Es gibt keine militärische Lösung für Afghanistan
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von NORMAN PAECH, 26. November 2007:
Operation Enduring Freedom und ISAF sind gescheitert
– In Afghanistan ist mit militärischen Mitteln kein Frieden erreichbar. In dem nunmehr seit sechs Jahren wütenden Krieg in Afghanistan haben weder die Operation Enduring Freedom (OEF) noch die International Security Assistance Force (ISAF) ihre Ziele der ‚Terrorismusbekämpfung’ beziehungsweise des ‚Wiederaufbaus’ und der ‚Herstellung von Sicherheit’ erreicht: Mit terroristischen Mitteln agierende Gruppen sind so stark wie nie zuvor und tagtäglich liefern sich diese Gruppierungen mit den internationalen Truppen blutige Kämpfe, zu deren Opfern in zunehmenden Maße auch Zivilisten und Zivilistinnen zählen. Statt der Schaffung eines sicheren Umfeldes für den als zentrales Ziel proklamierten Wiederaufbau, deutet alles auf eine weitere Verschlechterung der Sicherheitslage hin. Der Wiederaufbau kommt, von einigen Vorzeigeprojekten abgesehen, nur sehr schleppend voran.
Die Regierung von Hamid Karzai hat es bisher nicht vermocht, den Einfluß ihrer Macht über die Grenzen Kabuls hinaus auszudehnen, eine Tatsache, die unmittelbar auf ihre Entstehungsgeschichte zurückzuführen ist, nachdem Karzai Anfang Dezember 2001 auf der Afghanistan-Konferenz in Deutschland auf dem Petersberg bei Bonn zum Präsidenten der Übergangsregierung ernannt wurde. Bei der Bevölkerung büßt Karzais Regierung zunehmend an Akzeptanz ein, da die geschaffenen staatlichen Institutionen weder physische Sicherheit noch ökonomische oder politische Teilhabe der Menschen garantieren können.
Die ausländischen Truppen werden zunehmend als Besatzer empfunden, die ihre eigenen Interessen verfolgen. Dabei wird von der afghanischen Bevölkerung nicht mehr zwischen der OEF und der ISAF unterschieden, nicht auch zuletzt deshalb, weil diese Trennung in der Praxis der Militäreinsätze inzwischen sukzessive aufgelöst worden ist. Die zivile Aufbauhilfe gerät vor diesem Hintergrund wortwörtlich „vermehrt unter Beschuß“ und auch in Zukunft muß mit hohen Opferzahlen auf allen Seiten gerechnet werden. Darüber hinaus stellt die Vermischung des heute völkerrechtswidrig geführten militärischen Kampfeinsatzes der OEF mit dem ISAF-Einsatz eine Uminterpretation des ISAF-Mandats dar, womit ISAF selbst zunehmend in deutliche Nähe zur Völkerrechtswidrigkeit gerät.
Das Fazit ist, daß die internationale Gemeinschaft in Afghanistan mit ihrer Strategie gescheitert ist. Deshalb ist eine sofortige und grundlegende Neuausrichtung der Afghanistanpolitik erforderlich, die der Zerstörung des Landes und seiner Menschen ein Ende setzt.
Die OEF ist gescheitert
► Die Zielsetzungen der OEF:
Der Auftrag der Operation Enduring Freedom, den der Deutsche Bundestag am 16. November 2001 beschloß, lautet: „Diese Operation hat zum Ziel, Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten.“ (1)
Seit dem 16. November 2001 beteiligt sich die Bundeswehr an der OEF. Am 15. November 2006 verlängerte der Deutsche Bundestag das Mandat zum fünften Mal und mandatierte 1.800 Soldaten. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt beteiligt sich Deutschland mit 300 Soldaten, einer Fregatte und zwei Bordhubschraubern an der OEF am Horn von Afrika. Eine Beteiligung an Einsätzen im Rahmen OEF in Afghanistan soll derzeit nicht stattfinden. Insgesamt sind zur Zeit 10.000 Soldaten und Soldatinnen unter der OEF im Einsatz.
