Der Mord an Benazir Bhutto
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Viele Ungereimtheiten – wenige Beweise.
Von KNUT MELLENTHIN, 8. Januar 2008:
Sie ist die große und vielleicht die letzte Hoffnung der US-Regierung zur Aufrechterhaltung ihrer Position in Pakistan gewesen. Andere sahen es anders. Benazir Bhuttos Nichte Fatima schrieb im November vergangenen Jahres, einen Monat nach der Rückkehr der zweimaligen Ministerpräsidentin: „Ich habe persönliche Gründe, die Gefahr zu fürchten, die die Anwesenheit von Frau Bhutto in Pakistan mit sich bringt. Aber ich bin nicht allein. Die Islamisten warten vor den Toren. Sie haben auf die Bestätigung gewartet, dass die Reformen, für die das pakistanische Volk gekämpft hat, eine vom Weißen Haus aufgebaute Farce sind. Seit Muscharraf 1999 die Macht ergriffen hat, hat es eine ernsthafte Basisbewegung für demokratische Reformen gegeben. Das letzte, was wir brauchen, ist, durch eine Marionetten-‚Demokratin’ wie Frau Bhutto an eine Neocon-Agenda gefesselt zu werden.“ (1)
Einen Bombenanschlag am Tag ihrer Rückkehr aus dem Exil in Dubai am 19. Oktober 2007 überlebte Benazir Bhutto, während 139 Menschen getötet wurden. Am 27. Dezember 2007 fiel sie nach einer Wahlveranstaltung in Rawalpindi einem weiteren Attentat zum Opfer. Die genauen Umstände ihres Todes sind bisher ebenso ungeklärt wie die Frage, wer den Mordanschlag in Auftrag gegeben hatte. Bhuttos Leiche wurde ohne reguläre Autopsie begraben. Nach Angaben eines Arztes aus dem Krankenhaus, in das die schwer verletzte Politikern eingeliefert worden war, hatte angeblich der Polizeichef von Rawalpindi einer von den Ärzten geforderten Autopsie nicht zugestimmt. Unstrittig ist allerdings, dass auch Bhuttos Ehemann, Asif Ali Zardari, eine Autopsie abgelehnt hatte. „Es war eine Beleidigung für meine Frau“, sagte er auf einer Pressekonferenz, drei Tage nach dem Attentat. „Ich weiß, dass ihre gerichtsmedizinischen Untersuchungen nutzlos sind. Ich weigere mich, ihnen ihre letzten Überreste zu überlassen.“ (2)
Das bestenfalls rudimentär demokratische pakistanische Regime machte von der ersten Stunde an Al-Kaida für den Mord an Benazir Bhutto verantwortlich. Es kann sich mit dieser Behauptung auf die grundsätzliche Unterstützung durch die US-amerikanische Regierung verlassen. Dagegen behaupten die Spitzenpolitiker von Bhuttos Volkspartei (Pakistan Peoples Party – PPP) mit scheinbar absoluter Unbeirrbarkeit, daß die Drahtzieher des Anschlags im Staatsapparat, insbesondere in Kreisen des Geheimdienstes ISI und des Militärs, zu suchen seien. Die Hinweise auf Täter aus den Reihen von Al-Kaida seien nur ein großes Ablenkungsmanöver. Aber es zeichnet sich auch eine dritte Möglichkeit ab: die Verwicklung von Teilen der PPP-Führung in die Planung und Ausführung der Tat. Ein Leibwächter von Frau Bhutto ist untergetaucht, nachdem ein Video veröffentlicht wurde, das sein „verdächtiges“ Verhalten kurz vor dem Anschlag zeigt. Rätsel gibt auch die Rolle des Sicherheitschefs von Frau Bhutto, Rehman Malik, auf: Er verließ vor dem Attentat den Kundgebungsplatz und gab etwas später die Falschmeldung heraus aus, Bhutto habe den Anschlag unverletzt überlebt.
