Der dümmste und gefährlichste Krieg
Amerikas Außenpolitik in Zeiten des eigenen Niedergangs
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Der 20. Januar 2017 werde „als der Tag in Erinnerung bleiben, an dem das Volk wieder zu den Herrschern dieser Nation wurde“, sagte Donald Trump bei seiner Antrittsrede als 45. Präsident der Vereinigten Staaten. Abgesehen von seiner Absicht, den radikalislamischen Terrorismus „vom Erdboden auszulöschen“, kündigte er bezüglich der Außenpolitik einen isolationistischen Kurs an: „Vom heutigen Tage an wird es nur noch ‚Amerika zuerst‘ heißen.“ 1 Was ist inzwischen, über ein Jahr später, aus Trumps „America First“ geworden, und wohin steuert die US-Außenpolitik unter seiner Führung?
Dem Sieger die Beute
Trump hat die Politik der jeweiligen USRegierungen seit den frühen 1980er Jahren öffentlich lautstark gerügt. Über einen Zeitraum von 35 Jahren wiederholte er stets dieselbe Kritik: Die Vereinigten Staaten würden von ihren Verbündeten nicht respektiert und „abgezockt“, indem die Partner den Schutz der größten Militärmacht der Welt in Anspruch nähmen, ohne angemessen dafür zu bezahlen; die verantwortlichen „Dummköpfe“ in der Regierung ließen das mit sich machen, während der Rest der Welt über Amerika lache. Er postulierte einen engen Zusammenhang zwischen Außen- und Innenpolitik, zwischen äußerer Schwäche und innerem Niedergang: Da die USA so viel für ihre Rolle als „Weltpolizist“ ausgäben, ohne dafür entschädigt zu werden, bleibe zu wenig Geld für den Bau von Straßen und Schulen oder die Hilfe für sozial Schwache im eigenen Land. „Wir sind wie ein Dritte-Welt-Land“, sagte er etwa im April 2011 in einem Fernsehinterview, das stattfand, während er erwog, zur Präsidentschaftswahl 2012 anzutreten. „Der Grund, weshalb sie die Gesundheitsfürsorge kürzen wollen“, legte er seine im Grunde merkantilistische Weltsicht dar, „ist, dass China in diesem Jahr 300 Millionen Dollar Gewinn aus den Vereinigten Staaten zieht und uns eine Menge unserer Arbeitsplätze wegnimmt.“ Verantwortlich dafür sei die „schlechte Führung“ der USA – die Lösung ein großer Führer, der den nationalen Willen durchzusetzen wisse. 2
Militärinterventionen im Ausland müssten den Vereinigten Staaten entweder durch den Erwerb von Ressourcen oder durch finanzielle Entschädigung einen materiellen Nutzen bringen, lautet ein immer wiederkehrender Refrain seiner Äußerungen. Solche Operationen müssten nach dem Motto „Dem Sieger die Beute“ ablaufen. Dies spielte bereits in seinen frühesten diesbezüglichen Aussagen vor einem landesweiten Publikum eine Rolle: In einem Interview im Oktober 1980 sprach er sich für einen Einmarsch in Iran aus: „Ich denke, in diesem Augenblick wären wir ein ölreiches Land, und ich glaube, wir hätten es tun sollen, und ich bin sehr enttäuscht, dass wir es nicht getan haben, und ich denke nicht, dass uns jemand hätte aufhalten können.“ 3
