Deutsche Parteistiftungen arbeiten am Sturz linker Regierungen in Lateinamerika
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Von HARALD NEUBER, 16. Januar 2009 –
Große Koalition gegen Lateinamerika –
Die deutsche Bundesregierung sorgt sich um die Lage der Menschenrechte in Lateinamerika. Besonders in den Andenstaaten und in Venezuela sei deren Zustand „unterschiedlich stabil“, stellte die Berliner Regierung in ihrer Reaktion auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion fest.[1] Dabei belegt das Dokument von Anfang Dezember 2008 vor allem eines: Die Parteien der deutschen Regierungskoalition aus Christ- und Sozialdemokraten stellen sich unverändert kritisch zu den linksgerichteten Regierungen Lateinamerikas.[2] Die einzigen neoliberal ausgerichteten Staatsführungen der Region – in Peru und Kolumbien – kommen hingegen im Urteil der deutschen Regierung trotz tadelnder Kommentare gut weg.
In Bolivien indes würden unter dem sozialistischen Präsidenten Evo Morales „Rechtsstaatlichkeit und die strikte Beachtung von Menschenrechten in der letzten Zeit aufgeweicht“. In Ecuador herrsche unter Staatschef Rafael Correa „Rechtsunsicherheit bis hin zur Selbstjustiz“. Und in Hugo Chávez´ Venezuela sei die Menschenrechtssituation "insgesamt nicht befriedigend". Staatliche Sicherheitskräfte zeichneten dort für "Hinrichtungen, Folter und Verschleppung verantwortlich", meint das deutsche Außenministerium unter Leitung des Sozialdemokraten und Kanzlerkandidaten Frank Walter Steinmeier. Unter Berufung auf das statistische Bundesamt Venezuelas (INE) erkennt der Bericht zwar einen Fortschritt bei der Armutsbekämpfung an. Zugleich aber treffen die in Venezuela als "Misiones" bekannten Sozialprogramme auf Ablehnung. Sie trieben die Menschen in die Abhängigkeit vom Staat, heißt es: "Die Nachhaltigkeit dieser Maßnahmen wird von Experten bezweifelt". Wer diese Experten sind, bleibt unklar.
Die Grünen-Bundestagsfraktion wies die offenbar einseitige Beurteilung der Regierung umgehend zurück. „Die Bundesregierung misst in Lateinamerika mit zweierlei Maß, auch bei den Menschenrechten. Das macht die Antwort auf die Große Anfrage erneut deutlich“, sagte Thilo Hoppe, der menschenrechtspolitische Sprecher dieser Fraktion.[3] Kritik kam auch von unabhängigen Sachkennern. „Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass die Bundesregierung ihre Beurteilungen anhand einer politischen Sympathieskala vorgenommen hat", sagt Christian Russau vom Berliner „Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika“ (FDCL)[4]. Während das Berliner Außenamt für Kolumbien einen „stetigen Rückgang der Gewalttaten und eine Verbesserung der Menschenrechtslage“ anerkenne, übe sie generelle Kritik an der Lage in Venezuela. Russau widerspricht auch dem Urteil der deutschen Regierung zu paramilitärischen Gruppen in Kolumbien. In dem parlamentarischen Dokument ist von "großen Anstrengungen" der Führung in Bogotá die Rede, „eine solche Zusammenarbeit zu unterbinden und zu ahnden“. Ein solches Urteil sei „der blanke Hohn“, so Russau, dessen Verein in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder auf die Kontinuität der paramilitärischen Gewalt in Kolumbien hingewiesen hat.[5]
„Die Antwort der Bundesregierung ist heuchlerisch“, bekräftigt auch der deutsche Historiker Ingo Niebel: „Hier urteilen just jene Parteien, die in der Vergangenheit und in der Gegenwart versucht haben, linke Regierungen in Lateinamerika zu stürzen.“ 1973 habe die SPD-geführte Bundesregierung mitgeholfen, das Putschklima in Chile herbeizuführen, so Niebel. Heute unterstütze die amtierende Regierungspartei CDU in Venezuela mit der Gruppierung Primero Justicia eine Kraft, die einen Putschversuch gegen Präsident Hugo Chávez im April 2002 mitgetragen hat. „Venezuelas Präsident hat der Opposition deswegen inzwischen untersagt, so genannte Sicherheitsberater aus dem Ausland ohne Kenntnis der Regierung ins Land zu holen“, so Niebel.
