Gute Miene zum bösen Spiel
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Russland und China als hilflose Statisten in der Einheitsfront gegen Iran –
Von KNUT MELLENTHIN, 19. November 2011 –
Der US-Regierung ist es erneut gelungen, Russland und China zu einem demonstrativen Schulterschluss gegen Iran zu veranlassen. Das Board of Governors der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) verabschiedete am 18. November zum Abschluss einer zweitägigen Sitzung eine Resolution, die von den „Iran-Sechs“ gemeinsam vorbereitet und eingebracht worden war. (1) Zu dieser Gruppe gehören außer den USA, Russland und China auch Deutschland, Frankreich und Großbritannien.
Das Board of Governors, eine Art Vorstand der Behörde, tagt regulär fünf Mal im Jahr. Dem Gremium gehören nach einem detaillierten Schlüssel jeweils 35 der 151 Mitgliedstaaten der IAEA an, die jährlich wechseln. Entgegen einem verbreiteten Missverständnis können auch Staaten, die den Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen (NPT) nicht unterzeichnet haben, der IAEA angehören.
Zur Zeit sind folgende Staaten im Board vertreten: Argentinien, Australien, Belgien, Brasilien, Bulgarien, Kanada, Chile, China, Kuba, Tschechien, Ekuador, Ägypten, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Jordanien, Südkorea, Mexiko, Niederlande, Niger, Portugal, Russland, Saudi-Arabien, Singapur, Südafrika, Schweden, Tunesien, Vereinigte Arabische Emirate, Großbritannien, Tansania und USA. (2)
Noch während der Sitzung hatten sich der Sechsergruppe zwölf weitere Staaten als Ko-Sponsoren der Resolution angeschlossen: Australien, Belgien, Bulgarien, Kanada, Tschechien, Ungarn, Italien, Japan, Niederlande, Portugal, Singapur und Schweden. (3) Damit stand schon vor der Abstimmung eine einfache Mehrheit fest, die zur Annahme ausgereicht hätte.
In der Vergangenheit gab es eine ungeschriebene Regel, dass für die Entscheidungen des Board grundsätzlich ein Konsens, also die Zustimmung sämtlicher vertretenen Länder, angestrebt wurde. Entsprechend anstrengend gestaltete sich manchmal das Formulieren von Kompromissen. Im Falle Irans fand erstmals am 24. September 2005 eine Kampfabstimmung statt, als es um die Feststellung ging, dass Irans angebliche Verstöße gegen den NPT „in die Zuständigkeit des UNO-Sicherheitsrats“ fallen. 22 der 35 im Board vertretenen Staaten stimmten damals der Resolution zu, zwölf (darunter Russland und China) enthielten sich, und Venezuela votierte dagegen. (4)
Gegen die jetzt am 18. November angenommene Resolution stimmten Kuba und Ekuador; Indonesien enthielt sich. Das bedeutet, dass nicht nur die zur Zeit im Board vertretenen fünf arabischen Staaten, sondern auch Brasilien für die Verurteilung Irans gestimmt haben. Brasilien hatte, damals noch unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, im vorigen Jahr gemeinsam mit der Türkei eine vermittelnde und freundschaftliche Rolle im Streit um das iranische Atomprogramm zu spielen versucht.
In der Entschließung des Board of Governors ist die Rede von „tiefer und zunehmender Besorgnis über die ungelösten Fragen hinsichtlich des iranischen Atomprogramms, einschließlich jener Punkte, die aufgeklärt werden müssen, um die Existenz einer möglichen militärischen Dimension auszuschließen“. Iran wird aufgefordert, „sich ernsthaft und ohne Vorbedingungen auf Gespräche einzulassen, die darauf abzielen, das internationale Vertrauen in die ausschließlich friedliche Natur seines Atomprogramms wiederherzustellen“.
Außerdem solle Iran der IAEA „Zugang zu allen relevanten Informationen, Dokumentationen, Anlagen, Material und Personal“ gewähren. Gemeint ist ein generelles und völlig beliebiges Zugangs- und Befragungsrecht im gesamten Land, wie es die Inspektoren im Irak vor dem US-amerikanischen Überfall im März 2003 hatten. Das entspricht jedoch weder dem NPT und dem zwischen Iran und der IAEA geschlossenen Zusatzabkommen (Safeguards Agreement) noch den Kompetenzen der Behörde, die auf die Kontrolle des Umgangs mit nuklearem Material beschränkt sind.
Mit der Formel, man strebe eine „umfassende, ausgehandelte, langfristige Lösung“ an, die „auf der Grundlage von Gegenseitigkeit und einem schrittweisen Vorgehen“ gefunden werden müsse, enthält die Resolution eine zu nichts verpflichtende Verbeugung vor einem russischen Vorschlag, der schon vor mehreren Monaten ins Spiel gebracht, aber bis heute nicht präzis und detailliert definiert wurde.