Am 2. September 1987 schaltete Trump – für insgesamt 94 801 Dollar – eine ganzseitige Annonce in drei großen Zeitungen, der Washington Post, der New York Times und dem Boston Globe: „Ein offener Brief von Donald J. Trump darüber, warum Amerika aufhören sollte, für die Verteidigung von Ländern zu zahlen, die es sich leisten können, sich selbst zu verteidigen.“ Seit Jahrzehnten würden andere Staaten die USA ausnutzen, hieß es darin. Unbelastet von den riesigen Kosten seiner Verteidigung, für welche die USA aufkommen würden, habe sich etwa Japan auf diese Weise an die Spitze der Weltwirtschaft gebracht. „Es ist Zeit, unsere riesigen Defizite zu beseitigen, indem wir Japan und andere, die es sich leisten können, dazu bringen, zu zahlen“, so Trump. 4 Dieses Geld solle „unseren eigenen Leuten“ zugutekommen, „den Obdachlosen, den Kranken, den Armen, den Farmern“. 5
Offen imperialistisch
Viel änderte sich an Trumps diesbezüglichen Aussagen in den darauffolgenden Jahren nicht, nur wurde in seiner politischen Dämonologie Japan mehr und mehr durch China ersetzt. Daran, den Militärhaushalt zu kürzen, dachte er nie; stattdessen erklärte er bereits 1990: „Präsident Trump würde stark an unsere extreme militärische Stärke glauben – und niemandem vertrauen. Er würde nicht den Russen vertrauen, er würde nicht unseren Verbündeten vertrauen; er hätte ein riesiges militärisches Arsenal, würde es perfektionieren und es verstehen.“ 6 Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 profilierte er sich als Hardliner. „Was ist aus den Tagen von Douglas MacArthur geworden?“, fragte er bei einem Fernsehauftritt im Januar 2003 und sagte: „Er würde losgehen und angreifen. Er würde nicht reden.“ 7 Dennoch kritisierte er den Krieg in Afghanistan und vor allem jenen im Irak, der „das Harvard des Terrorismus“ geschaffen habe: „Ich bin ein großer Falke. Aber wir befinden uns in zwei Kriegen und ganz gewiss in einem, in dem wir niemals hätten sein sollen“, meinte er Ende 2010. 8 Stets wiederholte er sein Mantra, die USA sollten sich selbst mit Erdöl entschädigen: „Früher war es so: Wenn du einen Krieg geführt und gewonnen hast, hat dir das Land gehört. Die USA sind das Gespött der ganzen Welt, wir werden von jedem Land abgezockt“, verkündete er in Bezug auf den Irak. Über Libyen sagte er: „Entweder gehe ich hinein und nehme mir das Erdöl, oder ich gehe überhaupt nicht hinein. Wir können nicht der Weltpolizist sein.“ 9
Die US-amerikanischen Historiker Brendan Simms und Charlie Laderman haben Trumps außenpolitische Äußerungen aus der Zeit vor seiner Präsidentschaftskandidatur in einem Buch zusammengetragen, das im letzten Jahr erschienen ist. Darin weisen sie darauf hin, dass gewisse Aufmerksamkeit erregende Aussagen im Wahlkampf – die Kritik an der NATO oder die wütenden Attacken auf China und andere Handelsrivalen – beileibe nichts Neues waren. Auch dass die Vereinigten Staaten unter seiner Führung die Institutionen der Global Governance, an deren Aufbau sie maßgeblich mitgewirkt haben, verlassen oder ignorieren würden, hatte er mehrfach angekündigt. Der Meinung einiger Kommentatoren, erst einmal im Amt werde Trump vom Apparat der Sicherheitsexperten schon „gezähmt“ werden, hielten sie entgegen, er hätte in den vergangenen 35 Jahren kaum jemals einen außenpolitischen Rat angenommen und werde jetzt wohl nicht damit anfangen: „Vom Verhalten her ist er ein Silberrückengorilla, ein narzisstischer Pfau, ein Alphatier, ein Elefant im Porzellanladen. Politisch ist er ein Bourbone, der in den letzten drei Jahrzehnten nichts gelernt und nichts vergessen hat. Einem alten Hund wie ihm kann man keine neuen Tricks beibringen.“ 10 Als Trump im Wahlkampf nach seinem häufigsten Ratgeber in außenpolitischen Dingen gefragt wurde, erwiderte er tatsächlich: „Ich spreche mit mir selbst, Nummer 1, weil ich einen sehr guten Verstand habe, und ich habe eine Menge Dinge gesagt.“ 11