Die sechste Verlängerung des Mandates der Bundeswehr durch den Deutschen Bundestag stand am 15. November auf der Tagesordnung. Die Bundestagsabgeordneten beschlossen mit großer Mehrheit eine Verlängerung des OEF-Mandats um weitere zwölf Monate. Die einzige Fraktion im Bundestag, die sich ausdrücklich für eine friedensorientierte zivile deutsche Außenpolitik einsetzt, ist die Fraktion DIE LINKE. Sie fordert die sofortige Beendigung des im Namen der Terrorismusbekämpfung geführten Kriegs in Afghanistan. Sie vertritt die Ansicht, daß es keine militärische Lösung für Afghanistan gibt und Frieden und Wiederaufbau nur mit politischen und zivilen Mitteln zu erreichen sind. Deshalb hat die Fraktion DIE LINKE. auch die Verlängerung der ISAF- und OEF-Bundeswehrmandate für den Krieg in Afghanistan geschlossen am 12. Oktober bzw. am 15 . November 2007 abgelehnt.
► Völkerrechtliche Grundlagen der OEF:
Der UN-Sicherheitsrat hat zu keinem Zeitpunkt der OEF ein Mandat erteilt, allerdings das Recht auf Selbstverteidigung nach Art. 51 UNO-Charta anerkannt. Am 2. Oktober 2001 beschloß der NATO-Rat, daß die Terrorangriffe als Angriffe auf alle Bündnispartner der NATO im Sinne der Beistandsverpflichtung des Art. 5 des Nordatlantikvertrages zu betrachten seien („Bündnisfall“). Der Zustand der Selbstverteidigung dauert allerdings nur so lange „bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“ (Art. 51 UN-Charta). Abgesehen davon, daß der Sicherheitsrat bereits am 28. September 2001 eine Resolution mit umfangreichen Empfehlungen zum Anti-Terror-Kampf verabschiedet hat, schuf er mit einer Resolution nach Kapitel VII der UNO-Charta am 20. Dezember 2001 das multinationale Kommando der International Security Assistance Force ISAF. Damit endete die Legitimation eigenständiger „Verteidigungsmaßnahmen“ der USA und ihrer Verbündeten.
Allerspätestens aber mit der Ausdehnung des ISAF-Einsatzes über Kabul hinaus auf ganz Afghanistan im Oktober 2003 (Resolution 1510/2003) hat die OEF ihre völkerrechtliche Grundlage vollends verloren. Die Tatsache, daß seitdem alle ISAF-Resolutionen bis hin zur jüngsten vom 19.September 2007 die ISAF zur Koordination mit der OEF auffordern und diese nicht in Frage stellen, bedeutet allerdings nicht, daß die OEF nunmehr auch über ein Mandat des Sicherheitsrats verfügt. Es bedeutet nur, daß der Sicherheitsrat offensichtlich die völkerrechtliche Legitimation der Selbstverteidigung auch im sechsten Jahr immer noch für gegeben hält. Diese Ansicht läßt sich allerdings nicht mit Artikel 51 der UNO-Charta vereinbaren, an den auch der Sicherheitsrat als politisches Gremium gebunden ist.
Bereits die Auftragsformulierung der OEF birgt die Gefahr einer hohen Zahl ziviler Opfer, da ‚Terroristen’ anders als Angehörige von Militärs meist nicht unmittelbar von der Zivilbevölkerung unterscheidbar sind. Die tatsächliche Praxis der Militäroperationen der OEF nimmt Opfer unter der Zivilbevölkerung billigend in Kauf und verstößt damit gegen die Genfer Abkommen von 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte, in dessen Zusatzprotokoll dem Schutz der Zivilbevölkerung absolute Priorität eingeräumt wird (Art 51, 43. I. Zusatzprotokoll von 1976). Erwiesen ist jetzt auch, daß die US-Truppen bei ihren Kampfeinsätzen Splitterbomben und uranhaltige Munition verwenden. Das sind Waffen, die zwar nicht ausdrücklich verboten sind, deren Wirkungen auf die Zivilbevölkerung jedoch gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen. Munition aus abgereichertem Uran – aus sogenanntem Depleted Uranium – hat unkontrollierbare radioaktive und toxikologische Wirkungen auf Menschen, auf Tiere und auf die Umwelt; Uran kann als radioaktiver Stoff zu nicht reparablen Schäden an der Erbsubstanz führen und als Schwermetall zu schwerwiegenden toxischen Vergiftungen.
