Kandidatenschau in Manila
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Am kommenden Montag (9. Mai 2016) sind in den Philippinen allgemeine Wahlen angesetzt. Gut 50 000 Bewerber buhlen dann um etwa 18 000 Posten – vom Gemeinderat und Gouverneur bis zum Kongressabgeorndeten und Präsidenten. Gleichzeitig wird die Hälfte des 24-köpfigen Senats neu besetzt. Das gewählte Staatsoberhaupt wird der 16. Präsident des Inselstaates sein, der am 4. Juli den 70. Jahrestag der Gründung der Republik der Philippinen begeht.
Fünf Kandidaten bewerben sich für das höchste Staatsamt, von denen nach den letzten Umfragen Rodrigo Duterte die besten Chancen auf einen Wahlsieg hat.
Manuel A. Roxas II. (Liberal Party, LP), Exinnenminister und von Präsident Aquino als dessen Nachfolger nominiert, gehört wie sein Boss einer alteingesessenen Politikerkaste an. Sein Großvater hatte während des Zweiten Weltkrieges mit den japanischen Besatzern kollaboriert und wurde 1946 mit massiver Unterstützung seitens des US-Generals Douglas MacArthur ins Präsidentenamt gehievt. Als ein in den USA ausgebildeter Wirtschaftsfachmann und Investmentbanker verfolgt Roxas einen stramm neoliberalen Kurs und steht für Kontinuität im Sinne der von Aquino eingeleiteten Politik des „daang matuwid“ (so viel wie „gradliniger“ oder „direkter Weg“). Für Teile des Establishments gilt er mithin als Garant einer kalkulierbaren Politik. Seine Umfrageergebnisse aber sind bislang miserabel, weil er als unterkühlter Technokrat bei der Masse der Wähler nicht ankommt.
Jejomar Binay (United Nationalist Alliance, UNA) ist noch amtierender Vizepräsident, der lange in der Gunst der Wähler auf Platz 1 stand. Langjährig dominierte er gemeinsam mit seiner Familie das politische Geschehen in Manilas Geschäfts- und Finanzdistrikt Makati, dessen Bürgermeister er und sein zwischenzeitlich geschasster Sohn-Nachfolger Junjun waren. Im Sommer 2015 kam es zum offenen Zerwürfnis zwischen ihm und dem Präsidenten – einmalig in der 70-jährigen Geschichte der Republik. Binay sieht sich massiven Korruptionsvorwürfen ausgesetzt, die er mit dem Hinweis abtut, diese seien einzig politisch motiviert, um seine Präsidentschaft zu blockieren. Binay, einst ein Menschenrechtsanwalt während der Marcos-Ära, setzt den Schwerpunkt seiner Politik auf kostenlose Mutterschaftshilfe, Gesundheitsfürsorge für Kinder und ältere Personen, kostenlose medizinische Beratung und Medikamente sowie finanzielle Unterstützung bei Krankenhausaufenthalten. Somit möchte er sich als „pro-masa“, für die Masse der Armen und Marginalisierten, profilieren.
Die Senatorin und als unabhängig auftretende Kandidatin Grace Poe sorgte für reichlich Wirbel, da ihre Staatsbürgerschaft als Findelkind und adoptierte Tochter des bekannten Schauspielerehepaars Fernando Poe, Jr. und Susan Roces ungeklärt ist. Sie hatte zeitweilig die US-amerikanische Staatsbürgerschaft und dann erneut die philippinische angenommen. Was dazu führte, dass der Oberste Gerichtshof des Landes Poes Kandidatur erst Anfang dieses Jahres zustimmte, als sich ihre Mitbewerber längst mitten im Wahlkampf befanden. Bis auf ihren Einsatz für die Armen und Marginalisierten hat sie sich bislang programmatisch nur vage geäußert. Als politische Newcomerin (sie wurde erst 2013 in den Senat gewählt) wurde sie auch vom Aquino-Roxas-Team umworben. Unterstützung genießt Poe, die laut Umfragen hinter Duterte rangiert, seitens des Big Business und von Intellektuellen.
