Israel stemmt sich gegen Atom-Abkommen mit Iran
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Von REDAKTON, 8. April 2015 –
Am vergangenen Donnerstag einigten sich Iran und die fünf UN-Vetomächte sowie Deutschland auf ein Abkommen, das den seit über zehn Jahren bestehenden Konflikt um das iranische Atomprogramm beiliegen soll. Ende Juni soll der Vertrag endgültig unterzeichnet werden.
Während der Großteil der Welt diese Entwicklung begrüßt und sich erleichtert zeigt, dass damit entgegen dem allgemeinen Trend ein wichtiger Beitrag zur Entspannung der Lage im krisengeschüttelten Nahen Osten geleistet wurde, verurteil die israelische Regierung das Abkommen mit scharfen Worten und sucht die Konfrontation mit dem Weißen Haus.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu bezeichnete die Einigung als „historischen Fehler“. Der Deal verhindere nicht die atomare Aufrüstung Teherans, sondern ebne sogar regelrecht den Weg dorthin, behauptet der rechte Ministerpräsident.
In Interviews mit US-Medien versuchte Netanjahu über Ostern, Stimmung gegen den Atomdeal zu machen. Er kritisierte die Einigung als „Traum-Deal für Iran und Alptraum-Deal für die Welt“. „Ich versuche nicht, irgendeinen Deal mit Iran zu vernichten, ich versuche, einen sehr, sehr schlechten Deal zu vernichten“, sagte er gegenüber dem Sender NBC. (1)
In mehreren Talkshows der US-Fernsehsender nannte Netanjahu die Grundsatzvereinbarung Irans mit den UN-Vetomächten plus Deutschland „eine Bedrohung für Israels Überleben“. Er wolle nichts unversucht lassen, um noch bis Ende Juni in seinem Sinne Einfluss auf das endgültige Abkommen zu nehmen.
Auch der israelische Verteidigungsminister Mosche Jaalon sprach sich vehement gegen das Abkommen aus. Iran sei ein „Terror-Monster“, das „Zerstörung unter den pro-westlichen Staaten im Nahen Osten und der ganzen Welt“ säe. Die Einigung werde Teheran darin nur weiter bestärken.
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Die israelische Regierung hält unbeirrt an ihrem Narrativ fest, wonach die Teheraner Führung weiterhin den Bau einer Atombombe anstrebe. Sie wirft US-Präsident Barack Obama Schwäche und eine gefährliche Beschwichtigungspolitik gegenüber dem islamischen Land vor.
Als sich Ende 2013 bei den Atomverhandlungen in Genf Fortschritte abzeichneten, fantasierte Netanjahu gar von Interkontinentalraketen, die der Iran baue, die jedoch „nicht Israel, sondern Europa und die USA treffen sollen. Und sie wollen diese Raketen (…) mit Atomsprengköpfen bestücken“. Gegenüber der Bild sagte er damals, die „iranischen Atomraketen“ würden „eines Tages“ auf „deutsche Städte gerichtet“ sein. (2)
Schon seit zwei Jahrzehnten behauptet Netanjahu, der Iran stehe kurz davor, über Atombomben zu verfügen – Beweise für diese Unterstellung lieferten die Israelis jedoch nie. Dennoch versuchte Tel Aviv wiederholt, die USA und deren NATO-Partner von Militärschlägen gegen das persische Land zu überzeugen.
Die gebetsmühlenartige Wiederholung, der Iran stehe kurz davor, Atombomben zu entwickeln, klingt nach all den Jahren immer weniger glaubhaft und vermag die westlichen Partner Israels kaum noch zu beeindrucken. Daher hat Tel Aviv in den letzten Tagen einen Kurswechsel vollzogen. Bisher hat die israelische Führung stets darauf gepocht, dem Iran jegliche Nutzung atomarer Technologien, auch zu zivilen Zwecken, zu verbieten. Von dieser Maximalforderung ist Tel Aviv nun aus taktischen Gründen abgewichen, da es befürchten muss, sich mit dieser Haltung zunehmend zu isolieren. Um die erzielten Vereinbarungen zu untergraben, legte Israels Geheimdienstminister Juval Steinitz stattdessen eine Liste mit konkreten Änderungswünschen vor, die in die finale Vereinbarung einfließen sollen – und absehbar auf Ablehnung Irans stoßen werden.
