Weltpolitik

Epidemie-Ursache Armut

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

1410499308

Der Grund für die rasche Ausbreitung des Ebola-Virus ist die katastrophale Gesundheitsversorgung in Liberia. Hilfsappellen wird nur zögerlich nachgekommen –

Von SIMON LOIDL, 12. September 2014 – 

Es war einer von vielen dramatischen Appelle seit Ausbruch der Ebola-Seuche in Westafrika im Frühjahr dieses Jahres. „Liberia ist mit einer Bedrohung seiner nationalen Existenz konfrontiert“, sagte Brownie Samukai, Verteidigungsminister des Landes, am Dienstag bei einem Treffen des Sicherheitsrates des Vereinten Nationen. Die Krankheit würde sich „wie ein Lauffeuer verbreiten und auf seinem Weg alles verschlingen“, so Samukai. (1) Bereits zuvor sprach der Präsident Guineas, Alpha Conde, davon, dass sein Land einen „Krieg“ führe.

Die letzten von der WHO veröffentlichten Zahlen beziffern 2.296 Todesfälle bei insgesamt 4.293 Ebola-Infektionen in Liberia, Sierra Leone, Guinea und Nigeria. Mehr als tausend Todesfälle waren in Liberia zu beklagen. Etwa die Hälfte der Patienten steckte sich in den drei Wochen vor der Veröffentlichung dieser Zahlen am 6. September an. Neben den genannten Ländern gibt es derzeit im Senegal einen Fall. In der Demokratischen Republik Kongo starben bereits mehr als dreißig Menschen an Ebola, jedoch werden diese Fälle als eigenständiger Ausbruch der Krankheit gesehen, der mit der Epidemie in Westafrika nichts zu tun hat. (2) Zu den offiziellen Zahlen für die am stärksten betroffenen Länder kommt laut WHO noch eine hohe Dunkelziffer. Zudem rechnet die Organisation mit Tausenden neuen Fällen in den nächsten Wochen, wie es in einem Anfang der Woche veröffentlichten Bericht heißt. (3)

Mangel an medizinischer Ausrüstung

Die Situation in Liberia ist bereits außer Kontrolle geraten. Hauptursache ist die schlechte Gesundheitsversorgung des Landes, die nicht nur die Weiterverbreitung der Krankheit begünstigt, sondern die grundlegende Versorgung bereits Infizierter verunmöglicht. Deshalb ist die Todesrate bei Ebola-Infektionen in Liberia mit 58 Prozent auch höher als in anderen betroffenen Gebieten, wo sie teilweise unter 50 Prozent liegt. Bereits bei Ausbruch der Seuche gab es in Liberia viel zu wenige Ärzte – laut WHO kam auf 100.000 Menschen nur ein Arzt. Mittlerweile sind bereits mehr als 150 Beschäftigte im Gesundheitswesen an Ebola erkrankt, um die 80 von ihnen starben – angesichts der medizinischen Unterversorgung Liberias ist dies für den Kampf gegen die Seuche katastrophal. „Sobald eine neue Einrichtung zur Behandlung von Ebola geöffnet wird, ist diese sofort mit Patienten überfüllt“, heißt es in dem WHO-Bericht. So seien in einer improvisierten Einrichtung für 30 Patienten bei der Eröffnung bereits 70 Erkrankte gewesen. Krankenhäuser in ländlichen Gegenden wiederum, die keinerlei Ausstattung für die Ebola-Behandlung haben, schicken Patienten wieder nach Hause, um das Virus nicht in die Einrichtungen gelangen zu lassen. Dies berichtete eine Mitarbeitern der UN-Kinderhilfsorganisation UNICEF. (4)

Alle Experten sind sich einig, dass nur durch eine massive Aufstockung mit medizinischen Hilfsgütern und Personal die Krankheit eingedämmt werden kann. Das betrifft auch die während der vergangenen Tage aufgetauchte Diskussion über Mutationen des Virus. Die Tatsache, dass zahlreiche Veränderungen des Virus seit dem aktuellen Ausbruch beobachtet worden seien, provozierte weitere alarmistische Meldungen. Doch auch Wissenschaftler sprechen davon, dass die Ursachen für die rasche Ausbreitung weniger an der Krankheit selber liegen. „Es sind die Umstände, die diesen Ausbruch so dramatisch machen“, sagte etwa der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit in einem Interview mit der Deutschen Welle. Der Mangel an Krankenbetten, Isolierstationen und zu wenig Erfahrung mit dem Virus sind Ursache dafür, dass Liberia die Seuche nicht in den Griff bekommt, nicht etwa die Mutationen. (5)

