Weltpolitik

Klimapolitisches Totalversagen

Die Bundesregierung ist für den Schutz von Mensch und Umwelt verantwortlich. Doch diese Verpflichtung bleibt ein Lippenbekenntnis. Politik wird im engen Schulterschluss mit den Konzernen gemacht, die Klimaziele werden verfehlt und Kritiker mit massiver Gewalt drangsaliert.

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Der Klimawandel (…) ist für unsere Welt eine Schicksalsfrage. Sie entscheidet über das Wohlergehen von uns allen.» Diese pathetischen Worte richtete Bundeskanzlerin Angela Merkel im letzten Jahr bei der Weltklimakonferenz in Bonn an die globale Öffentlichkeit. In der gleichen Rede bekräftigte sie: «Die täglichen Wetterereignisse und Klimakatastrophen auf der Welt zeigen uns, wie drängend die Sache ist. Daher heißt es jetzt, unseren Worten auch Taten folgen zu lassen.» 1 Solche und ähnliche Zitate finden sich in Dutzenden Reden Merkels bei internationalen Konferenzen, was ihr den Ruf als sogenannte Klimakanzlerin eingebracht hat. Misst man die Kanzlerin an ihren eigenen Worten und schaut sich die Bilanz ihrer wechselnden Bundesregierungen an, dann lässt sich feststellen, dass in kaum einem anderen Politikfeld Anspruch und Wirklichkeit derart weit auseinanderklaffen wie im Bereich Umweltpolitik. Deutschland hat seine Vorreiterrolle beim Klimaschutz längst verspielt. Die herrschende Politik schützt stattdessen die Profitinteressen der ewig gestrigen Kohle-, Gas- und Atomkonzerne sowie der manipulierenden Autoindustrie.

Worte ohne Taten

So nimmt es nicht Wunder, dass Deutschland die selbst gesteckten Klimaziele krachend verpasst, wie die Bundesregierung im Klimaschutzbericht 2017 kleinlaut eingestehen musste. Bis zum Jahr 2020 sollten die nationalen Treibhausgasemissionen gegenüber dem Jahr 1990 um 40 Prozent reduziert werden – im besten Fall werden bei dem heutigen Stand ohne zusätzliche Anstrengungen mickrige 32 Prozent erreicht. Wenn man berücksichtigt, dass ein Großteil der Einsparungen nicht auf freiwilliger Basis beruhte, sondern auf die Abwicklung der ostdeutschen Wirtschaft nach 1990 zurückzuführen ist, fällt das klimapolitische Zeugnis umso peinlicher aus. Zwar konnte im Stromsektor der Anteil der erneuerbaren Energien in den letzten Jahren schrittweise auf rund 36 Prozent erhöht werden; doch mit den letzten beiden Novellen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und der Installierung eines marktwirtschaftlichen Ausschreibungssystems haben Union und SPD die Energiewende endgültig zugunsten großer Investoren eingebremst. Zudem funktioniert der propagierte Vorrang des Ökostroms bei der Netzeinspeisung aufgrund der Behäbigkeit alter Kohlekraftwerke bei der An- und Abschaltung hinten und vorne nicht. Die deutschen Stromexporte haben sich in den letzten fünf Jahren aufgrund der überproduzierenden Kohlemeiler beinahe verzehnfacht. Im Verkehrssektor gingen die Emissionen seit dem Jahr 1990 überhaupt nicht zurück, der Anteil der erneuerbaren Energien liegt hier gerade einmal bei 5 Prozent. Im Wärmesektor sank der Anteil im Jahr 2017 sogar wieder auf knapp 13 Prozent. 2 Der wesentlich von Deutschland mitinitiierte EU-weite Emissionshandel ist ein einziges Desaster. Auch die nun in der Verantwortung des Innenministeriums liegende energetische Gebäudesanierung kommt nicht voran.

