Weltpolitik

Israel: Militärgeheimdienst gegen linke Kritiker

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Von REDAKTION, 21. April 2011 –

Dutzende israelischer Intellektueller haben am heutigen Donnerstag in Tel Aviv für die Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates demonstriert. Die in Berlin geborene Schauspielerin Hanna Maron, die bei einem Terroranschlag ein Bein verloren hat, verlas feierlich eine Erklärung. Darin wird zur Unterstützung palästinensischer Staatlichkeit in den Grenzen vor dem Sechstagekrieg von 1967 aufgerufen.

Politisch rechts orientierte Gegner störten die Veranstaltungen mit Trillerpfeifen und Buhrufen. Vereinzelt kam es zu Handgreiflichkeiten, die von der Polizei unterbunden wurden. Auf Plakaten warfen die Gegner den mit den Palästinensern solidarischen Demonstranten vor, „Verräter“ zu sein. Einigkeit herrschte zumindest in der Fahnenwahl vor: beide Seiten schwenkten die blau-weiße Flagge Israels.

Die Erklärung, welche unter anderen von 17 Trägern des Israel-Preises – der höchsten Auszeichnung des Staates Israel – unterzeichnet wurde, wurde symbolträchtig vor dem Haus am Rothschild-Boulevard verlesen, in welchem am 14. Mai 1948 der israelische Staat ausgerufen worden war.  Auch der bekannte israelische Dramatiker Joshua Sobol gehört zu den Initiatoren und war bei der Demonstration zugegen.

„Wir rufen jeden, der nach Frieden und Freiheit für alle Völker strebt, dazu auf, die Ausrufung palästinensischer Staatlichkeit zu unterstützen“, heißt es in der Erklärung. Der israelische Journalist Sefi Rachlevsky warf Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor, der Demokratie und den Bürgerrechten zu schaden. „Er versucht, eine unabhängige palästinensische Staatlichkeit zu torpedieren, obwohl diese in unserem Interesse liegt“, sagte Rachlevsky. „Wir bewegen uns auf eine Katastrophe zu, wenn Israel nicht die Richtung ändert.“

Doch nach einer Richtungsänderung sieht es nicht aus. Friedensverhandlungen liegen auf Eis, Israel weitet die Siedlungen im Westjordanland aus und flog in den letzten Wochen verstärkt Luftangriffe auf den Gazastreifen. Auch gegen Kritiker der israelischen Politik soll verschärft vorgegangen werden.

Einem Bericht der israelischen Zeitung Haaretz zufolge will der militärische Geheimdienst linke Gruppen im Ausland überwachen, welche Israel angeblich „delegitimieren“. (1)

Eingerichtet wurde die Abteilung nach dem gewaltsamen Übergriff im Mai 2010 auf die aus sechs Schiffen bestehende „Gaza Freedom Flotilla“, welche Hilfsgüter in den Gaza-Streifen bringen wollte. Auf internationalen Gewässern töteten israelische Soldaten neun der Aktivisten und karperten die Schiffe.

Ins Visier des israelischen Militärgeheimdienstes geraten nun Gruppen die beispielsweise zum Boykott israelischer Waren aus den besetzen Gebieten aufrufen, oder Sanktionen gegen Israel fordern. In den Fokus geraten auch Organisationen, die hochrangige israelische Offizielle wegen Kriegsverbrechen anklagen wollen. Die Quantität und Qualität der Informationen über Gruppen, die Israel delegitimieren wollen, habe sich in den letzten Monaten gesteigert, so ein Mitarbeiter des Premierministers.

Ein Militärsprecher sagte, die Gründung der Abteilung sei eine Reaktion auf die weltweit steigenden Anstrengungen, Israel zu delegitimieren und sein Recht auf Existenz in Frage zu stellen.
Der Begriff „Delegitmierung“ ist eine in den letzten Jahren von Israel eingeführte Sprachformel,  mit der jede konkrete Kritik an Israels Politik als Angriff auf Israels Existenz als solche denunziert und damit selbst delegitimiert werden soll. In Israel ist der Einsatz des militärischen Geheimdienstes gegen Regierungskritiker im Ausland nicht unumstritten.

Mitarbeiter des Außenministeriums zeigten sich Haaretz zufolge besorgt darüber, dass das Militär überreagiere. „Wir wissen selbst nicht, wie wir Delegitimierung genau definieren sollen“, so ein Beamter. „Das ist eine sehr abstrakte Definition. Sind Flotten nach Gaza Delegitimierung? Ist Kritik an den Siedlungen Delegitimierung? Es ist unklar, welchen Vorteil die Einbindung des Militärgeheimdienstes haben soll.“  

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Auch wenn sich die Spionage nur gegen linke Gruppen im Ausland richten soll, so dürften dennoch linke Israelis – wie die Gruppe der heute in Tel Aviv Demonstrierenden – betroffen sein. Denn an vielen internationalen Solidaritäts-Kampagnen sind sie beteiligt. Wenn etwa eine Telefonkonferenz von Aktivisten, die das nächste Hilfsschiff Richtung Gaza vorbereiten, abgehört wird, dann wird der Geheimdienst kaum deswegen weghören, weil an der einen Leitung einer Linker sitzt, der aus Israel stammt. Die neu gegründete Spionage-Abteilung der israelischen Armee richtet sich somit auch gegen israelische Bürger mit linker oder regierungskritischer Gesinnung.


(1) http://www.haaretz.com/print-edition/news/military-intelligence-monitoring-foreign-left-wing-organizations-1.350713

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