Einblick in Arbeit der Adenauer-Stiftung
Dass die venezolanische Staatsführung zu dieser im Ausland heftig kritisierten Kontrollmaßnahme durchaus Anlass hatte, bewies die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) Anfang Oktober vergangenen Jahres. Versehentlich veröffentlichte ihr Büro in Caracas einen internen Tätigkeitsbericht mit detaillierten Informationen zur Bündnisarbeit mit regierungskritischen Parteien und Gruppierungen in dem südamerikanischen Land.[6] Die KAS arbeite eng mit den Parteien Primero Justicia (Zuerst Gerechtigkeit) und COPEI (Christdemokratische Partei, d. Red.) zusammen, hieß es in dem dreiseitigen Papier, das wenige Wochen vor den Regional- und Kommunalwahlen in Venezuela in Deutsch auf der Internetseite der Stiftung erschien. Nach Einschätzung von Büroleiter Georg Eickhoff ist Primero Justicia „gegenwärtig die stärkere der beiden Parteien, aber COPEI erholt sich gut und erscheint deutlich verjüngt“. Es gelinge dieser christdemokratischen Gruppierung zunehmend, „die Nutzung alter Strukturen mit einem neuen Erscheinungsbild zu verbinden“. Eine neue Generation jüngerer konservativer Politiker arbeite „sehr systematisch und konzentriert“ gegen die Chávez-Regierung.[7]
Zugleich legte der regionale Leiter der KAS in dem internen Bericht offen, dass seine eigene Stiftung maßgeblich hinter diesem Fortschritt der venezolanischen Rechten steht. Die Adenauer-Stiftung unterstütze sowohl Primero Justicia als auch COPEI „primär durch deren Bildungswerke“. Gemeint sind die Fundación Justicia y Democrácia (FJD, Stiftung Gerechtigkeit und Demokratie) sowie das Instituto Popular de Formación (IPF, Volksinstitut für Bildung). Die FJD, schrieb Eickhoff, „konnte in den letzten Monaten deutliche Erfolge bei der Professionalisierung der Arbeit erzielen“. Das IPF hingegen verfüge „über altbewährte Kräfte und gewährleistet einen reibungslosen Betrieb mit wachsender Akzeptanz“. Nächstes Ziel der konservativen deutschen Parteistiftung sei es, die Zusammenarbeit beider Bildungswerke zu fördern. Im Hinblick auf die kommenden Wahlen müssten Anstrengungen verstärkt werden, eine „Kandidaten der Einheit im Oppositionslager“ zu nominieren. Der interne Bericht ist im Außenministerium in Caracas auf großes Interesse gestoßen, zumal er, wie KAS-Chef Eickhoff in einer E-Mail bestätigte, „Informationen enthält, die nicht für die Veröffentlichung geeignet sind.“[8]
Die Konrad-Adenauer-Stiftung setzt damit ihre aktive Arbeit gegen die Regierung unter Präsident Hugo Chávez in Venezuela fort. Schon einer von Eickhoffs Vorgängern, Michael Lingenthal, hatte entschieden gegen die linksgerichtete Staatsführung in Venezuela Stellung bezogen und damit für Spannungen zwischen Caracas und Berlin gesorgt. Auf seinem nächsten Posten in Kolumbien zeigte er weit weniger Ablehnung gegenüber der Führung in Bogotá – trotz deren nachweislicher Verstrickungen in Paramilitarismus und Korruption.[9] Inzwischen ist Lingenthal in Peru tätig, dem zweiten noch neoliberal orientierten Staat Südamerikas. Während die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem Jahresbericht 2008 auf restriktive Tendenzen unter Perus Staatschef Alan Garcia hinweist – darunter der Versuch der Wiedereinführung der Todesstrafe und Morddrohungen gegen Regierungskritiker –, kommt von der KAS kein kritisches Wort.[10] Die befasst sich in Peru mit den Folgen von Erdbeben und organisiert Jugend-Events.[11]
In Venezuela droht der CDU-nahen Stiftung indes Ungemach von unerwarteter Seite. Unmittelbar vor seinem Umzug nach Venezuela war ihr dort amtierender Vertreter Georg Eickhoff vom Amt des Bürgermeisters in der baden-württembergischen Kleinstadt Aulendorf zurückgetreten – inmitten von schweren politischen Konflikten und einem Finanzskandal.[12] Die Verschuldung der Kleinstadt betrug zu diesem Zeitpunkt rund 65 Millionen Euro. Nach Berichten der Lokalpresse werden dafür „schwere Verfehlungen“ des CDU-Mitglieds Eickhoff verantwortlich gemacht.[13] Mitglieder des Gemeinderates warfen inzwischen die Frage auf, ob der 43-jährige Historiker und Hispanist nicht per Haftbefehl aus Venezuela zurückgeholt werden könne, um ihn in seinem Heimatland strafrechtlich zu belangen.