► Situation der OEF in Afghanistan
Der ‚Krieg gegen den Terror’ der OEF hat das vorgebliche Ziel, den Terrorismus und Al-Qaida zu beseitigen, nicht erreicht, sondern – im Gegenteil – sowohl die Sicherheitslage in Afghanistan drastisch verschlechtert als auch die Terrorgefahr in den USA und Europa erhöht. Gezeigt haben dies nicht zuletzt die Anschläge in diversen europäischen Ländern. Es gibt weder Belege noch Indizien für die Annahme, daß der OEF-Einsatz Anschläge verhindert hat. Der „Abschreckungseffekt im Unterstützerumfeld terroristischer Gruppen und Einzeltäter“, mit dem die Bundesregierung in der Antwort auf die Kleine Anfrage (2) der Linksfraktion zum Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von OEF argumentiert, führt also eher zum Gegenteil.
Al-Qaida hat sich heute offenbar wieder gut erholt, nachdem sie angeblich im Jahr 2002 fast zerschlagen worden ist, und ist weiträumiger vernetzt denn je.
Ebenfalls hat die „Bekämpfung des harten Kerns terroristischer Kräfte in dieser Region (Afghanistan, der Verf.) durch die OEF“, mit dem der letzte Antrag der Bundesregierung vom 25.Oktober 2006 zur Verlängerung von OEF begründet wurde, es nicht erreicht, die „militanten Oppositionskräfte“ zu besiegen. Im Gegenteil, durch die offensiven Einsätze der Anti-Terror-Einheiten gibt es mittlerweile viele zivile Opfer, was dazu geführt hat, daß die Taliban und Al-Qaida weiteren Zulauf erhalten haben. Nur begründet dieses eskalierende Kriegsszenario in Afghanistan und Pakistan keine Verteidigungslage gem. Art. 51 UNO-Charta für die USA und die BRD.
Auch die ISAF ist gescheitert
► Zielsetzungen der ISAF
Laut Antrag der Bundesregierung hat auch noch im Jahre 2006 der „ISAF-Einsatz (…) unverändert das Ziel, Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit so zu unterstützen, daß sowohl die afghanischen Staatsorgane als auch das Personal der Vereinten Nationen und anderes internationales Zivilpersonal, insbesondere solches, das dem Wiederaufbau und humanitären Aufgaben nachgeht, in einem sicheren Umfeld arbeiten können.“ (3)
Die International Security Assistance Force (ISAF) wurde ursprünglich geschaffen, um die Afghanische Interimsverwaltung bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und Umgebung zu unterstützen. In den folgenden Jahren wurden die Zielsetzungen sukzessive geographisch und inhaltlich ausgeweitet. So erfolgte 2003 die Ausweitung des ISAF-Einsatzgebiets auf ganz Afghanistan. Dabei wurde die Truppenstärke von etwa 9 000 Soldaten um etwa 7 000 Soldaten auf insgesamt 16.000 erhöht.
Die Truppenstärke der ISAF wird derzeit mit 39.500 Soldatinnen und Soldaten angegeben. Die Bundeswehr ist zur Zeit mit knapp 3000 Soldaten und sechs RECCE-Tornados beteiligt. In dem aktuellen Antrag der Bundesregierung vom 19.September 2007 zur Mandatsverlängerung der ISAF heißt es in der Begründung des Antrags, daß die vorrangigen Ziele des Einsatzes Stabilisierung, Wiederaufbau und die Entwicklung Afghanistans blieben. Ferner wird formuliert, daß Afghanistan nicht erneut zum Rückzugs- und Regenerationsraum des internationalen Terrorismus werden dürfe.
