Weltpolitik

Die Ukraine-USA-EU-Russland-Krise

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Lügen, Hetze, Drohungen –

Ein Kommentar von WOLFGANG BITTNER, 28. Mai 2014 –

Schlugen wir die Zeitung auf, sprangen uns monatelang Putin-Karikaturen entgegen und Leitartikel geißelten tagtäglich die angeblich kriegslüsternen Russen. Häme, Unterstellungen und Lügen auch in Radio- und Fernsehsendungen. Im Deutschlandfunk wurde gefragt „Ist Putin noch zu stoppen?“ oder wir erfuhren: „Russland schürt den Konflikt.“ NDR-Weltbilder klärte uns über die „Psyche von Wladimir Putin“ auf, der sich laut ZDF als „der neue Zar“ fühlt und den Prinz Charles mit Hitler verglich.

In Siegerpose: US-Vizepräsident Joe Biden bei seiner Ankunft am Flughafen Kiew – 22. April 2014

Von „prorussischem Mob“ (Spiegel-online, ARD Tagesschau) in der Ostukraine war die Rede, in der Welt erinnerte „die Ruchlosigkeit der Putin-Propaganda erschreckend an die Hochzeiten des Stalinismus“, die Bild-Zeitung entlarvte „Moskaus Kriegshetze“, im ZDF wurde gefragt: „Ist die Angst vieler Menschen in den baltischen Staaten berechtigt?“ Dementsprechend mahnten die US-Regierung, der NATO-Generalsekretär und Verteidigungsministerin von der Leyen höhere Verteidigungsausgaben an. Und so weiter, eine endlose Litanei.

Dass sich der russische Präsident in einer Rede am 18. März 2014 im Kreml verhandlungsbereit gezeigt und um einen fairen Umgang miteinander geworben hat, wurde als Propaganda abgetan. Putin sagte: „Dabei werden wir selbst niemals nach einer Konfrontation mit unseren Partnern – weder in Ost, noch in West – streben; ganz im Gegenteil, wir werden alles Notwendige unternehmen, um zivilisierte, gutnachbarliche Beziehungen aufzubauen, so, wie es sich in der heutigen Welt gehört.“ Weder die deutsche Bundeskanzlerin noch der US-amerikanische Präsident hielten es für nötig, sich darauf einzulassen.

Die unerträgliche, extensive Feindpropaganda gegen Russland hat zwar in den letzten Tagen etwas nachgelassen. Aber es wird weiter gewarnt, gedroht und gehetzt, obwohl die russische Regierung den am 25. Mai unter fragwürdigen Umständen gewählten neuen ukrainischen Staatspräsidenten Petro Poroschenko, einen Milliardär und Profiteur des neoliberalen Umbruchs, anerkannt hat. Er geht – so ist von ihm zu hören – mit „harter Hand“ gegen die Separatisten in der Ostukraine vor, die er von Russland gesteuerte Terroristen nennt. Auch in den westlichen Medien ist von Terror durch die „prorussischen Aufständischen“ in Luhansk und Donezk die Rede.

Daumen hoch! – Gefällt mir: US-Außenminister John Kerry besucht Anfang März den Maidan, der zu dem Zeitpunkt bereits von faschistischen Gruppen kontrolliert wird. Er sagt dem Land mehr als eine Milliarde Dollar Soforthilfe zu.

Dass auf Seiten des von Kiew mit Panzern und Kampfjets ausgesandten Militärs Hunderte US-amerikanischer Söldner der Academi-Truppe (ehemals „Blackwater“) im Einsatz sind, wird weitgehend verschwiegen. Selbst die Ermordung von 48 „prorussischen Aktivisten“ in Odessa, wo Nationalisten das Gewerkschaftshaus in Brand gesetzt hatten, war keinen Leitartikel wert. In der Tagesschau wird nach wie vor behauptet, der Kreml steuere die Destabilisierung der Ukraine; die Zeitungen berichten von einer „Anti-Terror-Operation“ und „heftigen Gefechten“ gegen „moskautreue Separatisten“ in der Ostukraine, obwohl doch inzwischen jeder weiß, dass dort Bürgerkrieg herrscht. Der Oligarch Petro Poroschenko, der den Oligarchen Victor Janukowitsch abgelöst hat, steht zu dem Oligarchen Arsenij Jazenjuk mitsamt den rechtsextremistischen Kräften in dessen Regierungstruppe.