Das Ansinnen wurde bislang nicht weiter verfolgt. Der Christdemokrat Georg Eickhoff koordiniert in Venezuela so weiter die „Förderung der Demokratie“, während in Deutschland Strafverfahren gegen ihn erwogen werden.
Berlin sucht Kontakt zu rechten Regierungen
Dabei wird die Position der deutschen Regierung in Lateinamerika auch unabhängig von der Arbeit der Parteisstiftungen zunehmend kritisch gesehen. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel im Mai 2008 aus Anlass des jüngsten EU-Lateinamerika-Gipfels in die Region reiste, besuchte sie ausschließlich rechtsgerichtete Staatsführungen – in Bogotá, Lima und Mexiko. Beobachter in Europa und Lateinamerika werteten das Reiseprogramm damals als Signal gegen die linksgerichtete Ländermehrheit in Lateinamerika und der Karibik. Bestätigt wurde dies Ende Oktober vom amtierenden Ersten Vizepräsidenten des Bundesrates und Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU). Auch er reiste als Repräsentant der Bundesregierung nach Mexiko und Kolumbien, um die Kontakte zu diesen neoliberal ausgerichteten Staaten auszubauen.[14]
Von regierungsunabhängigen Gruppen und Menschenrechtsorganisationen wird der Schulterschluss Berlins mit den rechten Führungen Lateinamerikas durchaus kritisch gesehen. Immerhin weist Kolumbien unter Präsident Alvaro Uribe, der sowohl Merkel als auch von Beust persönlich empfing, die höchste Mordrate an Gewerkschaftern und anderen sozialen Aktivisten seit Jahren auf.[15] Auch in Mexiko hat mit Zunahme der sozialen Auseinandersetzungen im Rahmen der Privatisierungspolitik von Präsident Felipe Calderón die Gewalt gegen Regierungskritiker zugenommen.[16] Die Repression gegen soziale und politische Aktivisten in dem südlichen Nachbarstaat der USA ließe, so schreibt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, „in einzelnen Bundesstaaten eine Systematik erkennen“. Kritisch beurteilt Amnesty, dass das Militär in Mexiko Polizeiaufgaben wahrnimmt. Die Streitkräfte begingen dabei „schwere Menschenrechtsverletzungen und in einigen Fällen sogar Tötungen“. Bei der Aufarbeitung solcher Menschenrechtsverbrechen aus den vergangenen Jahrzehnten erzielte die Regierung in Mexiko-Stadt derweil „keine Fortschritte“.[17]
Weder Merkel noch Beust sprachen diese Probleme öffentlich an oder setzten sie in angemessener Form auf die Tagesordnung.
