Brennpunkt Nahost: Huthi-Rebellen erobern immer mehr Städte im Jemen
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Der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten im Jemen spitzt sich zu. Sein Ausgang könnte entscheidende geopolitische Konsequenzen haben –
Von SEBASTIAN RANGE, 17. Oktober 2014 –
Mit dem Vormarsch der Huthi-Rebellen in Zentral- und Südwestjemen verschärft sich nicht nur die innenpolitische Krise des arabischen Landes. Während die Weltöffentlichkeit ihren Blick vor allem auf die Auseinandersetzungen mit dem „Islamischen Staat“ im Irak und in Syrien richtet, könnte jedoch auch die gegenwärtige Entwicklung im Jemen weitreichende Konsequenzen für den Nahen Osten nach sich ziehen.
Am Dienstag hatten die der schiitischen Minderheit angehörenden Huthi-Rebellen die westjemenitische Hafenstadt Hudaida eingenommen. Der Hafen von Hudaida, rund 140 Kilometer westlich der Hauptstadt Sanaa gelegen, ist der größte Umschlagplatz des Landes am Roten Meer. Am selben Tag wurde auch die im Südwesten des Landes gelegene Stadt Dhamar mit ihren rund einhunderttausend Einwohnern erobert. Dhamar ist die Heimatstadt von Ali Abdullah Salih, der das Land über dreißig Jahre regiert hatte. Unter dem Druck der Protestbewegung des „Arabischen Frühling“ war der Präsident im November 2011 zurückgetreten. Jemen gilt als das Armenhaus unter den arabischen Ländern. Laut verschiedenen Schätzungen leben vierzig bis sechzig Prozent der rund 25 Millionen Einwohner in Armut. An der miserablen wirtschaftlichen wie sozialen Lage hat sich seit dem Sturz Salihs kaum etwas geändert.
Die Huthi-Rebellen, die sich zum saiditisch-schiitischen Islam bekennen, fordern mehr Mitspracherechte in dem von Sunniten regierten Land. Benannt sind sie nach ihrem Gründer, dem Geistlichen Hussein al-Huthi, der 2004 bei Gefechten mit Regierungstruppen in der nordwestlichen Provinz Sadah getötet wurde. Dort mussten sich seine Anhänger dann sechs Jahre lang gegenüber den Angriffen des Militärs behaupten, bis es ihnen schließlich gelang, die Kontrolle über Sadah zu übernehmen. Im Laufe dieser Jahre wandelten sich die Rebellen nach Einschätzung von Peter Salisbury, einem in Sanaa lebenden britischen Journalisten, von „einer Gruppe der religiösen Erweckung zu einer Bewegung, die zu einem Drittel aus einer politischen Partei besteht, und zu zwei Drittel aus einer schwer bewaffneten Miliz“. (1)
Der Aufstieg der Guerillakämpfer von „Ausgestoßenen zu Königsmachern“, die nun auch über die Regierungsbesetzung mitbestimmen können, begann 2011. Die Huthis unterstützen die Proteste des „Arabischen Frühlings“ und ließen dabei zunehmend von ihrer religiösen Rhetorik ab. Dafür stellten sie verstärkt den Kampf gegen Korruption, Vetternwirtschaft und die mangelnde öffentliche Versorgung in den Mittelpunkt ihrer Bemühungen. Durch ihr Agieren als „Anti-Establishment-Kraft“ gelang es der Huthi-Bewegung, auch auf „Linke und Sunniten, die wenig Interesse an den saiditischen Dogmen hatten“, Anziehungskraft auszuüben, schreibt Peter Salisbury bei Foreign Policy.
Im September dieses Jahres hatten die Huthi-Milizen die Hauptstadt Sanaa überrannt, die mit zweieinhalb Millionen Einwohnern zugleich größte Stadt des Landes. Der alte Regierungschef Mohammed Basindawa war daraufhin zurückgetreten. In einem von den Vereinten Nationen vermittelten Friedensvertrag wurde anschließend die Bildung einer Einheitsregierung vereinbart.
Am Montag erfolgte dann durch den Präsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi die Ernennung von Chaled Mahfus Baha, dem bisherigen UN-Botschafter des Landes, zum neuen Regierungschef. Mit Zustimmung der Huthi-Rebellen wurde der aus der sunnitisch geprägten Provinz Hadramaut stammende Baha mit der Bildung einer neuen Regierung betraut.
Seine Benennung führte jedoch nicht zu einem Abflauen der Kämpfe. Am Mittwoch errichteten die aufständischen Huthis mehrere Kontrollpunkte in der rund 160 Kilometer südlich von der Hauptstadt gelegenen Großstadt Ibb. Nach Angaben von Sicherheitsbeamten gegenüber der Nachrichtenagentur dpa kontrollieren die schiitischen Rebellen inzwischen auch die Stadt Hadschda 200 Kilometer südwestlich von Sanaa.
