Weltpolitik

Kooperation oder Konfrontation?

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Im Krieg um Syrien hat Wladimir Putin Fakten geschaffen. US-Präsident Barack Obama muss sich nun zu einer Situation verhalten, in der er einen eingeschränkten Handlungsspielraum hat –  

Von HANS BERGER, 29. September 2015 – 

Zum ersten Mal seit zwei Jahren trafen der russische Staatschef Wladimir Putin und sein US-amerikanischer Amtskollege am gestrigen Montag in New York aufeinander. Beide sprachen ausführlich vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, im Fokus: Der Krieg in Syrien. Barack Obama entwarf eine geradezu eschatologische Lobrede auf die westlichen Demokratien, den Kapitalismus und die Vereinigten Staaten als deren Vorhut. Putin machte die Gegenrechnung auf und mahnte den US-Präsidenten zu weniger Selbstherrlichkeit. Beide Seiten versuchen, die eigenen geostrategischen Interessen mit möglichst viel ideologischem Brimborium zu verschleiern. Soweit Business as usual.

Interessant allerdings ist die Kombination aus Konfrontation und Kooperation, die die Reden prägte. US-Präsident Obama kritisierte diejenigen scharf, die meinen, „wir sollten Tyrannen wie Baschar al-Assad, der Fassbomben abwirft, um unschuldige Kinder zu massakrieren, unterstützten, weil die Alternative zu ihm noch schlimmer wäre“. (1) Das ging an die Adresse Putins. Dieser wiederum warf den USA und ihren regionalen Verbündeten – vor allem der Türkei und Saudi-Arabien – vor, „zu versuchen, extremistische Gruppen zu manipulieren, um die eigenen politischen Ziele zu erreichen“.

Und dennoch: Beide betonten die Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit zur Lösung der Krise in Syrien. Und beide erklären, den jeweils anderen in die eigenen Bemühungen eines Kampfes gegen den Islamischen Staat (IS) und al-Qaida einbinden zu wollen. Allerdings, so kann man ergänzen: Nur zu den jeweils eigenen Bedingungen.

Bleibt Assad?  

Und diese divergieren vor allem in einem Punkt: Was passiert mit dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad? Das erklärte Ziel des Westens samt regionaler Bündnispartner seit Beginn des Konflikts in Syrien ist der Regime Change. In diesem Sinne betonte Barack Obama erneut: „Wir müssen einsehen, dass es nach so viel Blutvergießen, so viel Gemetzel kein Zurück zum Status Quo vor dem Krieg geben kann.“

Wladimir Putins Einschätzung dagegen: „Russland war immer beständig und konsequent in seinem Widerstand gegen Terrorismus in all seinen Formen. Heute geben wir dem Irak und Syrien, die gegen terroristische Gruppen kämpfen, militärische und technische Unterstützung.“ Es sei ein „schwerer Fehler, die Zusammenarbeit mit der syrischen Regierung und ihren bewaffneten Kräften zu verweigern“. Es sollte „endlich anerkannt“ werden, dass „die Truppen von Präsident Assad und die kurdischen Milizen die einzigen sind, die wirklich gegen den Islamischen Staat und andere terroristische Organisationen in Syrien kämpfen.“ Die Positionen scheinen unvermittelbar. Während die eine Seite die syrische Regierung für die einzig legitime Instanz und ihre Unterstützung für unumgänglich hält, sieht die andere sich geradezu verpflichtet aufgrund „universeller Werte“ deren Sturz herbeizuführen.

Und dennoch zeichnet sich eine Annäherung zwischen den beiden Blöcken ab. Denn Obama sagte auch: „Ja, Realismus zwingt uns dazu, dass ein Kompromiss eingegangen werden muss, um das Kämpfen zu beenden und den Islamischen Staat auszumerzen. Aber Realismus fordert auch einen geführten Übergang von Assad zu einem neuen Führer und zu einer inklusiven Regierung, die anerkennt, dass das Chaos ein Ende haben muss, damit die syrische Bevölkerung mit dem Wiederaufbau beginnen kann.“ Was klingt wie die Beibehaltung der eigenen Anti-Assad-Position ist nichts weniger, als das Eingeständnis, dass die Regierung in Damaskus in ihrer jetzigen Form Teil einer „Übergangslösung“ sein könnte.

