Die Folter-Charts von Guantánamo
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Prominente Musiker protestieren gegen die Beschallung von Gefangenen durch das US-Militär –
Von HARALD NEUBER, 3. November 2009 –
2003 war ein erfolgreiches Jahr für den Rapper Marshall Bruce Mathers, alias Eminem. Der US-Musiker trat vor ausverkauften Hallen in mehreren europäischen Staaten auf, und auch in Deutschland kamen unzählige Fans zu seinen Konzerten. Tausende Kilometer weiter saß Asif Iqbal (1) an einem Tag im Jahr 2003 alleine in einer Zelle auf dem US-Marinestützpunkt Guantánamo Bay im Osten Kubas. Der junge Mann war gefesselt. Das gleißende Licht von Stroboskopen blendete ihn. Aus Boxen dröhnte Musik in ohrenbetäubender Lautstärke. „Es war eine Tanzversion von Eminem, die über eine Stunde hinweg dauern wiederholt wurde“, gab der damals 21-jährige später zu Protokoll. Nach der Tortur wurde er zurück in seine Zelle gebracht. „Niemand befragte mich.“ An diesem Tag zumindest.
Die visuelle und akustische Qual folgte einschlägigen Handbüchern (2) des US-Militärs für Verhöre. Vor Vernehmungen von Militärgefangenen soll der Wille der Häftlinge demnach durch die akustische Folter gebrochen werden. Nachdem die Inhaftierten mitunter stundenlang in grellem Licht mit lauter Musik beschallt werden, haben sie keinen Orientierungssinn mehr. Die Verhörspezialisten versprechen sich dadurch bessere und schnellere Ergebnisse.
Nun wird die Methode in den USA kritisiert. Ende vergangener Woche stellte das Nationale Sicherheitsarchiv (3), eine unabhängige Forschungseinrichtung an der George-Washington-Universität der US-Hauptstadt, knapp zwei Dutzend Dokumente (4) vor, die von dem Missbrauch von Musik im Rahmen von akustischer Folter berichten. An die Dokumente waren die Forscher mit Hilfe des US-amerikanischen Informationsfreiheitsgesetzes (5) gelangt. „In Guantánamo“, sagt Thomas Blanton, der Direktor des Archivs, „wurde eine Jukebox in ein Folterinstrument verwandelt.“ Die New York Times verweist (6) indes auf eine Sprecherin des US-Militärs, nach deren Angaben die Beschallung mit lauter Musik bei Gefangenenverhören seit Herbst 2003 nicht mehr angewendet wird. Das wollen nun nicht nur die Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsarchivs genau wissen. Auch die Musiker, ohne deren Wissen die Musik benutzt wurde, haben sich in die Kampagne eingeschaltet. Unterstützt wird der Vorstoß unter anderem von Tom Morello und Trent Reznor von der Band Rage against The Machine bzw. Nine Inch Nails.
Unterstützt werden die US-Forscher von der britischen Menschenrechtsorganisation Reprieve (7), die schon im vergangenen Jahr den Einsatz von Musik in den Gefangenenlagern der US-Armee öffentlich gemacht hat. Reprieve, deren Mitglieder sich vor allem für die Rechte von Gefangenen weltweit einsetzen, stellte ehemaligen Gefangenen der US-Armee damals Anwälte zur Seite. Mehrere Klienten bezeugten in ihren Aussagen die Schallfolter und machten detaillierte Angaben zu den verwendeten Titeln. Gemeinsam mit der britischen Musikergewerkschaft rief Reprieve daraufhin die Kampagne Zero dB (Null Dezibel) ins Leben. Auf der Homepage veröffentlichten die Menschenrechtsaktivisten unter anderem eine Standardklausel, mit der Musiker den staatlichen Missbrauch ihrer Musik unterbinden können.
