Frieden mit Russland durch Trump?
Vieles deutet darauf hin, dass es unter Trump nicht zu einer Kehrtwende der US-Außenpolitik hin zu weniger militärischen Interventionen und einer Annäherung an Russland kommen wird
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Am 20. Januar 2017 soll Donald Trump als 45. Präsident der USA vereidigt werden. Ihm eilt das Gerücht voraus, er wolle eine friedlichere Außen- und Militärpolitik praktizieren als seine Vorgänger Barack Obama und George W. Bush. Hauptsächlich geht es um zwei Vermutungen. Erstens: Der 70jährige Milliardär strebe gegenüber Russland Kooperation statt Konfrontation an. Zweitens: Er wolle die von Bush begonnene und von Obama ausgeweitete Praxis militärischer Interventionen beenden.
Beide Annahmen werden durch Trumps auffallend magere und oberflächliche Aussagen während des Wahlkampfs gar nicht oder nur schwach gestützt. Auch vor ihm gab es schon einige US-Präsidenten, die außenpolitisch unerfahren waren. Aber vermutlich keinen, der es so entschieden ablehnte, sich wenigstens Kenntnisse auf diesem Gebiet anzueignen und sich mit kompetenten Beratern zu umgeben. Trump scheint sich als Personifizierung des „gesunden Menschenverstands“ zu begreifen, der zu jedem Thema ein meinungsstarkes Urteil parat hat, ohne sich mit der Sache eingehend zu beschäftigen. Hinzu kam, dass er in seinen Wahlreden zwar vieles scharf kritisierte, aber konkrete und präzise Aussagen über seine Gegenvorstellungen vermied.
Trump hat das Thema „Interventionen“ während des Wahlkampf ausschließlich für Polemik gegen seine Konkurrentin Hillary Clinton benutzt. Dabei schob er demagogisch auch noch die Kriege in Afghanistan und Irak auf ihr Schuldkonto, obwohl diese von Obamas Vorgänger Bush begonnen wurden. Trump nannte aber keinen einzigen Kriegsschauplatz, von dem er als Präsident die US-Soldaten abziehen oder wo er mindestens deren Zahl verringern würde. Trump stellte auch nicht in Aussicht, die Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und andere Staaten der arabischen Halbinsel einzustellen, die seit März 2015 einen weltweit kaum beachteten Stellvertreterkrieg mit furchtbaren Folgen im Jemen führen. Er hat im Gegenteil sogar angekündigt, den 2001 von Bush begonnenen „Krieg gegen den Terror“ noch verstärken zu wollen. Sofort nach seiner Amtsübernahme werde er die Generäle beauftragen, ihm innerhalb von dreißig Tagen einen Plan zur Zerstörung des „Islamischen Staats“ vorzulegen, versprach Trump am 7. September in Philadelphia. Dabei nannte er den IS zugleich auch als Synonym für den „radikalen islamischen Terrorismus“ insgesamt. (1)
Auch über Trumps Äußerungen zur künftigen Russland-Politik der USA lässt sich bei genauem Hinsehen bisher nichts definitiv Positives sagen. Zwar hat er den russischen Präsidenten Wladimir Putin wiederholt als starken Führer und klugen Mann gelobt. Aber über die von ihm angestrebten zwischenstaatlichen Beziehungen sagte er nicht wesentlich mehr, als dass es sein Wunsch sei, mit Russland „gut auszukommen“. Er versprach weder eine Lockerung der Sanktionen noch eine Revision der militärischen Einkreisung Russlands einschließlich des in Polen, Litauen und Rumänien geplanten oder schon begonnenen „Raketenschilds“. Dieses Systems wird in Moskau als hochgradig bedrohlich und destabilisierend wahrgenommen, weil es Russlands nukleare Abschreckung außer Kraft setzen könnte.