Erste Hinweise auf eine Urheberschaft von Al-Kaida gab es schon am Tag der Tat. Die italienische Nachrichtenagentur ADN Kronos International behauptete am 27. Dezember, der „Al-Kaida-Kommandant und Hauptsprecher“ Mustafa Abu Al-Yazid habe sich bei ihr telefonisch gemeldet und in stockendem Englisch erklärt: „We terminated the most precious American asset which vowed to defeat mujahadeen.“ („Wir beendeten den kostbarsten amerikanischen Aktivposten, der schwor, die Mudschaheddin zu besiegen.“) Die Entscheidung, Benazir Bhutto zu ermorden, sei im Oktober vorigen Jahren von Ayman al-Zawahiri getroffen worden, der meist als „Nummer Zwei von Al-Kaida“ – nach Osama Bin Laden – bezeichnet wird. (3)
Auch die in Hongkong registrierte Online-Publikation Asia Times behauptete, unmittelbar nach dem Anschlag einen Anruf von Al-Yazid mit demselben Inhalt bekommen zu haben. Die Asia Times zitierte den Anrufer außerdem mit der Aussage, die Gruppe, die das Attentat ausgeführt habe, habe aus Unterstützern der Untergrund-Kampforganisation Lashkar-i-Jhangvi bestanden (4), die unter anderem durch Anschläge auf schiitische Einrichtungen bekannt geworden ist. Der 52jährige Ägypter Al-Yazid wird oft als Operationschef von Al-Kaida in Afghanistan bezeichnet. (5)
Das FBI, das Department of Homeland Security und das Büro des Geheimdienstkoordinators Mike McConnell reagierten auf diese Meldungen mit offener Skepsis. Es wurde darauf hingewiesen, daß auf den radikal-islamistischen Webseiten, die regelmäßig Botschaften von Al-Kaida und anderen militanten Gruppen veröffentlichen, keine Bekennererklärung zum Bhutto-Mord postiert worden sei. Eine einzige islamische Webseite habe das angebliche Bekenntnis von Al-Yazid aufgenommen, aber diese gelte bei Experten nicht als zuverlässige Quelle. (6) Die Story war damit gestorben und spielte fortan keine Rolle mehr.
Am 28. Dezember, einen Tag nach dem Anschlag, teilte ein Sprecher des pakistanischen Innenministeriums, Javed Iqbal Cheema, der Presse mit, dass ein Telefongespräch abgehört und mitgeschnitten worden sei, dass eindeutig auf die Urheberschaft von Al-Kaida hinweise. (7) Demzufolge war Baitullah Mehsud, ein bekannter politisch-militärischer Stammesführer in Nordwestpakistan (8), kurz nach dem Attentat von einem „Emir Sahib“ – es handelt sich dabei nicht um einen Namen, sondern um eine Anrede, die ungefähr „Herr Prediger“ bedeutet – angerufen worden. Nachdem sich die beiden Männer zunächst gegenseitig gratuliert hatten – anscheinend zu dem Mord, aber ohne diesen zu erwähnen – habe der als Emir Sahib Angesprochene gesagt: „Das waren unsere Männer dort.“ Auf Nachfrage von Mehsud habe er die Namen dreier Männer genannt, die sich am Tatort befunden hätten. Zwei davon, Ikramullah und Bilal, hätten den Anschlag ausgeführt.
Das von den pakistanischen Behörden veröffentlichte Transkript deutet genau betrachtet nicht darauf hin, dass Mehsud Auftraggeber und Organisator des Mordes war. Denn in diesem Fall würde Emir Sahibs Mitteilung „Das waren unsere Männer dort“ keinen erkennbaren Sinn machen. Aber wie auch immer, Mehsud gilt in der Propaganda des pakistanischen Regimes seither als Drahtzieher des Anschlags. Die US-Regierung hat sich dieser Version angeschlossen. Für die Behauptung, dass Mehsud in einer engen Beziehung zu Al-Kaida stehe, gibt es jedoch weder von pakistanischer noch von US-amerikanischer Seite konkrete Belege.