Allerdings waren die Reaktionen damals verhalten. Der Gitarrist der Band Rage Against the Machine engagierte sich unmittelbar zu Beginn der Kampagne, ebenso die britische Rockband Elbow und die Trip-Hop-Musiker der Gruppe Massive Attack. Ausgerechnet aber der Sänger der US-amerikanischen Metal-Band Metallica, James Hetfield, dessen Titel „Enter Sandman“ die Folter-Charts anführte, äußerte sich zwiespältig (8). In einem Interview mit dem Sender 3Sat sagte er: „Ein Teil von mir ist stolz, dass Metallica ausgesucht wurde.“ Zwar relativierte Hetfield diese Äußerung im weiteren Verlauf des Gesprächs: „Ein Teil von mir sorgt sich aber auch, weil wir von manchen Menschen deswegen mit Politik in Verbindung gebracht werden. Wir haben damit nichts zu tun (…).“ Ein Jahr später ist das politische Bewusstsein auch unter den Musikern in den USA deutlich geschärft: Über ein Dutzend Band unterstützen die neue Initiative, mit der die Veröffentlichung aller Geheimdokumente mit Informationen über die akustische Folter erzwungen werden soll.
Das Nationale Sicherheitsarchiv hat erneut die bekannte Liste von Titel zusammengetragen, die als Teil der Folterverhöre verwendet wurde. Sie enthält (in alphabetischer Reihenfolge) unter anderem Titel von: AC/DC, Aerosmith, Bee Gees, Britney Spears, Bruce Springsteen, Christina Aguilera, David Gray, Deicide, Don McClean, Dope, Dr. Dre, Drowning Pool, Eminem Hed P.E., James Taylor, Limp Bizkit, Marilyn Manson, Matchbox Twenty, Meatloaf, Metallica, Neil Diamond, Nine Inch Nails, Pink, Prince, Queen, Rage against the Machine, Red Hot Chili Peppers, Redman, Saliva, Stanley Brothers, The Star Spangled Banner und Tupac Shakur.
Im Auftrag der renommierten Künstler – die meisten von ihnen aus den USA – hat Blanton Ende vergangener Woche die Freigabe der Akten aller US-Institutionen beantragt, die mit akustischer Folter in Verbindung stehen. Betroffen sind neben der Bundespolizei FBI auch der Auslandsgeheimdienst CIA und das Special Operations Command mit Sitz in der MacDill Air Force Base im US-Bundesstaat Florida. Man wolle wissen, heißt es in einer Pressemitteilung von Blantons Sicherheitsarchiv, wie die Musik ausgewählt wurde und welche spezifische Rolle sie bei den Verhören der Gefangenen in Guantánamo gespielt hat. Die Forscher stützen sich dabei nicht nur auf das Informationsfreiheitsgesetz. Sie arbeiten mit den Künstlern und einer politischen Kampagne zusammen, die auf die Schließung des Folterlagers in Guantánamo hinarbeitet.
Ins Leben gerufen wurde diese „Nationale Kampagne zur Schließung Guantánamos“ (7) unter anderem von den US-amerikanischen Generälen a.D. Robert Gard und John Johns sowie dem ehemaligen Kongressabgeordneten Tom Andrews. Anders als der Name der Initiative erwarten lässt, plädieren die Aktivisten jedoch nicht für den Abzug der US-Truppen vom besetzen kubanischen Territorium. Wie die Selbstdarstellung (9) verrät, setzen sie sich lediglich für ein Ende der Folterpraktiken auf dieser Basis ein. Durchaus staatstragend argumentieren die Aktivisten, die systematischen Menschenrechtsverstöße unter der Bush-Regierung hätte die Terrorgefahr für die USA nur noch weiter erhöht. Gegen den sogenannten Krieg gegen den Terror wenden sie sich nicht generell.
Ex-Militär Gard sieht das Engagement der Künstler für seine politische Kampagne mit Sympathie. „Die Musik wurde schließlich ohne ihr Wissen als Teil der fehlgeleiteten Politik der Bush-Regierung missbraucht“, sagt er. Der Exkongressabgeordnete Andrews ist sich indes sicher, dass die Unterstützung der Musiker der politischen Forderung nach der Schließung des Folterlagers „die massenhafte Unterstützung an der Basis“ einbringt.