Stattdessen gingen exponierte Mitglieder der Regierungsparteien in Berlin auf Konfrontationskurs mit Kritikern dieser Politik. Als die Fraktion Die Linke im Februar vergangenen Jahres die Bundesregierung aufrief, „zivile Friedensinitiativen“ in Kolumbien zu unterstützen und ihre Politik an „sozialen, demokratischen und Menschenrechten auszurichten“, mussten sich die Initiatoren des Antrags schwere Vorwürfe gefallen lassen.[18] Die Linksabgeordneten Heike Hänsel und Wolfgang Gehrcke machten sich die Ziele der kolumbianischen Guerillaorganisation FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) zueigen, schalt der Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Ohnehin, so schrieb Karl-Theodor Freiherr von und zu Guttenberg damals in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, leiste die Linkspartei im Bundestag „systematische Lobbyarbeit für Diktatoren, Terrorgruppen und linkspopulistische Regime“.[19]
Liberale Naumann-Stiftung schürt Konflikt in Nicaragua
Doch auch jenseits des Atlantiks wird die Auseinandersetzung über die deutsche Lateinamerika-Politik mit harten Bandagen geführt. Neben der Adenauer-Stiftung macht vor allem die liberale Friedrich-Naumann-Stiftung (FNS) immer wieder mit radikalen Positionierungen gegen die linken Staatsführungen Lateinamerikas von sich reden. Die FDP-nahe Stiftung mit dem Vollnamen „Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit“ und der entsprechenden Internetadresse „freiheit.org“ hat wegen der aggressiven Linie in den vergangenen Jahren wiederholt für Proteste in der Region gesorgt. Besonnener gehen ihre Vertreter deswegen aber nicht vor. Nach den Regionalwahlen in Nicaragua Anfang November vergangenen Jahres reiste Peter Röhlinger, Vorstandsmitglied der FNS in das mittelamerikanische Land, um mit Vertretern der Opposition zu sprechen. In den Tagen zuvor war es in Nicaragua zu schweren Unruhen gekommen, nachdem Gegner der regierenden Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) den Sieg dieser Partei in den meisten Gemeinden nicht anerkannt hatten. Bei Zusammenstößen zwischen beiden Lagern wurden mehrere Menschen getötet. Bewaffnete Oppositionsaktivisten hatten sogar versucht, das Wohnhaus des prominenten Regierungspolitikers und Kommandanten der sandinistischen Revolutionstruppen Edén Pastora Gómez zu stürmen. Der FSLN-Politiker konnte sich und seine Familie nur durch Warnschüsse vor dem Mob schützen.
Die Krawalle waren gerade abgeklungen, als Röhlinger in der rechtsgerichteten Tageszeitung „La Prensa“ ein Aufsehen erregendes Interview gab.[20] Der ehemalige FDP-Bürgermeister von Jena habe mehrere Tage lang das mittelamerikanische Land bereist und dabei mit liberalen Politikern, Vertretern der katholischen Kirche sowie Unternehmern gesprochen. „Ich fühle mich also gut informiert“, wird Röhlinger von dem La-Prensa-Mitarbeiter Ludwin Loáisiga López zitiert, „und auf dieser Basis kann ich sagen, dass (bei den Regionalwahlen, d. Red.) sehr wohl ein Wahlbetrug stattgefunden hat, nicht spontan, sondern sehr gut geplant.“ Die Manipulation, so Röhlinger weiter, sei mehrere Monate vor der Abstimmung vorbereitet worden. Unmittelbar zuvor hatte sich selbst die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) trotz ihrer grundsätzlich kritischen Haltung zum Geschehen in Nicaragua weitaus verhaltener geäußert. Er könne die Vorwürfe der Opposition nicht bestätigen, erklärte OAS-Chef José Miguel Insulza, um Regierung und Opposition zum Dialog aufzurufen.[21] Röhlingers Stellungnahme hingegen heizte den Konflikt kurzzeitig wieder an.
Erstaunlich ist die Frontstellung der deutschen Liberalen gegen die sandinistische Regierung in Nicaragua keineswegs. Seit 2003 setzt sich die Naumann-Stiftung aktiv für eine Vernetzung (neo-)liberaler Kräfte in Lateinamerika und der Karibik ein. Während die Staaten Südamerikas mit jeder Wahl weiter nach links rückten, galt die mittelamerikanische Staatengemeinschaft lange als Bastion gegen den von Venezuela und Bolivien beworbenen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“. Der Sieg von Ortegas FSLN bei den Präsidentschaftswahlen im November 2006 drohte dieses Bollwerk von innen heraus zu zerstören.[22]
Weil sich ein Wiedererstarken der US-kritischen Sandinisten schon Jahre zuvor abzeichnete, war das auf Initiative der Naumann-Stiftung Ende 2003 gegründete „Liberale Netzwerk Lateinamerikas“ (RELIAL) auch in Nicaragua aktiv.[23] In der Selbstdarstellung zu den Aktivitäten der FNS in Lateinamerika werden zwei Regionalkonferenzen erwähnt – beide fanden im Oktober 2005 in Mittelamerika statt. Das erste Treffen organisierten die deutschen Liberalen in Honduras. Bei der zweiten Zusammenkunft warben sie eben in Nicaragua für das umstrittene Freihandelsabkommen CAFTA zwischen den USA und den Staaten Mittelamerikas. „Redner aus zahlreichen lateinamerikanischen Ländern nutzen die Gelegenheit, um zentralamerikanische und nicaraguanische Politiker, Unternehmer und Meinungsführer für das Thema zu sensibilisieren und zur Vorbereitung entsprechender Schritte zu motivieren“, heißt es auf der Internetseite der Stiftung.[24] Am 10. Oktober 2005 ratifizierte Nicaragua – damals noch rechts regiert – das umstrittene Vertragswerk.
