Eine Weltmacht vor dem Ende?
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Chronologie eines Niedergangs.
Von REGINE NAECKEL, 26. September 2008:
Die USA sind offensichtlich am Ende. Finanzwirtschaftlich scheint kaum mehr eine Rettung möglich, die politische Schieflage könnte der wirtschaftlichen folgen. 10 Tausend Euro müsste jede amerikanische Familie aufbringen, würde das 700-Milliarden- Rettungspaket vom US-amerikanischen Finanzminister durchgesetzt. Das zumindest hat der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter ausgerechnet.
Doch reicht diese Summe überhaupt aus? Selbst Analysten der Deutschen Bank zweifeln daran. In einer „Überschlagsrechnung“ summiert Michael Mayo die Größe der wackeligen Fonds mit 5000 Milliarden US Dollar. „Da werden auf jeden Fall Lücken klaffen. Nicht alle Wertpapiere werden abgedeckt werden“, zitiert ihn impulse.de.
Das am Donnerstagabend bekannt gewordene Ende der Washington Mutual ist nur ein weiteres Glied einer Kette, die in den nächsten Tagen und Wochen immer brüchiger wird. Bislang noch gar nicht in die Betrachtungen des Rettungsteams aus dem Weißen Haus einbezogen wurde der 58000 Milliarden Dollar schwere Derivate-Markt, den die Bank für internationalen Zahlungsausgleich errechnet hat.
Trotz staatlicher Intervention: Bankencrashs in Folge
Als Notrettung bezeichnete die US-Sparkassenaufsicht OTS (Office of Thrift Supervision), was eigentlich ein Totalbankrott ist: Sparer hatten seit dem 15. September Einlagen in Höhe von 16,7 Milliarden Dollar bei der Washington Mutual abgehoben, das Institut war daraufhin praktisch zahlungsunfähig geworden. Es habe – so die OTS – nicht über ausreichend Liquidität verfügt, um seinen Verpflichtungen nachzukommen.
Am Donnerstag, dem 25. September, kaufte die US-Bank JPMorgan Chase & Co die restlichen Einlagen in Höhe von 188 Milliarden zum Preis von 1,9 Milliarden Dollar, die faulen Kredite beließ man in dem Institut. Ein Riesenschnäppchen für JPMorgan.
Sheila Bair, Chefin des US-Einlagensicherungsfonds FDIC (Federal Deposit Insurance Corporation) erklärte laut CNNMoney, der Einlagensicherungsfonds habe schnell einen Käufer für Washington Mutual finden müssen, um durch Medienberichte verängstigte Kunden zu beruhigen.
Anschließend stürzte der Kurs für die größte US-amerikanische Bausparkasse ins Bodenlose, eine riesige Menge schlechter Kredite war alles, was von der „WaMu“ bleibt.
Das Geschäft war von US-Behörden in die Wege geleitet worden. Sie schlossen kurzerhand die Washington Mutual und verkauften die Vermögenswerte der Bausparkasse. Die Regierung erklärte, es hätte keinerlei Auswirkungen auf die Sparer und Kunden. Für JPMorgan herrsche weiterhin „business as usual“, ließ die Bank verlauten.
„Wäre gestern ein „Bail-Out-Plan“ im Kongress verabschiedet worden, so hätte dies helfen können, die 1889 gegründete Bausparkasse zu retten“, vermutet Reuters in einer ersten Meldung am 25. September. Warum es doch nicht dazu kam, darauf wird gleich weiter eingegangen.
Statt eines Kongressbeschlusses gab es am Donnerstag zum Teil unterschiedliche Meldungen aus dem Finanzausschuss des Repräsentantenhauses, der sich zuerst einmal auf einen Rettungsplan einigen muss, um dann den Gesetzentwurf zur Abstimmung vorlegen zu können.
