Der Neue im Geist des Alten
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Zur Präsidentschaftswahl in Venezuela –
Von SEBASTIAN RANGE, 15. April 2013 –
Überraschend knapp fiel der Wahlsieg von Nicolás Maduro von der Vereinigten Sozialistischen Partei aus, den letzte Umfragen noch bis zu zwanzig Prozentpunkte vorne gesehen hatten. Maduro kündigte an, dem sozialistischen Kurs seines Vorgängers Hugo Chávez treu zu bleiben.
„Heute können wir sagen, dass wir einen legalen, verfassungsmäßigen Sieg errungen haben“, sagte der langjährige Weggefährte des im März an Krebs gestorbenen „Comandante“ nach seinem Wahlsieg. Der ehemalige Busfahrer und Gewerkschaftsführer Maduro konnte bereits unter Chávez Erfahrungen auf dem internationalen Parkett sammeln, als er sechs Jahre lang das Land als Außenminister vertrat. Im Dezember war er von Chávez zum Vizepräsidenten ernannt und als sein Nachfolger vorgeschlagen worden.
Das Oppositionsbündnis Mesa de la Unidad Democrática (MUD) erlitt seine zweite Wahlniederlage innerhalb von sechs Monaten. Sein Kandidat Henrique Capriles Radonski spricht von Wahlbetrug und erkennt das Ergebnis nicht an. Er musste bereits im Oktober 2012 im Kampf um die Präsidentschaft eine Niederlage hinnehmen, konnte aber mit 44,3 zu 55,1 Prozenten gegen Hugo Chávez immerhin einen Achtungserfolg erringen. Am Sonntag erhielt Capriles 49,07 Prozent, während 50,66 Prozent der Stimmen auf Maduro fielen. Nach Angaben der Wahlbehörde CNE lag die Wahlbeteiligung bei 78,71 Prozent.
Nach der Verkündung des Wahlergebnisses strömten tausende Maduro-Anhänger zum Präsidentenpalast Miraflores und riefen: „Dieser Sieg ist von Chávez und für Chávez.“ Kremlchef Wladimir Putin gratulierte Maduro zum Sieg. „Ich bin überzeugt, dass unter Ihrer Leitung Venezuela und die strategische Partnerschaft zu Russland stabil sein werden“, teilte Putin am Montag der Agentur Interfax zufolge in einem Telegramm mit.
Kurz vor der Wahl hatten sich Erosionserscheinungen innerhalb des MUD bemerkbar gemacht. Die Kleinpartei Opinión Nacional sprang gut eine Woche vor dem entscheidenden Termin ab und rief zur Wahl des Kontrahenten auf. Zuvor hatten sich drei oppositionelle Abgeordnete von dem Wahlbündnis der Regierungsgegner verabschiedet. Sie begründeten ihren Schritt mit Plänen der MUD, nach den Wahlen einen Sieg Maduros nicht anzuerkennen und gewaltsame Ausschreitungen zu provozieren. Als einziger Bewerber um das Präsidentschaftsamt hatte sich Capriles vor der Wahl geweigert, eine vom Nationalen Wahlrat vorgelegte Erklärung zu unterzeichnen, in der die Kandidaten zusichern, die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl anzuerkennen.
Schlechter Verlierer: Der Mann Washingtons
Das knappe Ergebnis spielt nun den Plänen der Opposition in die Hände, den Sieg ihres Gegners nicht anzuerkennen und keine stabile Regierung zuzulassen. Capriles forderte eine umfassende Überprüfung des Wahlergebnisses und eine erneute Auszählung aller Stimmen. Er sprach von 3 000 Meldungen über Unregelmäßigkeiten bei der Wahl. „Ich paktiere weder mit der Lüge noch mit der Korruption“, sagte der 40-Jährige in der Nacht zum Montag.
