Attentate in der Geschichte

Ein blutiger Faden durch die Geschichte

Der Dokumentarfilmer, Journalist und Autor Dirk Pohlmann arbeitet an einem Buch über politische Morde. In Berlin stellte er unlängst einige seiner Erkenntnisse vor. Unser Autor war dabei und erinnert sich bei dieser Gelegenheit an ein Buch aus der DDR.

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US-Präsident John F. Kennedy kurz vor seiner Ermordung am 22. November in Dallas.
Foto: Walt Cisco/ Public Domain, Mehr Infos

„Der politische Mord ist ein Phänomen, das die Entwicklung der Menschheit als ein blutiges uns schauriges Attribut bis in die Gegenwart begleitet hat.“ Das ist im Vorwort des 1988 im Berliner Dietz Verlag erschienen Buches „Schüsse in Dallas – Politische Morde 1948 bis 1984“ zu lesen. Und weiter heißt es da nach einem kurzen Blick in die Geschichte: „Mord reiht sich an Mord. Der blutige Faden reißt nicht ab. Er ließe sich verdichten und weiterspinnen bis in die jüngsten Tage hinein, und es ist keineswegs so, dass die Zahl der aus politischen Gründen Gemeuchelten mit dem Fortschreiten der menschlichen Zivilisation kleiner geworden ist.“

Der Journalist und Dokumentarfilmer Dirk Pohlmann hat den blutigen Faden wieder aufgenommen und sich ebenfalls mit den politischen Morden seit Ende des Zweiten Weltkrieges beschäftigt. Er arbeitet derzeit an einem Buch über den Mord an Alfred Herrhausen 1989 und andere ähnliche Fälle. Das soll unter dem Titel „Im Auftrag der Eliten – Der Fall Herrhausen und andere politische Morde“ im Westend Verlag Ende des Jahres erscheinen.

Darin will er Antworten auf Fragen zum Fall Herrhausen geben: Hat Alfred Herrhausen, der am 30. November 1989 ermordete Vorstandssprecher der Deutschen Bank, sein Todesurteil selbst geschrieben? Hat er das mit seinen 1989 vorgelegten Vorschlägen, das Problem der Schulden der Entwicklungsländer neu anzugehen – dem sogenannten Herrhausen-Plan –, getan, indem er damit die wirklichen Herrscher dieser Welt gegen sich aufbrachte? Die dann nichts taten, als die von ihnen gesteuerten Geheimdienste von Plänen für einen Anschlag auf Herrhausen erfuhren?

Dirk Pohlmann in Berlin.
Foto: Tilo Gräser, Mehr Infos

Pohlmann sieht das zumindest als Hintergrund des Sprengstoffattentates auf den Deutsche-Bank-Manager. Das hat mutmaßlich eine Gruppe ausgeführt, die als „3. RAF-Generation“ bezeichnet wird. Pohlmann ist sich nach ausführlichen Recherchen auch weitgehend sicher, dass diese Gruppe die Tat ausführte, wie er kürzlich in Berlin in einem Vortrag erklärte. Aber er ist sich auch sicher, dass im Interesse jener geschah, denen Herrhausens Vorschläge nicht nur für einen faireren Umgang mit den Entwicklungsländern zu weit gingen. Der Dokumentarfilmer sprach im Rudolf-Steiner-Haus in Berlin über „Politische Morde und der Tiefe Staat – Von Kennedy bis Herrhausen“. Eingeladen dazu hatte der Kulturkreis Pankow.

Chefbanker Herrhausen wollte nicht nur Schuldenerleichterungen für Mexico und andere Entwicklungsländer, samt eines „gewissen Mindestmaßes an Voraus-Vertrauen“ sowie Chancen einer eigenen Entwicklung für diese Länder. Das schlug er 1989 auch für die zunehmend in wirtschaftlichen Schwierigkeiten gekommenen staatssozialistischen Länder Ost- und Mitteleuropas vor, unter anderem durch Gründung einer Europäischen Entwicklungsbank. Und er sah Chancen für eine langfristige Kooperation in Gesamteuropa, die nicht nur der deutschen Wirtschaft nutzen sollte. Herrhausen wollte laut Pohlmann dabei den deutschen Standortvorteil, die guten Kontakte nach Mittel- und Osteuropa, nutzen.