Klimapolitisches Rollback

Insbesondere nach dem Rechtsruck seit der letzten Bundestagswahl und im Windschatten des den Klimawandel leugnenden US-Präsidenten Donald Trump kann mittlerweile auch in Deutschland von einem klimapolitischen Rollback gesprochen werden. Das ohnehin zahnlose Umweltministerium verlor in der neuen Legislaturperiode die Zuständigkeit für den klimapolitisch bedeutsamen Bausektor. Die neue Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) steht der mächtigen Kohlelobby in Nordrhein-Westfalen nahe. Würden sie und die Bundesregierung sich ernsthaft darum bemühen, dem Erreichen des Klimaziels 2020 doch noch ein paar Schritte näher zu kommen, dann würden sie einen sofortigen Kohleausstieg in die Wege leiten und die zwanzig schmutzigsten Braunkohlekraftwerke bis zum Jahr 2020 abschalten. 3 Geschieht nicht bald etwas in diese Richtung, sind die Ziele des Pariser Klimaabkommens für Deutschland nach einhelliger Einschätzung renommierter Klimaforscher nicht mehr einzuhalten. 4 Stattdessen schiebt Schwarz-Rot den Kohleausstieg auf die lange Bank und lagert alle strittigen Fragen in eine Kommission aus, die den bezeichnenden Namen «Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung» trägt. Damit ist bereits angekündigt, dass dort über alles Mögliche geredet werden soll, aber nicht über einen konsequenten und raschen Klimaschutz. Die Umweltverbände sind deutlich unterrepräsentiert, die Linkspartei ist komplett ausgeschlossen. Die Betonung des Wachstums verweist auf den Vorrang der Kapitalinteressen, die durch die mit allerlei Lobbyisten besetzte Kommission geschützt werden sollen. Diejenigen, die nun Krokodilstränen über den Verlust einiger Tausend Kohlearbeitsplätze vergießen, blenden aus, dass ein unkontrollierter und planloser Kohleausstieg, der der Anarchie des Marktes überlassen bleibt, für die Beschäftigten deutlich unsicherer ist als ein politisch gesteuerter und sozial flankierter Ausstieg mit entsprechenden Auffangmaßnahmen. So sollten zum Beispiel RWE und Co., die jahrelang satte Profite eingestrichen haben, für einen Großteil der Kosten des Strukturwandels aufkommen müssen.

Politik schützt Profitinteressen

Bereits beim Atomausstieg, den die damalige Bundesregierung aus Union und FDP im Jahr 2011 widerwillig unter dem Eindruck von Fukushima und auf Druck der Anti-Atomkraft-Bewegung beschloss, zeigte sich deutlich die Parteinahme der herrschenden Politik für die Profitinteressen der Konzerne. Bei der verpfuschten Kernbrennstoffsteuer wurden Schadenersatzrisiken bewusst in Kauf genommen. 5 Letzten Endes konnten sich die Atomkonzerne über Entschädigungen in Milliardenhöhe freuen. Ebenso beschloss die Große Koalition unter gütiger Mithilfe der Grünen Ende 2016, die angeblich überforderten Atomkonzerne durch eine viel zu geringe Einmalzahlung von 24 Milliarden Euro aus der Haftung für die Ewigkeitskosten der Atommülllagerung zu entlassen. Ganz nach dem Motto: Gewinne privatisieren, Kosten sozialisieren. Gleiches steht für die Langzeitkosten des Kohleabbaus zu befürchten. 6 Die Mär vom billigen Atom- und Kohlestrom gilt eben nur aus betriebswirtschaftlicher und nicht aus volkswirtschaftlicher Sicht, die für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler weitaus relevanter ist. Auch im Bereich Fracking lässt sich feststellen, dass Konzerne wie Wintershall oder ExxonMobil bei der Bundesregierung stets auf ein offenes Ohr für ihre Profitinteressen stoßen. Entgegen allen Beteuerungen verabschiedeten CDU/CSU und SPD im Juni 2016 ein Fracking-Erlaubnisgesetz, das der Anwendung dieser gefährlichen Technologie im Sandgestein Tür und Tor öffnet und sie lediglich im Schiefer-, Ton- und Kohleflözgestein bis 2021 untersagt. Nicht zuletzt der Protektionismus der Autokonzerne im Zuge des Dieselskandals und die De-facto-Legalisierung der illegalen Abschalteinrichtungen durch staatliches Wegschauen zeigen überdeutlich, dass der Schutz von Mensch und Umwelt ein Lippenbekenntnis bleibt.