Simms und Laderman prognostizierten eine ökonomische Neujustierung, die mit der Aufkündigung internationaler Handelsabkommen einhergehen werde, was aber nur das Vorzeichen einer weitreichenderen Umwälzung der geopolitischen Ordnung darstelle: Die Vereinigten Staaten würden zwar die Zahl der in aller Welt einsetzbaren Eingreiftruppen erhöhen, die Rolle des „Weltpolizisten“ aber aufgeben. Außenpolitik unter Trump werde „weniger humanitärer als offen imperialistischer Art sein“. 12
Dr. Seltsam
Zu Stichwortgebern waren Trump vor allem zwei Männer geworden: Sein Chefberater Stephen Bannon, Vertreter der „Alt-Right“, bis Januar Leiter der rechten Website Breitbart News Network und ein Militarist, der 2016 meinte, dass es in fünf bis zehn Jahren einen Krieg der USA gegen China geben werde, 13 sowie der Nationale Sicherheitsberater Michael Flynn, ehemaliger Direktor des militärischen Nachrichtendienstes der USA. Er war 2015 unter Druck geraten, nachdem er neben Putin bei einer Gala des staatlich finanzierten russischen Fernsehsenders Russia Today in Moskau aufgetreten war. „Bannon ist der wichtigere. Er liefert die grundlegenden Ideen für ‚America First‘, Flynn ist für die geopolitisch-militärische Umsetzung zuständig. Die schockierende Inaugurationsrede Trumps geht eindeutig auf den Input dieser beiden Berater zurück“, war im Februar 2017 in einem Artikel der Zeit zu lesen. 14 Flynn sei, so der Autor des Artikels Jörg Lau, davon überzeugt, dass die Vereinigten Staaten einer „internationalen Allianz böser Länder“ gegenüberstünden, darunter China, Nordkorea und vor allem Iran; die Kooperation der Schurken finde auf der Grundlage irrationalen Hasses auf die USA statt, der „Dschihadis, Kommunisten und Tyrannen aller Art“ vereine.
Der Deal der Obama-Regierung mit Iran sei dementsprechend ein grober Fehler gewesen, der korrigiert werden müsse; statt 2003 im Irak einzumarschieren, hätte man damals schon den Regimewechsel in Teheran anstreben müssen. „Selbst wenn Michael Flynn von einem Skandal hinweggefegt würde, wäre ‚America First‘ nicht am Ende. Auch ohne diesen Dr. Seltsam des amerikanischen Sicherheitsapparats würde Trumps Weltsicht die internationale Politik herausfordern“, schrieb Lau damals. 15 Tatsächlich trat Flynn im Februar 2017 zurück, Bannon folgte ihm im August.
Liest man Trumps Vorwort zur im Dezember vom Weißen Haus veröffentlichten „Nationalen Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten“, könnte man denken, dass Lau recht behalten hat. Die neue Regierung tätige nicht nur „historische Investitionen in das Militär der Vereinigten Staaten“, sondern verfolge das Programm „America First!“ konsequent: „Als ich ins Amt kam, entwickelten Schurkenregimes Atomwaffen und Raketen, um den ganzen Planeten zu bedrohen. Radikale islamistische Terrorgruppen blühten auf. Terroristen hatten die Kontrolle über weite Teile des Nahen Ostens übernommen. Rivalisierende Mächte untergruben aggressiv amerikanische Interessen auf der ganzen Welt“, heißt es dort.