Am Nachmittag wurden die Vorsitzenden des Banken- und des Finanzausschusses zu einer im weißen Haus tagenden Kaffee-Runde abberufen. Präsident Bush hatte sich dort mit den Kandidaten Obama und McCain zu Beratungen über die Krise eingefunden. Das unterbrach die eigentlich dringenden Verhandlungen offenbar sehr, denn der Bankenausschuss- Vorsitzende Christopher Dodd erklärte hinterher gegenüber der Presse: „Das sah mir mehr nach einem zweistündigen Rettungsplan für McCain aus. Diese Ablenkung für zwei-drei Stunden politisches Theater hat nicht gerade geholfen“.
Der Ablauf der Ereignisse:
Der US-Präsident hält eine Rede an die Amerikaner
Am Mittwochabend, dem 24. September, hatte sich US-Präsident George W. Bush in einer Fernsehansprache an die amerikanische Nation gewandt. Der Termin war überraschend einberufen worden, der Anlass ernst. Bush wollte für den 700 Milliarden Dollar Plan werben, mit dem sein Finanzminister Henry Paulson die Finanz- und Wirtschaftskrise meistern will.
Bushs Rede wurde von sämtlichen großen US-amerikanischen Sendern übertragen. Deutsche Zuschauer konnten in der Nacht um drei Uhr bei CNN miterleben, wie extrem angespannt nicht nur die Lage, sondern auch der Präsident ist:
„Die Amerikaner müssen die gewaltigen Rettungsmaßnahmen des Finanzmarktes unterstützen, um eine ernsthafte Krise einzudämmen.“ Die gesamte Wirtschaft sei in Gefahr und würde man jetzt ein schnelles Umsetzen des Rettungsplans verhindern, könnte das Ergebnis eine lange und schmerzhafte Rezession sein. „Wir sind mitten in einer sehr schweren Finanzkrise, und die Regierung beantwortet sie mit entschiedenen Maßnahmen“, erklärte Bush. Er glaube fest an das freie Unternehmertum, und sein natürlicher Instinkt opponiere deswegen gegen staatliche Interventionen. „Aber wir haben hier keine normalen Umstände. Der Markt ist nicht mehr funktionstüchtig. Es gibt einen breiten Vertrauensverlust.“ (1)
Der unaufhaltsame Fall eines Imperiums
Bereits am 9. Februar 2007 geriet der US-Hypothekenfinanzierer New Century Financial ins Straucheln und meldete später Insolvenz an. Am 3. August des gleichen Jahres setzt der Hypothekenfinanzierer American Home Mortgage die Kreditvergabe aus und stellt kurz darauf Konkursantrag. Zwei Wochen später stellt auch die US-Hypothekenbank First Magnus ihre Geschäfte ein.
Im März 2008 musste die US-Regierung staatliche Garantien übernehmen, um so den Verkauf des Investmenthauses Bear Stearns kurz vor dessen Zusammenbruch an die Großbank J.P. Morgan zu ermöglichen. Im Juni wurde die Hypotheken- und Bausparbank Indymac von den Aufsichtsbehörden geschlossen. Sie stand vor dem Aus, nachdem Sparer innerhalb von elf Geschäftstagen mehr als 1,3 Milliarden Dollar von ihren Konten abgehoben hatten.
Anfang September dieses Jahres waren dann die beiden größten US-amerikanischen Hypothekenbanken, Fannie Mae und Freddy Mac, zahlungsunfähig geworden. Der Staat sprang ein. (2) Kurz darauf schnürten Regierung und Notenbank ein Rettungspaket für den Versicherungskonzern AIG (American International Group). Die Hypothekenkrise stürzte die Wallstreet in ein Wechselbad von immer neuen Pleiten und ständig umfangreicheren staatlichen Finanzierungen und Interventionen. Banken wie Lehman Brothers entließ man in die Pleite, Morgan Stanley sucht seit knapp zwei Wochen dringend auf den internationalen Märkten finanzkräftige Investoren.
