Honduras
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Von IGNACIO RAMONET, 18. August 2009 –
Die Nachricht vom Staatsstreich in Honduras wurde von konservativen Kreisen und ihren gewohnten Propagandisten (2) weltweit mit immenser Freude (2) aufgenommen. Auch wenn sie den Putsch rhetorisch verurteilten, stützten und rechtfertigten sie die Argumente der Putschisten. Sie wiederholten etwa deren Vorwurf, dass sich „Präsident Zelaya verschiedener Verfassungsverstöße schuldig gemacht hat, als er ein Referendum organisieren wollte, um an der Macht zu bleiben“. (3)
Solche Behauptungen sind falsch. Präsident Zelaya hat nicht einen einzigen Artikel der Verfassung verletzt. (4) Er hat weder ein Referendum anberaumt, noch wollte er sein Mandat verlängern, das am 27. Januar 2010 endet. Seine Absicht war es, eine unverbindliche Umfrage zu organisieren (also eine Befragung oder Meinungserhebung). Die Frage an die Bürger lautete: „Sind Sie damit einverstanden, dass bei den allgemeinen Wahlen im November 2009 eine vierte Urne aufgestellt wird, um über die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung zu entscheiden, die eine neue Verfassung der Republik erarbeitet?“ Anders gesagt: Es war eine Befragung über die Möglichkeit einer späteren Befragung. Kein Artikel der Verfassung von Honduras verbietet dem Präsidenten eine solche Umfrage unter dem Volk als Souverän.
Mehr noch: Angenommen, die Mehrheit der Honduraner hätte sich für die Forderung nach einer „vierten Urne“ ausgesprochen, so wäre diese zusätzlich zu den drei Wahlurnen für den Präsidenten, die Abgeordneten des Nationalkongresses und die Bürgermeister bei der regulären Abstimmung am 29. November 2009 eingerichtet worden. Gemäß der dann noch geltenden aktuellen Verfassung des Landes hätte sich Manuel Zelaya also nicht noch einmal aufstellen lassen können.
Warum also dieser Putsch? In erster Linie, weil Honduras auch heute noch das „Eigentum“ von gut einem Dutzend wohlhabender Familien ist, die alles kontrollieren: die drei Gewalten der Exekutive, Legislative und Judikative, die wichtigsten Wirtschaftszweige, den katholischen Klerus, die Massenmedien und die Streitkräfte. Die meisten ihrer Regierungen waren derart korrupt und den Interessen ausländischer Konzerne derart untertan, dass der US-Humorist O. Henry einen zweiten Namen für Honduras erfand: „Bananenrepublik“. (5)
Im Jahr 1929 erklärte der Präsident des Unternehmens Cuyamel Fruit, damaliger Hauptkonkurrent der United Fruit, Samuel Zamurray, alias „Banana Sam“, wie einfach es sei, einen honduranischen Kongressabgeordneten zu kaufen. „Ein Abgeordneter in Honduras“, sagte er, „kostet weniger als ein Maulesel.“ Ende der 1980er Jahre dann erkannte der honduranische Präsident José Azcona del Hoyo die Unterordnung seines Landes unter die Strategie der USA an, als er erklärte: „Ein so kleines Land wie Honduras kann sich nicht den Luxus der Würde erlauben“. Eine Gruppe von Unternehmern schlug sogar vor, sich den USA als Freistaat anzubieten, ähnlich Puerto Rico …
Die Wirtschaftsbeziehung Honduras` mit der nordamerikanischen Großmacht ist heute von einer fast totalen Abhängigkeit bestimmt: 70 Prozent der Exporte (Bananen, Kaffee und Zucker) gehen dorthin. Aus den USA fließen rund drei Milliarden Dollar nach Honduras. Es sind private Überweisungen von 800.000 Emigranten aus Honduras. Und das Hauptkapital (40 Prozent) der Montagebetriebe, sogenannter Maquilas, in den Freizonen des Landes stammt aus den USA.
Als vor 30 Jahren die Sandinistische Revolution in Nicaragua siegte, beschloss man in Washington, Honduras zu einem Stützpunkt im militärischen Kampf gegen die revolutionären Guerillaorganisationen in Guatemala und El Salvador auszubauen. Von Honduras aus wurden die antisandinistischen Contra-Milizen unterstützt. Eine der ersten Maßnahmen damals bestand darin, eine „kontrollierte Demokratie“ in Tegucigalpa zu erreichten. 1980 fanden zum ersten Mal „freie Wahlen“ statt. Ein Jahr später gelangte Roberto Suazo Córdova an die Macht. Eine Zeit furchtbaren Terrors brach über das Land herein. Es gab Todesschwadrone, Menschen verschwanden, Aktivisten der politischen Linken wurden eliminiert. In diesem Kontext entstand die Verfassung von 1982, die bis heute Gültigkeit hat.