Nun, ein Jahr später, bestünden zwar weiterhin große Herausforderungen, aber man verfolge jetzt einen „neuen und sehr andersartigen Kurs“: „Wir kämpfen gegen das Schurkenregime in Nordkorea und stellen uns der Gefahr, die von der Diktatur im Iran ausgeht, die diejenigen, die entschlossen waren, ein mangelhaftes Atomabkommen zu verfolgen, vernachlässigt hatten.“ Und Amerikas Verbündete trügen jetzt mehr zur gemeinsamen Verteidigung bei. 16
Der Inhalt des Dokumentes unterscheidet sich allerdings so sehr von Trumps großspurigen Ankündigungen, dass etwa Jeremy Shapiro vom European Council on Foreign Relations anmerkte, der Präsident habe es augenscheinlich überhaupt nicht gelesen. 17 „Der sicherheitspolitische Bericht an den Kongress umreißt die außenpolitischen Prioritäten der Regierung und damit zuallererst die des Präsidenten – normalerweise. Denn was den eigentlichen Inhalt angeht, so kann man sich fragen, ob es sich eigentlich wirklich um ‚Trumps‘ Nationale Sicherheitsstrategie handelt“, äußert auch Jürgen Wagner von der in Tübingen ansässigen Informationsstelle Militarisierung (IMI) gegenüber Hintergrund. Im Wesentlichen werde nämlich der Kurs fortgesetzt, der bereits in den 1990er Jahren von den Neokonservativen eingeschlagen und auch von späteren demokratischen Regierungen mehr oder weniger strikt verfolgt worden sei: „Der rechtsradikal-islamophobe, aber zum Beispiel relativ pro-russische Flügel hat mit dem Rauswurf von Bannon und Flynn,m der mutmaßlich aufgrund seines zu ‚weichen‘ Moskau-Kurses auf Betreiben der US-Geheimdienste wegen illegaler Kontakte zu Russland seinen Hut nehmen musste, seine wichtigsten Vertreter verloren. Flynn wurde ersetzt durch den Russland-Hardliner Herbert Raymond McMaster. Unter dessen Ägide wurde nun die Nationale Sicherheitsstrategie angefertigt, und es bestätigt den Trend, dass diejenigen, die versuchen, die US-Militärpolitik in die gewohnten – üblen – Fahrwasser zurückzugeleiten, innerhalb der Regierung und gegenüber dem Präsidenten immer weiter die Oberhand gewinnen“, so Wagner.
American Decline
Gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft machte Trump einiges, was Obama in die Wege geleitet hatte, rückgängig. So kündigte er das Transpazifische Freihandelsabkommen und das Pariser Klimaschutzabkommen, fuhr die Öffnungspolitik gegenüber Kuba zurück und erkannte Jerusalem als Hauptstadt Israels an – was als Bruch mit der jahrzehntelangen Nahost-Politik der USA gesehen wird. Was das Iran-Atomabkommen angeht, forderte er solch weitreichende Nachbesserungen, dass Experten dem Atomdeal keine Überlebenschance mehr geben. Bei einigen seiner lauthals verkündeten Forderungen ist Trump aber auch schon früh zurückgerudert: Im Wahlkampf noch als obsolet und unfähig kritisiert, sicherte er der NATO bereits im November 2016 zu, „dass sie auch in Zukunft wichtig sein werde“, und bestand lediglich auf einer gerechteren Verteilung der Lasten innerhalb des Militärbündnisses. 18 Abstriche machte Trump auch beim Thema Afghanistan: Statt des im Wahlkampf versprochenen Rückzuges aller US-Soldaten will er nun sogar deren Präsenz am Hindukusch ausbauen. 19
Die Blaupause für die nukleare Sicherheitspolitik für Trumps Präsidentschaft, der Nuclear Posture Review (NPR), befindet sich derzeit noch in der Mache. Ein 64-seitiger Entwurf wurde aber kürzlich ins Internet gestellt. 20 Trump will, anders als Obama, nicht nur das Atomwaffenarsenal ausbauen lassen, sondern es auch an die veränderten Bedrohungen anpassen. „Tailored“ lautet der zentrale Begriff im neuen NPR – über vierzigmal findet sich das Wort im Entwurf –, das bedeutet: Gegner sollen jeweils mit einer „maßgeschneiderten“ Strategie abgeschreckt werden. Dies fördert den Aufbau eines glaubwürdigen, möglichst kriegsfähigen Nuklearpotenzials seitens der USA, das die Schwelle, Atomwaffen einzusetzen, deutlich absenkt – „weil dafür zielgenaue Atomwaffen mit kleinster, kleiner oder variabler Sprengkraft benötigt und beschafft werden, bei deren Einsatz der ungewollte Kollateralschaden relativ klein und kalkulierbar ist und mit deren Einsatz deshalb auch glaubwürdig gedroht werden kann“, so Otfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS). 21
