Gaza: Todeslabor
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Von CONN HALLINAN, 22. Februar 2009 –
Eric Fosse, ein norwegischer Kardiologe, arbeitete während des letzten Krieges in Krankenhäusern im Gazastreifen: „Es war, als wären sie auf eine Mine getreten“, sagte er über einige palästinensische Patienten, die er behandelte. „Aber es gab keine Splitter in den Wunden. Einige hatten ihr Beine verloren. Es sah so aus, als wären sie abgeschnitten. Ich war seit 30 Jahren in Kriegszonen, aber ich habe nie vorher solche Wunden gesehen.“
Dr. Fosse beschrieb die Auswirkungen einer tödlichen US-Waffe, die den Explosivschaden an Bauten gering hält, aber fürchterliche Wunden in ihren Opfern hinterlässt. Aber woher haben die Israelis diese Waffen? Und war ihre weit verbreitete Anwendung in Gaza ein Test für eine neue Generation von Explosivstoffen?
Zum Tode verurteilt
Die spezielle Waffe wird Dense Inert Metal Explosive (DIME) genannt. 2000 hat sich die US-Luftwaffe mit dem Lawrence Livermore Nationallabor der Universität Kalifornien zusammen getan.
Die Munition verbirgt hochexplosive Stoffe mit Wolframverbindungen und anderen Metallen wie Kobalt, Nickel oder Eisen in einem Kohlefaser-Epoxyd-Container. Wenn die Bombe explodiert, verdampft der Container und das Wolfram wird zu Mikrosplittern, die innerhalb eines 4m-Radius extrem tödlich wirken. Wolfram ist ein ungemein widerstandsfähiges Metall, es verbindet sich nicht mit dem Sprengstoff. Während ein (chemisch) reaktionsfreudiges Metall wie Aluminium die Explosion vergrößern würde, hält Wolfram die Explosion tatsächlich innerhalb eines begrenzten Gebietes.
Innerhalb der Reichweite der Munition ist es ungewöhnlich tödlich. Nach dem norwegischen Arzt Mad Gilbert sind die Folgen der Explosion mehrfache Amputationen und sehr schwere Brüche. Die Muskeln lösen sich von den Knochen und hängen lose. Dazu gibt es schwere Verbrennungen. Die meisten, die die anfängliche Explosion überleben, erliegen schnell einer Blutvergiftung und einem Organzusammenbruch. Anfangs scheint alles in Ordnung .. aber bei einer Operation stellt sich heraus, dass Dutzende winziger Teile in allen Organen gefunden werden, sagt Dr. Jan Brommundt, ein deutscher Arzt, der in Khan Yunis (im Süden Gazas) arbeitet. Es scheint eine Art von Explosivstoff oder Granate zu sein, die sich in winzige Teilchen aufteilt und in alle Organe dringt. Diese winzigen Verletzungen kann man chirurgisch nicht behandeln. Nach Brommundt verursachen diese Teilchen vielfache organische Behinderungen .
Wenn durch irgendein Wunder ein Opfer diese Umstände überlebt, bekommt es ziemlich sicher Rhabdomyosarkom (RMS, ein Weichteiltumor), einen besonders tödlichen Krebs, der sich tief im Gewebe bildet und der sich kaum behandeln lässt. Eine Studie des US-Gesundheitsministeriums von 2005 fand heraus, dass Wolfram auch in sehr geringen Dosen RMS-Krebs erregt. Alle 92 getesteten Ratten bekamen Krebs.
Während DIME ursprünglich dafür bestimmt war, Kollateralschäden bei den üblichen hochexplosiven Bomben zu vermeiden, wird seine tödliche Gefährlichkeit und auf lange Sicht seine Giftigkeit kaum als Verbesserung angesehen.
Es scheint, dass DIME-Waffen schon bei der israelischen Invasion 2006 im Libanon angewandt wurden, aber noch nicht so, dass Mediziner alarmiert wurden. Aber im Gazastreifen wurden sie jetzt weitgehend benutzt. Im Al-Shifa-Krankenhaus wurden allein 100-150 Opfer dieser Angriffe gesehen.