Doch in den USA habe die Entwicklung Panik hervorgerufen, wie auch bei den Regierenden in Großbritannien und Frankreich. Das vergrößerte Deutschland wurde als großer Nutznießer des Zusammenbruchs des sozialistischen Lagers gesehen. Zugleich wurde laut Pohlmann in Washington befürchtet, dass Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) versucht, gemeinsam mit Moskau Ostmitteleuropa neuzuordnen. Außerdem seien die Vorschläge des damaligen Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher (FDP) für eine gesamteuropäische Sicherheits- und Friedensordnung unter Einbeziehung der Sowjetunion als Gefahr für die US-Vorherrschaft über Europa gesehen worden. Das erinnert an die „Urangst“ der US-Eliten vor einem Zusammengehen von deutschem Kapital und deutschen Technologien mit russischen Rohstoffen und russischer Arbeitskraft. Diese Angst hatte unter anderem der geopolitische Analytiker George Friedman 2015 beschrieben.

Doch nach dem Mord an Herrhausen und dem Attentat auf Oskar Lafontaine (SPD) im April 1990, der den Herrhausen-Plan befürwortete, ließ Kohl, der mit dem Banken-Chef befreundet war, entsprechende Projekte fallen und fügte sich den US-Vorstellungen in Bezug auf die deutsche Einheit. Dieses geopolitische Gefüge ist für den renommierten Dokumentarfilmer der Rahmen und er Hintergrund, um zu verstehen, warum und in welchem Interesse Morde wie der an Herrhausen geschahen und geschehen. Das sei lange Zeit nicht beachtet und nicht verstanden worden, auch von ihm selbst nicht, gestand er bei seinem Vortrag ein.

Zu den Hintergründen politischer Morde gehört nach seinen Worten das, was inzwischen als „Tiefer Staat“ bezeichnet wird. Der Begriff tauchte zuerst im Zusammenhang mit Ereignissen in der Türkei auf Ende der 1990 Jahre auf und wurde durch Prozesse gegen Militärs und Geheimdienstmitarbeiter ans Licht geholt. Pohlmann verwies auf den US-amerikanischen Politikwissenschaftler Peter Dale Scott, der sich in mehreren Büchern mit dem «Tiefen Staat» in den USA auseinandergesetzt hat. Dieser erklärte in einem Aufsatz, er setze den Begriff gleich mit einem „tiefen politischen System“, „eines, das gewöhnlich auf Entscheidungs- und Durchsetzungsverfahren außerhalb wie auch innerhalb des von Gesetz und Gesellschaft öffentlich sanktionierten Bereichs zurückgreift.

Das geschehe durch ein Zusammenspiel von Behörden aus dem staatlichen Macht- und Sicherheitsapparat und dem Wall-Street-Komplex aus Banken und Anwaltskanzleien. Es handele sich dabei um Leute, die sich als die wahren Schützer der nationalen Interessen sehen, unabhängig von den wechselnden gewählten Politikern in der Regierung, erklärte Dokumentarfilmer Pohlmann dazu. Es gebe sogar eine «CIA innerhalb der CIA», sagte er und verwies dabei auf Erkenntnisse des US-Journalisten Robert Parry. Es handele sich dabei um Personen im Geheimdienst, „die glauben, die strategischen Bedürfnisse der Vereinigten Staaten besser zu kennen als ihre gewählten Führer“.

Pohlmann führte in seinem etwa dreistündigen Exkurs in das Geschehens hinter der politischen Bühne zahlreiche Beispiele dafür an, wie der „Tiefe Staat“ jene ins Visier nimmt und notfalls auch beseitigen lässt, die seine Kreise und Interessen stören. Das reichte vom 1961 ermordeten zweite UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, offiziell bei einem Flugzeugabsturz im Kongo ums Leben gekommen, über den ebenfalls mit einem Flugzeug 1962 abgestürzten italienischen Öl-Manager Enrico Mattei und den 1978 von angeblichen Linksterroristen ermordeten italienischen Politiker Aldo Moro bis zum 1963 hingerichteten US-Präsidenten John F. Kennedy und dem 1989 ermordeten Bank-Chef Herrhausen.

Das Muster, das Pohlmann in seinem Vortrag mit zahlreichen Details beschrieb, scheint immer das gleiche: Menschen in führenden Positionen in Politik und Wirtschaft stellen aus unterschiedlichen Motiven die bisherigen Spielregeln des etablierten Systems in Frage. Damit geraten sie in Widerspruch mit den Vertretern dieses Systems und deren Interessen. Trotz aller Warnungen halten sie an ihren Kurs auf Veränderung fest – um das am Ende mit dem Leben zu bezahlen.

