Die Scharfmacher. Syrische Exilpolitiker drängen auf „humanitäre Intervention“
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Von THOMAS WAGNER, 10. Februar 2012 –
Bei zwei Bombenanschlägen in der syrischen Stadt Aleppo sind am Freitag mindestens 25 Menschen getötet worden. Das staatliche Fernsehen berichtete zudem von 175 Verletzten. Die Nachrichtenagentur Sana meldete, die Terroranschläge hätten einem Gebäude des Militärgeheimdienstes und dem Sitz der Ordnungspolizei gegolten. Ungeachtet dessen machten Vertreter der syrischen Exil-Opposition in Berlin am gleichen Tag allein die Regierung für die immer weiter eskalierende Gewalt in ihrem Heimatland verantwortlich.
Zwar forderten sie nicht direkt die militärische Intervention des Westens. Doch am Ende ihrer Pressekonferenz im Haus der Bundespressekonferenz hatte sie ein Bild gezeichnet, dass die Schützenhilfe ausländischer Truppen als kaum noch vermeidbar erscheinen ließ. Ferhad Ahma, Mitglied des Syrischen Nationalrates (SNC) und Koordinator der Assembly of Syrian Kurdish Youth Abroad, sorgte für einen Einstieg, der dramatischer nicht hätte sein können. Er begann seine Ausführungen mit den Worten: „Meine Damen und Herren, während wir hier sitzen, begeht das syrische Regime seit mindestens dem letzten Wochenende massive Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen die eigene Zivilbevölkerung in Homs, aber auch in vielen anderen Städten Syriens.“ Mit zeitweise zitternder Stimme fuhr er fort: „Wir sprechen hier vom Einsatz von Panzern, von Mörsergranaten, von Artillerie gegen Krankenhäuser, Wohnhäuser, Schulen, gegen die einfache Zivilbevölkerung, die sich entschieden hat auf die Straße zu gehen, um nach 50 Jahren Diktatur endlich ein Leben in Würde und Freiheit zu führen.“
Verbrechen gegen die Menschlichkeit?
Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen sprach der Redner von „Massenhinrichtungen“, „Massenverhaftungen“, „Folter“, „Vergewaltigungen“ und „Entführungen“. Da es sich um klare „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ handele, liege es in der Verantwortung der „internationalen Staatengemeinschaft“ hier schnellstmöglich zu intervenieren und für den Schutz der Zivilbevölkerung alles zu tun, was in ihrer Macht stehe. Humanitäre Maßnahmen seien notwendig, damit in den nächsten Tagen keine größeren Massaker unter der Zivilbevölkerung stattfinden. Präsident Baschar al-Assad und seine Helfer müssten für all das, was sie bis jetzt schon zu verantworten hätten, vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gebracht werden.
Zum Schluss seiner Ausführungen appellierte Ferhad Ahma im Namen der syrischen Bevölkerung an Deutschland und an die Weltgemeinschaft: „Wenn Sie uns nicht schnellstmöglich unterstützen, dann riskieren Sie, dass in Syrien große Massaker stattfinden und es zu einem bewaffneten Konflikt kommt und zwar landesweit und nicht nur punktuell, wie wir es im Moment erleben.“
Nach Ahma sprachen Hozan Ibrahim, ein Mitglied des Generalsekretariats des SNC und Elias Perabo, der Initiator der Unterstützerorganisation „Adopt a Revolution“. Alle drei verlangten einen bundesweiten Abschiebestopp für syrische Flüchtlinge. Sie kritisierten, dass bislang nur einzelne Bundesländer auf die Abschiebung von syrischen Flüchtlingen verzichten. Hozan Ibrahim stellte auf Nachfrage klar, dass der von seinem Vorredner Ahma geäußerte Wunsch auf eine verstärkte internationale Einmischung zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht die ausdrückliche Forderung nach einer Militärintervention oder der Einrichtung von „Schutzzonen“ für die Bevölkerung bedeute. Erst sollten weitere Sanktionen verhängt werden, die nicht mehr nur einzelne Personen treffen sollten. Außerdem rief er die „Staatengemeinschaft“ dazu auf, den Nationalrat als legitime Vertretung des syrischen Volkes anzuerkennen.