► Völkerrechtliche Grundlagen der ISAF
Die 2001 durch die UN-Resolution 1386 geschaffene International Security Assistance Force (ISAF) basiert auf einem Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta. Zunächst nur für sechs Monate mandatiert, wurde der Einsatz damit begründet, daß „die Situation in Afghanistan eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ darstelle. In weiteren UN-Resolutionen (4) wurde diese Begründung bis heute wiederholt und die ISAF zur Unterstützung des Wiederaufbaus in Afghanistan regelmäßig neu mandatiert und sukzessive auf ganz Afghanistan ausgeweitet (z.B. UN-Resolution 1510). Die letzte UN-Resolution 1776 vom 19.09.2007 gibt der ISAF für weitere 12 Monate das Mandat.
► Situation der ISAF in Afghanistan
Die ISAF als „zivil-militärisches“ Engagement zur Absicherung und Stabilisierung des Friedensprozesses in Afghanistan ist gescheitert. Sie konnte erwartungsgemäß nicht zur Lösung der komplexen Probleme des Landes beitragen und ist vielmehr schon lange selbst Teil des Problems geworden.
Das zivil-militärische Konzept ist zum Scheitern verurteilt
Seit Mitte der 1990er Jahre gewinnt die Civil-Military Cooperation CIMIC in der Einsatzplanung der NATO-Streitkräfte zunehmend an Bedeutung. CIMIC steht für die Interaktion zwischen zivilen und militärischen Akteuren und für den Versuch, durch intensive Kontakte mit der Bevölkerung, durch kurzfristige humanitäre Hilfeleistungen und Wiederaufbauhilfe die Akzeptanz der Truppen vor Ort zu stärken und damit die Gefahr von Anschlägen auf die Streitkräfte zu verringern. Dieser Ansatz steht im Widerspruch zu den Grundsätzen internationaler humanitärer Hilfe: Das Militär hat einen politischen Auftrag und ist nicht neutral und wird auch nicht als neutral wahrgenommen. Aktivitäten der Streitkräfte sind unvereinbar mit den Prinzipien Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit, die das Fundament jeglicher humanitären und zivilen Hilfe sind. Zudem sind Soldaten in der Regel nicht ausreichend qualifiziert, um zivile Projekte in krisen- und kriegserschütterten Ländern kompetent durchzuführen.
In Afghanistan sind die negativen Konsequenzen des im ISAF-Mandat angelegten zivil-militärischen Ansatzes deutlich erkennbar (5). Aufgrund der engen Anbindung humanitärer und ziviler Organisationen an die militärischen Strukturen (Bereitstellung von Infrastruktur, Vermittlungstätigkeiten, Bereitstellung von Geldern) sind diese Organisationen für die Bevölkerung häufig nicht mehr eindeutig von den militärischen Einheiten zu unterscheiden. Zivile Akteure büßen somit Anerkennung und ihre Neutralität ein und werden selbst zum Ziel von Anschlägen. Zahlreiche Hilfsorganisationen haben deshalb ihre Arbeit nicht mehr oder nur noch stark eingeschränkt weiterführen können oder sich aus Afghanistan zurückziehen müssen.
Sogenannte Provincial Recontruction Teams (PRTs) werden in ihrer Bedeutung überschätzt, da die Einführung von PRTs zur Sicherheit und Stabilisierung in Afghanistan ebenfalls so gut wie nichts beigetragen hat. Die Ausgaben für die zivile und militärische Komponente sind auch hier einseitig zugunsten des Militärs verteilt (z.B. beim PRT Kundus in 2004 im Verhältnis 1:5). Es gibt bisher keine Analysen, die den Erfolg, der den PRTs immer wieder unterstellt wird, untermauern.
Die Vermischung von ISAF- und OEF-Auftrag
Daß die ISAF immer weniger in der Lage ist, für Sicherheit zu sorgen, läßt sich unter anderem auf die sukzessive Veränderung der Mandatsinterpretation zurückführen.