Die politischen Maßnahmen während der vergangenen Wochen begünstigten häufig irrationale Verhaltensweisen. Vor allem die Abriegelung eines ganzen Stadtviertels in Monrovia, der Hauptstadt Liberias, trug nichts zur Eindämmung der Seuche bei. Die Versorgung in dem Armenviertel brach zusammen, es kam zu empörten Demonstrationen der Betroffenen. Ende August wurde die Maßnahme aufgehoben, der Effekt war letztlich nur eine weitere Verunsicherung der Menschen. Ellen Johnson Sirleaf, Präsidentin von Liberia, rief nach Aufhebung der Stadtteil-Quarantäne Anfang September öffentliche Bedienstete, deren Tätigkeit nicht essentiell für die Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens sei, auf, weiterhin zu Hause zu bleiben. Auch die Schulen in Liberia bleiben geschlossen, möglicherweise bis zum nächsten Jahr. (6)

Liberia geschlossen

Große Teile des öffentlichen Lebens Liberias stehen somit derzeit still. Die mittelfristigen Auswirkungen davon sind kaum abzuschätzen, aber die Warnungen afrikanischer Politiker und Wissenschaftler vor einem Zusammenbruch der westafrikanischen Ökonomien sind sicher nicht unberechtigt. Bei einem Krisentreffen der Afrikanischen Union (AU) in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba am 8. September appellierte die Organisation an ihre Mitglieder, die Reisebeschränkungen für die von Ebola betroffenen Länder aufzuheben. (7) Stattdessen müssten alle Richtlinien der WHO und der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation eingehalten werden, um eine Weiterverbreitung des Virus durch Reisende zu unterbinden.

Die AU-Kommissionsvorsitzende Nkosazana Dlamini Zuma appellierte an die Mitgliedsstaaten, keine Maßnahmen mehr zu treffen, die eine größeren negativen sozialen und ökonomischen Effekt als die Krankheit selbst haben könnten. Liberias Außenminister Augustine Kpehe Ngafuan sprach bei dem Treffen davon, dass irrationale Beschränkungen lediglich zu weiterer Hysterie und Paranoia bei der Bevölkerung führen könnten, was wiederum eine effektive Bekämpfung von Ebola beeinträchtigen würde. (8) Der Politiker spielte auf zahlreiche Berichte an, wonach viele Menschen in den betroffenen Ländern die Krankheit mit Zauberei in Verbindung bringen. So waren in Nigeria etwa Empfehlungen wie der Genuss von Salzwasser oder gekochten Erdnüssen als Mittel gegen Ebola im Umlauf. (9) Die Reaktionen einiger Staaten könnten dazu führen, dass auf künftige Krisen von Beginn an mit irrationalen Mitteln reagiert wird, so Außenminister Ngafuan. Dies würde eintreten, wenn nicht sofort alle Restriktionen aufgehoben würden, die lediglich ein Schlag gegen die afrikanische Solidarität und Integration wären, aber keinen positiven Effekt in der gegenwärtigen Krise hätten. (10)

Anfang September haben sich mehrere afrikanische Prominente mit einem Schreiben zur Ebola-Krise an die Öffentlichkeit gewandt. In dem auf der Nachrichtenseite allafrica.com zuerst publizierten offenen Brief sprachen sich der ehemalige nigerianische Präsident Olusegun Obasanjo oder der senegalesische Sänger Youssou N‘Dour gegen die Quarantäne-Politik aus. Auch sie wiesen darauf hin, dass Embargos und Reiseverbote nicht zuletzt auch die medizinische Versorgung und Lebensmitteltransporte beeinträchtigen. Afrikanische Politiker und die internationale Gemeinschaft forderten die Erstunterzeichner des Briefes auf, die WHO-Empfehlungen zu befolgen. Personen des öffentlichen Lebens in Afrika, wie Künstler, Sportler oder Wissenschaftler müssten nun Aufklärungskampagnen initiieren. Denn nach wie vor sei es ein grundlegendes Problem, dass viele Menschen zu wenig Wissen über Ansteckung und Verlauf der Krankheit haben. (11)

Globale Ungleichheit

Der Verlauf der Ebola-Seuche in Liberia, Guinea und Sierra Leone macht erneut deutlich, dass die Verbreitung derartiger Krankheiten auch Ausdruck der globalen ökonomischen Ungleichheiten sind. Denn auch wenn es immer noch keine Therapie für die Krankheit gibt, so könnte sie durch relativ simple Präventionsmaßnahmen eingedämmt werden. Die westafrikanischen Staaten scheitern zusammengefasst daran, dass sie nicht ausreichend Schutzkleidung und Isolierstationen für Patienten zur Verfügung haben. „Wäre die Ebola-Epidemie in Washington, New York oder Boston ausgebrochen“, so der Präsident der Weltbank, Jim Yong Kim, und der Harvard-Professor Paul Farmer in einem Kommentar für die Washington Post Ende August, „dann hätten die existierenden Gesundheitssysteme die Krankheit zweifellos eindämmen und beenden können“. (12) Denn immerhin wird Ebola nur durch direkten physischen Kontakt mit infizierten Körperflüssigkeiten und nicht, wie etwa Tuberkulose, über die Luft übertragen.