Die Resolution enthält ferner, auch das ist seit Beginn des Streits vor über acht Jahren eine inhaltsleere Routine, die Versicherung, dass man „das unveräußerliche Recht aller Vertragsparteien“ des NPT anerkenne und respektiere, „Erforschung, Produktion und Nutzung der Atomenergie für friedliche Zwecke“ zu betreiben. Im Falle Irans ist das blanker Hohn, da dem Land in Wirklichkeit unter permanenter Strafandrohung und mittlerweile vier Sanktionsresolutionen des UN-Sicherheitsrats abverlangt wird, und zwar als nicht verhandelbare Forderung, zeitlich unbegrenzt auf zentrale Teile seines zivilen Atomprogramms zu verzichten.
Im letzten Punkt der Resolution wird IAEA-Generaldirektor Jukija Amano ersucht, zur nächsten Sitzung des Board, die im März 2012 stattfinden wird, eine Einschätzung über die Umsetzung dieser Entschließung vorzulegen. Das ist kein „Ultimatum“, wie hier und da geschrieben wurde, sondern ein rein routinemäßiger Vorgang. Es ist keinerlei Androhung von Maßnahmen damit verbunden, falls Iran der Resolution nicht folgt.
Im Grunde enthält die Resolution keinen einzigen Punkt von praktischer Bedeutung. Sie dient einzig und allein dem zentralen taktischen Ziel der USA und ihrer Verbündeten, das Bestehen einer geschlossenen Einheitsfront der internationalen Gemeinschaft gegen Iran zur Schau zu stellen oder, richtig gesagt, zu simulieren. Bestehende Widersprüche hinsichtlich der gegenüber Iran zu verfolgenden Politik und unterschiedliche Interessen innerhalb der Sechsergruppe sind damit wieder einmal erfolgreich überspielt worden. Die „internationale Öffentlichkeit“ kann daraus nur die gewünschte – aber sachlich falsche – Schlussfolgerung ziehen, dass Russland und China das westliche Schreckgespenst eines nuklear bewaffneten Iran teilen.
Dass die Resolution keinen Ruf nach weiteren kollektiven Sanktionen enthält – für die die IAEA übrigens gar nicht zuständig ist – und dass auch keine neuerliche Anrufung des UN-Sicherheitsrats erfolgte, wird in den Mainstream-Medien unsinnigerweise als „Kompromiss“ und als „Zugeständnis an Russland und China“ bezeichnet. „Mit diesem Text verzichtet die IAEA auf ihr schärfstes Mittel, den Fall an den UNO-Sicherheitsrat zu verweisen. Dies sei geschehen, um Russland und China für eine Resolution zu gewinnen, hieß es aus diplomatischen Kreisen.“ (5) In Wirklichkeit liegt der Streit um das iranische Atomprogramm aufgrund mehrerer Beschlüsse des Board of Governors schon seit 2006 in der Zuständigkeit des Sicherheitsrats. Dieser könnte jederzeit zum Thema Iran diskutieren und beschließen, ohne dass es eines nochmaligen Ersuchens der IAEA bedürfte.
Die neue Einheitsdemonstration der Sechsergruppe kam zu diesem Zeitpunkt einigermaßen überraschend: Das russische Außenministerium hatte sich, seit am 8. November Amanos alarmistischer Vierteljahresbericht zum iranischen Atomprogramm an die Öffentlichkeit gelangt war, in mehreren teilweise scharf formulierten Erklärungen von der westlichen Stimmungsmache abgegrenzt. Noch am 13. November, nur vier Tage vor Beginn der Board-Sitzung, hatte Außenminister Sergei Lawrow erklärt: „Aufgrund der Art, wie dieses Thema sich trotz des Fehlens neuer Erkenntnisse in Israel, den USA und Europa entwickelt hat, gehe ich davon aus, dass diese Kampagne wohl inszeniert wurde, um Leidenschaften in der öffentlichen Meinung anzuheizen und den Boden für die Durchsetzung einseitiger Strafmaßnahmen vorzubereiten.