Seit Oktober 2003 ist die ISAF formal für die Unterstützung der afghanischen Regierung in Gesamt-Afghanistan zuständig. Nachdem die NATO bereits im August des gleichen Jahres die Führung der ISAF -Mission übernommen hatte, begann sukzessive die Ausweitung der militärischen Kontrolle durch Aufstellung der ersten Regionalkommandos im Norden und Westen sowie dem Einsatz weiterer Provincial Recontruction Teams (PRTs). Mit der Übernahme des Kommandos über die US-amerikanischen OEF-Soldaten im Osten Afghanistans am 5. Oktober 2006 wurde auch de facto die Zuständigkeit von ISAF über das ganze Land hergestellt. Im Zuge dessen wurde die enge Verbindung zwischen ISAF und OEF-Antiterror-Einsatz erheblich verstärkt. ISAF übernahm in Teilen die Rolle, Vorgehensweise und Aufgaben der OEF, so auch die aktive Bekämpfung von Aufständischen. Ferner gewährten sich beide Militäroperationen immer häufiger bei Bedarf gegenseitig Luftnahunterstützung.
Auch die neue Kommandostruktur des ISAF-Headquarters spiegelt die Vermischung der Mandate wider: Der Kommandeur der OEF-Truppen in Afghanistan ist zugleich Chef des Regionalkommandos Ost der ISAF. Der gesamte Flugbetrieb über Afghanistan wird von der US-Base in Katar koordiniert. Für internationale Beobachter ist „Die scheinbar eindeutige Trennung (…) in eine sicherheitsschaffende und terrorismusbekämpfende Operation (…) sachlich länger nicht aufrechtzuerhalten.“ (6)
ISAF mutiert so von der ursprünglich vorgesehenen ‚Schutztruppe’ immer mehr zur Kampftruppe und hat dazu beigetragen, die Sicherheitslage im Süden und Osten weiter zu destabilisieren. Mittlerweile ist allerdings auch eine Verschlechterung der Sicherheitslage im relativ ruhigen Norden zu beobachten. ISAF ist zunehmend (mit-) verantwortlich für die steigende Zahl von zivilen Opfern. Insgesamt wird für das Jahr 2006 von 4000 Toten ausgegangen, darunter seien mindestens 1000 Zivilisten. (7) Laut einer Meldung des ARD-Korrespondenten Heinzle gehen die toten Zivilisten, Soldaten und Talibankämpfer überwiegend auf Kämpfe mit ISAF-Beteiligung zurück. Im Oktober 2007 sind laut Meldungen der Presseagenturen bereits 5000 Tote zu beklagen. (8)
In Abgrenzung zur OEF bezeichnet sich die ISAF nach wie vor als Friedenseinsatz beziehungsweise als Stabilisierungsmission. Die Bundesregierung betont immer wieder, daß die rechtliche und operative Trennung zwischen der ISAF und der OEF unverändert fortbestünde. Während das ISAF-Mandat zwar die Terrorismusbekämpfung ausschließt, erlaubt es aber explizit die Bekämpfung sog. ‚Aufständischer’, unter die gemäß des deutschen UN-Sondergesandten für Afghanistan Tom Koenigs auch der Widerstand gegen die Anwesenheit ausländischer Truppen gehört. Spätestens seit der Süd- und Ostausweitung kämpfen die beiden Truppen Hand in Hand, die einen gegen ‚Aufständische’ (ISAF), die andere gegen ‚Terroristen’.
ISAF ist gescheitert, ein sicheres Umfeld für den Wiederaufbau in Afghanistan zu schaffen
Entgegen der zentralen Zielsetzung, durch die ISAF ein „sicheres Umfeld“ für den Wiederaufbau zu schaffen, hat sich der Krieg ausgeweitet und die Sicherheitssituation im Land dramatisch verschlechtert.
Die Zahl der Selbstmordanschläge, Attentate und militärischen Angriffe durch Talibankämpfer und andere bewaffnete Gruppen ist in den letzten zwei Jahren erheblich gestiegen. Nachdem im Sommer 2006 die NATO-Truppen mit der Operation Medusa ihren Einsatz auch auf die umkämpften Teile Süd- und Ostafghanistans ausgeweitet haben, sind die Auseinandersetzungen eskaliert. Die ISAF ist seitdem im ganzen Land an massiven Militäroperationen, insbesondere auch an Luftangriffen, direkt beteiligt.
