Der Fall Arafat
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Neue Studie stützt die These, der Palästinenser-Präsident könnte vergiftet worden sein –
Von HANS BERGER, 07. November 2013 –
„Herr Yassir Arafat, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, ist am 11. November 2004 um 3.30 Uhr im Percy-Militärkrankenhaus in Clamart gestorben“, lautete die kurze Erklärung eines Krankenhaussprechers, die vor nun neun Jahren das Ableben einer der bedeutendsten Personen der palästinensischen Widerstandsbewegung verkündete. Vorangegangen war eine lange ungeklärte Krankheit, schon damals kamen Spekulationen auf, der Tod Arafats sei kein natürlicher gewesen.
Eine Autopsie wurde nicht angeordnet. Erst nachdem die Witwe des langjährigen Präsidenten der Palästinensischen Autonomiegebiete, Suha Arafat, im Juli 2012 in Frankreich Anzeige gegen Unbekannt erstattete, wurde der Leichnam exhumiert und eine Untersuchung durch französische, schweizerische und russische Experten eingeleitet. Die Forensiker aus Russland und Frankreich haben sich offiziell noch nicht geäußert. Das Team aus der Schweiz hat nun seine Ergebnisse veröffentlicht. Diese stützen die These von der Ermordung Arafats.
Polonium-210 in Gewebeproben
„Zieht man die zuvor erwähnten analytischen Einschränkungen, hauptsächlich die seit dem Tod vergangene Zeit und die Natur und Qualität der Proben, in Betracht, unterstützen die Resultate der Untersuchung auf gemäßigte Weise („moderately“) die These, dass der Tod durch eine Vergiftung mit Polonium-210 hervorgerufen wurde“, steht am Ende der 108-seitigen Studie zu lesen. (1)
Man habe eine 18-fach erhöhte Konzentration von Polonium-210 in den Gewebeproben gefunden, eine „unerwartet hohe“ Konzentration des radioaktiven Materials. In einer Gegenüberstellung diskutieren die Experten ausführlich, welche Indizien für, welche gegen eine Polonium-Vergiftung sprechen. Neben den hohen Polonium-210-Werten in den Gewebeproben sowie in den Bodenproben, in die das Leichenwasser gesickert war, sprechen einige der Symptome, die Arafat vor seinem Tod aufwies für eine Strahlenvergiftung. Zusätzlich sei Blei-210 im Körper gefunden worden, das dazu geeignet sei, das Vorhandensein von Polonium-210 zu verschleiern. Zudem haben die Wissenschaftler einige andere Hypothesen, wie etwa Langzeit-Zigarettenkonsum, als Ursache ausschließen können.
Gegen die Vergiftungsthese sprechen wesentlich schwächere Indizien. „Eine unbekannte Todesursache, nicht zusammenhängend mit einer Polonium-Vergiftung, kann nicht ausgeschlossen werden“, lautet eines der Contra-Argumente. Ein anderes weist darauf hin, dass der für Strahlenvergiftungen typische Haarausfall bei Arafat ausgeblieben sei – allerdings nicht, ohne gleich zu bemerken, dass dieses Symptom hauptsächlich dann charakteristisch sei, wenn man „von außen“ der Strahlung ausgesetzt sei, nicht aber bei Einnahme einer radioaktiven Substanz.
„Ein ideales Gift“
Dass Polonium-210 als Gift eingesetzt wird, ist indessen nicht neu. Schlagzeilen machte der Fall des russischen Ex-Agenten Alexander Litwinenko, der im November 2006 in London offenbar an einer Vergiftung mit Polonium verstorben war.
„Das radioaktive Isotop ist ein ideales Gift, weil es sehr schlecht nachzuweisen ist, schon in kleinsten Mengen tödlich wirkt und leicht zu handhaben ist“, schreibt Christina Hohmann in der Pharmazeutischen Zeitung. (2) Polonium 210 ist ein starker Alpha-Strahler, und deshalb leicht zu transportieren. Eine Glasflasche reicht aus. Gefährlich ist es nur, wenn es in den Körper gelangt, etwa durch Inhalation, durch die Nahrung oder Wunden. Dann ist es allerdings auch in kleinsten Dosen tödlich: „Polonium 210 hat mit 138 Tagen eine recht kurze physikalische Halbwertszeit und somit eine hohe Zerfallsrate. Schon eine aufgenommene Menge von 1 µg reicht aus, um einen Menschen zu töten.“ (3)
Will man jemanden unbemerkt um die Ecke bringen, sticht neben der leichten Handhabbarkeit ein anderer Vorteil ins Auge: Polonium-210 ist schwer nachweisbar. Im Gespräch mit der Deutschen Welle betonte der Radiochemiker Thomas Fanghänel bereits 2012, als die These von einer möglichen Polonium-Vergiftung Arafats aufkam: „Ich gehe davon aus, dass es schwierig sein wird, eine Vergiftung nach acht Jahren nachzuweisen. Es sind rund zwanzig Halbwertszeiten, die seitdem vergangen sind. Nach zwanzig Halbwertszeiten sind nur noch wenige Millionstel des ursprünglich vorhandenen Materials verfügbar.“
„Ein politisches Attentat“
Auch wegen der schwierigen Untersuchungsbedingungen äußerten sich die Verfasser der Studie bei einer Pressekonferenz am heutigen Donnerstag vorsichtig. Man könne keinen letztgültigen Beweis für eine Vergiftung erbringen. Allerdings betonte Patrice Mangin, Direktor des zuständigen Labors: „Man nimmt nicht willentlich oder zufällig eine Polonium-Quelle auf – das ist nicht etwas, das in dieser Form in der Umwelt vorkommt.“ Die These einer Vergiftung sei vertretbar, könne aber nicht als zweifelsfrei bestätigt gelten.