Ein differenziertes Lagebild
Die Exilpolitiker verschwiegen geflissentlich, dass die Gewalt in Syrien nicht allein von den Sicherheitskräften ausgeht, viele Oppositionelle sich immer wieder ausdrücklich gegen eine Militärintervention ausgesprochen haben und ein sehr großer Teil der Bevölkerung nach wie vor die Regierung Assad unterstützt. Leider blieben kritische Nachfragen der Hauptstadtjournalisten diesbezüglich aus.
Dabei gibt es durchaus Beobachter, die aufgrund eigener Recherchen ein differenziertes Bild der Lage in Syrien zeichnen. Der frühere CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer bereiste das Land mehrfach und sprach mit Vertretern sowohl der Regierung als auch der Opposition. Darauf gründet die folgende Lagebeschreibung vom Dezember des vergangenen Jahres: „In Syrien findet nicht einfach nur ein Volksaufstand gegen einen verhassten Herrscher statt. Der Frontverlauf ist viel komplizierter: Zahllose junge Menschen demonstrieren im Landesinneren seit Monaten friedlich und unter Lebensgefahr gegen die Diktatur. Gleichzeitig demonstrieren in den Ballungszentren Damaskus und Aleppo Hunderttausende für Assad und Demokratie. Viele bestellt, viele freiwillig. In Daraa, Homs, Hama, Edleb haben sich Guerillakommandos gebildet, die mit schweren Waffen gegen die Sicherheitskräfte vorgehen. Nach Aussagen der Regierung töten sie zunehmend auch Zivilisten, meist Alawiten. Diese Aussagen werden von innersyrischen Oppositionspolitikern, die selbst Jahre in den Kerkern des Vaters von Bashar Assad verbracht haben, mit konkreten Beispielen bestätigt. Dichtung oder Wahrheit? Gegen diese Guerillakommandos, deren Finanzquellen dunkel sind, geht die syrische Armee gnadenlos und blutig vor. Parallel versuchen Polizeieinheiten und Geheimdienste die friedlichen Demonstranten unter Kontrolle zu halten. Sie wenden dabei oft völlig inakzeptable Gewalt an. Der Krieg wird jeden Tag schmutziger. Auch weil sich beide Seiten inzwischen ihre Morde gegenseitig in die Schuhe schieben. Alles wird noch komplizierter dadurch, dass die innersyrische Opposition und die Exil-Opposition in zentralen Fragen unterschiedliche Standpunkte vertreten. Die innersyrische Opposition – die seit Beginn der Revolution relativ offen auftreten kann – setzt auf einen friedlichen demokratischen Wandel, während Teile der vom Westen subventionierten Exil-Opposition auf eine militärische Intervention der NATO ähnlich der in Libyen hinarbeiten.“ (FAZ, 12.12.2012)
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Todenhöfer glaubt weder dem syrischen Staatsfernsehen noch den aus Katar und Saudi-Arabien sendenden publizistischen Meinungsführern Al Jazeera und Al Arabiya. Er erinnert daran, dass die Diktaturen Saudi-Arabien und Katar zu den engsten militärischen Verbündeten der USA gehören. Er hegt den Verdacht, dass es bei den Auseinandersetzungen in Syrien um weitaus mehr geht als um eine demokratische Revolution: die Neuordnung des Mittleren Ostens nach US-Vorstellungen.
Er stellt die Frage in den Raum, ob die syrische Opposition vom Westen im Machtpoker um den Mittleren Osten kühl berechnend instrumentalisiert wird. Stattdessen sollte eine kluge Außenpolitik darum bemüht sein, die Probleme vor Ort durch Verhandlungen zu entschärfen. In Damaskus stünden die Türen für derartige Gespräche sperrangelweit offen.