Von 2005 auf 2006 hat sich die Zahl der Selbstmordattentate fast verfünffacht (von 27 auf 139), die der Bombenanschläge verdoppelt (von 783 auf 1677) und die direkten Angriffe auf die westlichen Truppen haben sich nahezu verdreifacht (von 1588 auf 4542). (9) Es ist davon auszugehen, daß sich die Angriffe auf die ISAF in 2007 noch weiter intensiviert haben, da selbst die Bundesregierung in ihrer Antwort vom August 2007 auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. einen „Anstieg sicherheitsrelevanter Zwischenfälle“ feststellt
Die ISAF steht dem Aufbau effektiver und demokratischer staatlicher Strukturen entgegen
Entgegen der Propaganda der Bundesregierung ist die Entwicklung effektiver und demokratischer staatlicher Strukturen nach sechs Jahren ‚Engagement’ ausgeblieben. Zwar gibt es jetzt ein Parlament und eine gewählte Regierung, aber die Autorität der Regierung Hamid Karzais reichte von Anfang an kaum über Kabul hinaus („Bürgermeister von Kabul“). Der Machtverfall hält ungebrochen an und die Unterstützung der Regierung durch die eigene Bevölkerung geht zunehmend verloren.
Hieran trägt auch die Internationale Gemeinschaft maßgeblich eine Mitverantwortung, weil sie zum einen die in Afghanistan durchaus vorhandenen demokratischen Kräfte nicht zur Petersberger Konferenz einlud und zum anderen Hamid Karzai als Kandidaten massiv unterstützte. Seine von ihm gebildete Regierung ist zwar formal demokratisch legitimiert, er wird aber von den Afghanen mehrheitlich als Vasall der Internationalen Gemeinschaft betrachtet.
Auch ist es mittlerweile ein offenes Geheimnis, daß der gesamte neue Regierungsapparat und das Parlament tief in Korruptionen verstrickt sind. Alte Kriegsfürsten und Drogenbarone haben Sitze im Parlament erhalten (z.B. Quasim Fahim, Mohammed Ismael Chan) und in den meisten Regionen haben sie ihren Einfluß und ihre informelle Kontrolle verstärken können. Den Kriegsmilizen, der Drogenmafia und den Mujaheddin werden von hier aus den Rücken freigehalten. Karzais Patronage-System, das dieser unter den Augen der internationalen Gemeinschaft erschaffen konnte, konterkariert den Aufbau demokratischer staatlicher Institutionen fundamental. Die Verabschiedung des Amnestiegesetzes für Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen in den beiden Kammern des Parlaments und seine Unterstützung durch Karzai machen unmißverständlich deutlich, das die Macht der regionalen Kriegsherren ungebrochen ist. Die Aufstellung einer Auxiliary National Afghan Police (ANAP) im Süden und Osten Afghanistans, deren Personal sich aus lokalen Milizen rekrutiert und nicht direkt der Polizei untersteht, droht das staatliche Gewaltmonopol weiter zu schwächen. Der Entwaffnungsprozeß der illegal bewaffneten Gruppen (Disbandment of Illegal Armed Groups DIAG) wird nur zaghaft umgesetzt.
Von Anfang an war im Falle Afghanistans nicht die Herstellung von Souveränität und Selbstbestimmung der afghanischen Bevölkerung das zentrale Interesse der Interventionen. Der Krieg in Afghanistan ist in die „Greater Middle East-Strategie“ der USA eingebettet und auf machtpolitische, geostrategische und energiepolitische Interessen zurückzuführen. Es geht um die Sicherung von Stützpunkten, Rohstoffquellen sowie Transportwegen in Zentralasien und es steht zu befürchten, daß sich dieser Krieg weiter ausdehnen wird. Die Kriegsdrohungen gegen Iran sind mittlerweile so deutlich wie nie zuvor.
Vieles spricht für die These, daß sie aus strategischen Gründen Afghanistan neben Irak zu einem Hauptstützpunkt im Mittleren Osten machen wollen. Der für die Besetzung des Irak mitverantwortliche australische Außenminister Alexander Downer geht sogar von einem „langfristigem Engagement“ in diesen beiden Ländern aus. (10)
Das Konzept, ein Land durch massive militärische und politische Besatzung zur Demokratisierung zu verhelfen und die Chance zum „nation-building“ zu geben, ist ein koloniales Konzept und endet in einem Protektorat, nicht aber in einem unabhängigen, wirklich demokratischen Staat.