Am 29. Dezember, einen Tag nach der Veröffentlichung des angeblichen Gesprächs, meldete sich per Telefon bei der Nachrichtenagentur AFP ein Mann, der sich als Maulana Omar, Sprecher von Mehsud, ausgab. Er bestritt jede Beteiligung Mehsuds an dem Anschlag und bezeichnete diesen als „Verschwörung der Regierung, der Armee und der Geheimdienste“. Das angebliche Transkript sei „ein Theaterstück“. Es sei „gegen die Stammessitten“, eine Frau anzugreifen. Außerdem wäre es für Kämpfer „unmöglich“ gewesen, durch die Sicherheitsabsperrungen der Polizei um Bhuttos Kundgebung zu kommen. Schließlich soll der Anrufer laut AFP auch noch gesagt haben: „Benazir war nicht nur eine Führerin Pakistans, sondern auch eine Führerin von internationalem Ruf. Wir drücken unsere tiefe Trauer und unser Entsetzen über ihren Tod aus.“ (9)
Dieser Satz schließt mit allergrößter Wahrscheinlichkeit die Authentizität des Dementis aus. Für einen Vertreter der „pakistanischen Taliban“ gäbe es absolut keinen Grund, mit Hochachtung und Anteilnahme über die Frau zu sprechen, die ihnen viele Male Kampf bis zur Vernichtung angedroht hatte und die dem Regime vorgeworfen hatte, zu versöhnlerisch gegenüber den militanten Islamisten zu agieren.
Eher lässt dieser Satz vermuten, dass der Anrufer in Wirklichkeit ein PPP-Mann war, der seinen Übereifer nicht zu dämpfen vermochte. Denn die PPP-Führung weigert sich, eine Urheberschaft islamistischer Kräfte überhaupt in Erwägung zu ziehen, da sie um jeden Preis das Regime für den Mord verantwortlich machen will. Das entspricht selbstverständlich ihrem politischen Interesse.
Dieser Einwand ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die Behörden außer dem angeblichen Telefongespräch bisher absolut keine Indizien, geschweige denn belastbare Beweise für einen islamistischen Hintergrund des Anschlags präsentiert haben. Und das Transkript ist ohne jeden sachlichen Wert, da seine Echtheit nicht zu überprüfen ist. Daß sich islamistische Täter nicht damit rühmen würden, ihre größte Feindin getötet zu haben, wenn es denn so gewesen wäre, ist außerdem nicht plausibel.
Übrigens hatten die pakistanischen Behörden schon nach dem Anschlag am 19. Oktober 2007 behauptet, die Tat trage „die Handschrift“ von Baitullah Mehsud. Kurz darauf meldete die Nachrichtenagentur Reuters jedoch, Mehsud habe ihr telefonisch mitgeteilt: „Ich hatte damit nichts zu tun.“ (10)
Die PPP-Führung lehnt die Al-Kaida-Hypothese als Ablenkungsmanöver ab und fordert eine Untersuchung durch die UNO nach dem Vorbild der Kommission, die die Ermordung des libanesischen Politikers Rafiq al-Harri aufklären soll. PPP-Politiker werfen der Regierung vor, die wirklichen Schuldigen zu decken, ohne jedoch zu konkretisieren, wen sie als Drahtzieher und Organisatoren des tödlichen Anschlags im Verdacht haben. Gleichzeitig lehnen sie die Einschaltung des britischen Scotland Yard in die Ermittlungen ab. (11)
Mit ihrer Schuldzuweisung an das pakistanische Regime erfüllt Bhuttos Partei in erster Linie das Vermächtnis ihrer ermordeten Chefin. Die hatte nämlich am 26. Oktober, eine Woche nach dem ersten Anschlag auf ihr Leben in Karatschi, ihrem US-amerikanischen Repräsentanten Mark Siegel eine Mail geschickt, die nur im Fall ihres Todes veröffentlicht werden sollte. Sie schrieb dort: „Es wird mit Gottes Hilfe nichts passieren. Sollte es aber dennoch geschehen, so möchte ich Ihnen mitteilen, daß ich dafür neben den Namen, die ich in meinem Brief an Muscharraf vom 16. Oktober genannt habe, auch ihn selbst verantwortlich machen würde.“ (12)
Bhutto erwähnte diesen Brief an Muscharraf in einem Fernsehinterview mit al-Jazeera, das am 3. November 2007 ausgestrahlt wurde. (13) Sie sagte damals: „Ich habe einen Brief geschickt, in dem ich sagte, daß, während diese Gruppen (14) eingesetzt werden könnten, ich der Meinung bin, daß es wichtiger ist, gegen die Leute vorzugehen, die sie unterstützen, die sie organisieren, die möglicherweise ihre Geldgeber oder Geldbeschaffer sein könnten. Ich habe drei Personen genannt, von denen ich annehme, daß sie ihre Sympathisanten sein könnten.“ (15) – Seltsamerweise wurde Bhuttos Brief an Muscharraf von der PPP bisher offenbar nicht veröffentlicht.