Angesichts der unberechenbaren und rücksichtslosen Drohungen gegen andere Länder birgt die neue Situation ein enormes Gefahrenpotenzial. Der republikanische Senator Bob Corker warf Trump im Oktober 2017 vor, er führe die USA damit „auf den Weg in den Dritten Weltkrieg“, und meinte, er wisse, dass es im Weißen Haus jeden einzelnen Tag darum gehe, ihn einzudämmen. 22 Das Portal foreignpolicy.com verglich Trump mit Kaiser Wilhelm II. – nicht nur, was seine Untauglichkeit fürs Präsidialamt angeht, sondern auch aufgrund der teilweise ähnlichen Bedingungen im wilhelminischen Deutschland und der Situation der Vereinigten Staaten heute, etwa was den übermäßigen Einfluss des Militärs als „Staat im Staate“ angeht. 23 Und in noch einem weiteren Punkt ähneln sich die historischen Situationen: Wie damals das Kaiserreich, so ist heute für viele Analysten das US-Imperium im Niedergang begriffen.
Der Politologe Ulrich Menzel etwa stellt in seinem Buch Die Ordnung der Welt (2015) fest, dass sich die der Kontrolle der USA entzogenen oder gar unkontrollierbar gewordenen Zonen ausdehnen, was er als Indikator für deren nachlassende globale Ordnungskraft, für eine Art „American Decline“ wertet: Trotz ständig steigender Militärausgaben hätten die Vereinigten Staaten den Zenit ihres Machtzyklus überschritten. 24 Adam Tooze, der an der New Yorker Columbia University Geschichte lehrt, schrieb im Januar 2017: „Das amerikanische Jahrhundert ist vorüber. Das können wir nicht nur daran erkennen, dass die Amerikaner eine Lachnummer zum Präsidenten gewählt haben, sondern auch daran, dass Trumps Ziele, all seiner nationalistischen Prahlerei zum Trotz, dermaßen bescheiden sind. Was er verspricht, ist ‚to make America great again‘.“ Damit werde der Absturz Amerikas anerkannt. 25
Supernova-Phase
„Trat das amerikanische Imperium nach dem 11. September 2001 zeitweilig als Hypermacht auf, so erwies sich doch recht schnell, dass die USA lediglich in ihre Supernova-Phase eingetreten war: maximale Ausdehnung als Vorstufe des nahenden Kollapses“, meint auch der Journalist Bernd Ulrich in seinem Buch Guten Morgen, Abendland (2017). Mit Trump habe das Land nun „nicht nur einen neuen Präsidenten gewählt, sondern auch eine andere Art von Präsident“ – ein Zeichen des Verfalls. Ob er die USA innenpolitisch tatsächlich in eine autoritäre Richtung lenken wolle und könne, bleibe abzuwarten. Aber schon allein dadurch, dass ein „Absterben der amerikanischen Demokratie“ denkbar geworden sei, verliere das Land seinen Status als „Anführer der freien Welt“. 26
Faktisch existiere, so Ulrich weiter, im politischen System der USA heute keine Alternative zur Hegemonie der Reichen – abgestimmt werde lediglich darüber, welche Dynastie regiert und welche Investmentbank sie berät. Der Kapitalismus streife seine demokratische Hülle ab, die USA näherten sich einem Punkt der völligen Verschmelzung von politischer und ökonomischer Macht. Trumps Basiskonzept bestehe nun darin, die Lage der Armen und der Mittelschicht nicht zulasten der Reichen in den USA zu verbessern, sondern auf Kosten der Armen und der Mittelschicht in China, in Mexiko oder in Europa. Den universalistischen Anspruch der letzten hundert Jahre gibt Trump schlicht auf – rohes, unverhülltes nationales Interesse tritt an die Stelle von zumindest humanitär drapierten Militärinterventionen. In der Vergangenheit galt: „Die USA sorgen für internationale Institutionen und Abkommen, schaffen Ordnung, wo es nötig scheint, sichern Handelswege und stürzen Regime, wenn sie die Abläufe stören – und im Gegenzug ziehen sie daraus ihre Sonderprofite. Die wiederum den Zusammenhalt der US-amerikanischen Gesellschaft sicherstellen.“ 27 Ulrich konstatiert, dass schon die Präsidentschaften von George W. Bush und Barack Obama das Ende dieses Modells markiert hätten, die Ära Trump ratifiziere das nur.