Gaza als Testgebiet
Dr. Gilbert erklärte gegenüber dem Osloer Gardermoen: „Es besteht der starke Verdacht …, dass der Gazastreifen als Testlabor für neue Waffen verwendet wurde.
Marc Garlasco, ein ranghoher Human Rights Watch Militärberater, sagt: „Nun bleibt uns nur noch, herauszukriegen, wie Israel an die Technologie gekommen ist, ob es die Waffen aus den USA nach irgendeinem Abkommen bekommen hat oder ob es seine eigene Art von Munition entwickelt hat.“
Tatsächlich hatte der Kongress den 77 Millionen US-Dollar Verkauf von 1000 GBU-39s an Israel im September 2008 bewilligt, und die Waffen wurden im Dezember geliefert. Israel war der erste ausländische Empfänger von DIMES.
DIME-Waffen sind von den Genfer Konventionen noch nicht geächtet, weil sie bis jetzt noch nicht offiziell getestet wurden. Doch ist die Anwendung jeder Waffe, die solch entsetzlichen Schaden verursacht, normalerweise verboten, besonders im am dichtesten bevölkerten Gebiet der Welt.
Zunächst einmal weiß keiner, wie lang Wolfram in der Umwelt bleibt und wie es auf Menschen wirkt, die zu ihren mit DIME angegriffenen Häusern zurückkommen. Der Krebsforscher der Arizona-Universität Dr. Mark Witten, der den Zusammenhang zwischen Wolfram und Leukämie untersucht, sagt, dass seiner Meinung nach die Auswirkungen auf die Gesundheit noch viel mehr untersucht werden müssen, bevor das Militär seine Anwendung erweitert.
Außer DIME
DIME war nicht die einzige fragwürdige Waffe, die im Gazastreifen angewendet wurde. Die israelischen Streitkräfte (IDF – Israel Defense Forces) machten auch großzügigen Gebrauch von weißem Phosphor, einer Chemikalie, die unter großer Hitze verbrennt und am Opfer schreckliche Brandverletzungen hinterlässt. In Form von Dampf schädigt es auch die Atemwege. Das Völkerrecht verbietet seine Anwendung in der Nähe von besiedeltem Gebiet und fordert, dass alle Maßnahmen ergriffen werden, um Zivilisten zu schonen.
Israel hat zunächst geleugnet, dass es diese Chemikalie angewandt hat. „Die IDF würde nur in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht handeln und keinen weißen Phosphor anwenden,“ sagte Israels Generalstabschef Gabi Ashkenazi am 13. Januar.
Aber Augenzeugenberichte aus Gaza und Israel zwangen die IDF bald, zuzugeben, dass sie tatsächlich diesen Stoff verwendet haben. Am 20. Januar bekannte die IDF, dass sie Phosphor-Artilleriegranaten als Rauchschirm benutzt hätten und 200 in den US-fabrizierte M825A1-Phophorgranaten auf Hamaskämpfer und Qassamwerfer-Mannschaften im Norden Gazas abgefeuert hätten.
Drei dieser Granaten schlugen am 15. Januar in das UN-Quartier ein, setzten es in Brand und zerstörten Hunderte Tonnen humanitärer Vorräte. Eine Phosphorgranate schlug auch in das Al-Quds-Krankenhaus in Gazastadt ein. Die Israelis behaupten, es seien in ihrer Nähe Hamaskämpfer gewesen, was Zeugen hartnäckig bestreiten.
Donatella Rovera von Amnesty International sagte: „Solch extensiver Gebrauch dieser Waffen in den dicht bevölkerten Wohngebieten des Gazastreifens .. und die hohe Zahl ziviler Opfer ist ein Kriegsverbrechen.“
Israel wird auch angeklagt, es habe Depleted Uranium-Munition (DU) angewandt, was eine UN-Unterkommission 2002 als Verletzung der Universalen Menschenrechte, der UN-Charta, der Genfer Konventionen, der Internationalen Konvention gegen Folter, der Konvention über Konventionelle Waffen und der Haager Konvention gegen die Anwendung von Giftwaffen bezeichnet.