„Die neuen Forderungen sind unrealistisch und würden, falls sie umgesetzt werden, nicht einen besseren Deal bedeuten, sondern überhaupt keinen Deal“, kommentierte die New York Times am Mittwoch die israelische Initiative. (3)
Mit den Änderungsvorschlägen will Tel Aviv auch den Kritikern Wind aus den Segeln nehmen, die Israel vorwerfen, keine Alternative zu den Verhandlungsergebnissen anzubieten. „Die Alternative ist nicht notwendigerweise eine Kriegserklärung gegenüber Iran“, zitiert die New York Post den Geheimdienstminister. „Es geht darum, sich standfest zu zeigen und den Druck auf Iran zu erhöhen, damit dieser ernsthafte Zugeständnisse macht und wir eine wesentlich bessere Einigung erzielen können“, so Steinitz. (4)
Die militärische Option liege aber nach wie vor auf dem Tisch, erklärte Steinitz vor Tagen im israelischen Radio. Dabei sei auch ein israelischer Alleingang denkbar. „Es ist unser Recht und unsere Pflicht zu entscheiden, wie wir uns verteidigen, insbesondere wenn unsere nationale Sicherheit oder gar unsere Existenz bedroht wird“, so der Minister. (5)
Die Behauptung, Teheran habe bei der Vereinbarung keine ernsthaften Zugeständnisse gemacht, dürfte den anderen Verhandlungsmächten nur schwer zu vermitteln sein. Denn die Vereinbarung stellt das iranische Atomprogramm unter eine strikte internationale Kontrolle, wie sie für kein anderes Land besteht. Ganz zu schweigen von Israel selbst, das über Atomwaffen verfügt und zu den fünf Staaten zählt – neben Nordkorea, Indien, Pakistan und dem Südsudan -, die nicht den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet haben.
Laut dem Abkommen verpflichtet sich Iran, seine Urananreicherung bis zu 25 Jahren einem mehrstufigen System von Beschränkungen und Kontrollen zu unterwerfen. In den ersten 10 Jahren müssen mehr als zwei Drittel der bestehenden Kapazitäten zur Uran-Anreicherung stillgelegt werden. Die Zahl installierter Zentrifugen soll von 19 000 auf rund 6 100 sinken. Der Iran verpflichtet sich, Uran nur noch auf 3,67 Prozent anzureichern. Für den Bau einer Atombombe bräuchte das Land Uran, das auf 90 Prozent angereichert ist. Die Menge des bereits auf 3,67 Prozent angereicherten Urans wird für 15 Jahre von 10 000 Kilogramm auf 300 Kilogramm reduziert. Nach Ablauf dieser Zeiträume sollen Anreicherung, Forschung und Entwicklung nur in engen Grenzen und nur unter strikter Kontrolle erlaubt sein. Die Urananreicherung soll nur noch in der bestehenden Anlage Natanz stattfinden. Der Schwerwasserrektor Arak soll so umgebaut werden, dass er kein zum Bau von Atomwaffen nutzbares Plutonium produzieren kann. Die lange geheim gehaltenen Anreicherungsanlage Fordo südlich von Teheran soll in ein Forschungszentrum für Nukleartechnologie verwandelt werden. Alle nuklearen Aktivitäten Irans werden bis zu 25 Jahre durch die Internationale Atomenergiebehörde kontrolliert. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier nennt das vereinbarte Kontrollsystem „beispiellos in Intensität und Laufzeit“.
Im Gegenzug soll der Westen seine Wirtschaftssanktionen aufheben. Sollte der Iran gegen die vereinbarten Regeln verstoßen, können die Strafmaßnahmen aber umgehend wieder in Kraft treten.
Unklar ist nach wie vor, wie schnell die Sanktionen gelockert werden sollen. Laut iranischer Darstellung sollen die Sanktionen „unverzüglich“ nach Inkrafttreten der Vereinbarung aufgehoben werden. US-Vertreter betonen jedoch, dass diese erst Schritt für Schritt aufgehoben werden sollen, wenn Iran seinen Verpflichtungen nachgekommen ist.