Jetzt sind deutsche Kampfflugzeuge im Baltikum stationiert, deutsche Kriegsschiffe in der Ostsee und im Schwarzen Meer; das US-Militär ist ohnehin überall an den Grenzen Russlands massiv vertreten und die NATO schleicht sich schon seit Jahren nach Osten. Zugleich fordern die Westmächte Russland auf, seine Soldaten aus den eigenen Grenzbereichen zurückzuziehen. Präsident Obama und Bundeskanzlerin Merkel drohen dem „Russenherrscher“ Putin, den sie als Verursacher der Krise bezeichnen, mit immer weiteren Sanktionen. Welch eine bodenlose Verlogenheit und Lumperei!

Halten die westlichen Politiker und die ihnen dienstbaren Medien die Bevölkerung – vielleicht aufgrund ihrer Propaganda – für gehirnamputiert? In Kiew waren seit Februar 2014 Aufständische an der Macht, die eine gewählte ukrainische Regierung durch Putsch gestürzt haben. Regierungsmitglieder, hochrangige Militärs und Polizeibeamte gehören der rechtsextremen Swoboda-Partei an, deren Vorsitzender Oleg Tjagnibok 2004 dazu aufrief „Russensäue, Judenschweine und sonstiges Gesindel“ zu bekämpfen; er ist weiterhin Fraktionsvorsitzender seiner Partei im ukrainischen Parlament. Im Dezember 2013 kam er mit dem US-Senator John McCain zusammen, der ihm Unterstützung zusagte, und zur gleichen Zeit erklärte die EU-Beauftragte des US-Außenministers Kerry, Victoria Nuland („Fuck the EU“), die USA habe rund fünf Milliarden Dollar in den „Regime Change“ in der Ukraine investiert.

Aus einem abgehörten Telefonat der EU-Beauftragten mit dem ukrainischen US-Botschafter Geoffrey Pyatt ging hervor, dass Washington Asenij Jazenjuk bereits lange vor dem Staatsstreich als künftigen Ministerpräsident vorgesehen hatte. Und es kann als erwiesen gelten, dass die Todesschüsse auf dem Maidan-Platz, denen sowohl Demonstranten als auch Polizisten zum Opfer fielen, nicht von Janukowitsch angeordnet wurden; das war einem mitgeschnittenen Telefonat der Außenbeauftragen der EU, Catherine Ashton, mit dem estnischen Außenminister Urmas Paet zu entnehmen.

Diese jedermann zugänglichen Informationen werden von den maßgebenden europäischen Politikern und den meisten westlichen Journalisten böswillig, aus Eigennutz, Vasallentreue oder sonstigen nichtswürdigen Motiven ignoriert. Und wer das kritisiert, ist ein Putinversteher, ein Russenfreund und Antiamerikanist.

Werfen wir einen Blick auf die Chronologie der Ereignisse:

Angefangen hat es mit dem Bestreben der NATO, sich entgegen den Gorbatschow 1990 gegebenen Versprechungen nach Osten zu erweitern und mit den Begehrlichkeiten Deutschlands und anderer EU-Staaten auf neue Absatzmärkte in den osteuropäischen Ländern. In der Ukraine kam 2004 im Wege einer von den USA finanzierten „Orangenen Revolution“ Julia Timoschenko durch Wahlfälschung an die Macht, eine kriminelle Multimillionärin, die 2011 wegen Amtsmissbrauchs verurteilt wurde und bis Anfang 2014 in Haft war. Die Verhandlungen wegen eines Assoziierungsabkommens der EU mit der Ukraine stagnierten immer wieder, weil die Regierung Janukowitsch der Forderung nach einer Freilassung von Timoschenko, die sich in der Haft wegen eines Rückenleidens von Ärzten der Berliner Charité behandeln ließ, nicht nachkam.