Die Sandinisten denken nun wieder über einen Austritt nach. Nach seinem Amtsantritt unterzeichnete Präsident Daniel Ortega zudem noch im Januar 2007 die Beitrittserklärung zur Bolivarischen Alternative für Amerika (ALBA).[25] Das anti-neoliberale Staatenbündnis war auf Initiative von Kuba und Venezuela just als Gegenkonzept zum US-dominierten Freihandel gegründet worden.
Diese Politik macht den deutlich schärferen Ton der neoliberalen Lobbyisten aus dem Umfeld der deutschen FDP verständlich. Schon 2007 hatten Vertreter dieser Partei im Bundestag eine Streichung von Budgethilfen für die Ortega-Führung gefordert.[26] Dabei habe seine Regierung der korrupten Politik der vorherigen Regime ein Ende gesetzt, verteidigte sich der Außenminister des mittelamerikanischen Landes später in einem Gespräch in Berlin. „Was erwarten diese Leute? (…) Wir haben mit dieser Politik gebrochen“, sagte Chefdiplomat Samuel Santos: „Wenn das von einzelnen (deutschen, d. Red.) Abgeordneten als schlechte Regierungsführung wahrgenommen wird, dann will ich konkret wissen, was wir tun sollen.“[27] Eine Antwort von der FDP blieb jedoch aus.
Bertelsmann-Stiftung: „Effektive Gegenstrategie“ zu Chávez
Eine indirekte Reaktion kam wenige Monate später von unerwarteter Seite. Im Oktober veröffentlichte die in Gütersloh ansässige Bertelsmann-Stiftung zum dritten Mal nach 2003 und 2006 ihren „Bertelsmann Transformation Index“ (BTI).[28] Darin wird Nicaraguas Annäherung an Venezuela kritisch beurteilt. Der aufwendig erstellte Bericht schätzt den Stand der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in 125 Schwellen- und Entwicklungsländern Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und Osteuropas ein. Bei der Ausarbeitung beteiligt ist das Münchner „Centrum für angewandte Politikforschung“ (CAP).[29] Der inzwischen dritte Report der beiden Institutionen hat offenbar einen bedeutenden Einfluss auf die deutsche Außenpolitik. Sowohl die Bundesregierung als auch die für Entwicklungszusammenarbeit verantwortliche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) orientieren sich an den Aussagen des „Bertelsmann Transformation Index“. Und diese Aussagen sind besonders in Bezug auf die links regierten Staaten Lateinamerikas negativ.
Die Bertelsmann-Stiftung ist mit knapp 80 Prozent die Mehrheitseignerin der gleichnamigen Aktiengesellschaft. Das 1835 gegründete einstige Familienunternehmen Bertelsmann ist heute eines der mächtigsten Medien- und Verlagskonzerne weltweit. Zum Konzern gehören Medienunternehmen wie der Gruner + Jahr Zeitschriftenverlag, die RTL-Group oder die global agierende Verlagsgruppe Random House. Dem Aufsichtsrat gehören bedeutende Vertreter der Industrie an, unter anderem der Vorsitzende des Aufsichtsrates des weltgrößten Chemiekonzerns BASF. Weitere Mitglieder kommen aus dem Chemie- und Pharmaunternehmen Merck, von BMW und der Internetfirma Lycos. Der Bertelsmann-Konzern beschäftigte im Geschäftsjahr 2007 weltweit über 100.000 Mitarbeiter, der Umsatz betrug laut Geschäftsbericht 18,758 Milliarden Euro.