Die Krise sei ein „Abbild seit Langem bestehender und wachsender Ungleichheiten beim Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung“, so Kim und Farmer, beides Ärzte und Gründer der Organisation „Partners in Health“. Wie so viele andere fordern die beiden internationale Organisationen und reiche Länder auf, Ressourcen und Wissen zur Verfügung zu stellen und zusammen mit den Regierungen westafrikanischer Länder die Empfehlungen der WHO zur Bekämpfung der Seuche umzusetzen.

Doch wie so oft bei derartigen Krisen, scheint es für den globalen Norden ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, ein paar Millionen Dollar für Sofortmaßnahmen locker zu machen. Anfang September wandte sich UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon mit einem „internationalen Notruf“ an die Öffentlichkeit. Eine Gesundheits-Notsituation habe sich zu einer „sozialen und wirtschaftlichen Herausforderung“ für Millionen Menschen entwickelt, so Ban. Er forderte die internationale Gemeinschaft auf, die von der WHO genannte Summe von 600 Millionen Dollar aufzubringen. Die Europäische Union stockte daraufhin ihre Unterstützung immerhin auf 144 Millionen Euro auf.(13)

Das ist angesichts der Dramatik der Situation immer noch eine vergleichsweise geringe Summe, vor allem aber sind bisher nur wenige Mittel tatsächlich in die betroffenen Länder geflossen. Die nunmehr offenbar relativ erfolgreiche Entwicklung wirksamer Impfstoffe schließlich ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Krankheit besiegt werden könnte – und möglicherweise schon viel früher hätte besiegt werden können. Das Mittel ZMapp wurde bereits getestet (14), weitere Wirkstoffe befinden sich ebenfalls in dieser Phase. (15) Dass die Pharmaforschung hier noch nicht weiter ist als es offenbar möglich wäre, ist Ausdruck dessen, dass nur in profitversprechende Bereiche investiert wird. Die Ebola-Epidemie scheint im Laufe dieses Sommers weit genug fortgeschritten zu sein, um die Entwicklung neuer Impfstoffe für die Pharmaindustrie profitabel erscheinen zu lassen.


 

via PayPal

Guter Journalismus ist teuer. Sie können Hintergrund unterstützen.

Entweder auf unserem Hintergrund-Spendenkonto
IBAN: DE51 4306 0967 1103 6594 01
BIC: GENODEM1GLS
GLS Gemeinschaftsbank
oder via Paypal

 

 

{simplepopup name=”Hintergrund2014″}
Durch das Schließen dieser Einblendung kommen
Sie kostenlos zum Artikel zurück.

 Aber:
Guter Journalismus ist teuer. Das Magazin Hintergrund
ist konzernunabhängig und werbefrei. Die Online-Artikel
sind kostenlos. Damit das so bleiben kann, bitten wir um
eine Spende. Entweder auf unser Spendenkonto
 
Hintergrund
IBAN: DE51 4306 0967 1103 6594 01
BIC: GENODEM1GLS
GLS Gemeinschaftsbank
 
oder via Paypal

Hier können Sie ein Abo für die
Print-Ausgabe bestellen.

Vielen Dank
{/simplepopup}

Abo oder Einzelheft hier bestellen

Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.

Hintergrund abonnieren

Anmerkungen

1 Guardian, 10.9.2014
2 Guardian, 10.9.2014
3 http://www.who.int/csr/don/2014_09_04_ebola/en/
4 http://www.bbc.com/news/world-africa-29147797
5 http://www.dw.de/das-ebola-virus-mutiert-mit-unbekannten-folgen/a-17912760
6 http://www.bbc.com/news/world-africa-29147797
7 http://thenewslib.com/news/highlights/1062-au-requests-lifting-of-ebola-travel-bans
8 http://thenewslib.com/news/highlights/1062-au-requests-lifting-of-ebola-travel-bans
9 Neue Zürcher Zeitung, 25.8.2014
10 http://thenewslib.com/news/highlights/1062-au-requests-lifting-of-ebola-travel-bans
11 http://allafrica.com/stories/201408310074.html
12 Washington Post, 31.8.2014
13 Handelsblatt, 5.9.2014
14 Focus online, 6.9.2014
15 Neue Zürcher Zeitung, 9.9.2014

Newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Der Hintergrund-Newsletter

Wir informieren künftig einmal in der Woche über neue Beiträge.

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Drucken

Drucken

Teilen

Voriger Artikel Weltpolitik Nichts dringlicher als Frieden
Nächster Artikel Weltpolitik Der Mann des Westens und die Neonazis