Während der vom 21. November 2013 bis 26. Februar 2014 andauernden sogenannten Maidan-Demonstrationen war sie die Vorzeigeoppositionelle des Westens; am 22. Februar wurde sie aus der Haft entlassen, Anfang März zusammen mit dem Boxer Klitschko von der deutschen Bundeskanzlerin empfangen. Das Verhältnis kühlte sich allerdings ab, nachdem Timoschenko geäußert hatte, sie wolle Putin in den Kopf schießen und „diese verdammten Russen abknallen“.

Am 20. Februar 2014 reisten die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens nach Kiew, um Präsident Victor Janukowitsch einen „Fahrplan“ zur Beilegung der politischen Krise in der Ukraine vorzulegen und die Maidan-Bewegung gegen die gewählte Regierung zu stärken. Steinmeier traf sich auch mit Wortführern der Opposition, ebenso Anfang März der US-Außenminister John Kerry – eine eklatante Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. (Was wäre geschehen, wenn der russische Außenminister die Occupy-Demonstranten in Frankfurt am Main gegen die deutsche Regierung unterstützt hätte?).

Nachdem die militanten nationalistische Kräften, die vom Westen finanziert wurden, das Geschehen dominierten, Rathäuser besetzten und Morde begingen, zog sich ein großer Teil der für freiheitlich-demokratische Verhältnisse eintretenden Demonstranten zurück. Janukowitsch musste aufgrund der gewalttätigen Proteste nach Russland fliehen und eine „Übergangsregierung“ unter Vorsitz des Bankers Arsenij Jazenjuk übernahm in Kiew die Macht. Als erstes war im Gespräch, die russische Sprache in der Ukraine zu verbieten. Am 12. März wurde Jazenjuk, der bereits am 17. Februar zu Besuch bei Kanzlerin Merkel in Berlin war, von Präsident Obama empfangen. Zuvor hatte Kerry ihm bereits die volle Unterstützung der Vereinigten Staaten und Kreditgarantien in Höhe einer Milliarde Dollar zugesagt.

Infolge des Staatsstreichs in Kiew kam es zu einer separatistischen Bewegung unter der russischsprachigen Bevölkerung auf der Krim, deren Parlament nach einem am 16. März durchgeführten Referendum die „Republik Krim“ ausrief und der Russischen Föderation beitrat. Obama und Merkel protestierten scharf dagegen und kündigten Sanktionen an. Mitte April besuchten dann US-Vizepräsident Joe Biden und der CIA-Chef John Brennan ihre Marionette Jazenjuk, und stärkten ihm den Rücken. Was insbesondere der CIA-Chef in der Ukraine zu suchen hatte, wurde in den westlichen Medien nicht hinterfragt.

Die russische „Annexion“ der Krim wurde als Bruch des Völkerrechts verurteilt und dient weiterhin der Kampagne gegen Russland, wobei die Hintergründe wie auch das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung, das sonst so hochgehalten wird, keine Rolle spielen. Die Frage stellt sich, ob die westlichen Militärs wirklich so dilettantisch sind oder so naiv waren anzunehmen, dass Russland die Einkreisungspolitik widerstandslos hinnehmen und seinen Flottenstützpunkt am Schwarzen Meer in Frage stellen lassen würde?

Zuerst wird ein Land aufgemischt bis es zum Bürgerkrieg kommt, und hinterher spielen die USA, EU und die NATO den Friedensengel. Ein großer Teil der Bevölkerung hat das erkannt. Aber im Gegensatz dazu scheint der deutsche Außenminister Steinmeier immer noch nichts begriffen zu haben, wenn er einen Wutanfall bekommt, weil er bei einem Auftritt in Berlin von Demonstranten als Kriegstreiber beschimpft wird. Oder er will nichts begreifen, ebenso wenig wie die in Netzwerke der USA verstrickten Journalisten. Die finanziell und personell bestens ausgestattete PR-Abteilung der Central Intelligence Agency (CIA) leistet ganze Arbeit. Russland wird mit Militärbasen eingekreist, das Land wird militärisch bedroht, seine Wirtschaft wird boykottiert, aber die Lügenpropaganda erklärt das Land zum Aggressor.