Die ISAF und die Situation der Frauen in Afghanistan
Die ISAF hat nicht dazu beitragen können, die Situation von Frauen zu verbessern. Der gegen die Taliban geführte Krieg wurde insbesondere in der deutschen Öffentlichkeit durch die Aussicht auf eine Befreiung afghanischer Frauen von deren Unterdrückung legitimiert. Zwar sind Frauen und Männer verfassungsrechtlich jetzt gleichgestellt, leider wird aber noch keine Gleichstellung praktiziert. Ähnlich verhält es sich mit dem verhältnismäßig hohen Anteil von Frauen im Parlament. Demokratische Kräfte wie beispielsweise Malalai Dschoja (englisch: Joya) (11) beschreiben, daß Parlamentarierinnen vor den Wahlen insbesondere von fundamentalistischen Strömungen in den Wahlkampf einbezogen wurden, um die Frauenquote zu verbessern. M. Dschoja hat uns detailliert darüber berichtet, daß sich für die meisten Frauen ihre reale Lebenssituation nicht wirklich verbessert hat. Eine fortdauernde militärische Besetzung hat zur Folge, daß Frauen und Mädchen verstärkt (nicht nur) häuslicher psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind. Von 3674 Frauen aus Kabul, die für eine Studie der Caritas International 2003 im Hinblick auf ihre Lebenssituation und die ihrer Familien interviewt wurden, waren 91% des Lesens und Schreibens unkundig. (12) Die Mütter-Sterblichkeit ist nach wie vor eine der höchsten in der Welt. Auch nach Einschätzung der afghanischen Frauenministerin Dr. Massouda Jallal hat sich in weiten Teilen des Landes die Lage von Frauen deutlich verschlechtert. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage tragen Frauen wieder vermehrt die Burka. Alle diese Entwicklungen werden durch den ISAF-Einsatz eher befördert, da ISAF-Truppen auch mit Kriegsfürsten zusammenarbeiten, deren Umgang mit Frauen sich wenig von denen der Taliban unterscheidet. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kommt zu dem Schluß, daß Frauenrechte in Afghanistan von den truppenstellenden Regierungen nur noch nachrangig behandelt werden.
Afghanistan und sein neues neoliberales Wirtschaftmodell
Zu einem effektiven und demokratischen Staat gehört auch die Sicherstellung einer eigenständigen ökonomischen Entwicklung, die den Menschen eine Lebensgrundlage verschafft. Die Bundesregierung führt an, daß in Afghanistan ein „beträchtliches Wirtschaftswachstum“ zu verzeichnen sei: Seit 2001 stiegen die Exporte um 10 – 30 % jährlich an. 2005 habe Afghanistan Waren im Wert von 570 Millionen ausgeführt (vor allem Teppiche und Trockenfrüchte). Dabei wird allerdings verschwiegen, daß 90 % der Waren auf dem afghanischen Markt aus Importen bestehen. Die Zoll- und Steuereinnahmen des afghanischen Staates im Haushaltsjahr 2004/2005 betrugen mit ca. 200 Millionen US-Dollar nur 4,5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und praktisch alle investiven Staatsausgaben werden derzeit durch die internationale Geber-Gemeinschaft finanziert.
In Afghanistan wird eine ‚offene’ Wirtschaft implementiert. Die Wirtschaftsreformen des Landes, (z.B. durch Einführung sogenannter Investitionsschutzabkommen) sind alle davon gekennzeichnet, daß sie einem extrem neoliberalen Modell folgen. So beschreibt die Bundesagentur für Außenwirtschaft in ihrem Jahreswirtschaftsbericht zu Afghanistan für 2004/2005 die ökonomische Struktur so: Das Land, „ kann als eine der offensten Volkswirtschaften überhaupt, auf jeden Fall aber als die offenste Volkswirtschaft der Region bezeichnet werden. Handelsbeschränkungen und Subventionen sind praktisch nicht existent, und die afghanische Regierung zeigt sich sehr aufgeschlossen für Investitionen im Land.“ (13) Daß der Aufbau solch eines Wirtschaftssystems und die damit einhergehende langfristige Besetzung zentraler Teil-Ökonomien der Volkswirtschaft durch Ausländer von den Afghaninnen und Afghanen selbst tatsächlich so gewollt wird, ist zu bezweifeln.