Auch in anderen Punkten des Abkommens weichen die Darstellungen Washingtons und Teherans voneinander ab. Iran habe bei den Verhandlungen „erhebliche Zugeständnisse“ gemacht, meint David Albright, ehemaliger Nuklearwaffeninspekteur der Vereinten Nationen und gegenwärtiger Präsident des US-Militärforschungsinstituts ISIS (Institute for Science and International Security). Die Führung in Teheran sei daher bestrebt, das Abkommen gegenüber der iranischen Öffentlichkeit in möglichst günstigem Licht erscheinen zu lassen und betone entsprechend die positiven Aspekte, die es für das Land haben werde, während sie die eigenen Zugeständnisse herunterspiele. (6)
Nicht nur die Menschen im Iran hoffen auf eine schnelle Aufhebung der Sanktionen. Auch deutsche Politiker und Wirtschaftsvertreter plädieren für einen zügigen Abbau der Handelshemmnisse. „Der Iran bietet gerade auch deutschen Unternehmen ein großes Potenzial, insbesondere in den Bereichen Automobil, Maschinenbau und Energie“, erklärte ein Sprecher des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) am vergangenen Wochenende. „Um jedoch die Potenziale vollständig ausschöpfen zu können, müssen sowohl die EU als auch die USA den Sanktionsabbau möglichst schnell vorantreiben.“ Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Michael Fuchs, sprach sich ebenso dafür aus, die Sanktionen „schnellstmöglich“ zu lockern.
Auch US-Firmen hoffen, künftig auf dem iranischen Markt mit seinen 80 Millionen Konsumenten eine wichtige Rolle zu spielen. Nicht zuletzt deshalb, weil auch 37 Jahre nach der Islamischen Revolution US-Marken im Iran nach wie vor sehr beliebt seien, so das Wall Street Journal. (7)
Kampf um den Kongress
US-Präsident Barack Obama zeigt sich angesichts der massiven Kritik aus Israel unbeirrt und verteidigte die Atom-Vereinbarung „als einmalige Chance im Leben“. In einem am Sonntag veröffentlichten Interview der New York Times äußerte Obama Verständnis für Israels Sorge um die eigene Sicherheit. Er betonte aber gleichzeitig, dass es keine bessere Option gebe, Iran am Besitz einer Atomwaffe zu hindern.
„Was ich ihnen (den Israelis) sagen kann, ist, Nummer eins, dass dies unsere bisher beste Möglichkeit ist, sicherzustellen, dass Iran keine Atombombe in seinen Besitz bringt. Und Nummer zwei, dass wir auch, wenn wir diesen Deal besiegeln, eine sehr klare Botschaft an die Iraner und die gesamte Region aussenden werden, die besagt, dass Amerika da sein wird, wenn jemand Israel bedroht“, so der US-Präsident.
Zudem erteilte er der Forderung Netanjahus eine Absage, wonach die Atom-Vereinbarung zur Bedingung haben müsse, dass Teheran das Existenzrecht Israels anerkennt. Es wäre eine „fundamentale Fehleinschätzung“, dies zur Voraussetzung für ein Abkommen zu machen, sagte Obama in einem Interview des US-Radiosenders NPR. Eine solche Forderung wäre gleichbedeutend damit zu sagen, man unterzeichne keinen Deal, wenn sich das iranische Regime nicht vollständig wandele, sagte Obama. Man wolle Iran daran hindern, eine Atomwaffe zu bauen, weil sich das Regime eben gerade nicht ändere.
Sowohl Obamas als auch Netanjahus Äußerungen waren offensichtlich auch an den US-Kongress gerichtet, in dem das Misstrauen gegen Iran tief sitzt – nicht nur bei der republikanischen Mehrheit, sondern auch bei vielen Demokraten. Zahlreiche Kongressmitglieder fordern ein Mitspracherecht, bevor eine endgültige Vereinbarung in Kraft tritt.
So will der Republikaner Bob Corker, der den Auswärtigen Ausschuss des Senats leitet, sein Gremium bereits am 14. April über einen Gesetzentwurf abstimmen lassen, dem zufolge sich Obama eine Zustimmung beim Kongress einholen muss. Das Weiße Haus hat bereits gedroht, dass Obama sein Veto gegen jedes Gesetz einlegen werde, dass eine Iran-Vereinbarung torpedieren würde.