Bereits vor der Rede Obamas hatte ein anderer, für eine noch unversöhnlichere Position bekannter Staatschef, Recep Tayyip Erdogan, seine Position in diese Richtung korrigiert. In einer Rede am 24. September betonte Erdogan zwar: „Niemand kann sich eine Zukunft in Syrien mit al-Assad vorstellen. Es ist nicht möglich, eine Person zu akzeptieren, die verantwortlich ist für den Tod von 300 000 bis 350 000 Menschen, einen Diktator.“ Allerdings stellte er voran: „Es ist ein Übergangsprozess möglich, entweder ohne oder mit Assad.“ Zum ersten Mal zieht der türkische Staatschef, dessen Regierung seit Jahren versucht, einen Kriegsgrund für die militärische Intervention in ihrem Nachbarland zu schaffen, einen Lösungsprozess in Erwägung, der Gespräche mit dem Regime in Damaskus einschließt. Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte kürzlich bekundet: „Es muss mit vielen Akteuren gesprochen werden, dazu gehört auch Assad.“

Russland taktisch im Vorteil

Was sich nun abzeichnen könnte, ist eine temporäre Übereinkunft zur Stabilisierung Syriens, die durch den taktisch geschickten Vorstoß der russischen Regierung erzwungen wird. Denn Putin hat nicht nur den Vorschlag einer breiten internationalen Koalition gegen den IS und in Zusammenarbeit mit der syrischen Regierung zur richtigen Zeit vorgebracht, er hat Fakten geschaffen. Bereits vor den Gesprächen mit Obama habe „Putin begonnen, frühe Phasen seines Plans umzusetzen“, schreibt der US-Journalist Simon Shuster. (3) „Obama muss sich nun entscheiden, ob die USA mitmachen wollen, und wenn ja, dann unter welchen Bedingungen.“

Dabei sind die Handlungsoptionen der Vereinigten Staaten durch einen Umstand eng begrenzt: Es gibt keine auch nur annähernd handlungsfähige Kraft auf dem Boden, die uneingeschränkt als Bodentruppe einer Koalition der Willigen herhalten könnte. Die „moderaten“ Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) laufen dort, wo sie nicht aufgerieben werden, zu islamistischen Milizen über. (4)

Die einzige säkulare Kraft, die tatsächlich einen Teil des Landes kontrolliert, sind die kurdischen Milizen der YPG, die allerdings wenig geneigt sind, ihre militärische Kraft nun gegen die Assad-Regierung einzusetzen. Saleh Muslim, einer der politischen Führer der kurdischen Bewegung in Syrien, betonte erst kürzlich erneut, dass er zwar kein Freund Assads sei, aber im Fall des Sturzes der Regierung ein Erstarken der Dschihadisten fürchte: „Wenn das Regime durch die Salafisten zum Zusammenbruch gebracht wird, wäre das ein Desaster für alle.“ (5) Dazu kommt, dass der Zusammenarbeit zwischen Washington und den syrischen Kurden auch durch den NATO-Partner Türkei enge Grenzen gesetzt sind. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte erst kürzlich wieder betont, dass er die in den kurdischen Gebieten Syriens regierende Partei und deren Miliz YPG als „terroristisch“ ansieht. Die USA sehen Ankara nach wie vor als einen der entscheidenden „Partner“ in der Region, erst kürzlich wurde ein neuer Deal zur Nutzung der türkischen Luftwaffenbasis Incirlik ausgehandelt.

Zwar können sich die USA auf Teile der politischen Opposition berufen, die sich im – zumeist türkischen – Exil befindet. Diese hat aber kaum realen Einfluss im Land und schon gar kein militärisches Potential. Die Versuche der Schaffung eigener Vasallentruppen durch die Türkei oder direkt durch die USA endeten bislang desaströs.
 