Ergänzt wird das offensive Vorgehen der NATO durch die ständige Stationierung US-amerikanischer Einheiten in diesen Ländern. Wie Mitte Dezember gemeldet wurde, ist die Planung inzwischen so beschleunigt worden, dass die ersten Truppenteile schon Anfang Januar, also noch vor Beginn der Amtszeit von Trump, in Polen ankommen sollen. (2) Russland seinerseits hat im Oktober die Verlegung von Iskander-Raketen, die auch nukleare Sprengköpfe tragen können, in die Region Kaliningrad bekanntgegeben. Sie ist der am weitesten nach Westen vorgeschobene Teil Russlands und grenzt sowohl an Polen als auch an Litauen. Das russische Verteidigungsministerium sprach von einer „routinemäßigen“, offenbar zeitlich begrenzten Stationierung im Rahmen einer Militärübung, wie es auch früher schon vorgekommen sei. (3)
Trump müsste, um das Verhältnis zu Russland zu verbessern, zumindest einen Teil dieser Maßnahmen wieder rückgängig machen. Bereitschaft dazu hat er aber bisher noch nicht einmal angedeutet. Als einziges positives Signal Richtung Moskau kann die Nominierung von Exxon-Generaldirektor Rex Tillerson für das Amt des Außenministers interpretiert werden. Der Spitzenmanager des Ölkonzerns hat in den vergangenen Jahren Kooperationsabkommen mit russischen Unternehmen geschlossen, deren bedeutendstes nach Angaben von Exxon einen Wert von mehreren Dutzend Milliarden Dollar haben soll. Putin soll sogar von bis zu 500 Milliarden gesprochen haben. (4) Aufgrund der Strafmaßnahmen gegen Russland, die seit Frühjahr 2014 von den USA und ihren Verbündeten verhängt wurden, sind diese Verträge gegenwärtig und auf absehbare Zeit nicht umsetzbar. Dass Tillerson ein entschiedener und sehr aktiver Gegner der Sanktionen ist, liegt auf der Hand.
Diese enge und persönliche Verbindung macht ihn aber auch angreifbar. Trump benötigt für die fünfzehn Nominierten, die seinem Kabinett als Minister angehören sollen, die Billigung des Senats. Den Abstimmungen gehen jeweils mehr oder weniger harte Befragungen der Kandidaten durch die zuständigen Ausschüsse des Senats voraus. Tillerson muss mit einem inquisitorischen Kreuzverhör rechnen, an dem sich auch maßgebliche Vertreter der Republikaner beteiligen werden. John McCain, Führer der Hardliner-Riege im Senat, hat bereits verkündet, dass Tillerson ihm „Sorgen“ mache. Bob Menendez, ranghöchster Vertreter der Demokraten im Außenpolitischen Ausschuss des Senats, bezeichnete die Nominierung des Exxon-Chefs als „alarmierend und absurd“. Dadurch würde Russland einen „willigen Komplizen im Kabinett des Präsidenten“ erhalten. (5) Republikaner und Demokraten werden gemeinsam versuchen, den Ölmanager zu Stellungnahmen über „Putins Verbrechen“ in Syrien und anderswo zu nötigen. „Putin ist ein Gangster, Tyrann und Mörder. Wer ihn als etwas anderes bezeichnet, der lügt“, drohte McCain schon jetzt. (6) Das Ziel derartiger „Befragungen“ ist nicht unbedingt und von vornherein, eine Ernennung zu verhindern. Ein wesentlicher Zweck würde auch erreicht, wenn ein Kandidat sich Aussagen abringen lässt, die seinen politischen Intentionen widersprechen.
Ebenso wie im Falle dieser Personalauswahl wird Trump generell mit starkem Gegenwind aus beiden Häusern des Kongresses zu rechnen haben, falls er wirklich eine Verständigung mit Russland über die Konflikte zwischen beiden Staaten und über zentrale Fragen der internationalen Politik anstreben sollte. Das kündigt sich jetzt schon in der gemeinsamen Front von Demokraten und Republikanern an, die eine Klärung des scheinheiligen und absurden Vorwurfs fordert, russische Stellen hätten die Präsidentenwahl zugunsten Trumps beeinflusst. Die USA haben nie verborgen, dass sie sich massiv in Wahlen und innere Auseinandersetzungen anderer Länder einzumischen pflegen und dass dafür sogar ganz offiziell Haushaltsmittel des Außenministeriums zur Verfügung gestellt werden. Das aber mindert die jetzt zur Schau gestellte konsensuale Empörung nicht.
Außerdem ist im Kongress ein Gesetzentwurf unterwegs, der wegen des Krieges in Syrien zusätzliche Sanktionen gegen Russland und den Iran vorsieht. Das Abgeordnetenhaus hat bereits am 15. November mit großer Mehrheit zugestimmt. Es gilt als sicher, dass das Gesetz auch den Senat problemlos passiert. Dann könnte Trump gleich in den ersten Wochen seiner Amtszeit mit der Entscheidung konfrontiert sein, ob er das Vetorecht des Präsidenten auch gegen die eigene Partei ins Spiel bringen will. Das würde jedoch seine Absicht konterkarieren, die Republikaner jetzt nach den teilweise sehr harten innerparteilichen Auseinandersetzungen während des Wahlkampfs möglichst geschlossen hinter sich zu bringen. Trump könnte so verfahren, wie Obama es in ähnlichen Fällen getan hat: Das Gesetz unterzeichnen und von der Klausel Gebrauch machen, die ihm erlaubt, es unter Berufung auf „die nationalen Interessen“ nicht anzuwenden. Die im Zusammenhang mit der Ukraine seit 2014 bestehenden Sanktionen könnte Trump sogar einfach aufheben, da sie nur auf einer Anordnung Obamas, und nicht auf einem Gesetz, beruhen. Er hat bisher nicht angedeutet, ob er das zu tun beabsichtigt.