Ein Richtungsstreit

Angesichts dieser verheerenden umweltpolitischen Bilanz, die sich noch um viele Aspekte erweitern ließe, wäre es ein Leichtes, die «Klimakanzlerin» der Heuchelei zu bezichtigen. Ist Merkel die Kanzlerin der Großkonzerne, die die Vorreiterrolle Deutschlands beim Klimaschutz zugunsten der Kohlelobby leichtfertig verspielt und ihrer Verantwortung für den Schutz der Menschen nicht nachkommt? Ein derartiger Vorwurf griffe zu kurz und würde verkennen, dass derzeit ein heftiger Richtungsstreit innerhalb konkurrierender Kapitalfraktionen tobt, der sich in die Politik hinein verlängert. Während die einen verbissen an der fossilen Industrie festhalten, investieren die anderen, «progressiveren» Kapitalfraktionen in die Green Economy. Ideologisch sekundiert werden die einen durch die Klimaleugner und -skeptiker von AfD, FDP und dem CDU-Wirtschaftsflügel 7, die anderen von der internationalen Klimadiplomatie und dem grün-alternativen Spektrum. Als Regierungschefin eines kapitalistischen Staates muss es Merkel in erster Linie um die «internationale Wettbewerbsfähigkeit» gehen. Die wesentliche Funktion, die eine Regierung im Kapitalismus zu erfüllen hat, ist die Gewährleistung günstiger staatlicher Rahmenbedingungen für die bestmögliche Kapitalakkumulation am nationalen Standort. Zwar ist die Politik durch diese Funktion nicht determiniert und kann gegen das Interesse der Einzelkapitale regulatorisch eingreifen, sie muss dabei aber stets für das Interesse des nationalen Gesamtkapitals Sorge tragen. Sie muss also eine Tendenz zwischen den divergierenden Verwertungsbedürfnissen ermitteln und zu einer Einschätzung gelangen, welche Branchen zukunftsträchtig und welche im Absterben begriffen sind, um entsprechende Begleitmaßnahmen ergreifen zu können. Hier ließe sich nun argumentieren, dass die Bundesregierung selbst nach kapitalistischen Maßstäben eine veraltete und bald nicht mehr wettbewerbsfähige fossile Industrie durch massive Subventionen künstlich am Leben erhält. 8 In der Tat könnte die herrschende Politik selbst systemimmanent deutlich mehr für den Klimaschutz tun.

Sie stets aufs Neue zu drängen, kleine Schritte in die richtige Richtung zu tun, ist in Verbindung mit radikaler Systemkritik der zentrale Aspekt einer linken Oppositionsarbeit. Der nach jahrelangen Kämpfen auf den Straßen durchgesetzte Atomausstieg könnte in diesem Sinne durchaus als «revolutionäre Realpolitik» beschrieben werden. Sobald das revolutionäre Moment allerdings in Vergessenheit gerät, bleibt nur noch eine Kritik übrig, die sich affirmativ auf die Gesetze des Marktes stützt. Entsprechend ist das Geheimrezept der ökologischen Konformisten, die weder Kapital noch Staat infrage stellen wollen, der sogenannte grüne Kapitalismus.