Israel indessen hat die Untersuchungsergebnisse bereits für „unseriös“ erklärt. Der Sprecher des Außenministeriums in Jerusalem, Jigal Palmor, sagte laut Jerusalem Post, die Experten hätten weder die früheren Arbeitsräume Arafats in Ramallah auf die radioaktive Substanz untersucht noch das französische Militärhospital, in dem Arafat 2004 im Alter von 75 Jahren gestorben war. „Alles ist sehr, sehr unklar“, sagte Palmor. „Klar ist nur, dass die Theorie (vom Giftmord) große Löcher aufweist, mehr Löcher als ein Schweizer Käse.“
Ganz anders sah das natürlich die Witwe des Friedensnobelpreisträgers. Es sei „wissenschaftlich bewiesen, dass er keines natürlichen Todes starb“, sagte Suha Arafat am Mittwoch der Nachrichtenagentur Reuters. „Wir decken ein echtes Verbrechen auf, ein politisches Attentat.“
Viele Feinde
Scheint nun die These von einer Vergiftung stark an Plausibilität gewonnen zu haben, bleibt gleichwohl unklar, wer das Attentat verübt oder in Auftrag gegeben haben könnte. Suha Arafat äußerte sich zu möglichen Tätern nicht, sie sprach nur davon, dass ihr Mann „viele Feinde“ hatte.
Unter diesen Feinden kann Israel wohl zurecht den Status eines Hauptverdächtigen beanspruchen, sollte Arafat tatsächlich ermordet worden sein. Nach dem Tod des Fatah-Führers war man in Tel Aviv nicht eben unglücklich. Der israelische Justizminister Jossef Lapid begrüßte das Ableben Arafats: „Arafat war nicht nur der Chef des antiisraelischen Terrorismus, sondern er war der Erzeuger des Terrorismus, der derzeit die Welt erschüttert, einschließlich Al Qaida.“ Es sei „gut, daß die Welt davon befreit ist.“ (4)
Arafat war die Identifikationsfigur, die das palästinensische Lager, in dem seit langem Fraktionsstreitigkeiten vorherrschten, notdürftig zusammenhielt – insofern ist auch ein politisches Interesse Israels nicht zu leugnen. Mit dem Tod Arafats begann das Auseinanderbrechen und damit die Schwächung des palästinensischen Widerstands.
Auch sieht Israel seit langem und ohne einen Hehl daraus zu machen, die extralegale Tötung politischer Gegner als legitimes Mittel seiner „Selbstverteidigung“. Der gezielte Luftschlag gegen den Chef des bewaffneten Arms der Hamas, Ahmed Dschabari, im November 2012 (5), die Anschläge von Mossad-Agenten auf iranische Atomwissenschaftler (6) 2010 bis 2012, der Mord an Mahmoud Al-Mabhouh in Dubai – es gibt eine Reihe von Fällen bei denen eine Täterschaft israelischer Stellen wahrscheinlich oder sicher ist.
Zugegeben hat Israel indes auch den Mord an Yassir Arafats Stellvertreter, dem Vize-PLO-Chef Abu Dschihad, der 1988 in Tunesien erschossen wurde. (7) Auch Arafat selbst könnte auf der Todesliste der israelischen Militärs gestanden haben. (8)
Dass nun nach der Veröffentlichung des schweizerischen Untersuchungsberichts Israel in den Fokus rückt, ist angesichts dieser Faktenlage nicht verwunderlich. Allerdings: Nicht immer ist der Hauptverdächtige der Täter und auch hier muss in dubio pro reo gelten. Es gibt andere – allerdings schwächere – Hypothesen, so könnte etwa ein Machtkampf innerhalb der palästinensischen Bewegung den Hintergrund der Tat abgeben. Feststellen wird man das aber – wenn überhaupt – nur können, wenn es eine tatsächlich unabhängige internationale Untersuchung des Falles gibt.
Anmerkungen
(1) https://s3.amazonaws.com/s3.documentcloud.org/documents/815515/expert-forensics-report-concerning-the-late.pdf
(2) http://www.pharmazeutische-zeitung.de/?id=2392
(3) ebd.
(4) http://www.jungewelt.de/2004/11-12/001.php?sstr=Yassir|Arafat
(5) http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/gezielter-luftangriff-israel-toetet-militaerischen-fuehrer-der-hamas-11960367.html
(6) http://www.spiegel.de/politik/ausland/anschlag-auf-atomwissenschaftler-in-iran-todesengel-mit-magnetbomben-a-808555.html
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(7) http://www.fr-online.de/politik/anschlag-auf-abu-dschihad-israel-gesteht-toetung-von-plo-vize,1472596,20768426.html
(8) http://www.spiegel.de/politik/ausland/israel-fuehrende-palaestinenser-auf-todesliste-a-110419.html