Weltpolitik

Im Westen was Neues: Krieg gegen Syrien (vorerst) abgewendet

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Von REDAKTION, 10. September 2013 –

Der gestrige Interviewmarathon – US-Präsident Barack Obama sprach mit sechs verschiedenen US-Fernsehsendern – nahm einen unerwarteten Ausgang. Denn eigentlich gehörten die Gespräche zur Kommunikationsoffensive der Regierung, um die Bevölkerung und den Kongress davon zu überzeugen, grünes Licht für einen Angriff auf Syrien zu geben.

Seit Tagen hielten Obamas Gefolgsleute ihre Gesichter in die Kameras und betonten, dass das Regime von Machthaber Baschar al-Assad mit seinem mutmaßlichen Giftgasangriff im eigenen Land mit angeblich mehr als 1.400 Toten nicht davonkommen dürfe. Noch am Nachmittag hatten Obamas Sicherheitsberaterin Susan Rice und sogar eine reaktivierte Ex-Außenministerin Hillary Clinton frisch formulierte Argumente geliefert.

Doch plötzlich sprach Obama nicht mehr von Krieg, sondern von Frieden. Natürlich würde er einen Militärschlag auf Eis legen, sollte Assad tatsächlich seine Chemiewaffen unter internationale Aufsicht stellen. Ja, es gebe auch Anlass zur Skepsis, ob ein entsprechender Vorschlag der Russen wirklich ernst gemeint sei und ob die Syrer wirklich mitmachen würden, sagte Obama. Aber dann nahm er Worte in den Mund, die wenige Stunden zuvor noch kaum jemand für möglich gehalten hätte: „Durchbruch“, „positive Entwicklung“, „Chance auf ein Erfolg“.

Ausgangspunkt  der Kehrtwende war eine von US-Außenminister John Kerry am Montag während einer Pressekonferenz getätigte Aussage. „Gibt es irgendetwas, womit Assads Regierung einen Angriff noch stoppen könnte?“, hatte die CBS-Journalistin Margaret Brennan ihn gefragt.

„Sicher“, antwortete Kerry. „Er könnte jedes einzelne Stück seiner chemischen Waffen der internationalen Gemeinschaft innerhalb der nächsten Woche übergeben.“

Das Weiße Haus ruderte unverzüglich zurück, und erklärte, bei Kerrys Aussage habe es sich nur um eine „rhetorische Bemerkung“, also im Grunde um einen Versprecher, gehandelt. Doch da war die Schlagzeile bereits um die Welt gegangen, die USA hätten der syrischen Regierung ein Ultimatum gestellt, mit dessen Befolgung Letztere einen Krieg doch noch abwenden könnte.

Russland reagierte sofort auf das vermeintliche Angebot des US-Außenministers und übernahm die Initiative. „Wir fordern die syrische Führung auf, die Chemiewaffen nicht nur unter internationale Kontrolle zu stellen, sondern auch später zu vernichten“, erklärte der russische Außenminister Sergeij Lawrow in einer Blitz-Pressekonferenz am Montag. Außerdem solle sich Syrien der Organisation über das Verbot dieser Waffen anschließen. Der in Moskau weilende syrische Außenminister Walid al-Muallim begrüßte umgehend die Initiative. Es gehe darum, eine „US-amerikanische Aggression gegen das syrische Volk“ zu verhindern. Damaskus zögerte nicht lange und erklärte sich grundsätzlich bereit, sein Chemiewaffenprogramm einzustampfen. Gegenwärtig arbeitet Russland gemeinsam mit Syrien einen Plan zur Chemiewaffenkontrolle aus, und will ihn der internationalen Gemeinschaft in Kürze vorstellen. Das teilte Außenminister Lawrow am Dienstag in Moskau mit, wie die Agentur Interfax meldete.

Diese neueste Entwicklung wurde weltweit begrüßt, wenngleich westliche Vertreter ihre Skepsis äußerten, Assad wolle mit der Offerte nur auf Zeit spielen. Aber selbst Frankreich, das seine Bereitschaft erklärt hatte, an der Seite der USA in Syrien militärisch einzugreifen zu wollen, begrüßte die von Russland auf den Weg gebrachte Initiative.

Frankreich will dem UN-Sicherheitsrat noch an diesem Dienstag den Entwurf für eine neue Syrien-Resolution vorlegen, der den russischen Vorschlag aufgreift. Für den Fall der Nichtbeachtung sollen Zwangsmaßnahmen möglich sein. Dies würde von den Vereinten Nationen gedeckte Militärschläge gegen das Assad-Regime einschließen.

Glücksfall für Obama?

Von vielen Medien wurde die Reaktion Russlands auf den vermeintlichen Patzer des US-Außenministers als genialer diplomatischer Schachzug gewertet, der Obama nun in Verlegenheit bringe, einen Angriff auf Syrien weiterhin legitimieren zu können.

Doch für Obama könnte sich die Entwicklung als Glücksfall erweisen. Er kann nun ohne Gesichtsverlust einen Rückzieher machen, der ihm spätestens bei der sich abzeichnenden Niederlage im Repräsentantenhaus gedroht hätte. Noch dazu gibt es erheblichen Unmut in den Reihen des Militärs, sowie eine überwältigende Ablehnung innerhalb der Bevölkerung.

Der Präsident kann sich stattdessen damit brüsten, dank der Androhung militärischer Gewalt für Bewegung innerhalb der syrischen Regierung in der Frage der Chemiewaffen gesorgt zu haben.