In diese Verlegenheit kommt Wladimir Putin nicht. Der Kooperationspartner, durch den er seine Interessen am besten gewahrt sieht, verfügt mit der Syrischen Armee (SAA) über eine der militärisch am besten ausgerüsteten Fraktionen im Land, die zudem durch zahlreiche erfahrene Milizen – wie etwa die libanesische Hisbollah – unterstützt wird.

Keine dauerhafte Lösung in Sicht

Man darf sich – genauso wie bei seinem US-amerikanischen Gegenspieler – nicht durch Putins Rhetorik blenden lassen. Es geht um handfeste Geostrategie, nicht um „internationales Recht“ oder das Wohl der syrischen Bevölkerung. Aber Putins Perspektive ist realistischer. Denn zum einen würde ein Kollaps der Regierung in Damaskus tatsächlich den vollständigen Zerfall des Landes und einen Durchmarsch von IS und al-Qaida bedeuten – mit ungeahnten Folgen für die gesamte Region. Zum anderen aber ist dieser Sturz auch gar nicht so einfach herbeizuführen. „Assad kontrolliert gegenwärtig 25 Prozent des syrischen Territoriums, und er wird versuchen, es zu behalten, als ob sein Leben davon abhinge – weil es wahrscheinlich tatsächlich davon abhängt“, schreib der Time-Journalist Ian Brenner. (6)

Das aber gilt nicht allein für Assad, sondern für einen Großteil der in dem vom Regime noch kontrollierten Gebieten lebenden Menschen. Ihre Chance, im Falle einer Niederlage der Syrischen Armee, als Kollaborateure Assads bestraft zu werden, ist hoch. Insbesondere die zwei Millionen Alawiten, die von sunnitischen Radikalen kollektiv als Feinde angesehen werden, haben von den Dschihadisten wenig Gnade zu erwarten. Gleichwohl ist ein Einwand Barack Obamas richtig: Nach Jahren des brutalen Krieges wird es auch der Assad-Regierung nicht mehr gelingen, die Mehrheit der Bevölkerung in allen Landesteilen zu befrieden.

Wie nun die Vereinigten Staaten auf diese Situation reagieren, wird entscheidend für das Geschick des Landes. Eine Zusammenarbeit mit Russland im Kampf gegen den Islamischen Staat und al-Qaida könnte tatsächlich eine zumindest zeitweise Beruhigung der Lage bringen. Vorstellbar ist aber auch, dass die USA sich Putins Vorschlag verweigern, um keine Schwäche zu zeigen. Die Kosten letzterer Variante wären für alle Beteiligten sicherlich höher.

Allerdings: Selbst wenn sich die beiden Machtblöcke – die USA und ihre Verbündeten auf der einen, Russland und der Iran auf der anderen – unter dem Druck des Vorstoßes Putins auf eine Strategie zur Stabilisierung des Landes einigen, ist eine langfristige Lösung, die der Bevölkerung Syriens eine Lebensperspektive erschließt, nicht in Sicht. Ähnlich wie im Irak oder Libyen zeigt sich: Wird ein Land mit einem barbarischen Krieg überzogen und werden Milizen, die entlang religiöser oder ethnischer Spaltungslinien agieren, gefördert, um unliebsame Machthaber zu stürzen, lässt sich kaum wieder eine Nachkriegssituation schaffen, in der von allen anerkannte staatliche Institutionen ein Mindestmaß an Sicherheit garantieren.


 

Anmerkungen

(1) Alle Zitate aus Obamas Rede im Folgenden aus: http://www.politico.com/story/2015/09/president-obama-un-speech-transcript-full-text-video-214152

(2) Alle Zitate aus Putins Rede im Folgenden aus: https://www.scribd.com/fullscreen/283010015?access_key=key-iYZQ6clcxTWO6E7DAooC&allow_share=true&escape=false&view_mode=scroll

(3) http://time.com/4051144/vladimir-putin-obama-syria-talks/

(4)  http://www.hintergrund.de/201509233687/politik/welt/syrien-erste-effekte-moskauer-waffenhilfe.html

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(5)  http://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/syria-civil-war-kurdish-leader-says-collapse-of-assad-regime-would-be-a-disaster-despite-its-10515922.html

(6) http://time.com/4039940/these-5-facts-explain-bashar-assads-hold-in-syria/

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