Die USA haben allein in diesem Jahr bereits rund 900 Mrd. Dollar zur Bewältigung der Krise gezahlt. „Die Liste: 200 Mrd. Dollar für Fannie Mae und Freddie Mac. 300 Mrd. Dollar für den Hypotheken-Versicherer Federal Housing Administration. 4 Mrd. Dollar für die Kommunen, um verlassene Immobilien zu reparieren. 85 Mrd. Dollar für AIG. Mindestens 87 Mrd. Dollar Rückzahlung an JP Morgan in Sachen Lehman. 29 Mrd. Dollar für JP Morgans Übernahme von Bear Stearns. Mindestens 200 Mrd. Dollar für ausstehende Zentralbankkredite an das Bankensystem“, so die Bilanz der Berner Zeitung am vergangenen Freitag (19. September). (3)
Einen Tag zuvor, am 18. September, waren Henry Paulson und US-Notenbankchef Ben Bernanke bei führenden Politikern des Kongresses gewesen, um sie über die aktuellen Regierungspläne zu informieren. Anstelle jeweils neuer, einzelner Rettungsmaßnahmen hatte der US-Präsident mit seinem Finanzminister und dem Notenbankchef ein kompaktes „Bail-Out-Konzept“ entwickelt. Eine Auffanggesellschaft sollte die branchenweite Lösung bringen, indem sie den betroffenen Banken die problematischen Wertpapiere abkauft. Paulson kündigte an, der Staat müsse dazu für Banken, die durch faule Kredite in Bedrängnis geraten sind, eine dreistellige Milliardensumme bereitstellen.
Einen Tag später, am vergangenen Freitag, trat Paulson an der Seite Bushs vor die Öffentlichkeit und erklärte das Ausmaß des von seinem Ministerium ermittelten Finanzbedarfs für die Rettungsaktion: 700 Milliarden US-Dollar. Und erstmals wagte die US-Administration, ansatzweise in einer gewissen Offenheit über den Ernst der Krise zu sprechen. Steven LaTourette, ein Republikaner aus Ohio, charakterisierte diesen Schwarzen Freitag: „Zum Wochenende verließ die gesamte Führungsmannschaft das Weiße Haus. Sie alle hatte aschfahle Gesichter. Sie verwendeten Worte wie ‚Armageddon’“. (4)
Kritik am staatlichen Rettungsplan
Der Plan stieß sofort nach Bekanntwerden auf breite Empörung in der US-amerikanischen Öffentlichkeit. Auch viele Politiker und Senatoren – Demokraten wie Republikaner – übten harsche Kritik. Jim Bunning, republikanischer Senator aus Kentucky, glaubte: „Der Entwurf setzt weder dem Verfall der Immobilienpreise etwas entgegen noch hilft er den Leuten, ihre Hypotheken zu bezahlen. Die Dollars der Steuerzahler werden verwendet, um die Bilanzen der Wall Street zu stützen und in Ordnung zu bringen.“ Lloyd Doggett, demokratischer Abgeordneter aus Texas beklagte: „Das Problem besteht darin, dass die Leute, die jetzt die kaputten Möbel entsorgen sollen, nicht einmal zur Party eingeladen waren. Deshalb sind so viele Leute nicht nur einfach gegen diesen Rettungsplan, sondern sehr wütend.“
Christopher Cox, Vorsitzender der Securities and Exchange Commission (SEC), die für die Kontrolle des Wertpapierhandels in den USA zuständig ist, sieht noch ein ganz anderes Problem in Zukunft auf die USA zukommen: „Es gibt zwei wesentliche Unzulänglichkeiten der gegenwärtig vorgesehenen Regelungen: Die Nichtberücksichtigung der Investmentbanken und des Markts für Credit Default Swaps (CDS), der sich seit 2006 auf 58 Billionen Dollar verdoppelt hat.“