Wir halten die Schiene der Sanktionen für erschöpft. Alles, was darüber hinausgeht, werden die USA, Europa, Japan, Australien und Kanada allein machen. Wir müssen unsere Bereitschaft zu Verhandlungen bekräftigen, wenn Iran zu kooperieren beginnt. Aber, nochmals: Zusätzliche Bestrafung führt zu nichts. Libyen, Syrien, Iran, Sudan, Elfenbeinküste – überall haben sich unsere westlichen Partner für eine Politik der Konfrontation, der Isolation und des Regimewechsels entschieden. Aber nirgendwo ist Ruhe eingetreten oder in Sicht.“
Die um Amanos Bericht geschürte Hysterie diene, so Lawrow weiter, auch dazu, die sichtbaren Ansätze für eine Verständigung mit dem Iran zu beschädigen und zu zerstören: „Es ist gerade eine Woche her, dass die Iraner erklärten, sie wollten über die anstehenden Themen diskutieren. Das ist definitiv eine Änderung ihrer Haltung. Tatsächlich haben sie es bisher abgelehnt, darüber zu sprechen. Ein wichtiger Umstand ist, dass der stellvertretende Generaldirektor der IAEA, Herman Nackaerts, vor einigen Monaten in den Iran gereist ist, wo man ihm zum ersten Mal den im Bau befindlichen Schwerwasserreaktor (in Arak) gezeigt hat. Der Prozeß bewegt sich also voran, wenn auch langsam. Wir müssen uns darauf einstellen, dass das Problem nicht über Nacht gelöst werden kann. Die Reaktionen sollten sich nicht an irgendjemandes Wahlkampagnen orientieren. Dies ist ein längerer Prozeß, der keinen Rummel und keine Politisierung verträgt.“ (6)
Es ist genau das eingetreten, was Lawrow im Herbst 2006 voraussagte, als die Sechsergruppe erstmals über die Verhängung von Sanktionen gegen Iran durch den UN-Sicherheitsrat diskutierte: „Ich glaube, bevor alle diplomatischen Mittel erschöpft sind, wären Sanktionen zu radikal.“ (7) Sanktionen würden die diplomatischen Beziehungen zur Auflösung der Konfrontation lediglich komplizieren. (8) „Wir können keine Ultimaten unterstützen, die alle in die Sackgasse führen und eine Eskalation verursachen, deren Logik stets zur Anwendung von Gewalt führt.“ (9) „Wir dürfen nicht zulassen, dass eine Situation entsteht, wo die Sechsergruppe und der UN-Sicherheitsrat Entscheidungen treffen, die uns alle in eine Konfrontation mit Iran treiben und die das Nichtweiterverbreitungs-Regime nicht stärken, sondern Ursachen zu seiner Schwächung liefern, und die im Gegenzug emotionale Reaktionen Irans provozieren könnten, indem es seine Zusammenarbeit mit der IAEA einschränkt.“ (10)
Einige Wochen später, am 23. Dezember 2006, stimmte Russland (und China) dennoch zu, als der UN-Sicherheitsrat erstmals Strafmaßnahmen gegen Iran beschloss. Inzwischen sind drei weitere Sanktionsresolutionen gefolgt. Die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti zitierte Außenminister Lawrow am 17. November mit der – angeblichen, nicht offiziell bestätigten – Äußerung, der Resolutionsentwurf der Sechsergruppe für die Sitzung des IAEA-Boards widerspiegele die „gemeinsame Herangehensweise“ (collective approaches) dieser Staaten an das Problem. (11) Noch weiter könnte man sich kaum von der realen Situation entfernen: Es gibt keine gemeinsame Herangehensweise, ebenso wenig wie es eine gemeinsame Einschätzung der Lage und ein gemeinsames strategisches Ziel gibt. Die Regierungen der USA und ihrer Verbündeten inszenieren den regelmäßig wiederkehrenden großen Schulterschluss mit Russland und China nur als Deckung für ihre Alleingänge, die von einseitigen Sanktionen bis hin zu permanenten Kriegsdrohungen reichen.
Anmerkungen
1) http://www.iaea.org/newscenter/focus/iaeairan/bog112011-69.pdf
2) Alle Angaben sind auf der Website der IAEA zu finden:
http://www.iaea.org/
3) Dozen countries join in on Iran Six resolution. RIA Novosti, 18.11.2011.
http://en.rian.ru/world/20111118/168816285.html
4) http://www.iranwatch.org/international/IAEA/iaea-boardofgovernors-votingtally-092405.htm
5) Atomwächter stellen Iran Ultimatum. Spiegel Online, 18.11.2011.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,798711,00.html
6) Russian Foreign Minister Sergey Lavrov Interview to Russian Media on the Margins of the APEC Summit, Honolulu, November 13, 2011.
http://www.ln.mid.ru/bdomp/brp_4.nsf/e78a48070f128a7b43256999005bcbb3/092b99cd0fd677064425794900359e99!OpenDocument
7) Russia Still Opposes Iran Sanctions. AP, 5. Oktober 2006.
8) Russia Criticizes Draft UN Resolution On Iran. Radio Free Europe/ Free Liberty, 26. Oktober 2006.
9) Russia Hints It Won’t Back Any Penalties Against Iran. New York Times, 2. September 2006.
http://www.nytimes.com/2006/09/02/world/middleeast/02iran.html?pagewanted=print
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10) Measures against Iran must be gradual, proportional. RIA Novosti, 6. Oktober 2006.
11) Russia hopes new Iran resolution is adopted on Friday. RIA Novosti, 17. November 2011.
http://en.rian.ru/world/20111117/168793949.html