Der einer wohlhabenden Unternehmerfamilie entstammende Jurist vermied es, während der letzten beiden Präsidentschafts-Wahlkämpfe eine neoliberale Rhetorik anzuschlagen und dadurch Wähler aus den ärmeren Schichten zu vergraulen. Er kündigte sogar an, die von Chávez initiierten Sozialprogramme wie die „Bolivarianischen Missionen“ fortzuführen. Obwohl einer rechts-liberalen Partei mit christdemokratischen Wurzeln angehörend, gab er die Mitte-Links-Politik von Brasiliens ehemaligen Staatschef Lula da Silva als Vorbild für seine Politik aus.
Während er seinem Konkurrenten Maduro im Wahlkampf vorwarf, bloß „ein schlechter Nachahmer von Chávez“ zu sein, der „nichts eigenes“ anbieten könne, übernahm er selbst Slogans und Symbole des verstorbenen Präsidenten und gebärdete sich als „bolivarischer Revolutionär“. Überdies bezeichnete sich Capriles gar als Sozialist. „Der echte Sozialismus unterscheidet nicht zwischen den einen und den anderen, denn wir alle sind in diesem schönen Land mit denselben Rechten auf ein besseres Leben geboren worden“, erklärte Capriles, dessen Wahlkampfstab er „Comando Simón Bolívar“ getauft hatte. (1)
Doch letztlich ging die Wählertäuschung nicht auf. Vielleicht auch, weil sich herumgesprochen hat, dass der Unternehmersohn ein Mann Washingtons ist – und die US-Regierung ist kaum dafür bekannt, nach nationaler Unabhängigkeit strebende Sozialisten zu unterstützen.
Zu den finanziellen Förderern und strategischen Beratern der von Capriles im Jahr 2000 mitgegründeten Partei Primero Justicia zählen das US-amerikanische National Endowment for Democracy (NED) und das International Republican Institute (IRI). Allein USAID (United States Agency for International Development) unterstützte die venezolanische Opposition im Wahljahr 2012 mit 5 Millionen US-Dollar. Offiziell gilt USAID als unabhängige Behörde im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Tatsächlich fungiert sie als verlängerter Arm des US-Außenministeriums mit der klaren Agenda, (potentielle) Widersacher Washingtons mit „sanften“ Mitteln zu bekämpfen. In Lateinamerika besorgt Mark Feierstein dieses Geschäft.
Bevor dieser für USAID Leiter des Zuständigkeitsbereich Lateinamerika und Karibik wurde, führte er 2002 den Wahlkampf des späteren neoliberalen bolivianischen Präsidenten Sánchez de Lozada, der vom Chávez-Verbündeten und gegenwärtigen Präsidenten Evo Morales herausgefordert worden war. „USAID-Chef Mark Feierstein wurde in Lateinamerika berüchtigt als Kopf hinter den Enthebungen der legitimen Präsidenten in Honduras und Paraguay, so dass die Politiker des Kontinents einfach lernen mussten, ihn zu meiden”, heißt es auf der Webseite der russischen Denkfabrik Strategic Culture Foundation. (2)
Auch deutsche Stiftungen mischen bei der politischen Willensbildung in dem südamerikanischen Land eifrig mit. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat Primero Justicia gar zu ihrer Partnerpartei erkoren, obwohl diese in den Putschversuch gegen Chávez im Jahr 2002 verwickelt war. Capriles spielte bei dem Ereignis selbst eine unrühmliche Rolle. „Von WikiLeaks veröffentlichte Dokumente belegen seine langjährige Zusammenarbeit mit der US-Botschaft nicht nur beim Aufbau seiner Präsidentschaftskandidatur sondern bei weiteren Aktivitäten, die Washingtons Zensoren schon ausgetuscht hatten. Unter anderem waren Capriles Radonski und (Primero Justicia-Mitbegründer, Anm. d. Red.) Leopoldo Lopez während des Putschs an der Entführung des Innen- und Justizministers Ramon Rodriguez Chacin und der Plünderung seines Hauses beteiligt.“ (3)
An der Belagerung und versuchten Stürmung der kubanischen Botschaft war der gelernte Jurist ebenso führend involviert. Für ein halbes Jahr saß er aufgrund dieser Aktivitäten in Untersuchungshaft.