Christopher Dodd, Anwalt, demokratischer Politiker und seit 2007 Vorsitzender des Bankenausschusses, hält das gesamte Gesetz für äußerst problematisch: „Nachdem ich diesen Entwurf gelesen habe, kann ich nur schlussfolgern, dass nicht nur unsere Wirtschaft in Gefahr ist, sondern auch unsere Verfassung.“ (6)
Einer der Hauptkritikpunkte ist die fehlende demokratische Kontrolle. Der Finanzminister wäre nach dem vorgelegten Gesetzentwurf niemandem Rechenschaft schuldig und würde gewaltige Macht in seinem Amt konzentrieren. In Artikel 8 des Gesetzes heißt es: „Entscheidungen des Ministers im Rahmen seiner Befugnisse durch dieses Gesetz sind nicht anfechtbar und obliegen dem Ermessen der Behörde und dürfen weder durch ein Gericht noch durch eine Regierungsbehörde geprüft werden.“ (7)
Kritik wurde auch in Bezug auf die Höhe der veranschlagten Summe laut: „Würden nicht 150 Milliarden reichen?“ Auf den Einwand, die Steuerzahler müssten vor den Folgen des Programms geschützt werden, antwortete Finanzminister Paulson: „Die Steuerzahler hängen längst mit drin. Aber das Programm wird sie weniger kosten als die Folgen, falls man untätig bliebe.“ (8) Andere bemängelten, das Gesetz enthielte keine genauen Informationen, wie der Plan funktionieren solle. Paulson konnte lediglich erwidern: „Wir baten um weitgehende Vollmacht zur Anwendung einer Reihe marktbasierter Herangehensweisen. Und wir werden für unterschiedliche Situationen unterschiedliche Herangehensweisen anwenden.“ Ende der Durchsage. (9)
Der Republikanische Abgeordnete Ron Paul, bis Juni 2008 Bewerber für die Präsidentschaftswahlen, stellte die geplanten Lenkungsmaßnahmen grundsätzlich in Frage: „Ich glaube, unserer Wirtschaft steht eine düstere Zukunft bevor, besonders, wenn der neueste 700 Milliarden Rettungsplan am Ende auch noch angenommen wird. Wir riskieren dieselben Fehler, mit welchen das Elend der Großen Depression damals verlängert wurde, indem wir nämlich versuchen, die Preise am Fallen zu hindern. Anstatt den Abschlag auf überbewertete Finanzwerte hinzunehmen, damit sie am Markt zu einem realistischeren Preis gehandelt werden können, versucht die Regierung, überbewertete oder wertlose Titel zu kaufen und sie in der unrealistischen Hoffnung zu behalten, dass irgendwann in den nächsten Dekaden irgendjemand sie vielleicht doch kaufen möchte. Einer der perversen Effekte dieses Rettungsplans besteht darin, dass ausgerechnet die am wenigsten leistungsfähigen Unternehmen und jene, welche sich am stärksten in hypothekengesicherte Wertpapiere, Kreditausfallversicherungen und spezielle Anlageinstrumente gestürzt haben, am meisten von dem Rettungsplan profitieren werden.“ (10) Paul setzt grundsätzlich auf die Selbstregulierung des Marktes.
Ein Gegenplan wird erarbeitet
Am Dienstag, dem 23. September, fand eine Anhörung und Debatte im Bankenausschuss des US-Senats (US Senate Commmitty on Banking, Housing, and Urban Affairs) statt. Dieser Ausschuss ist die gesetzgebende Körperschaft in Bank- und Finanzangelegenheiten der USA. Die Sitzung sollte dazu dienen, die Mitglieder des Ausschusses hinter die Gesetzesvorlage zu bringen, um dann bei der ursprünglich für Donnerstag, den 25. September, geplanten Abstimmung im Repräsentantenhaus die Mehrheit der Stimmen für den Paulson-Plan zu bekommen. So die Marschroute der US-Administration.