Rodrigo Duterte (Partido Demokratiko Pilipino-Lakas ng Bayan, PDP-Laban = Demokratische Partei der Philippinen-Stärke des Volkes) geriert sich als oberster Bekämpfer von Korruption und Verbrechen. Im Falle eines Wahlsiegs will er innerhalb eines halben Jahres diese Übel der Gesellschaft beseitigt haben. Außerdem propagiert er vehement die Umwandlung des bestehenden präsidialen in ein föderales System. Damit will er die „Macht des imperialen Manila“ brechen und harsch gegen alle vorgehen, die sich seinem Programm entgegenstemmen. Duterte gilt als „shooting star“ unter den Kandidaten, dessen Auftritte einen Massenappeal haben und gleichzeitig für reichlich Unterhaltung und gezielte Kontroversen sorgen. Er selbst sieht sich gern in der Rolle eines „Dirty Harry“ und Schutzherrn der Todesschwadron in der südlichen Stadt Davao, wo er zusammen mit seiner Tochter Sara und Sohn Paolo seit annähernd drei Jahrzehnten die Geschicke im Rathaus lenkt.
Senatorin Miriam Santiago Defensor (People’s Reform Party, PRP) hätte fast die Präsidentschaftswahl 1992 gewonnen. Sie ist die mit Abstand erfahrenste Politikerin, die sowohl in der Judikative als auch in der Legislative und Exekutive diente. Als geschätzte und brillante Rednerin kämpft sie seit Jahren für Transparenz, ein reformiertes Justizsystem, eine saubere und effektive Verwaltung und den Aufbau wahrer, programmatisch ausgerichteter Parteien. Ein Seitenhieb auf die Seilschaften und opportunistisch vollzogenen „Partei“wechsel ihrer Kollegen. Wegen eines Krebsleidens legte sie ihren Sitz am Internationalen Gerichtshof im niederländischen Den Haag, an den sie 2011 als Richterin berufen worden war, im Jahre 2014 nieder. Sie liegt in der Gunst der Wähler abgeschlagen auf den letzten Platz, wenngleich ihr ausgewähler Tandem-Partner Ferdinand „Bongbong“ Marcos, Jr. unter den Aspiranten auf das Amt des Vizepräsidenten den ersten Platz belegt.
Erstmals fanden auf Initiative der staatlichen Wahlkommission (Comelec) drei direkt übertragene Duelle mit den Kandidaten statt, die jeweils von einer Fernsehstation und einer Tageszeitung gesponsort wurden. Was als Erhellung der jeweiligen politischen Agenda gedacht war, entpuppte sich als Macho-Stakkato und exaltierte Show persönlicher Animositäten. Binay nannte Roxas „den Göbbels der Liberalen Partei“. Duterte schalt Roxas einen „kläglichen Versager“, der bei Katastrophen nur sein bourgeoises Ego gepflegt, statt als Innenminister Hilfsbedürftigen unbürokratisch unter die Arme gegriffen zu haben. Vor den drei Fernsehübertragungen hatte Duterte Roxas Prügel angedroht und ihn sogar in Wild-Ost-Manier zum Pistolenduell herausgefordert. Seine Begründung: „Die Reichen haben zu viel Schiss vor dem Tod!“
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Laut Verfassung aus dem Jahre 1987 ist vorgesehen, 20 Prozent der momentan 287 Sitze im Kongress sogenannten Parteilisten-Gruppierungen vorzubehalten. Auf diese Weise soll den Armen und Ausgegrenzten eine parlamentarische Repräsentanz garantiert sein. Jede Parteilisten-Gruppierung kann abhängig vom jeweils erzielten Stimmenanteil maximal drei Kongressabgeordnete stellen. Während die gemäßigte Linke durch die Akbayan Citizens’ Action Party und das radikale Linksbündnis Bagong Alyansang Makabayan (Neue Patriotische Allianz) mit insgesamt neun Abgeordneten im Kongress vertreten sind, konnten sich zwischenzeitlich auch etliche Gruppierungen bilden, die entgegen dem ursprünglichen Geist des Parteilisten-Systems als Sprungbrett zwielichtiger Exgeneräle oder vormals gescheiterter Politiker fungieren.
Zu den drängendsten Problemen der nächsten Jahre zählen: Überwindung von krasser sozialer Ungleichheit, Armut (ein Drittel der Bevölkerung lebt in absoluter Armut) und hoher Arbeitslosigkeit, Verbesserung von Infrastruktur und öffentlichem Transportwesen (vor allem in der Metropole Manila), Friedenssicherung im Süden des Archipels sowie Kampf gegen Korruption, Drogen und Kriminalität. Außenpolitisch bleibt die Deeskalation von Territorialdisputen im Südchinesischen beziehungsweise Westphilippinischen Meer mit Beijing hoch auf der Agenda.