DU ist nicht hoch radioaktiv, aber nach dem Explodieren verwandelt sich ein Teil in Gas, das leicht inhaliert werden kann. Das dichte Schrapnell gräbt sich tief ein, und hinterlässt im Grundwasserspiegel niedrige Radioaktivität.
Kriegsverbrechen?
Andere Menschenrechtsgruppen, einschließlich B’tselem, Gisha und der Ärzte für Menschenrechte klagen die israelischen Streitkräfte an, bewusst, medizinisches Personal angegriffen und über ein Dutzend getötet zu haben, einschließlich Sanitätern und Ambulanzfahrern. Die Internationale Föderation für Menschenrechte rief den UN-Sicherheitsrat dazu auf, Israel vor dem Internationalen Gerichtshof wegen möglicher Kriegsverbrechen zu konsultieren.
Obwohl Israel die Anklagen wegen Kriegsverbrechen abweist, ist das israelische Kabinett besorgt und rief am 25. Januar ein Sondertreffen ein, bei dem es darum ging, dass Israel zur Last gelegt wird, unverhältnismäßige Gewalt angewendet zu haben. Die Genfer Konventionen fordert Kriegsparteien auf, immer zwischen Kämpfern und Zivilisten zu unterscheiden und unverhältnismäßige Gewalt zu vermeiden, um militärischen Gewinn zu suchen.
Nach den Konventionen ist die Anwendung von unlenkbaren Raketen nach Israel durch die Hamas auch ein Kriegsverbrechen. „Der große Unterschied bei den Opferzahlen ist ein Maßstab der Unverhältnismäßigkeit“, sagt Richard Falk, der UN-Menschenrechtsbotschafter für die besetzten Gebiete. Im Ganzen wurden 14 Israelis während des Kampfes getötet, drei von ihnen durch Raketen, 11 von ihnen als Soldaten, vier von ihnen durch ‚friendly fire’. Etwa 50 Soldaten wurden verletzt.
Im Vergleich dazu sind 1330 Palästinenser gestorben und 5450 wurden verletzt, der größte Teil von ihnen Zivilisten.
„Die Art des Kampfes stellt eine eklatante Verletzung der Gesetze über Kriegsführung dar. Wir bitten darum, dass sie von der Kommission für Kriegsverbrechen untersucht wird, sagt eine Koalition von israelischen Menschenrechtsgruppen und Amnesty International in einem gemeinsamen Statement. Der Staat Israel hat zweifellos die Verantwortung.“
Nach Den Haag?
Der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert sagte, dass der Justizminister Daniel Friedmann die Verteidigung eines jeden wegen Kriegsverbrechen angeklagten Soldaten oder Kommandeurs koordinieren würde. Auf jeden Fall würden die USA mit ihrem Veto jede Bemühung durch den UN-Sicherheitsrats verhindern, der Israelis vor das Internationale Kriegsverbrechertribunal bringen möchte.
Aber die Financial Times weist darauf hin, dass alle Länder die Verpflichtung haben, all jene zu suchen, die schwerwiegende Verletzungen der Kriegsregeln begangen haben und sie vor Gericht zu bringen, oder einem Land auszuliefern, das dies macht.
Das war die Grundlage nach der die britische Polizei den chilenischen Diktator Augusto Pinochet 1998 verhaftet hat. „Wir befinden uns mit dem Internationalen Recht in einer richtungweisenden Veränderung“, sagte der Rechtsberater von Amnesty International, Christopher Hall, der Financial Times, die sagt, der israelische Außenminister prüft bereits das Risiko für Israelis, ins Ausland zu reisen. „Es ist, wie bei Rotlicht eine Straße zu überqueren“, sagt Hall, „das Risiko mag gering sein, aber man denkt zweimal nach, bevor man ein Verbrechen begeht oder zu reisen, wenn man eines begangen hat.“
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Der Artikel erschien im Original am 11. Februar unter dem Titel
„Gaza: Death’s Laboratory“ bei „Foreign Policy in Focus“ .
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Der Autor, Conn Hallinan, ist dort Kolumnist für Außenpolitik.
Übersetzung: Ellen Rohlfs