In ihrer Mail vom 26. Oktober an ihren US-amerikanischen Repräsentanten Siegel machte die PPP-Chefin Muscharraf dafür verantwortlich, daß ihr die Benutzung von Privatwagen und von geschwärzten Scheiben verweigert werde. Sie klagte ferner, daß ihre Forderung nach vier Polizeiwagen – zur Abschirmung ihres eigenen Fahrzeugs von allen Seiten – und nach Störsendern (zur Ausschaltung von ferngesteuerten Bombenzündern) nicht erfüllt würde. (16)
„Falls mir irgend etwas zustößt, sorgen Sie dafür, daß das Feuer auf Muscharraf gerichtet wird“, hatte die PPP-Chefin ihren Vertrauten in USA beschworen. Siegel gab damals die Mail an drei Personen weiter, die ihm versprechen mußte, ihr Schweigen nur im Fall des Todes von Bhutto zu brechen. Einer der drei war der demokratische Abgeordnete Steve Israel, für den Siegel früher gearbeitet hatte. Israel trat sofort nach der Ermordung der Politikern vor die Presse, gab den Inhalt der Mail bekannt und forderte, alle Hilfszahlungen an Pakistan bis zur Durchführung einer „unabhängigen Untersuchung“ einzustellen. (17)
Wieweit die Beschwerden über mangelnden Schutz wirklich alle berechtigt waren, ist selbstverständlich nicht nachzuvollziehen. Muscharraf hat ihnen öffentlich widersprochen, was nur natürlich ist und nichts beweist. Nach seinen Angaben standen Bhutto in ihrer unmittelbaren Umgebung vier Polizeiwagen und 30 Beamte zur Verfügung. Insgesamt seien während der Kundgebung in Rawalpindi, nach deren Schluß Bhutto bei der Abfahrt getötet wurde, 1000 Polizisten im Einsatz gewesen. (18)
Muscharrafs Darstellung scheint durch einen Bericht über den ersten Mordanschlag in Karatschi am 19. Oktober 2007 zumindest teilweise bestätigt zu werden. BBC meldete damals: „Die meisten Toten waren Mitglieder der PPP, obwohl Polizeifahrzeuge die Hauptkraft der Explosion auffingen und vermutlich mehr als 20 Polizeibeamte starben.“ (19)
Eine wichtige Rolle für die Theorien zur Ermordung Benazir Bhuttos spielt die Tatsache, daß sie an ihrem Todestag, kurz nach der Kundgebung in Rawalpindi, mit zwei US-amerikanischen Parlamentariern zum Abendessen verabredet war. Es handelt sich um den demokratischen Abgeordneten Patrick Kennedy und den republikanischen Senator Arlen Specter. Nach Aussagen von PPP-Funktionären wollte sie den beiden bei diesem Treffen zwei vertrauliche Dossiers übergeben, die angeblich mit Hilfe von Bhutto-Sympathisanten im pakistanischen Geheimdienst ISI zusammengestellt worden waren. Brisante Kernaussaussage der Berichte: Der ISI mißbrauche Gelder aus der US-amerikanischen Militärhilfe, um die Fälschung der damals noch auf den 8. Januar terminierten Wahlen vorzubereiten. Kennedy und Specter bestätigten gegenüber der Presse die Verabredung, wollten oder konnten zu dem Bericht über die angeblich geplante Dossier-Übergabe aber nicht Stellung nehmen. (20) Die Politiker befanden sich zu diesem Zeitpunkt auf einer gemeinsamen Rundreise, die sie auch nach Israel und Syrien führte.
Als Tatmotiv ist die Geschichte von den Dossiers höchstens auf den ersten Blick plausibel. Diese Enthüllungen, wenn es denn überhaupt welche waren, wären durch Bhuttos Ermordung selbstverständlich nicht aus der Welt zu schaffen gewesen. Ganz im Gegenteil: Der tödliche Anschlag hätte die weltweite Aufmerksamkeit auf den Inhalt der Dossiers enorm erhöht. Wer wäre daran interessiert gewesen? Sicher nicht der ISI.