Ein Beispiel dafür war der UN-Generalsekretär Hammarskjöld. Er rief nicht nur die bewaffneten UN-„Blauhelme“ als Streitschlichter und Konfliktüberwacher ins Leben. Er legte sich auch mit den damaligen Großmächten an und versuchte, Konflikte zu schlichten, vom Korea-Krieg über den Suez-Krieg bis hin zu Ungarn 1956. Wenn aus seiner Sicht notwendig trat er als „Anwalt der kleinen und mittleren Staaten in der UN“ auf, wie es in einem Beitrag über ihn heißt.

Dabei vertrat er immer wieder auch die Positionen der Staaten in der Dritten Welt, die sich nach dem 2. Weltkrieg aus dem Joch des Kolonialismus befreiten. Bevor er sterben musste, versuchte er in der „Kongo-Krise“ zu vermitteln, in der sich die Provinz Katanga vom Kongo abspalten wollte. Diese Provinz hat eines der reichsten Uran-Vorkommen und liefert unter anderem den Rohstoff für die US-Atombomben, erklärte Pohlmann. Hamarskjöld dürfte mit seinen Friedensplänen jene gestört haben, die weiter ungehinderten Zugriff auf die Bodenschätze im Kongo haben wollten.

Ein weiteres Beispiel dafür präsentierte der Dokumentarfilmer mit dem Fall des 1962 ebenfalls mit einem Flugzeug abgestürzten Manager des italienischen Ölkonzerns ENI, Enrico Mattei. Dieser habe sich mit seinem Geschäftsmodell, die Herkunftsländer stärker als bis dahin üblich an den Einnahmen aus ihren Rohstoffen zu beteiligen, mit den US-Ölkonzernen angelegt. Mattei sei ein erfolgreicher und effektiver Manager gewesen, aber einer mit sozialem Gewissen, ähnlich wie der spätere Deutsche-Bank-Chef Herrhausen. Laut einem deklassifizierten Dokument der CIA, das Pohlmann zeigte, beschwerten sich die Chefs der US-Ölkonzerne beim Geheimdienst, dass der ENI-Chef „ein noch größerer Schurke als die Sowjetunion“ sei. Mattei habe sich für eine aktive Friedenspolitik eingesetzt und einen Handel mit der Sowjetunion über preiswerte Rohstoffe für Italien ausgehandelt. Was der italienischen Wirtschaft nutzte, wurde laut dem Dokumentarfilmer dem erfolgreichen Manager zum Verhängnis.

Ähnliches gilt für den christdemokratischen Politiker Aldo Moro, der einen «historischen Kompromiss» mit den italienischen Kommunisten anstrebte. Auch das passte nicht in die Interessen der herrschenden Kreise, allen voran denen der USA. Inzwischen gibt es Belege, dass die CIA mit Hilfe des „Gladio“-Netzwerkes die „Strategie der Spannung“ in Italien umsetzte, um durch blutige Attentate vermeintlicher Linksterroristen der „Roten Brigaden“ die gesellschaftliche Stimmung im Land gegen die Kommunisten zu wenden.

Auch der Mord an US-Präsident John F. Kennedy 1963 gehörte zu den Beispielen, die Pohlmann anführte. Er ging auf eine Reihe von Details ein, die die offizielle These vom „Einzeltäter“ Lee Harvey Oswald widerlegen und darauf hindeuten, dass es ein Mordkomplott gegeben haben könnte. Außerdem verwies er auf die Hintergründe von Personen, die in dem Zusammenhang eine Rolle spielen, von CIA-Chef Alle Dulles über den CIA-Gegenspionagechef James Jesus Angleton bis hin zum Barbesitzer Jack Ruby, der Oswald erschoss.

Daraus ergab sich ein Mosaik an Konflikten, die Kennedy nach seinem Amtsantritt 1961 auslöste, weil er sich in zahlreichen Bereichen weigerte, das fortzuführen, was bis dahin in der Innen- und Außenpolitik der USA üblich war. So beim geheimen Krieg gegen Kuba, den er nicht zu einem offenen werden lassen wollte, bei der Aufhebung der Rassentrennung an den US-Universitäten, bei der Rolle der Zentralbank Fed und ebenso beim Verhältnis zur Sowjetunion, das der junge Präsident aus dem Kalten Krieg herausführen wollte. Kennedy hatte sich mit verschiedenen mächtigen Kreisen seines Landes angelegt, einschließlich der Mafia und der Israel-Lobby, die laut Pohlmann zu der Zeit massiv den israelischen Wunsch nach einer Atombombe unterstützte. Auch dem widersetzte sich der junge Präsident, wie der Dokumentarfilmer deutlich machte.