Kürzlich war nun zu erfahren, dass Bidens Sohn Hunter Biden und ein Vertrauter Kerrys, Devon Archer, in den Verwaltungsrat des privaten ukrainischen Öl- und Gasunternehmens Burisma berufen worden sind – eine Dreistigkeit sondergleichen. Übrigens gehört dem Burisma-Verwaltungsrat auch der polnische Ex-Staatspräsident Aleksander Kwasniewski an. Zu registrieren sind also neben der permanenten Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates, Vetternwirtschaft, Kriegshetze und Bedrohungen Russlands vor den Augen der ganzen Welt!

Die westlichen Medien, die in ihrer Mehrheit schon lange nicht mehr ihrer Aufgabe als „vierte Gewalt im Staate“ nachkommen, berichten „staatstragend“ im Sinne der Regierenden. Der Schwerpunkt westlicher „journalistischer Tätigkeit“ liegt in der Verurteilung Putins und Russlands. Journalisten, die der Objektivität und wahrheitsgemäßen Berichterstattung verpflichtet sein sollten, betreiben Meinungsmache in einer Weise, die für den gesunden Menschenverstand der Leser, Zuhörer und Zuschauer zutiefst beleidigend ist.

Und so schaukelt sich die Feindpropaganda in West und Ost gegenseitig hoch, denn auch die russischen Medien zahlen mit gleicher Münze zurück. Ein Spiel mit dem Feuer! Denn wie leicht kann sich dieser Konflikt ausweiten. Doch das scheint in die Köpfe derjenigen, die noch keinen Krieg im eigenen Lande erlebt haben und vollmundig ihre Halbwahrheiten und Lügen verbreiten, keinen Eingang zu finden. Antiamerikanismus ist ein weiteres Schlagwort, mit dem versucht wird, die Kritiker mundtot zu machen.

Dabei schrieb der berühmte amerikanische Schriftsteller James Fenimore Cooper schon Mitte des 19. Jahrhunderts über die Gier seiner Landsleute nach Geld als Mittel Materie anzuhäufen und Macht zu erlangen (sozusagen aus Furcht vor der Verdammnis, wie der Soziologe Max Weber die religiöse Antriebskraft für den Kapitalismus gedeutet hat): „Sie schicken ihre Schiffe in alle Welt, um für ihre Ziele Krieg zu führen.“ Die puritanischen Yankees nannte er „Heuschrecken des Westens“.

Und Herman Melville (1819-1891), weltbekannt geworden durch seinen Roman „Moby Dick“, war der Meinung: „Piraten sind’s, der Erdball ihre Beute … So schänden sie den letzten Hain der Welt.“ Melville musste anschließend seinen Lebensunterhalt als Zollinspektor im New Yorker Hafen verdienen, weil niemand mehr seine Bücher kaufte, und Coopers Bücher wurden in seiner Heimatstadt Cooperstown öffentlich verbrannt.

So sieht es aus in der Welt, in der wir leben, und so steht es um die Ukraine. Als nächstes wird nun voraussichtlich die Destabilisierung Weißrusslands betrieben werden, abgesehen von der Wühltätigkeit der CIA in Venezuela und anderen südamerikanischen wie auch in arabischen und afrikanischen Ländern. Leidtragende dieser verbrecherischen imperialen Politik sind Millionen Menschen. Die westlichen Politiker, die diese Politik betreiben oder befürworten, und die sie unterstützenden Journalisten werden das zu verantworten haben. Besonders die deutschen Politiker, deren Hände abfallen sollten, wenn sie noch einmal ein Gewehr in die Hand nähmen (Franz Josef Strauß 1949). Sie hätten wirklich Grund genug, sich eines Besseren zu besinnen.


 

Der Autor: Wolfgang Bittner ist Jurist und Schriftsteller. Zuletzt erschien sein Roman „Hellers allmähliche Heimkehr“ (Rezension von Thomas Wagner).

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