„Guantánamo ist weltweit als einer der Orte bekannt geworden, in denen Menschen gefoltert wurden“, sagte Tom Morello, der Gitarrist der Crossover-Band Rage against the Machine. Dies möge Dick Cheneys Idee von Amerika entsprechen, so Morello mit Verweis auf den Vizepräsidenten George W. Bushs. Seiner Idee des Landes entspreche dies nicht. „Die Vorstellung, dass Musik, an der ich mitgewirkt habe für Menschenrechtsverbrechen benutzt wurde, macht mich krank“, so Morello.
Als sie erfahren haben, dass ihre Musik im Rahmen von Folgerverhören verwendet wurde, seien auch sie verärgert gewesen, heißt es in einer Stellungnahme der US-amerikanischen HipHop-Band The Roots. „Wir hätten Dick Cheney nur über unsere Leichen erlaubt, unsere Musik für seine politischen Kampagnen zu benutzen“, erklärte die Band: „Und noch weniger wären wir einverstanden gewesen, dass sie zur Folter von Menschen benutzt wird.“ Ähnliche Stellungnahmen kamen von den Musikgruppen R.E.M. und von dem Sänger der Gruppe Rise Against, Tim McIlrath.
An diesen Vergehen besteht schon jetzt kein Zweifel mehr. Den Aktivisten vom Nationalen Sicherheitsarchiv, den betroffenen Musikern und natürlich den Folteropfern geht es nun darum, dass Ausmaß dieser Menschenrechtsverletzungen zu erfassen. „Es gibt erdrückende Beweise darüber, dass die andauernde Beschallung mit lauter Musik ein wesentlicher Bestandteil des US-Folterarsenals von Guantánamo über Irak bis hin zu den illegalen CIA-Gefängnissen in aller Welt war“, sagt Jayne Huckerby von dem Internationalen Menschenrechtszentrum (10) an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität von New York. Dies gehe aus zahlreichen Aussagen ehemaliger Gefangener hervor.
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Offenbar wollen die Beteiligten mit der Kampagne der amtierenden US-Regierung auch den Rücken stärken. Am zweiten Tag nach seiner Amtseinführung hatte Präsident Barack Obama schließlich schon die Schließung der Gefangenenlager in Guantánamo angekündigt. Geschehen ist bis heute jedoch nichts.
(1) Asif Iqbal trug die Häftlingsnummer 87. Im Internet: http://en.wikipedia.org/wiki/Asif_Iqbal_%28Guantanamo_captive_87%29 (25.10.2009)
(2) Das bekannteste diese Handbücher trägt des Codenamen KUBARK. Die deutsche Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Die Linke) hat es übersetzen lassen. Im Internet: http://www.cubafreundschaft.de/Hintergruende/USA,%20Kubark.pdf (25.10.2009)
(3) http://www.gwu.edu/~nsarchiv (25.10.2009)
(4) http://www.gwu.edu/~nsarchiv/news/20091022/index.htm (25.10.2009)
(5) Das Informationsfreiheitsgesetz beim US-Justizministerium: http://www.usdoj.gov/oip (25.10.2009)
(6) Itzkoff, Dave: Musicians Want Access to Guantánamo Playlist. In: The New York Times, 22.10.2009. Im Internet: http://www.nytimes.com/2009/10/23/arts/music/23arts-MUSICIANSWAN_BRF.html?_r=1 (25.10.2009)
(7) http://www.reprieve.org.uk (25.10.2009)
(8) Siehe: http://www.metal-hammer.de/Metallica_James_Hetfield_stolz_Folter_Guantanamo-site-hammer.html (30.10.2009)
(9) http://newsecurityaction.org/pages/about (25.10.2009)
(10) http://www.chrgj.org/index.html (25.10.2009)