Neuer Präsident – alte Herausforderungen
Maduro will den eingeschlagenen Weg des „Sozialismus im 21. Jahrhundert“ fortsetzen. Er verspricht, den „größten Traum“ von Chávez zu verwirklichen, ein „sozialistisches Vaterland“ zu schaffen. Dabei steht er vor großen nationalen wie internationalen Aufgaben.
Venezuela verfügt nach offiziellen Angaben mit schätzungsweise fast 300 Milliarden Barrel über die größten Erdölvorräte der Welt. Ölexporte machen über 80 Prozent der Exporterlöse aus, und die Öleinnahmen füllen etwa zur Hälfte die Staatskasse. Dass die Erlöse aus dem Ölverkauf nicht mehr nur einer kleinen Schicht zu Gute kommen, sondern der Finanzierung massiver Sozialprogramme dienen – kostenlose Bildung und Gesundheitsversorgung, sozialer Wohnungsbau, etc. – und so die Armut erheblich gesenkt werden konnte, ist ein Verdienst der Chávez-Regierung. Dieser gelang es jedoch nicht, die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Erdöl und den damit verbundenen Preisschwankungen auf dem Rohölmarkt zu mindern. Hinzu kommt, dass die Förderung des „schwarzen Goldes“ in den letzten Jahren aufgrund mangelnder Investitionen in die entsprechenden Anlagen zurückgegangen ist.
Die kurz vor den Wahlen erfolgte Ankündigung Maduros, die Mindestlöhne um vierzig Prozent zu steigern, mag als üppiges Wahlgeschenk erscheinen. Doch den entscheidenden Ausschlag dürfte sie nicht bewirkt haben. Nicht nur, weil auch Gegenkandidat Capriles für den Fall seines Sieges kräftige Lohnsteigerungen und eine Anhebung der Rente um vierzig Prozent versprach, sondern auch, weil es sich dabei in erster Linie um einen Ausgleich der hohen Inflation handelt, unter der die knapp 30 Millionen Venezolaner leiden. Sie betrug im Jahr 2011 satte 26 Prozent und ging im vergangenen Jahr nach Schätzungen auf etwa 23 Prozent zurück.
Venezuela aus der Rolle des Rohstofflieferanten zu befreien, bleibt nach wie vor eine der größten Herausforderungen der Regierung. Zu diesen zählt auch die ausufernde Kriminalität, die die Gesellschaft vor eine Zerreißprobe stellt. Täglich sterben dutzende Menschen durch Gewaltverbrechen. Die Mordrate ist eine der höchsten weltweit. In der Millionenmetropole Caracas sind 50 bis 60 Morde an einem Wochenende keine Seltenheit. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Observatorio Venezolano de Violencia gab es 2012 mehr als 21 000 Morde in Venezuela, nach der offiziellen Statistik waren es 16 000.
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International steht Maduro vor der Aufgabe, die Integration des lateinamerikanischen Kontinents weiter voran zu treiben und allen sich gegen Demokratie und Sozialstaatlichkeit richtenden Subversionsbemühungen seitens der USA und anderer Mächte zu widerstehen – das denkbar knappe Wahlergebnis macht diese Aufgaben nicht gerade einfacher.
Anmerkungen
(1) http://www.jungewelt.de/blogs/entscheidung-in-venezuela/index.php?id=1040
(2) http://www.strategic-culture.org/news/2012/09/26/end-to-usaid-spying-looms-in-latin-america.html
(3) http://www.hintergrund.de/201210132278/politik/politik-eu/wer-ist-capriles-radonski.html