Trump ist insofern Realist: Im Angesicht des Niedergangs hat er den Entschluss gefasst, große Teile der Hegemonialkosten einzusparen. „Er verlässt sich nicht mehr auf die indirekten Vorteile und letztendlichen Profite einer Hegemonialmacht, weil er den Eindruck hat, dass diese Rechnung nicht mehr aufgeht.
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Denn die Hegemonialkosten explodieren, die Ordnungseffekte lassen nach, die Gewinne fließen nicht mehr so wie früher. Gesetzt den Fall, dass Donald Trump überhaupt strategische Vorstellungen hat und in der Lage ist, sie kontinuierlich zu verfolgen, dann will er diesen Knoten offenbar durchschlagen. Künftig muss jede Leistung für die Allgemeinheit gewissermaßen in bar bezahlt werden.“ Trump sei nur konsequent, wenn er die Militärausgaben drastisch erhöhe, denn künftig würden die USA ihre Kriege vermutlich alleine gewinnen müssen. Die Gefahr, die von diesem Prinzip – weniger Allianz, mehr Militär – ausgehe, könne indes kaum überschätzt werden, ebenso wie die Brisanz der Bemerkung Trumps, dass „die USA wieder Kriege gewinnen müssen“. Ulrichs Resümee: „Fast jeder US-Präsident hat mindestens einen Krieg geführt, viel spricht dafür, dass der von Trump zu den dümmsten und gefährlichsten gehören würde.“ 28
Es bleibt die Frage, ob Trump überhaupt in der Lage ist, das Programm, mit dem er angetreten ist, durchzusetzen; oder ob jene, die den herkömmlichen Vorstellungen von den USA als globaler Hegemonial- und Ordnungsmacht anhängen – und die im Weißen Haus „Eindämmung“ betreiben –, den Kurs bestimmen. Dem „McMaster-Flügel“ und den ihm nahestehenden Akteuren diesseits des Atlantiks gehe es, so die Analyse der IMI, vor allem darum, „den US-Präsidenten davon abzuhalten, ihnen ein ums andere Mal in die Parade zu fahren und ihn auf die Rolle eines Grüßaugust zu beschränken“ – und abseits regelmäßiger rhetorischer Querschüsse zeige die praktische US-Politik der letzten Monate, dass dies weitgehend gelinge. Weiter heißt es: „Das eigentliche Drama besteht aber darin, dass auch überhaupt nichts damit gewonnen wäre, wenn es sich anders verhalten würde, wie allein das fahrlässig-gefährliche Agieren des US-Präsidenten im Konflikt mit Nordkorea zeigt. Dies offenbart umso deutlicher, dass in den USA vor allem eines fehlt: eine wirklich friedenspolitische Alternative abseits von Bannon, McMaster oder Trump.“ 29