Der ermordete US-Präsident sorgte in den Monaten vor seinem Tod für Aufsehen, als er sich für ein Ende der Blockkonfrontation und die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion einsetzte. In einer Rede im Juni 1963 vor der American University in Washington, in der er beschrieb, welchen Frieden er anstrebte:

Es geht hier nicht um eine Pax Americana, die der Welt durch amerikanische Kriegswaffen aufgezwungen wird. … Ich spreche von echtem Frieden, von der Art Frieden, die das Leben auf der Erde lebenswert macht, von der Art Frieden, durch die Menschen und Nationen wachsen, hoffen und für ihre Kinder die Grundlage einer besseren Zukunft legen können. Ich spreche nicht nur von Frieden für Amerikaner, sondern von Frieden für alle Männer und Frauen.

Mit Blick auf das Verhältnis zur Sowjetunion sagte er unter anderem: „Konflikt nicht als unabwendbar zu betrachten, Entgegenkommen nicht als unmöglich und Kommunikation als nicht viel mehr als ein Austausch von Drohungen.“ Und er stellte klar, die Atommächte müssten «Konfrontationen abwenden, bei denen ein Gegner nur die Wahl zwischen demütigendem Rückzug und Atomkrieg hat. Würde man im atomaren Zeitalter einen solchen Kurs einschlagen, wäre dies lediglich ein Beweis für den Bankrott unserer Politik – oder dafür, dass wir der ganzen Welt den kollektiven Tod wünschen».

Was heute aktuell wie damals klingt, dürfte für jene, vor deren Macht Kennedys Vorgänger Dwight D. Eisenhower in seiner Abschiedsrede gewarnt hatte, die Vertreter und Profiteure des Militärisch-Industriellen Komplexes, zu viel gewesen sein. Filmregisseur Oliver Stone („JFK“) schrieb 1992, „dass Kennedy im Grunde beseitigt wurde, weil er eine zu große Gefahr für das ‚System‘ war“. Darauf will Pohlmann in seinem Buch näher eingehen und darin ebenso zeigen, wie Politik und Medien den Bürgern Informationen verschweigen und so die öffentliche Meinung manipulieren. Bei seinem Vortrag nannte er als Beispiel die Vorgänge um den Abschuss eines südkoreanischen Passagierflugzeuges mit der Kennung KAL 007 über sowjetischem Gebiet 1983. Anhand zahlreicher Fakten wies er nach, dass das tragische Unglück die Folge einer gefährlichen und provozierenden Spionageaktion der USA gegen die Sowjetunion war, von denen es im Kalten Krieg mehrere gegeben habe.

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Der Vortrag des Dokumentarfilmers war voller Informationen und Details zu den einzelnen Beispielen, die Stoffe für mehrere Dokumentationen bieten würden. Sie lassen erahnen, welchen Umfang das Buch haben wird. Pohlmann arbeitet schon mehrere Jahre daran und es ist ihm zu wünschen, dass er ein Ende findet, auch wenn es wahrscheinlich nur ein vorläufiges sein kann. Wer bis zu dessen Erscheinen nicht warten will, findet einiges zu den von ihm benannten Fällen politischer Morde, Geheimdienstoperationen, elitären Schattenstrukturen und geopolitischer Intrigen in dem von ihm mit herausgegebenen Magazin Free 21.

Und allen Interessierten ist das anfangs erwähnte Buch aus der DDR zu empfehlen, das es sicher noch in Bibliotheken oder antiquarisch gibt. Darin sind auch eine ganze Reihe politischer Morde aufgeführt, bei denen die Herrschenden des Kapitalismus jene beseitigten, die sich für bessere und gerechtere Verhältnisse einsetzten. Das dürfte zu den Fehlstellen in Pohlmanns Buch gehören, soweit sich dessen Inhalt aus dem Vortrag erschloss. Dagegen wurden laut den Autoren von 1988 damals bewusst Morde ausgelassen, „die von linksextremistischen Gruppierungen und Terrororganisationen, wie der ‚Rote Armee Fraktion‘, den ‚Roten Brigaden‘ oder ‚Action Direct‘ verübt wurden“. Wahrscheinlich war damals noch kaum bekannt, wie sehr die Geheimdienste der Herrschenden auch darin verwickelt waren.

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