Und was ist nun mit den beiden Dossiers? Hat die PPP sie nach der Ermordung ihrer Chefin veröffentlicht oder wenigstens gezielt an potentielle Multiplikatoren gestreut? Das erste mit Sicherheit nicht, das zweite allem Anschein nach auch nicht, denn sonst hätte man schon mehr darüber gehört und gelesen. Bhuttos Witwer Asif Ali Zardari, der nach ihrem Tod faktisch Parteichef – in Vertretung des 19jährigen Sohnes – ist, wurde gefragt, ob sich Exemplare der Dossiers in seinen Händen befinden. Er antwortete nur wortkarg: „Something to that effect“, was man wohl mit „etwas in dieser Art“ übersetzen kann. Mit anderen Worten: Die Dossiers selbst hat er offenbar nicht. Und auf die Frage, ob Benazir Bhutto die Dossiers tatsächlich den beiden US-Parlamentariern übergeben wollte, sagte Zardari: „I am not in a position to make an answer to that.“ – „Ich bin nicht in der Lage, darauf eine Antwort zu geben.“ Andererseits wollte er aber nicht ausschließen, daß seine Frau deswegen getötet wurde. (20) Es stellt sich also die Frage, ob Frau Bhutto zu wenig Vertrauen zu ihrem Ehemann hatte, um ihm für den Fall der Fälle eine Kopie der Dossiers zu überlassen, oder ob es diese Dossiers in der behaupteten Form und Brisanz vielleicht gar nicht gab.
Zardari und andere PPP-Führer weisen jetzt mit anklagenden Zeigefingern auf den mangelnden Schutz Benazir Bhuttos durch die staatlichen Sicherheitsorgane. Sie stellen sich aber kaum die Frage, was die Partei selbst alternativ getan hat, um – angesichts der Fülle von Informationen über angebliche Mordpläne – das Leben ihrer Chefin so effektiv wie nur irgend möglich zu schützen. Zumal, wenn man wirklich davon ausgegangen ist, daß Teile des pakistanischen Sicherheitsapparats möglicherweise mit den potentiellen Mördern sympathisierten und mit ihnen gemeinsame Sache machen würden. Und zumal, wenn man vor der Rückkehr aus dem Exil während der Vorverhandlungen mit Muscharraf monatelang Zeit hatte, sich über die damit verbundenen Sicherheitsprobleme Gedanken zu machen.
Warum, beispielsweise, wurden nicht die Dienste eines professionellen Sicherheitsunternehmens in Anspruch genommen? Bhuttos Stab hatte unter anderem mit der aus dem Irak berüchtigten Firma Blackwater verhandelt, wie eine Firmensprecherin bestätigte, die sich aber nicht zu der Frage äußern wollte, warum aus der Zusammenarbeit nichts wurde. Einige PPP-Funktionäre und auch Mark Siegel, Bhuttos Vertreter in den Vereinigten Staaten, behaupten, daß die pakistanische Regierung es abgelehnt habe, den Blackwater-Leuten Visa zu erteilen. (21)
Die Berichte amerikanischer Regierungsbeamter, insbesondere aus dem State Department, sagen allerdings etwas anderes. Danach haben US-Diplomaten und Sicherheitsexperten „abgeraten“, amerikanische oder britische Sicherheitsfirmen zu beschäftigen. Das könne, so das Argument, Angriffe eher noch provozieren und dadurch die Gefahr für Benazir Bhutto erhöhen. Statt dessen hätten die US-Diplomaten dem Bhutto-Stab fünf „angesehene“ lokale pakistanische und regionale Unternehmen vorgeschlagen. Außerdem hätten sie darauf gedrängt, die Zahl, den Umfang und die Art der öffentlichen Auftritte von Frau Bhutto unter Sicherheitsaspekten zu beschränken. Weitere Ratschläge: Die Panzerung der von der PPP-Chefin benutzten Fahrzeuge sollte verbessert werden und sie selbst sollte Schutzkleidung tragen.
Der Darstellung dieser US-amerikanischen Gewährsleute zufolge habe Bhutto-Ehemann Zardari es abgelehnt, sich dem Schutz pakistanischer Sicherheitsunternehmen anzuvertrauen, da diese von Extremisten infiltriert sein könnten. Überhaupt hätten Bhuttos Sicherheitsverantwortliche die meisten der Ratschläge ignoriert. (22)
Statt des Einsatzes professioneller Dienste entschied sich Bhuttos Stab dafür, eine Garde aus Parteianhängern und mutmaßlichen Sympathisanten aufzustellen, die eher lebende Schutzschilde als wirkliche Leibwächter waren. Nach Presseberichten gehörte zu ihrer einheitlichen, uniformartigen Bekleidung ein weißes T-Shirt mit der Aufschrift „Willing to die for Benazir“ – „Gewillt für Benazir zu sterben“. (23). Tatsächlich kamen Dutzende von ihnen bei den Anschlägen in Karatschi und Rawalpindi ums Leben.