Mit dieser geballten Wirtschaftskraft im Rücken macht Bertelsmann nun auch Politik in Südamerika: Der BTI-Bericht ist dabei das zentrale Instrument – gegen Kräfte, die sich dem seit Jahren von der Bertelsmann-Stiftung propagierten Neoliberalismus entgegenstellen. Auf einer Skala von eins bis zehn erreicht Venezuela bei den Experten in Gütersloh gerade einmal eine Quote von 5,15. Die Tendenz in der Kategorie „Demokratie“ ist stark abfällig. Entsprechend negativ fällt das Urteil der einflussreichen deutschen Politikberater über Präsident Hugo Chávez aus: „Seit den 1990er Jahren haben wir den Niedergang der venezolanischen Parteiendemokratie und den nachfolgenden Aufstieg eines populistischen Caudillos beobachtet“, heißt es in dem 21-seitigen Kapitel zu Venezuela: „In Zusammenhang mit der drohenden Zunahme von Autoritarismus ist diese Entwicklung nicht nur von innenpolitischer, sondern von regionaler Bedeutung“. Auch sei Venezuela „kein glaubhafter und verlässlicher Partner in den internationalen Beziehungen“.[30]
Innenpolitisch heble die Chávez-Regierung das Recht auf Privateigentum aus. Die fortschreitende Landreform und Verteilung ungenutzter Ackerflächen an landlose Bauern etwa beweise die „mangelnde Verbindung“ der Regierung in Caracas zu marktwirtschaftlichen Ideen. Vor allem aber fürchten die Autoren aus der Bertelsmann-Stiftung die außenpolitische Wirkung der von Hugo Chávez forcierten „bolivarischen Revolution“. Seine Regierung benutze das Erdöl ihres Landes als „politische Waffe“ um „Reklame“ für die eigene sozialistische Politik zu machen. Besonders Argentinien und Bolivien hätten sich als anfällig für diese Einflussnahme erwiesen. Weil die Gegner der Chávez-Regierung im eigenen Land aber offenbar nicht fähig seien, der Staatsführung etwas entgegenzusetzen, stünden nun die USA und die Europäischen Union in der Pflicht, heißt es in den Schlussfolgerungen. Es läge nun an Washington und Brüssel, eine „effektive Gegenstrategie“ zur Chávez-Regierung zu entwickeln.
Quellen
[1] Die Anfrage wurde am 26.06.2008 eingereicht. Im Internet: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/098/1609866.pdf (10.01.2009)
[2] Antwort der Bundesregierung. Im Internet: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/112/1611297.pdf (10.01.2009)
[3] Lateinamerika: Antwort der Bundesregierung auf Große Anfrage offenbart Wissenslücken. Presseerklärung vom 22.12.2008. Im Internet: http://www.gruene-bundestag.de/cms/presse/dok/263/263286. lateinamerika_antwort_der_bundesregierun.html (10.01.2009)
[4] Im Internet: http://fdcl-berlin.de (10.01.2009)
[5] Autoritärer Staat und paramilitärische Machtnahme in Kolumbien. Die Regierung Uribe und der Krieg gegen die soziale Bewegung. Von: FDCL/ kolumbienkampagne berlin. Im Internet: http://fdcl-berlin.de/index.php?id=1376 (10.01.2009)
[6] Der Bericht erschien am 1. Oktober 2008 unter dem Titel „Regional- und Kommunalwahlen in Venezuela. Als der Irrtum auffiel, wurde er durch einen anderen Report mit der Überschrift „Chávez unter Druck. Venezuela wählt Bürgermeister und Gouverneure“ ersetzt. Der ursprüngliche Bericht ist hier zu finden: http://www.hintergrund.de/images/kas_venez.pdf
[7] Die Partei Primero Justicia wurde 1992 gegründet, sie ist rechtspopulistisch orientiert. Die 1946 gegründete christdemokratische COPEI war bis in die 1990er eine der größten Parteien. Inzwischen hat sie kaum mehr Einfluss.
[8] http://www.hintergrund.de/images//mail_eickhoff.jpg
[9] Am 7. Januar veröffentlichte das „National Security Archive“, eine Forschungsstelle an der US-amerikanischen George-Washington-Universität Regierungsdokumente, die belegen, dass der US-Auslandsgeheimdienst CIA seit mindestens eineinhalb Jahrzehnten von der engen Zusammenarbeit zwischen Regierung, Armee und Todesschwadronen wusste. Die Forscher kamen an die Unterlagen über das US-amerikanische Informationsfreiheitsgesetz. Im Internet: http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB266/index.htm (10.01.2009)
[10] Im Internet: http://www.kas.de/proj/home/home/60/1/index.html (10.01.2009)
[11] Am 9. September 2008 erschien ein Bericht mit dem Titel „Die Erdbebenregion Ica-Peru: Ein Jahr danach“, Mitte Mai hatte die KAS in Lima einen Jugendkongress ausgerichtet.
