Bruderzwist
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
In der Ukraine beginnt mit der Erschießung des Faschisten-Führers Alexander Muzychko der Machtkampf innerhalb der früheren Maidan-Bewegung –
Von THOMAS EIPELDAUER, 26. März 2014 –
Alexander Muzychko ist tot. Er gehörte zu den schillerndsten Gestalten der faschistischen Bewegung in der Ukraine: Unberechenbar, gewalttätig, extrem antisemitisch und antirussisch. Ursprünglich aus der paramilitärischen UNA-UNSO (“Ukrainischen Nationalversammlung – Ukrainische Nationale Selbstverteidigung”) kommend, stieg er nach dem Zusammenschluss mehrerer ultranationalistischer Gruppierungen zu einem lokalen Führer des “Rechten Sektors” auf, der während der Protestbewegung auf dem Kiewer Maidan eine zentrale Rolle spielte.
Vorbestraft wegen mehrerer krimineller Handlungen, kämpfte “Sascha der Weiße” – so sein “Kampfname” – während des ersten Tschetschenienkrieges zusammen mit anderen ukrainischen Nationalisten an der Seite des Separatisten Dschochar Dudajew. Moskau wirft ihm die Gefangennahme, Folterung und Tötung russischer Soldaten während dieser Zeit vor. “Gegen Kommunisten, Juden und Russen zu kämpfen, solange noch Blut durch meine Adern fließt“ – das war die Maxime Muzychkos.
Rechter Sektor will “Rache”
Alexander Muzychko gehörte zu den schillerndsten Gestalten der faschistischen Bewegung in der Ukraine: Unberechenbar, gewalttätig, extrem antisemitisch und antirussisch. |
Die genauen Umstände des Todes von “Sascha dem Weißen” sind noch nicht geklärt. Das ukrainische Innenministerium spricht von einer Polizeirazzia, bei der Muzychko das Feuer auf Beamte der Sondereinsatz-Einheit “Sokol” eröffnete, dann selbst angeschossen wurde und noch vor Eintreffen der Sanitäter verstarb. Aus dem “Rechten Sektor” verlautbarte indessen, dass Muzychko unbewaffnet gewesen sei und hingerichtet wurde. “Wir können nicht still zusehen, während das Innenministerium die Revolution verrät”. zitiert die Nachrichtenagentur Interfax den Führer des “Rechten Sektors” Dimitrij Jarosch. “Wir fordern den sofortigen Rücktritt von Innenminister Arsen Avakov und die Festnahme des Kommandanten der Sokol-Einheiten sowie derer, die an diesem Mord Schuld tragen.” (1) “Wir werden Rache üben”, gab der Leiter des “Rechten Sektors” in Rovno, Roman Koval, zu Protokoll.
Die Beseitigung Alexander Muzychko scheint indes erst der Anfang einer Kampagne von Teilen der Übergangsregierung gegen die ehemaligen Bündnispartner aus dem außerparlamentarischen faschistischen Spektrum zu sein. Zeitgleich wurde ein hochrangiger Aktivist des Rechten Sektors im ostukrainischen Poltava festgenommen (2), ebenso wie andere rechte Gruppierungen in Kiew (3) und Ternopyl, wo Mitglieder des “Weißen Hammer”, einer dem “Rechten Sektor” angegliederten Gruppierung, entwaffnet und gefangengenommen wurden. (4)
Die russische Ria Novosti berichtet zudem von Plänen der Übergangsregierung in Kiew, mehrere Anführer des Rechten Sektors zu verhaften oder zu Vernehmungen einzubestellen. Ermittler des Innenministeriums befänden sich bereits auf dem Maidan, wo zahlreiche Demonstranten, darunter viele Nationalisten, weiter ausharren, so die Nachrichtenagentur unter Berufung auf einen “ranghohen Mitarbeiter des Innenministeriums in Kiew”. Zur Durchführung der Aktion sollen “die Miliz und bewaffnete Anhänger der Vaterlandspartei” (der Partei der Oligarchin und Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko) eingesetzt werden, behauptet der Informant.
Doppelstrategie: Integration und Bekämpfung
Den allgemeinen politischen Hintergrund dieser jüngsten Auseinandersetzungen in der Ukraine bilden die Machtkämpfe innerhalb jener Elite, die gemeinsam nach der Flucht von Präsident Viktor Janukowitsch das entstandene Machtvakuum füllte. In den wochenlangen Kämpfen auf dem Maidan gab es eine Übereinkunft zwischen nahezu allen Teilen der Opposition, von Vitali Klitschko über Petro Poroschenko und Julia Timoschenko bis hin zu den Kräften der äußersten Rechten, Swoboda und “Rechter Sektor”, zusammen gegen den gemeinsamen Feind vorzugehen.
Schon bei der Bildung der Übergangsregierung nach dem Staatsstreich wurde klar, dass Julia Timoschenkos Vaterlandspartei nach der Macht strebt, die Mehrzahl einflussreicher Positionen wird von Leuten besetzt, die der Galionsfigur der “Orangenen Revolution” nahestehen. Swoboda und “Rechter Sektor” wurden einige Posten zugeschanzt, Klitschkos UDAR hielt sich weitgehend zurück oder wurde von den ausländischen “Partnern” nicht gewollt.