Wie geplant tagte dann auch am Mittwoch, dem 24. September, der Finanzausschuss des Repräsentantenhauses. Er beaufsichtigt die gesamte Finanzdienstleistungsbranche, die Fed, das Finanzministerium und die SEC (U.S. Securities and Exchange Commission). Die Anhörung vor diesem Ausschuss war die nächste Hürde im schnellen Durchpeitschen der „Gesetzesvorlage über den Kauf notleidender Kredite durch das Finanzministerium“ (11), so der genaue Titel des Paulson-Plans.
Doch die US-Administration scheiterte bei ihrem Vorhaben, das Gesetz im Eilverfahren durch die Ausschüsse zu bekommen. Sofort nachdem die Inhalte am vergangenen Freitag bekannt geworden waren, erarbeitete der Vorsitzende des Bankenausschusses, Christopher Dodd, einen Diskussionsentwurf für eine geänderte Gesetzesvorlage und legte sie bei der Sitzung des Bankenausschusses am Dienstag vor. (12)
Die Kernpunkte der Änderung umfassen die deutliche Einschränkung der Vollmachten des Finanzministers. Weiter soll der Schuldenkauf nur im Tausch gegen Anteile des verkaufenden Unternehmens erfolgen. Anders als im Paulson-Plan, der nur pauschal die Rettung „hypothekenbezogener“ Kredite vorsieht, will Dodd ausdrücklich „notleidende“ Kredite berücksichtigt wissen .
Die Interessen des Steuerzahlers sollen neben der Stabilisierung des Finanzmarktes nicht mehr nur „in Erwägung gezogen“ werden, sondern Vorbedingung für das Programm sein. Sie müssen nachgewiesen werden.
Dodds Entwurf verlangt die Einsetzung eines Aufsichtsgremiums samt einer genauen Beschreibung der Zusammensetzung und Tätigkeit dieses Gremiums. Der Finanzminister soll monatlich vor dem Kongress und öffentlich jede Woche einmal über seine Maßnahmen Bericht erstatten. Anders als im Gesetzentwurf der Regierung enthält Dodds Plan detaillierte Vorschriften zur Verwaltung der gekauften notleidenden Kredite. In fast zwanzig weiteren Paragraphen werden Ausführungsbestimmungen, exakte Definitionen und weitere Details akribisch aufgeführt. Schließlich sieht der Entwurf eine kürzere Geltungsdauer des Gesetzes vor. Entgegen dem Regierungsentwurf, der die Laufzeit für die nächsten zwei Jahre – also bis September 2010 – festlegen will, sollen die Maßnahmen nur bis Ende 2009 gelten.
Nun lagen dem Bankenausschuss am Dienstag zwei Entwürfe vor. Der des Finanzministers und der ihres Vorsitzenden Dodd. Aus den Reihen der Republikaner kam erstaunlicherweise massive Kritik gerade an dem Paulson-Plan. Einem rein „demokratischen Plan“ des US-Senators Dodd wollten die Republikaner jedoch nicht zustimmen. Die Demokraten wiederum wollen keinen Plan zur Abstimmung in den Kongress bringen, der nicht mehrheitlich die Stimmen der Republikaner erhielte. Dann nämlich wären sie vor der Öffentlichkeit die Verantwortlichen für die Hunderte Milliarden, die amerikanische Steuerzahler aufzubringen hätten.
Der zweite und dritte Verhandlungstag
Doch es sind ausschließlich Dringlichkeit und Zugzwang, die in dieser Woche die Verhandlungen bestimmten. In seiner krassesten Einschätzung seit die Kreditkrise vor 13 Monaten ausbrach, sagte US-Notenbankchef Bernanke, der Kongress müsse schnell handeln, „um der ernsten Bedrohung der Stabilität des Finanzsystems zu begegnen, mit der wir es zu tun haben.“ (13)
Für die Sitzung des Finanzausschusses des Repräsentantenhauses am Mittwoch, dem 24. September, wurde der Dodd-Entwurf noch einmal von dessen Vorsitzendem, Barney Frank, modifiziert. Frank ist wie Dodd Demokrat und Jurist, beide gelten als sehr erfahren. Doch auch die Sitzung am Mittwoch brachte keinen gemeinsamen Beschluss. Immerhin sprachen die Teilnehmer von Annäherungen, es schien, als hätte man sich auf ein Gesamtvolumen von 250 Milliarden geeinigt.