Außerdem gewinnt er dadurch „mehr Zeit, das Volk über die Vorgänge zu informieren“, erklärte der demokratische Mehrheitsführer Harry Reid, nachdem der Senat eine auf Mittwoch angesetzte Probeabstimmung über einen Militärschlag verschoben hatte. Sollte es schließlich nicht zu einer Einigung mit der syrischen Regierung in dieser Frage kommen, hätte Obama ein Argument mehr, das Volk und die Kongressmitglieder davon zu überzeugen,  alle diplomatischen Mittel ausgeschöpft zu haben, weshalb nur ein Krieg als Ultima Ratio übrig bleibe.

Während die Staatengemeinschaft die nun in greifbare Nähe gerückte Vermeidung eines Militärschlags begrüßt, sorgt Obamas Kehrtwende für Empörung unter den Vertretern der Nationalen Syrischen Allianz. Der politische Dachverband der „Freien Syrischen Armee“ ist empört über jedes Hinauszögern einer internationalen Intervention.

In einer Erklärung unterstrich er erneut, dass er nicht breit ist, über ein Ende des Blutvergießens zu verhandeln. Sollte das Regime nicht für den Einsatz von Giftgas bestraft werden, sei auch an Verhandlungen über eine politische Lösung des blutigen Konfliktes nicht zu denken. Der Vorschlag biete Assad nur eine neue Möglichkeit, Zeit zu schinden und noch mehr Menschen zu töten, erklärte die in Istanbul ansässige Allianz in der Nacht zum Dienstag.

Vertreter der Allianz hatten in der Vergangenheit wiederholt die eigene Schwäche eingestanden und erklärt, dass ein Sieg der Rebellen ohne ein militärisches Eingreifen des Westens nicht zu bewerkstelligen sei.

Die Allianz will sich nur an den Verhandlungstisch setzen, wenn zuvor Assad durch eine ausländische Intervention beseitigt wurde. Mit wem sie dann noch verhandeln will, bleibt ihr Geheimnis. Die exil-syrische Opposition bleibt sich darin treu, auf Eskalation zu setzen, und den im Land verbliebenen Syrern die Aussicht auf eine baldige friedliche Lösung des Konflikts zu verwehren.

Enttäuschung an der Medien-Front

Neben den Rebellen bedauert auch ein nicht unerheblicher Teil der deutschen Medien das sich abzeichnende Ausbleiben eines gegen Syrien geführten Angriffs.

Dieselbe Journaille, die schon seit Langem mit einseitiger Berichterstattung Stimmung für einen Krieg macht und nach dem mutmaßlichen Giftgaseinsatz bei Damaskus bar jeder Beweise unverzüglich die Assad-Regierung verantwortlich machte, empört sich nun darüber, dass Obama „vorerst den Finger vom Abzug“ (reuters) genommen hat.

Offenbar hat man selbst nicht an diese Schuldzuweisung geglaubt, anders ist kaum zu erklären, warum die jüngste Entwicklung überhaupt auf Ablehnung stoßen kann. So bedauert etwa der Spiegel die beabsichtigte Aufgabe des syrischen Chemiewaffenprogramms mit der Begründung, Assad bekäme dadurch „mehr Zeit zum Töten“. (1)

In der Zeit hält man die Bemühungen um die Beseitigung der Chemiewaffen gar für „zynisch“, denn dadurch würden „nur die Syrer verlieren“. „Die einzigen, die in diesem Spiel der Kräfte verlieren, sind die Menschen in Syrien. Das Morden wird dort ungehindert weitergehen.“ (2)

Die Zeit kann Russland nicht verzeihen, durch seine diplomatische Offensive in Sachen Chemiewaffen dem US-Präsidenten die Chance gegeben zu haben, dem Dilemma zu entfliehen, einerseits bei einem Verzicht auf eine „robuste Reaktion“ als Schwächling dazustehen, andererseits bei deren Umsetzung große innen- wie außenpolitische Risiken eingehen zu müssen. Das Hamburger Blatt unterstellt Russland daher, nur an einer Fortsetzung des Blutvergießens in Syrien interessiert zu sein. „Denn solange der Bürgerkrieg in Syrien andauert, bleibt die Gefahr geringer, dass sich dort kämpfende islamistische Gruppen gegen die muslimisch bevölkerte Kaukasusregion Russlands wenden.“

Das stellt nicht nur die Realität auf den Kopf, denn aus Sicht russischer Sicherheitsstrategen ist ein an Islamisten fallendes Syrien ein absolutes Horrorszenario.

Laut New York Times gibt es in der Region allerdings einen „Player“, der an einer Fortsetzung des Blutvergießens interessiert ist. „Israelis vertreten zunehmend die Auffassung, das beste Ergebnis im seit zweieinhalb Jahren tobenden syrischen Bürgerkrieg sei – zumindest im Augenblick – kein Ergebnis.“ (3)

Für Israel sei der Status Quo, so schrecklich er auch vom humanitären Standpunkt aus sei, einem Sieg Assads ebenso vorzuziehen wie einem Sieg seiner von sunnitischen Dschihadisten dominierten Gegner.

Die US-Zeitung zitiert Alon Pinkas, ehemaliger israelischer Generalkonsul in  New York:  „Bei diesem Entscheidungsspiel sollen beide Teams verlieren, zumindest soll keins gewinnen“, so Pinkas. „Lasst sie sich beide gegenseitig zu Tode bluten, das ist hier die strategische Auffassung. Solange das anhält, solange geht von Syrien keine reale Bedrohung (für Israel, Anm. d. Red.) aus“.

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(mit dpa)

Anmerkungen
(1) http://www.spiegel.de/politik/ausland/john-kerry-bringt-mit-giftgas-aeusserung-bewegung-in-den-syrien-konflikt-a-921309.html
(2) http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-09/syrien-usa-russland-eu-chemiewaffen-kontrolle
(3) http://www.nytimes.com/2013/09/06/world/middleeast/israel-backs-limited-strike-against-syria.html?pagewanted=1&hp&_r=0

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