Für die Rekrutierung dieser Truppe war Rehman Malik verantwortlich, der in den englischen Medien durchweg als Bhuttos Sicherheitschef (chief security officer, CSO) bezeichnet wurde, aber seit dem tödlichen Anschlag plötzlich Wert darauf legt, er sei lediglich Sicherheitsberater (security adviser) gewesen. (24) Malik ist ein alter Bekannter von Benazir Bhutto: In ihrer zweiten Amtszeit als Premierminister (1993-1996) war er Chef der pakistanischen Bundespolizei FIA. Als Bhutto im November 1996 unter Korruptionsvorwürfen gestürzt wurde, wurde auch gegen Malik Haftbefehl erlassen. Er flüchtete nach London und wurde Koordinator für die Sicherheit der PPP-Chefin während ihrer vielen Reisen. Bei den Vorverhandlungen mit Muscharraf über Bhuttos Rückkehr aus dem Exil soll er eine maßgebliche Rolle gespielt haben. Dabei sollen ihm seine alten Verbindungen zum Sekretär des Nationalen Sicherheitsrats, Tariq Aziz, zugute gekommen sein. Die beiden kennen sich noch aus der Zeit, als Malik FIA-Chef war.
Malik also war es, der Bhuttos Leibgarde rekrutierte. Es heißt, daß er sich dabei seiner alten Seilschaft ehemaliger Polizeioffiziere aus der Provinz Sindh bediente und daß auf diese Weise viele ehemalige Polizeibeamte und Geheimdienstleute eingestellt wurden, ohne daß adäquate Überprüfungen stattfanden. (18) Das würde allerdings das Argument Zardaris gegen professionelle Dienste, sie könnten infiltriert sein, ad absurdum führen.
Zu denen, die „auf besondere Empfehlung“ Maliks eingestellt wurden, gehörte Khalid Shahinshah, ein ehemaliger Aktivist des Studentenverbandes aus Karachi, der offenbar schon bei der Rückkehr Bhuttos aus dem Exil Mitglied ihrer engsten Leibwache war. Als man nach dem Mord Videoaufnahmen untersuchte, die bei der Kundgebung in Rawalpindi gedreht worden waren, stellte man fest, daß Shahinshah, der neben der Parteichefin stand, während ihrer Rede „verdächtige Mätzchen“ (antics) gemacht hatte. Besonders fiel auf, daß er sich mit der Hand mehrmals über die Kehle gefahren war, die Geste des „Halsabschneidens“. Auch nach Schluß der Kundgebung hatte er sich sehr seltsam verhalten, indem er sofort als erster noch vor seiner Chefin in Bhuttos Wagen gesprungen war. Routine war, daß Shahinshah als letzter in das gepanzerte Fahrzeug stieg. Oft stand er bei der Abfahrt sogar außen auf dem Trittbrett. Nach der Entdeckung des Videos verschwand Shahinshah; die PPP läßt nach ihm suchen, um ihn zu den Vorgängen zu befragen. (25)
Nicht nur wegen dieser unaufgeklärten Geschichte werden innerhalb der PPP Anschuldigungen gegen Bhuttos Sicherheitsmann Rehman Malik laut. Kritisiert wird auch, daß er mit seinem gepanzerten Fahrzeug die Kundgebung sehr hastig – noch vor Bhutto selbst – verließ, den Anschlag anscheinend überhaupt nicht bemerkte, und sich auch nicht darum kümmerte, daß der Wagen mit der Parteichefin ihm nicht folgte. Strittig ist, ob Malik zunächst sogar bis zu Bhuttos Haus in Islamabad fuhr und dort auf ihren Ehemann Zardari wartete, der an der Kundgebung nicht teilgenommen hatte, wie in den Medien überwiegend behauptet wird, oder ob er schon während der Fahrt dorthin bemerkte, daß er den Kontakt zu Bhuttos Geländewagen verloren hatte und daraufhin umkehrte, wie er selbst es nun darstellt. Von Malik stammt offenbar auch die erste, falsche Meldung an die Presse, Bhutto habe den Anschlag unverletzt überlebt. (26)