In einem beispiellosen Schritt hatten 47 republikanische Senatoren Wochen zuvor in einem Schreiben an die Teheraner Führung diese darauf aufmerksam gemacht, dass eine Vereinbarung im Atomstreit die Präsidentschaft Obamas nicht überdauern werde.
Die Gefahr, dass ein republikanischer Präsident das Abkommen im Nachhinein für null und nichtig erklärt, ist durchaus real. Ein möglicher Anwärter für die Präsidentschaftswahl, der texanische Gouverneur Rick Perry, erklärte, im Fall seines Wahlsiegs würde es eine seiner „ersten Amtshandlungen“ sein, den Vertrag mit Iran aufzukündigen, der „die Sicherheit der freien Welt“ aufs Spiel setze. (8)
Während die Israel-Lobby in den USA den Atomdeal als ein Einknicken gegenüber der iranischen Führung betrachtet, bewerten sowohl Washington als auch Teheran das Abkommen als Erfolgsgeschichte, in der sie der jeweils anderen Seite wichtige Zugeständnisse abgerungen haben. Doch welche Seite kann den Deal wirklich als Erfolg für sich verbuchen? Das hängt ganz davon ab, von welcher Ausgangslage man ausgeht. Sollte Iran insgeheim tatsächlich an der Entwicklung einer Atombombe gearbeitet haben, dann dürfte die weitere Umsetzung dieses Vorhabens angesichts der mit dem Abkommen verbundenen Auflagen zukünftig extrem schwer zu bewerkstelligen sein, wenn nicht sogar gänzlich unmöglich – in diesem Fall wäre das eine Niederlage für Teheran. Geht man jedoch davon aus – angesichts der Faktenlage die realistischere Ausgangslage –, dass Teheran keine solchen Pläne verfolgt, dann kann die iranische Führung die Vereinbarung zurecht als politischen Sieg betrachten. Sie hat nichts verloren, da das zivile Atomprogramm weiter fortgeführt werden kann, wenn auch unter strikterer Kontrolle. Dafür erhält sie mit dem Wegfall der Sanktionen erhebliche wirtschaftliche Vorteile.
Für die israelische Regierung bedeutet der Atomdeal in jedem Fall eine politische Niederlage. Bei aller Rhetorik, Israels Existenz stehe auf dem Spiel, geht es ihr tatsächlich weniger um das iranische Atomprogramm. Tel Aviv fürchtet nicht die imaginäre iranische Atombombe, sondern die reale Praxis Teherans, die Feinde Israels in Gestalt der „Achse des Widerstands“ (Hisbollah, Hamas und Damaskus) zu unterstützen. Mit dem Wegfall der Sanktionen würde Iran als wichtigstes Mitglied dieser Achse gestärkt, während der israelischen Regierung mit dem Atomdeal die Möglichkeit genommen wird, mit der vermeintlichen Gefahr einer iranischen Atombombe weiterhin hausieren gehen zu können, um damit Teheran international zu isolieren.
(mit dpa)
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Anmerkungen
(1) http://www.nbcnews.com/storyline/iran-nuclear-talks/netanyahu-iran-im-trying-kill-bad-deal-n335961
(2) http://www.bild.de/politik/ausland/benjamin-netanjahu/exklusiv-interview-iran-will-atomraketen-auf-deutsche-staedte-richten-33447450.bild.html
(3) http://www.nytimes.com/2015/04/08/opinion/israels-unworkable-demands-on-iran.html?_r=0
(4) http://www.nytimes.com/2015/04/07/world/middleeast/israel-iran-nuclear-deal.html?_r=0
(5) http://www.thenews.com.pk/article-180672-US-says-recognition-of-Israel-not-part-of-Iran-nuke-deal
(6) http://www.nytimes.com/2015/04/05/world/middleeast/outline-of-iran-nuclear-deal-sounds-different-from-each-side.html
(7) http://www.wsj.com/articles/western-companies-see-potential-in-reaching-irans-consumers-after-nuclear-deal-1428313107
(8) http://www.bloombergview.com/articles/2015-04-06/rick-perry-s-plan-to-kill-obama-s-iran-deal