Die großen Medien der USA haben im Wahlkampf nahezu geschlossen gegen Trump agitiert und setzten diese Kampagne fort. Die Politik gegenüber Russland zeichnet sich gegenwärtig als angreifbarster Punkt des künftigen Präsidenten ab: Es gibt in der Bevölkerung keine mobilisierbare Stimmung für eine Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Außerdem verdankt Trump seinen Wahlsieg überwiegend den traditionellen Anhängern der Republikaner, von denen viele konservativen bis fanatischen christlichen Gemeinschaften angehören. Für diese Kreise ist der wirkungsvollste Vorwurf, der gegen einen Präsidenten erhoben werden kann, dass er „schwach“ sei. Das wird Trumps Aktionsfähigkeit gegenüber Russland auf jeden Fall einschränken, selbst wenn er tatsächlich konstruktive Absichten haben sollte.
In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass auch Obama mit dem Versprechen angetreten war, die Beziehungen zu Russland zu erneuern, die sich aufgrund des georgisch-russischen Krieges im letzten Amtsjahr seines Vorgängers Bush, 2008, scheinbar drastisch verschlechtert hatten. Wenige Wochen nach Obamas Einzug ins Weiße Haus sprach sein Vize Joe Biden am 7. Februar 2009 auf der Münchner Sicherheitskonferenz erstmals von einem „Reset“, einem Neustart. Am 6. März 2009 überreichte Hillary Clinton als Außenministerin ihrem russischen Kollegen Sergej Lawrow bei einem Treffen in Genf zum Vergnügen der Fotografen und Kameraleute einen überdimensionalen „Reset-Knopf“. Im September 2009 kündigte Obama an, auf die unter Bush geplante Stationierung des „Raketenschilds“ in Osteuropa zu verzichten. Am 8. April 2010 unterzeichneten Obama und der damalige russische Präsident Dmitri Medwedew in Prag das „New START“-Abkommen zur Reduzierung der strategischen Atomwaffen. Es ersetzte den im Mai 2002 geschlossenen SORT-Vertrag, der regulär im Dezember 2012 ausgelaufen wäre.
Der Abbruch des scheinbar so zuversichtlich unternommenen „Resets“ wird allgemein mit der Krise nach dem Regierungssturz in der Ukraine am 22. Februar 2014 und der Rückkehr der Krim zu Russland nach einer Volksabstimmung am 16. März 2014 begründet. Tatsächlich waren das die entscheidenden Ereignisse. Die Bereitschaft Obamas, die Beziehungen zu Moskau demonstrativ „herunterzufahren“, war aber schon am 7. August 2013 erkennbar geworden. Damals sagte der US-Präsident ein Treffen mit Putin ab, das Anfang September 2013 am Rande des G-20-Gipfels in St. Petersburg stattfinden sollte. Zur Begründung erklärte der Pressesprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, „dass es in unserem bilateralen Arbeitsplan mit Russland in jüngster Zeit nicht genug Fortschritt“ gegeben habe. Im Einzelnen erwähnte Carney die Themen „Raketenabwehr und Abrüstung“, „Handels- und Geschäftsbeziehungen“, „globale Sicherheitsfragen“, Menschenrechte und Zivilgesellschaft“ sowie schließlich den mutmaßlichen Hauptgrund der Verstimmung: „Russlands enttäuschende Entscheidung, Edward Snowden zeitweises Asyl zu gewähren“. (7)
Es ist auch künftig zu erwarten, dass sich die Beziehungen zwischen den USA und Russland aufgrund der erheblichen Interessenunterschiede nicht gradlinig, sondern „konjunkturell“ entwickeln. Umso wichtiger ist als Langzeit-Faktor die Entwicklung des militärischen Potentials beider Staaten und des Kräfteverhältnisses zwischen ihnen. Trump hat sich in diesem Zusammenhang den Slogan „Frieden durch Stärke“ angeeignet, der auf Ronald Reagan zurückgeführt wird, aber sicher schon lange vor diesem erfunden wurde.