Unterdessen hatte es Bhuttos Fahrer geschafft, die PPP-Führerin sofort vom Tatort wegzubringen. Der gepanzerte Wagen hatte die Explosion weitgehend unbeschädigt überstanden, keiner der Insassen außer Bhutto war verletzt, aber die Reifen waren geplatzt. Der Fahrer schaffte einige hundert Meter, dann wurde Bhutto in den Wagen eines anderen PPP-Funktionärs getragen und mit diesem ins Krankenhaus gebracht. (27)
Rehman Malik ist inzwischen bemüht, die Kritik und die Zweifel an seinem Verhalten und seiner Rolle zu entkräften. Auf einer Pressekonferenz am 5. Januar betonte er, daß er nicht Sicherheitschef, sondern Sicherheitsberater von Bhutto gewesen sei. Ihr Sicherheitschef sei Major Imtiaz, ein ehemaliger Polizeioffizier, gewesen (28), und den habe sie sich selbst ausgesucht. Überhaupt habe die Parteichefin ihren persönlichen Sicherheitsstab selbst ausgewählt, darunter auch den so seltsam aufgefallenen Khalid Shahinshah. Während dieser Pressekonferenz sagte Rehman Malik auch, er habe den Knall der Explosion gehört, aber auch gesehen, daß Bhuttos Wagen weiter fuhr und habe deshalb ebenfalls die Fahrt fortgesetzt. Beim Passieren des Krankenhauses habe er dann Bhuttos Fahrzeug hinter sich gesehen, habe deshalb angehalten und sei ausgestiegen. (29) Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Schwerverletzte allerdings gar nicht mehr in ihrem eigenen, wegen der geplatzten Reifen nicht mehr fahrtüchtigen Wagen … .
Anmerkungen
1) Fatima Bhutto: Aunt Benazir’s false promises. Bhutto’s return bodes poorly for Pakistan — and for democracy there. Los Angeles Times, 14.11.2007.
2) Lawrence K. Altman: U.S. Experts Criticize Bhutto Post-Mortem; New York Times, 31.12.2007. Unter den sieben Ärzten, die Frau Bhutto im Krankenhaus untersuchten und den Bericht über ihren Tod unterzeichneten, war kein Gerichtsmediziner. Die Untersuchung erfolgte nur oberflächlich, da die Ärzte davon ausgingen, daß es anschließend eine gerichtsmedizinische Autopsie geben würde. (ebenda)
3) http://www.adnkronos.com/AKI/English/Security/?id=1.0.1710322437
4) http://www.atimes.com/atimes/South_Asia/IL29Df01.html
5) Michael Scheurer: Al-Qaeda’s New Leader in Afghanistan: A Profile of Abu al-Yazid, 3. Juli 2007. www.jamestown.org/terrorism/news/article.php?articleid=2373518
6) CNN, 28.12.2007
7) Transkript des Gesprächs in der Version der Nachrichtenagentur AP: http://news.yahoo.com/s/ap/20071228/ap_on_re_as/pakistan_transcript
8) Der 32jährige Mehsud gilt als Repräsentant der jungen Generation von Führern der „pakistanischen Taliban“. Er war Partner der pakistanischen Regierung bei dem am 7. Februar 2005 unterzeichneten Friedenspakt für die Region Süd-Wasiristan. – Sohail Abdul Nasir: Baitullah Mehsud – South Waziristan’s Unofficial Amir. http://www.jamestown.org/terrorism/news/article.php?articleid=2370054
9) AFP, 29.12.2007
10) Jeffrey Imm: Bomb Attack – Attempt to Assassinate Bhutto. http://counterterrorismblog.org/2007/10/bhutto_bomb_attack.php
11) Naveed Butt: PPP rejects Scotland Yard’s help; The Nation (Pakistan), 4.1.2008. http://www.nation.com.pk/daily/jan-2008/4/index13.php
Urs Gehriger: Ein gut vorbereitetes Komplott; Die Weltwoche, Ausgabe 01/08. Gehriger schreibt dort: „Teile der pakistanischen Regierung sind in die Ermordung Benazir Bhuttos involviert. Darauf deuten Dokumente der Pakistan People Party, die der Weltwoche vorliegen.“ http://www.weltwoche.ch/artikel/?AssetID=18037&CategoryID=66
