Kampf gegen den Putsch 2.0
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Knapp vier Monate nach dem Staatsstreich in Honduras: Die Machthaber wollen den Umsturz nachträglich legitimieren. Hilfe kommt aus Europa –
Von HARALD NEUBER, 23. Oktober 2009 –
Eine diplomatische Lösung der schweren Staatskrise in Honduras ist kaum mehr in Sicht. Unter Moderation der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) waren Vertreter der gewählten Regierung von Präsident Manuel Zelaya und des Putschistenregimes in der Hauptstadt Tegucigalpa in den vergangenen Wochen zusammengekommen, um einen friedlichen Ausweg auszuhandeln. Doch der wichtigste Punkt, die Rückkehr Zelayas in das höchste Staatsamt, blieb strittig. Die Machthaber unter Führung des ehemaligen Parlamentspräsidenten Roberto Micheletti spielen offensichtlich auf Zeit. Sie wollen bis zum regulären Wahltermin Ende November durchhalten, um die Staatsführung dann an ein politisch gleich gesinntes Nachfolgeregime zu übergeben. Es wäre ein doppelter Sieg: Der demokratische Schein nach außen bleibe gewahrt und das Ziel des Putsches gesichert, die Beseitigung der demokratisch gewählten Regierung.
Die Gespräche hatten vor zwei Wochen begonnen, nachdem die OAS die Putschisten zu Verhandlungen überredet hatte. Je drei Vertreter beider Seiten kamen in Tegucigalpa zusammen, um eine Lösung zu beraten. Bei der Zelaya-Delegation war zunächst auch der Gewerkschafter Juan Barahona beteiligt, einer der Repräsentanten der Nationalen Widerstandsfront gegen den Staatsstreich, einem breiten Protestbündnis, das sich wenige Stunden nach dem Sturz Zelayas am 28 Juni gebildet hatte. Für den OAS-Sondergesandten John Biel war es keine einfache Aufgabe. Nach wie vor stehen sich beide Konfliktparteien unversöhnlich gegenüber. Weil seine Regionalorganisation grundsätzlich eine Rückkehr Zelayas befürwortet, geriet der gebürtige Chilene Biel, ein enger Berater des OAS-Präsidenten José Miguel Insulza, selbst in die Kritik der Putschisten.
Inzwischen scheint klar, dass das Gesprächsangebot Teil eines Plans des Micheletti-Regimes war. Nach Ansicht der renommierten Menschenrechtsaktivistin Bertha Oliva sollte sich die Gesandtschaft mit einer Rückkehr Zelayas in das Präsidentenamt am Ende bereit erklären. Der Regimechef würde sich diesem Antrag nicht widersetzen, sondern die Entscheidung an den oppositionell dominierten Obersten Gerichtshof überweisen. Ebenso ist es nun geschehen. „Es geht also darum, eine Entscheidung zu verschleppen“, mutmaßt Olivas, deren „Komitee der Angehörigen von verschwundenen Gefangenen“ (COFADEH) bereits selbst Ziel militärischer Angriffe wurde. Auch María Fernanda Roca, die Europa-Sprecherin der Widerstandsfront, äußert sich kritisch. „Der erste Schritt zurück zur Demokratie und Verfassungsmäßigkeit muss die Wiedereinsetzung Manuel Zelayas in das Präsidentenamt sein“, sagt sie.
Die Demokratiebewegung agiert nach wie vor in Koordination mit der Regierung Zelaya. Doch gehen ihre Forderungen inzwischen über die Rückkehr des Präsidenten hinaus. Die in der Widerstandsfront zusammengeschlossenen Organisationen wollen – unabhängig von der Staatsführung – eine verfassunggebende Versammlung, um den honduranischen Staat zu reformieren. Dieses Ansinnen hatte die nun herrschenden rechten Politiker und Militärs zum Putsch motiviert.
Die Wahlen jedoch lehnen Regierung und Demokratiebewegung geschlossen ab. Mit der für den 29. November geplanten Abstimmung würde ein Regime legitimiert, das sich die Macht widerrechtlich angeeignet hat“, sagt Roca, um die Frage nach den regionalen Folgen aufzuwerfen: „Jedes Mal, wenn eine progressive Regierung an die Macht kommt – noch nicht einmal unbedingt eine linke –, würden die Oligarchie und das korrumpierte Militär gegen sie putschen, um dann unter ihrer Kontrolle neu wählen zu lassen“. Auch Bertha Oliva sieht in Honduras derzeit keine Bedingungen für faire und freie Wahlen. „Es gibt weder die notwendige Freiheit noch gleiche Voraussetzungen für alle Anwärter“, meint die Menschenrechtsverteidigerin, die in ihrem Büro unweit der Kathedrale im Zentrum von Tegucigalpa täglich mit neuen Gewaltfällen konfrontiert ist.