Es ist eine Verfassung, die von den mächtigsten Wirtschaftsgruppen geschrieben wurde, deren Interesse darin besteht, eine der ungerechtesten Gesellschaften der Welt stets zu ihren Gunsten auszurichten: 60 Prozent der honduranischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, ein Dritten sogar in extremer Armut. Es ist ein verarmtes Land, in dem die Arbeitslosigkeit stabil bei 30 Prozent liegt.
Dies wollte Präsident Zelaya ändern. Obgleich er einer der Großgrundbesitzerfamilien des Landes angehört und Mitglied der Liberalen Partei Honduras ist, wollte der Amtsinhaber die Ungleichheit zurückdrängen. Er hob das Mindestgehalt um 50 Prozent an; er gebot der Privatisierung öffentlicher Unternehmen (im Energie-, Gesundheits- und Hafensektor) Einhalt; er trat für eine stärkere Bürgerbeteiligung in der Politik ein. Für all dies stand er sogar schon, bevor Honduras unter seiner Präsidentschaft 2007 dem energiepolitischen Bündnis Petrocaribe und 2008 dem Staatenbündnis Bolivarische Allianz für Lateinamerika beitrat.
Die mächtige Oligarchie war geschockt und behandelte Zelaya als „Klassenverräter“. Obgleich er bekräftigte: „Ich wollte den Politikwechsel innerhalb des neoliberalen Schemas durchsetzen. Aber die Reichen lassen nicht von einem Penny ab. (…) Sie wollen alles für sich. Deswegen ist es nur folgerichtig, das Volk in den Prozess einzubinden, um einen Wandel zu erreichen.“ (6)
Die intellektuelle Entwicklung Manuel Zelayas und seine „Konversion“ hin zu einem progressiven Konzept sind beispielhaft. Als Amtsinhaber erkannte er öffentlich, dass „der bürgerliche Staat von den wirtschaftlichen Eliten gebildet wird. Sie sind in den Führungen der Armeen und der Gerichte. Dieser bürgerliche Staat fühlte sich auf einmal verletzlich, als ich den Vorschlag machte, dem Volk Mitsprache- und Stimmrecht zu geben.“ (7) Er geht sogar soweit, eine revolutionäre Idee vorzubringen: „Die Armut wird solange nicht überwunden, wie die Armen nicht die Gesetze machen.“
Das ist mehr, als die „Besitzer“ von Honduras verkraften können. Mit der Hilfe altbekannter „Falken“ aus den USA – John Negroponte, Otto Reich – brüteten sie den Plan für den Staatsstreich aus, der am 28. Juni von den Streitkräften ausgeführt wurde. In allen Außenministerien der Welt wurde der Putsch verurteilt. Denn die Zeit der „Gorillas“, wie die Diktatoren in Lateinamerika genannt wurden, ist vorbei. Nun ist die Zeit der Völker gekommen.
Quellen:
(1) Vargas Llosa, Mario: El golpe de las burlas. In: El País, 12. Juli 2009; Vargas Llosa, Alvaro: Zelaya, el gran responsable del golpe. In: CNN en español, 1. Juli 2009
(2) „Mit immenser Freude“ („Con inmenso gozo“) war der Titel der Radionachricht, mit der Papst Pius XII. am 16. April 1939 den Sieg Francos im Spanischen Bürgerkrieg begrüßte. Im Internet: http://www.vatican.va/holy_father/pius_xii/speeches/1939/documents/hf_p-xi i_spe_19390416_inmenso-gozo_sp.html (10.08.2009)
(3) El País, 1. und 5. Juli 2009
(4)Palacios Romeo, Francisco: Argumentos de derecho constitucional primario para una oligarquía golpista primaria. In: Rebelion.org, 3. Juli 2009. Im Internet: http://www.rebelion.org/noticia.php?id=87999 (10.08.2009)
(5) O. Henry benutzte diesen Ausdruck in seiner 1904 erschienenen Erzählung „Cabbages and Kings“.
(6) El País, 28. Juni 2009
(7) Ebenda
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Übersetzung: Harald Neuber
Über den Autor: Ignacio Ramonet ist spanischer Journalist und war von 1991 bis März 2008 Direktor der in Paris erscheinenden Monatszeitung für internationale Politik „Le Monde diplomatique“. Seit seinem Ausscheiden bei der französischen Mutterausgabe leitet er die spanische Edition. Seine Leitartikel der spanischen Ausgabe von Le Monde diplomatique erscheinen seit November 2008 in deutscher Übersetzung bei www.hintergrund.de. Ignacio Ramonet ist Ehrenpräsident von Attac und Mitorganisator des Weltsozialforums.