Ebenfalls am Mittwoch erklärte der Präsidentschaftskandidat McCain, er wolle angesichts der Krisenlage des Landes seinen Wahlkampf aussetzen. Beide – McCain und Obama – werden von Präsident Bush zu einem Treffen für den nächsten Tag eingeladen. Dort wolle man die Lage besprechen und nach Lösungen suchen.
Für Donnerstag, den 25. September war ursprünglich bereits die Abstimmung des Paulson-Plans im Repräsentantenhaus vorgesehen. Der Zeitplan beginnt, aus dem Ruder zu laufen, denn am Mittwochabend lag noch immer kein gemeinsamer Gesetzentwurf vor.
Am Donnerstagmorgen trat der Finanzausschuss erneut zusammen. Für den Nachmittag rechnete man mit einem Ergebnis. Die Sitzung des Repräsentantenhauses würde sich um einen Tag verschieben. Doch am Abend war nicht nur kein einheitliches Vorgehen, kein gemeinsamer Plan vorhanden. Die Kluft zwischen Demokraten und Republikanern schien tiefer als 24 Stunden zuvor. Barney Frank erklärte: „Es hängt davon ab, ob die Republikaner diese Revolte gegen den Präsidenten aufgeben und bei der Änderung des Plans mit uns zusammenarbeiten.“ (14)
Eklat im weißen Haus
Am Nachmittag war es beim gemeinsamen Treffen mit Bush, McCain, Obama, der Sprecherin des Repräsentantenhauses Pelosi, Paulson und anderen hochrangigen Mitliedern des Parlaments zu einem Eklat gekommen.
Joen Boehner, Fraktionschef der Republikaner im Abgeordnetenhaus, wartete vor der versammelten Gruppe mit einem völlig neuen Konzept auf: „Statt das Geld der amerikanischen Steuerzahler anzuzapfen, wollen die Republikaner den notleidenden Banken nur einen Versicherungsschutz für etwa die Hälfte der faulen Kredite anbieten. Das soll privaten Geldgebern die Möglichkeit eröffnen, sich an der Rettungsaktion zu beteiligen“, schreibt die Financial Times Deutschland. (15) Hinter Booehner steht eine Gruppe Republikaner, die derzeit eine Palastrevolte gegen Bush anzetteln. Ihnen passt der ganze Plan nicht. Sie befürchten, dass die risikofreudigen Banker zu leicht davonkommen und bezweifeln außerdem, ob der Plan überhaupt dazu geeignet ist, Abhilfe in der sich verschärfende Kreditkrise zu schaffen. (16)
Finanzminister Paulson kniete während des Treffens vor der Demokratin Nancy Pelosy nieder und bat sie, ihm nicht die Unterstützung zu entziehen. Es sollen dramatische Szenen gewesen sein. Dodd und Frank erklärten am Abend, die Verhandlungen könnten sich noch über das Wochenende hinziehen. Wie nun überhaupt ein gemeinsamer Beschluss gefasst werden kann und wie der aussähe, ist mittlerweile offener als zu Beginn der Konferenzen.