Beachtlich ist angesichts dieser Warnungen, mit welcher Vehemenz rechte und liberale Kräfte die Abstimmung derzeit durchzusetzen versuchen. Der lokale Vertreter der deutschen FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, Christian Lüth, wirbt vor Ort derzeit in einer regelrechten Medienkampagne für einen Fünf-Punkte-Plan seiner Organisation. Neben Verhandlungen, einer Amnestie und dem Amtsverzicht des Putschistenchefs und des Präsidenten spricht sich die FDP-nahe Stiftung explizit auch für die Wahlen aus. Der Urnengang sei „ein wichtiger Beitrag bei der Rückkehr zur Normalität“, heißt es in dem Papier, für das Lüth in Honduras derzeit die Werbetrommel rührt. Der amtierende deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier befürworte den Plan, verkündete Lüth, sein Nachfolger werde mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin Parteifreund Guido Westerwelle. Eine Unterstützung für den Plan der Naumann-Stiftung wurde vom Auswärtigen Amt in Berlin in Fachgesprächen jedoch bereits dementiert.
Dennoch zeichnet sich in der Europäischen Union eine deutliche Unterstützung für die Wahlen unter dem herrschenden Gewaltregime ab. Mitte des Monats hatte die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten über die Entsendung von Wahlbeobachtern nach Honduras informiert. Menschenrechtsorganisationen, Aktivisten der honduranischen Demokratiebewegung und diplomatische Vertreter der gewählten Regierung von Präsident Manuel Zelaya lehnen eine solche Beobachtung strikt ab. Die Präsenz ausländischer Beobachter, heißt es von dieser Seite, könnte den international heftig kritisierten Urnengang schließlich legitimieren. Auf Unverständnis traf die Entscheidung bei dem honduranischen Botschafter in Berlin, Roberto Martínez Castañeda. "Die Europäische Kommission sollte zunächst die Entscheidung des laufenden Verhandlungsprozesses abwarten", sagte der Diplomat im Gespräch mit der deutschen Lateinamerika-Nachrichtenseite amerika21.de. Möglichkeiten für faire und freie Wahlen ohne Präsident Zelaya sieht auch er nicht.
Anfang dieses Monats hatte eine Honduras-Reise des rechtskonservativen spanischen Abgeordneten José Salafranca für einen Eklat gesorgt. Der Politiker der rechtsgerichteten „Volkspartei“ war nach Tegucigalpa geflogen, um sich neben dem Staatschef Zelaya auch mit Micheletti zu treffen. Diese eigenmächtige Politik widerspreche der Haltung der Europäischen Union, hieß es in einem Protestschreiben, das von 14 Abgeordneten unterzeichnet wurde. Dass hinter der Visite ein politischer Plan stand, wurde auch in dieser Woche wieder deutlich. Nach Auskunft des spanischen EU-Abgeordneten Willy Meyer wird die Außenministerin der gewählten Regierung, Patricia Rodas, kommende Woche vor der parlamentarischen Versammlung europäischer und lateinamerikanischer Staaten in Panama sprechen. Gegen die Einladung hatten laut Meyer Vertreter der Konservativen und der Liberalen gestimmt. Und das, obwohl die Regierung Zelayas auch von der EU offiziell als legitime Staatsführung anerkannt ist.
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Wenige Wochen vor dem umstrittenen Wahltermin droht damit eine weitere Eskalation in Honduras. Die immer unverhohlenere Unterstützung des Micheletti-Regimes durch Teile der EU-Führung und rechte Kräfte in den Mitgliedsstaaten könnte den Konflikt unnötig verlängern, darauf weisen auch Vertreter demokratischer Organisationen vor Ort hin. „Der Widerstand ist nicht mehr bereit, weiter auszuharren“, heißt es in einem Kommuniqué der Landarbeiterorganisation Vía Campesina in Honduras. Präsident Zelaya und sein Kabinett veröffentlichten indes eine Erklärung, in der sie sich ebenso gegen die Legitimierung des Putsches aussprechen wie gegen die fortschreitende Militarisierung des Landes. Zwei der wichtigsten Oppositionskandidaten – César Ham von der Partei Demokratische Einheit und der unabhängige Präsidentschaftsanwärter Carlos H. Reyes – haben bereits den Boykott der Abstimmung angekündigt.
Knapp vier Monate nach dem Sturz der Zelaya-Regierung in Honduras zeichnet sich ab, dass am 28. Juni eine neue Art des Putsches stattgefunden hat. Anders als bei den blutigen Umstürzen der 1970er und 1980er Jahre in der Region gehen die Machthaber in Honduras nicht mit massivem Terror gegen die Zivilbevölkerung vor. Solche Methoden würden in der Zeit von Blogs, Twitter und Handykameras international wohl auch massive Gegenreaktionen provozieren. Stattdessen besetzen die Putschisten die Zentren des Staates, um einen (von ihnen) kontrollierten Übergang abzuwarten. Die Opposition wird mit gezieltem Terror eingeschüchtert. Den Regierungen Lateinamerikas ist das bewusst. Deswegen reagieren sie auch entschiedener. Vor wenigen Tagen beschloss das Staatenbündnis ALBA neue Sanktionen gegen das Putsch-Regime in Honduras. Inzwischen scheinen die Strafmaßnahmen Wirkung zu zeigen. Mitte dieser Woche mussten die Machthaber in Tegucigalpa die Staatsausgaben – darunter die Gehälter für Angestellte – um 60 Prozent senken. Ausgenommen von den Kürzungen ist nur die Armee. – Ende – (8.999 Zeichen)