310247010.html?mod=WSJ_World_MIDDLENews
(8) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,749458,00.html
(9) http://www.abc.net.au/news/stories/2011/03/08/3157820.htm
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(10) http://www.jungewelt.de/2011/03-10/018.php
(11) http://www.jungewelt.de/2011/03-10/062.php