Wie er sich das vorstellt, legte der Milliardär am 7. September 2016 in einer Rede dar, die er bei der Union League of Philadelphia, einer auf das Jahr 1862 zurückgehenden „patriotischen“ Vereinigung, hielt. Im Unterschied zu den üblichen Auftritten des Präsidentschaftskandidaten war diese Ansprache gespickt mit Zahlen und Fakten: Trump hatte einfach die Forderungen der Heritage Foundation nach einer erheblichen Verstärkung aller Waffengattungen der US-Streitkräfte und nach einer Personalaufstockung der Truppen übernommen. Er bezog sich auf seine Vorlage auch ganz offen. (8)
Es handelt sich bei diesem Unternehmen um den konservativsten und aggressivsten der großen amerikanischen Think Tanks. Die Heritage Foundation hatte Bush 2001 und 2002 die strategischen Pläne und politischen Argumente für die Kriege in Afghanistan und im Irak geliefert. Die rechte Propagandazentrale ist auch jetzt wieder bemüht, Trump mit Handlungsvorschlägen für sich einzuspannen. In einem Papier, das zwei Tage nach der Wahl veröffentlicht wurde, wird der künftige Präsident aufgefordert, „anzuerkennen, dass Wladimir Putin für die USA kein Partner in der transatlantischen Region ist“. Trump solle sich eine „realistische Einstellung zu Russland“ aneignen. Solange Putin an der Macht bleibe, könne Russland, wie die Erfahrung der Regierungszeiten von Bush und Obama zeige, „kein glaubwürdiger Partner der USA“ sein. (9)
Es ließe sich einwenden, dass für Trump keine Notwendigkeit besteht, derartigen Ratschlägen zu folgen. Das ist aber höchstens teilweise richtig: Das vom nächsten Präsidenten der USA übernommene Aufrüstungsprogramm der Heritage Foundation setzt eine Erhöhung der gegenwärtig geplanten „Verteidigungsausgaben“ um 50 bis 80 Milliarden US-Dollar jährlich voraus. Eine Neuorientierung in diesem Umfang muss durch ein plausibles Feindbild begründet werden. Trump hat jedoch in seiner Rede in Philadelphia Russland und auch China nur ganz am Rande erwähnt. Als Hauptfeinde stellte er Iran und Nordkorea dar. Damit allein lässt sich aber nicht rechtfertigen, warum die Kriegsmarine der USA künftig angeblich 350 Schiffe und U-Boote statt derzeit 276 braucht oder warum die Zahl der aktiven Armeesoldaten von 479.000 auf 540.000 erhöht werden soll. Auch Trumps Forderungen nach einer massiven Verstärkung der Raketenabwehr – er wirft Obama deren „Vernachlässigung“ vor! – und nach einer „Modernisierung“ des US-Atomwaffenarsenals würden in der Luft hängen, wenn Russland künftig nicht mehr als Bedrohung Nummer 1, sondern als Partner wahrgenommen würde.
Allein die „Modernisierung“ der Atomwaffen könnte schon in den nächsten Jahren bis 2023 ungefähr 300 bis 350 Milliarden US-Dollar zusätzlich erfordern. Langfristig werden die dadurch in den nächsten dreißig Jahren entstehenden Kosten auf eine Billion US-Dollar geschätzt. (10)
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Aus russischer Sicht würde Trump damit, sofern er an den bisher von ihm befürworteten Plänen festhält, ähnlich wie Ronald Reagan in den 1980er Jahren eine neue Dimension des Wettrüstens erzwingen. Es verwundert nicht, dass die Begeisterung für den exzentrischen Milliardär, die anfangs in russischen Führungskreisen vorzuherrschen schien, inzwischen einer deutlich nüchterneren und skeptischeren Betrachtungsweise gewichen ist.
Anmerkungen
(1) Transkript seiner Rede in „The Hill, 7.9.2016
(2) AP, 14.12.2016
(3) Guardian, 8.10.2016
(4) New York Times, 30.8.2011
(5) Wall Street Journal, 10.12.2016
(6) New York Times, 12.12.2016
(7) Washington Post, 7.8.2013
(8) Transkript seiner Rede in „The Hill, 7.9.2016
(9) Luke Coffey: Trump should make NATO great again, 10.11.2016
(10) Reuters, 26.9.2016: Cost of modernizing U.S. nuclear weapons to fall to next president; SIPRI, 13.6.2016: Global nuclear weapons: downsizing but modernizing