Dass es früher oder später zu einem Konflikt innerhalb des Bündnisses der Fraktionen der ehemaligen Opposition kommen würde, war abzusehen. Der außerparlamentarische Flügel der Faschisten, dessen stärkste Organisation der “Rechte Sektor” ist, verfolgt mit seiner “nationalen Revolution” ein anderes politisches Projekt als die neoliberal-prowestlichen Kräfte um Julia Timoschenko und Vitali Klitschko. Zudem verweigerte der “Rechte Sektor” seine Entwaffnung und wollte seine Militanten weiterhin am Maidan “in Bereitschaft” halten, sollte die neue Regierung gegen seine Interessen handeln.
Die Strategie der derzeitigen Regierung scheint zwei Seiten zu haben: Zum einen wird den Rechten durch die Aufstellung der neuen “Nationalgarde” unter Schirmherrschaft des ehemaligen Gründers der neonazistischen Sozial-nationalen Partei der Ukraine und heutigen Mitglieds von Timoschenkos “Vaterland”, Andrij Parubi, die Möglichkeit geboten, sich in den neuen Staatsapparat zu integrieren. Es ist davon auszugehen, dass vor allem die Milizen der im Westen trotz zahlreicher Übergriffe immer noch als “rechtspopulistisch” verharmlosten Svoboda diese Option wählen werden. Gegen diejenigen, die sich verweigern, wird man versuchen, sich mit Gewalt durchzusetzen. Ob das gelingt gegen gut ausgebildete, bis an die Zähne bewaffnete Milizen, die man selbst hochgerüstet hat, ist angesichts des Zustandes der ukrainischen Behörden zweifelhaft.
“Russen und Verräter”
Sollte es allerdings gelingen, den “Rechten Sektor” zu entwaffnen oder gar aufzulösen, wäre die derzeitige ukrainische Regierung dadurch immer noch keinen Deut “fortschrittlicher” oder gar “demokratischer”. Zum einen bleibt mit der ebenso radikalen faschistischen Swoboda eine bedeutende Organisation der extremen Rechten im Spiel. Zum anderen zeigen die jüngsten Äußerungen Julia Timoschenkos, dass die ukrainischen “Demokraten” in vielen Belangen das gleiche Weltbild pflegen wie die Faschisten. In einem abgehörten Telefonat mit dem früheren Vizechef des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, Nestor Schufritsch, erklärt sie, sie wolle “all meine Beziehungen geltend machen, und die ganze Welt erheben lassen, damit von Russland nur ausgebrannter Boden übrig bleibt”. Die Russen nennt sie “Hunde”, die man abknallen müsse. Die gesamte russische Minderheit der Ukraine, acht Millionen Menschen, will sie “mit Atombomben vernichten”. (5)
Swoboda-Chef Oleg Tjagnibok kommentierte die Äußerung, indem er hinzufügte, es gebe nicht nur die Russen zu bekämpfen: “Auf der anderen Seite haben wir immer noch unsere inneren Feinde, diese Verräter, die für Russland arbeiten.” (6) Die Säuberungswelle gegen die Verräter, gegen diejenigen, die sich nicht dem neuen national-chauvinistischen Konsens anpassen, ist ohnehin bereits im Gang, wie der Angriff von Swoboda-Abgeordneten auf den Chef der Nationalen Fernsehgesellschaft, Alexander Pantelejmonow, vergangene Woche zeigte, dessen einziges “Vergehen” war, Putins Rede zum Krim-Anschluss übertragen zu haben. (7) Zudem häufen sich Berichte von Übergriffen auf russische Ukrainer, die auf offener Straße verprügelt werden. (8) Die “ukrainische Revolution” geht also in ihre nächste Phase.
{simplepopup name=”Hintergrund2014″}
Durch das Schließen dieser Einblendung kommen
Sie kostenlos zum Artikel zurück.
Aber:
Guter Journalismus ist teuer. Das Magazin Hintergrund
ist konzernunabhängig und werbefrei. Die Online-Artikel
sind kostenlos. Damit das so bleiben kann, bitten wir um
eine Spende. Entweder auf unser Spendenkonto
Hintergrund
Konto-Nr.: 1103659401
BLZ: 43060967
GLS Gemeinschaftsbank
oder via Paypal
Hier können Sie ein Abo für die
Print-Ausgabe bestellen.
Vielen Dank
{/simplepopup}
Abo oder Einzelheft hier bestellen
Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.
Anmerkungen
(1) http://rt.com/news/yarosh-nationalist-resign-killing-157/
(2) http://glagol.in.ua/2014/03/25/v-poltave-arestovali-rukovodstvo-mestnogo-pravogo-sektora/
(3)http://kievvlast.com.ua/text/stolichnie_ubopovci_nakrili_v_gidroparke_vooruzhennih_avtomajdanovcev_foto.html
(4) http://news.liga.net/news/politics/1117462-v_ternopole_zaderzhan_uchastnik_ubiystva_patrulnykh_gai_v_kieve.htm
(5) http://www.tagesspiegel.de/politik/abgehoertes-telefonat-auf-youtube-timoschenko-verdammte-russische-hunde-erschiessen/9663798.html
(6) http://www.heise.de/tp/artikel/41/41332/1.html
(7) http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/swoboda-abgeordnete-angriff-auf-fernsehchef-in-der-ukraine-12854526.html
(8) z.B. http://www.youtube.com/watch?v=z-8bHgwH5qY