Grüner Kapitalismus

Nicht nur für hartgesottene Linke könnte es verblüffend anmuten, dass die Klimakonferenzen massiv von Großkonzernen protegiert werden. In den USA bekräftigten die Silicon-Valley-Giganten Google, Apple und Facebook nach Trumps angekündigtem Austritt bis zum Jahr 2020 ihre Unterstützung für das Pariser Klimaabkommen, ebenso wie Amazon, Tesla, Intel und viele mehr. 9 In Deutschland fordern unter anderem Adidas, Aldi, Siemens, SAP und Telekom in einer gemeinsamen Erklärung einen baldigen Kohleausstieg. 10 Den Konzernen geht es dabei nicht etwa um das Wohl der Menschheit – vielmehr haben sie erkannt, dass die kapitalistische Ökonomie nicht in einer zerstörten Umwelt fortexistieren kann. 11 Außerdem haben sie selbst längst in die boomende Ökobranche investiert und betreiben Lobbyismus für ihre eigenen Profitinteressen. Die markt- und warenförmig organisierte Energiewende hat sich nach der letzten internationalen Finanzkrise förmlich als Konjunkturspritze für die erlahmende Weltwirtschaft entpuppt, indem sie vielfältige neue Investitionsmöglichkeiten für Anlage suchendes Kapital schuf. Der kapitalistischen Ökonomie gelingt es stets aufs Neue, selbst erzeugte Krisen produktiv zu machen, um aus ihnen – freilich auf Kosten von Mensch und Natur – gestärkt hervorzugehen. Die vermeintliche Stabilität des Kapitalismus – die man nur dann behaupten kann, wenn Kriege, Armut, Hunger und Elend als Kollateralschäden abgehakt werden – mag dazu beitragen, dass sich auch im Klimabereich kaum noch jemand eine politische Steuerung jenseits von Marktmechanismen vorstellen kann. Auf diese Weise hat sich eine Allianz aus Großkonzernen, Staatenlenkern, Umweltverbänden und Parteien des liberal-grünen bis zum Teil auch linken Spektrums gebildet, die allesamt als Propagandisten eines grünen Kapitalismus fungieren. Dieser soll den Klimawandel durch die technische Umrüstung insbesondere der Energieproduktion stoppen und damit die von Merkel aufgeworfene «Schicksalsfrage» der Menschheit lösen, ohne aber den gesellschaftlichen Antagonismus von Lohnarbeit und Kapital und damit das zugrunde liegende soziale Herrschaftsverhältnis abzuschaffen. Unverstanden bleibt somit die dem Kapitalismus per se inhärente Wachstumsdynamik, die sich aus der wechselseitigen Konkurrenz ergibt. Das Kapital kann sich nur erhalten, indem es sich vermehrt und ausdehnt – und das exponentiell über die Produktionszyklen hinweg. Entsprechend ist ein stetig steigender stofflicher Output erforderlich, denn das Kapital kann sich auf Dauer nur verwerten, wenn es an die Produktion realer Güter, die als Waren verkauft werden, rückgebunden ist. Der Wachstumszwang lässt sich nicht per klimapolitische Grundsatzverordnung eindämmen, sondern verlangt auch künftig eine massive Ausweitung der Produktion, des Ressourcenverbrauchs und der Inwertsetzung noch nicht kapitalisierter Güter. Die von Marx analysierten Gesetze der kapitalistischen Akkumulation gelten allgemein und damit auch für die sich entwickelnde Ökobranche.

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Klimapolitik mit Polizeigewalt

Leider geht auch ein Teil des links-alternativen Spektrums der harmonistischen Vorstellung einer Green Economy auf den Leim, obwohl durch sie die Ausbeutung von Mensch und Natur keineswegs gestoppt wird. 12 Offenbar verlockt die versöhnliche Aussicht, den Kapitalismus nicht mehr grundsätzlich infrage stellen zu müssen, womit man sich schnell ins gesellschaftliche Abseits begeben würde. Der Zusammenhang zwischen kapitalistischer Ökonomie, dem Staat als Garanten des Privateigentums und dem scheiternden Klimaschutz bleibt bei diesen Strömungen ein blinder Fleck. Die Kritik richtet sich dann nicht gegen das System, sondern nur noch gegen einzelne Akteure, die ihrer vermeintlichen Verantwortung nicht gerecht würden. Dennoch zeigen sich in den letzten Jahren insbesondere in der außerparlamentarischen Opposition vermehrt Ansätze zur Verbindung von ökologischer und sozialer Frage. Wie der Staat auf eine Klimabewegung reagiert, die antikapitalistisch orientiert ist, lässt sich am Beispiel der «Ende-Gelände»-Protestaktionen im rheinischen Braunkohlerevier studieren. Sobald die herrschenden Eigentumsstrukturen infrage gestellt und durch einen handfesten Eingriff in den kapitalistischen Produktionsprozess – etwa durch die Blockade von Kohlebaggern – angegriffen werden, schlägt das Gewaltmonopol des Staates im Zusammenspiel mit den Konzernen mit aller Macht zu. Dies ist durchaus wörtlich zu nehmen. Bei den Protesten in Garzweiler im Jahr 2015 knüppelte der RWE-Werkschutz gemeinsam mit der Polizei Klimaaktivisten brutal vom Werksgelände. Dieses skandalöse Vorgehen wurde bedauerlicherweise auch in Kreisen der Industriegewerkschaft IGBCE gutgeheißen.

Die «Schicksalsfrage» der Menschheit ist eben nicht ausschließlich eine des Klimawandels, sondern wesentlich eine der Befreiung von Herrschaft und irrationalen Produktionsverhältnissen. Mit dem bestehenden kapitalistischen Staat ist diese jedoch nicht zu schaffen.

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