12) Carol Eisenberg: Bhutto: Hold Musharraf responsible; Miami Herald, 27.12.2007. http://www.miamiherald.com/578/story/359077.html
David Edwards und Nick Juliano: In October e-mail, Bhutto said she would hold Musharraf ‘responsible’ for her death
http://rawstory.com/news/2007/In_October_email_Bhutto_said_her_1227.html
13) Das Video des Interviews ist hier zu finden: http://www.youtube.com/watch?v=oIO8B6fpFSQ
14) „Diese Gruppen“ konkretisierte Bhutto im Interview so: „eine Bande des afghanischen Warlords Baitullah Mehsud, oder Hamza bin Laden, der Sohn von Osama bin Laden, oder die pakistanischen Taliban in Islamabad, oder eine Gruppe in Karatschi“. (15)
15) Sarah Lai Stirland: In a Prescient Interview, Bhutto Fingered Assassination Suspects; 27.12.2007. http://blog.wired.com/27bstroke6/2007/12/in-a-prescient.html
16) Rawstory, siehe 12. Was Bhutto genau meinte, ist zum Teil unklar. Wörtlich lautet die Stelle in ihrer Mail an Siegel: „…there is no way what is happening in terms of stopping me from taking private cars or using tinted windows or giving jammers or four police mobiles to cover all sides could happen without him“.
17) Miami Herald, siehe 12.
18) Musharraf denies security lapse; Al-Jazeera, 4.1.2008. Alle Menschen, die auf den abgesperrten Kundgebungsplatz wollten, wurden von der Polizei durchsucht. Der Anschlag in Rawalpindi ereignete sich jedoch nach der Kundgebung bei der Abfahrt außerhalb der Absperrungen. (Peshawar to Pindi: Sri Lanka Guardian, 6.1.2008. Insgesamt eine sehr gründliche Rekonstruktion des Anschlags. http://lankaguardian.blogspot.com/
19) Attack on Bhutto convoy kills 130; BBC, 19.10.2007.
20) Jeremy Page: The Benazir Bhutto dossier: ‘secret service was diverting US aid for fighting militants to rig the elections’; The Times, 1.1.2008. http://www.timesonline.co.uk/tol/news/world/asia/article3116090.ece-
21) Philip Sherwell: Bhutto ‘blocked from hiring US bodyguards; Sunday Telegraph, 31.12.2007. http://www.telegraph.co.uk/news/main.jhtml?xml=/news/2007/12/30/wbhutto230.xml
22) Eric Schmitt: U.S. isn’t ready to accept Pakistan’s initial findings; New York Times, 2.1.2008. http://www.nytimes.com/2008/01/02/world/asia/02inquiry.html?hp
Matthew Lee: US gave Bhutto info about threats; AP, 1.1.2008. http://ap.google.com/article/ALeqM5h1aBshjF1CnfJ4noaEXA_Vb8dm-gD8TSTRBG0
23) Nick Juliano: Police abandoned security posts before Bhutto assassination. http://rawstory.com/news/2007/Police_abandoned_security_posts_before_Bhutto_1228.html
24) Rehman Malik gives his side of the story; The News International (Pakistan), 6.1.2008. http://www.thenews.com.pk/top_story_detail.asp?Id=12117
25) New video on BB shows man with strange antics; The Post (Pakistan), 3.1.2008. Bhutto aid thought tied to assassination; UPI, 4.1.2008. Bhutto’s servant under scanner; The Times of India, 5.1.2008.
26) Rauf Klasra: PPP asking many questions about Rehman Malik; The News International (Pakistan), 5.1.2008. http://www.thenews.com.pk/top_story_detail.asp?Id=12037 Sri Lanka Guardian, siehe 18.
27) Sri Lanka Guardian, siehe 18. Rauf Klasra, The Unsung Hero; The News International, 6.1.2008.
28) Imtiaz war der Fahrer des Wagens, mit dem Bhutto die Kundgebung in Rawalpindi verließ.
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29) Rehman Malik gives his side of the story; The News International, 6.1.2008. http://www.thenews.com.pk/top_story_detail.asp?Id=12117