Nach wie vor sind 70% der Afghaninnen und Afghanen chronischem Nahrungsmangel ausgesetzt, vor allem im Süden des Landes. Ein Viertel der Menschen haben keinen Zugang zu Trinkwasser. Die humanitäre Lage hat sich mit der Ausweitung der Kämpfe drastisch verschlechtert, auf dem Land ist die Grundversorgung nicht mehr gewährleistet.
Eines der grundlegendsten Probleme in diesem Zusammenhang ist, daß 80 % der afghanischen Wirtschaft mit der Schlafmohn-Produktion verknüpft sind und schätzungsweise 13 % der Gesamtbevölkerung (2006) im Drogenanbau beschäftigt sind. Nach Angaben des United Nations Office on Drugs and Crime ist die Anbaufläche für Schlafmohn in Afghanistan in den letzten Jahren dramatisch angestiegen, allein zwischen 2005 und 2006 um 59 Prozent. In Afghanistan findet 92% der gesamten Weltproduktion von Opium statt. Solange keine ökonomischen Alternativen und legale Erwerbsquellen existieren, werden die Afghanen und Afghaninnen zum Überleben ihrer Familien weiterhin den illegalen Anbau von Schlafmohn für die Opium-Produktion betreiben.
Katalog der wichtigsten friedensfördernden Maßnahmen für Afghanistan
- Sofortiger Abzug aller ausländischen Truppen. Das neueste Konzept zivil-militärischer Sicherung behindert den zivilen Wiederaufbau und ist Teil des Sicherheitsproblems.
- Wiederherstellung der Souveränität und des Selbstbestimmungsrechts der Afghaninnen und Afghanen. Dazu gehört auch der Verzicht auf Fremdbestimmung des politischen und ökonomischen Systems.
- Wiederaufbau der durch den Krieg zerstörten Infrastruktur und Wiederaufnahme der Entwicklungshilfeprojekte.
- Aufnahme eines innerafghanischen Dialoges mit allen gesellschaftlichen Kräften.
- Einführung eines Programms zur Durchsetzung der Resolution 1325 (2000): Systematische und umfassende Beteiligung von Frauen bei der Förderung von Frieden und Sicherheit, bei der Beendigung des Krieges sowie der Bewältigung der Kriegsfolgen
- Internationale Hilfe bei der nichtmilitärischen Drogenbekämpfung und der Etablierung alternativer „Roh-Opium“-Märkte.Objektive Auswertung des gesamten ISAF-Einsatzes. Vorlage einer Evaluation des Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen von ISAF durch die Bundesregierung.
(1) Feststellung des Bündnisfalls zur Abwehr des internationalen Terrorismus,
Operation ‚Enduring Freedom’ http://www.deutsches-wehrrecht.de/WR-AktuelleMeldungen_Text_02.html
(2) http://dip.bundestag.de/btd/16/035/1603574.pdf
(4) vergleiche auch: Resolution 1707 des UN-Sicherheitsrats vom 12.9.2006
(5) http://aachener-friedenspreis.de/aktuell/enk2-EA-Afghanistan.pdf
(6) http://www.swp-berlin.org/de/common/get_document.php?asset_id=4212
(7) http://www.focus.de/politik/ausland/internetbotschaft_aid_57592.html
(8) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,509253,00.html
(10) http://www.foreignminister.gov.au/speeches/2006/060516_national_international_security.html
(11) http://zmag.de/artikel/die-usa-haben-den-fundamentalismus-nach-afghanistan-zuruckgebracht
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/22/22078/1.html
(12) http://www.caritas-international.de/8586.html
http://www.asyl.net/Laenderinfo/Afghanistan/afghanistan_lage.pdf
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