[12] Messner, Wolfgang: Abrechnung mit Exbürgermeister Eickhoff. In: Stuttgarter Zeitung. 28.07.2008. Im Internet: http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/1772633_0_2147_neuwahl-in-aulendorf- abrechnung-mit-exbuergermeister-eickhoff.html (10.01.2009)
[13] Wie die Stadt Aulendorf 2008 den Neuanfang schaffte. In: Schwäbische Zeitung. 31.12.2008. Im Internet: https://www.szon.de/lokales/badwaldsee/aulendorf/200812310175.html?SZONSID=03b98006cdf c8e71be6f99eeb160fa25 (10.01.2009)
[14] Reise nach Lateinamerika rundet Bundesratspräsidentschaft ab. Presseerklärung des Bundesrates. Undatiert. Im Internet: http://www.bundesrat.de/cln_099/nn_8396/DE/service/thema-aktuell/ 08/20081104-Lateinamerikareise.html (10.01.2009)
[15] Neuber, Harald: Mörderischer Alltag in Kolumbien. In: Tageszeitung junge Welt. Berlin, 22.08.2008. Im Internet: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Kolumbien/morde2.html (10.01.2009)
[16] Jährliche Übersicht über die Verletzung von Gewerkschaftsrechten 2008. In: Internetseite des Internationalen Gewerkschaftsbundes. Im Internet: http://survey08.ituc-csi.org/survey.php?IDContinent=2&IDCountry=MEX&Lang=DE (10.01.2009)
[17] Länderbericht 2008 zu Mexiko. In: Internetseite von Amnesty International. Im Internet: http://www.amnesty.de/laenderbericht/mexiko (10.01.2009)
[18] Deutsche Kolumbien-Politik auf die Stärkung ziviler Friedensinitiativen und der sozialen, demokratischen und Menschenrechte ausrichten. Antrag der Fraktion Die Linke vom 14.06.2007. Im Internet: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/056/1605678.pdf (10.01.2009)
[19] Union: Linkspartei unterstützt Farc. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 04.02.2008. Im Internet: http://www.faz.net/PRINT/Politik/Union-Linkspartei-unterstuetzt-Farc (10.01.2009)
[20] Loáisiga López, Ludwin: Röhlinger: Hubo fraude y fue bien planeado. In: La Prensa. 25.11.2008. Im Internet: http://www.laprensa.com.ni/archivo/2008/noviembre/25/noticias/politica/296803_print.shtml (10.01.2009)
[21] Secretary General Insulza expresses OAS´ concern at Nicaraguan developments. Presseerklärung der Organisation Amerikanischer Staaten. 11.11.2008. Im Internet: http://www.oas.org/OASpage/press_releases/press_release.asp?sCodigo=E-434/08 (10.01.2009)
[22] Inzwischen hat sich auch der liberale Staatschef Honduras´ an das alternative Staatenbündnis ALBA angenähert. Bei den kommenden Präsidentschaftswahlen in El Salvador am 15. März 2009 wird zudem die linksgerichtete FMLN den Umfragen zufolge siegen.
[23] Im Internet: http://www.relial.org (10.01.2009)
[24] Wacker, Ulrich: Aktivitäten in Lateinamerika. In: Internetseite der Friedrich-Naumann-Stiftung. Im Internet: http://www.la.fnst-freiheit.org/webcom/show_article.php/_c-409/i.html (10.01.2009)
[25] Im Internet: http://www.alternativabolivariana.org (10.01.2009)
[26] Ein Konzept für die Budgethilfepraxis vorlegen und die Gewährung von Budgethilfe an strenge Kriterien knüpfen. Antrag der FDP-Fraktion vom 13.06.2007. Im Internet: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/056/1605604.pdf (10.01.2009)
[27] Neuber, Harald: ALBA hat Nicaragua aus der Dunkelheit geholt. In: Tageszeitung junge Welt, Berlin, 16.05.2008. Im Internet: http://www.amerika21.de/hintergrund/2008/interview-Santos (10.01.2009)
[28] Im Internet: http://www.bertelsmann-transformation-index.de (10.01.2009)
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[29] Im Internet: http://www.cap-lmu.de (10.01.2009)
[30] Kapitel im BTI 2008 zu Venezuela. Im Internet: http://www.bertelsmann-transformation-index.de/fileadmin/pdf/ Gutachten_BTI_2008/LAC/Venezuela.pdf (10.01.2009)