Zeitbomben und finanzielle Massenvernichtungswaffen
Bereits am 23. September hatte die US-Börsenaufsicht SEC auf ein weiteres Problem aufmerksam gemacht, das Anlass zu großer Sorge gibt. Sie wies auf den 58000 Milliarden Dollar schweren Kreditderivatemarkt hin und fordert dessen Kontrolle durch den Staat: „Ich verlange von Ihnen eine Behörde zur Regulierung dieser Produkte, um den Schutz der Investoren zu verbessern und den Betrieb von fairen und ordnungsgemäßen Märkten sicherzustellen“, erklärte der Chef der Börsenaufsicht Christopher Cox. (17)
Multimilliardär Warren Buffett, der gerade in der vergangenen Woche durch seinen Aktien-Rettungskauf bei Goldman Sachs erneut von sich reden machte, hatte bereits vor fünf Jahren vor Derivaten gewarnt. Er nannte sie eine „Zeitbombe“ und „finanzielle Massenvernichtungswaffen“. Er wies den Versicherungszweig seines Unternehmens Berkshire Hathaway Inc. damals an, sich aus diesem Geschäftsfeld zurückzuziehen. (18)
Die US-amerikanische Krise ist in vollem Gange, viele kritische Marktbeobachter hatten bereits vor fünf Jahren vor der Gefahr gewarnt. Zur Zeit ist nicht einmal abzuschätzen, welche faulen Kredite noch irgendwo schlummern. Das amerikanische Desaster hat seinen Zenit noch nicht einmal erreicht. Und die weltweiten Auswirkungen könnten verheerend werden.
Offensichtlich nimmt man jetzt auch auf der internationalen politischen Bühne den Ernst der Lage und die Krise in vollem Umfang wahr. Der Tonfall gegenüber den USA hat sich geändert. Sogar Peer Steinbrück rechnete am Donnerstag, dem 25.September, in seiner Rede vor dem Bundestag mit den Vereinigten Staaten ab. Er machte darin die Regierung in Washington für die Krise verantwortlich, die er mit einem Erdbeben verglich. „Die USA haben ihren Status als Supermacht des Weltfinanzsystems verloren, das Finanzsystem werde multipolarer werden.“ (19)
Gut, dass nun auch der deutsche Finanzminister die Dinge beim Namen nennt, „Dumm ist nur“, kommentierte daraufhin der Reutlinger General-Anzeiger, „dass der Minister vor gut einer Woche einen reichlich kühnen Bundeshaushalt vorstellte, der großzügige Planungen zu Neuverschuldung und Zusatzausgaben vorsieht – und zwar unter der Annahme, dass die Steuereinnahmen um 10,9 Mrd. Euro steigen. Gut immerhin, dass inzwischen auch Peer Steinbrück davon ausgeht, dass es eine gravierende Finanzkrise in den USA gibt.“
Oder steckt dahinter nur Steinbrücks private Abrechnung mit dem Amtkollegen Paulson, der ihn bei seinem Besuch in Washington ganze elf Minuten empfing und ihm in seinem Büro nicht mal einen Stuhl anbot? (20) Paulson ließ ihn stehen wie einen Schulbub. Immerhin musste Steinbrück noch keinen Kniefall machen.
Recherche: Berna Kühne-Spicer
Quellen:
(1) http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/7634810.stm
http://www.cnn.com/2008/POLITICS/09/24/bush.bailout/index.html
(2) http://hintergrund.de/index.php?option=com_content&task=view&id=245&Itemid=64
(3) http://www.bernerzeitung.ch/wirtschaft/dossier/story/31104377
(5) http://www.impulse.de/tagesgeschehen/1004574.html
(6) http://www.nytimes.com/2008/09/24/business/24cong.html?hp=&pagewanted=all und
(9) http://www.thestreet.com/story/10438876/2/paulson-bernanke-pitch-bailout-to-congress.html
(10) http://www.dailypaul.com/node/63879
(12) http://banking.senate.gov/public/_files/Doddproposal92208.pdf
(14) http://www.reuters.com/article/ousiv/idUSTRE48P1Z320080926?sp=true
(16) http://www.reuters.com/article/ousiv/idUSTRE48P1Z320080926?sp=true
(18) http://www.reuters.com/article/newsOne/idUSN1837154020080918
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(19) http://www.reuters.com/article/topNews/idUSTRE48O7RX20080925?sp=true
(20) http://www.gea.de/detail/1090957