Mit ihrem Vormarsch rücken die Huthi-Milizen in die Hochburgen Al-Qaidas vor. Die Terrorgruppe firmiert im Jemen unter dem Namen AQAP (Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel) und trat zuvor als „Ansar al-Sharia“ in Erscheinung. Den sunnitischen Extremisten war es 2011 gelungen, in dem südjemenitischen Gouvernement Abyan und angrenzenden Regionen nach Gefechten mit Regierungstruppen die Macht zu übernehmen und ein islamisches Emirat auszurufen. In den Folgejahren wurde ein Großteil der Region jedoch wieder von den jemenitischen Sicherheitskräften nach schweren Gefechten zurückerobert. Zudem gingen die USA mit Drohneneinsätzen gegen die Dschihadisten vor. Auch wenn sich die US-Militärschläge gegen Al-Qaida und damit gegen die Feinde der Huthis richteten, haben die schiitischen Rebellen die Angriffe der USA stets scharf verurteilt. Ein Ende ausländischer Interventionen ist eine Kernforderung der Huthi-Rebellen, die aus ihrem Hass auf die USA keinen Hehl machen: „Tod Amerika, Tod Israel, Verdammt die Juden, Sieg dem Islam“, ist die überall präsente Losung der Huthi-Kämpfer.
Da sie immer weiter in das von AQAP beanspruchte Gebiet vordringen, verschärft sich die Konfrontation mit den sunnitischen Dschihadisten. So kam es in den vergangenen Tagen in der zentraljemenitischen Stadt Rada’a zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Al-Qaida-Kämpfern und den Huthi-Milizen, die inzwischen die Stadt kontrollieren sollen. Im Gegenzug sollen laut einem Bericht der jemenitischen Nachrichtenseite Barakish am Donnerstag zwei von Huthis beherrschte Städte im Zentraljemen von Al-Qaida erobert worden sein. Al-Adin und Hasim al-Adin seien am Morgen eingenommen worden, nachdem Huthis erst am Mittwoch erste Kontrollpunkte in den Orten errichtet hatten.
Der Kampf zwischen den verfeindeten Gruppen geriet vor einer Woche in den Fokus der Weltöffentlichkeit, nachdem ein Al-Qaida-Selbstmordattentäter in Sanaa über vierzig Teilnehmer einer Protestkundgebung der Huthis, darunter Kinder, mit in den Tod riss.
Der bekannte saudische Fernsehprediger Khalid al-Gamdi begrüßte den Anschlag und rief zum weiteren Kampf gegen die Schiiten im Jemen auf. Mit seiner harten Haltung stehe er im saudischen Klerus nicht alleine da, wie Gulfnews berichtet. So habe auch der saudische Gelehrte Abdul Aziz Al Terifi den Kampf gegen die Huthis zur „religiösen Pflicht“ erklärt. (2)
Der Aufstieg der Huthis wird vor allem vom nördlichen Nachbarn Saudi-Arabien mit Argwohn betrachtet. Denn die Huthis gelten als Verbündete des Erzfeindes des saudischen Königshauses, dem Iran. Das Königreich hat bereits weitere Truppen an die Grenze zum Jemen verlegt.
Insbesondere der Vormarsch der schiitischen Rebellen zur Südwestspitze des Landes könnte weitreichende geopolitische Konsequenzen haben. Denn dessen Ziel dürfte die Kontrolle der knapp dreißig Kilometer breiten Meeresstraße Bab al-Mandab sein, die das Rote Meer mit dem Golf von Aden verbindet. Ein Großteil der auf dem Seeweg gehandelten Waren zwischen Europa und Asien läuft über diese Passage, auch dreißig Prozent des globalen Ölhandels werden über diesen Weg verschifft.
Nur die Kämpfer der Al-Qaida scheinen gegenwärtig in der Lage, diesen Vormarsch noch aufhalten zu können. Es ist daher von einer Verschärfung der Kämpfe zwischen ihnen und den Huthi-Rebellen im Südwesten des Landes auszugehen – und davon, dass AQAP verstärkte Unterstützung aus Saudi-Arabien erhalten wird. Die Krise des Jemen wird zudem durch die im Erstarken begriffene südjemenitische Unabhängigkeitsbewegung verschärft, die die 1990 erfolgte Vereinigung des einst sozialistischen Südjemen mit seinem nördlichen Nachbarn, der damaligen Jemenitischen Arabischen Republik, wieder rückgängig machen will. Hunderttausende Menschen demonstrierten diese Woche in der südlichen Küstenstadt Aden für die Unabhängigkeit des Südjemen.
Wie sich die Unabhängigkeitsbewegung und die Huthi-Rebellen zueinander positionieren, wird entscheidenden Einfluss auf die weitere Zukunft des Landes haben. Doch schon jetzt kann gesagt werden, dass die Bemühungen der arabischen Golfmonarchien, den „Schiitischen Bogen“ durch die Unterstützung sunnitischer Extremisten zu schwächen (3) – wie in Syrien, dem Irak und dem Libanon – im Jemen mit dem Siegeszug der Huthi-Rebellen einen deutlichen Rückschlag erlitten hat.
(mit dpa)
Anmerkungen
(1) http://www.foreignpolicy.com/articles/2014/10/10/from_outcasts_to_kingmakers_yemen_houthi
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(3) Siehe dazu: http://www.hintergrund.de/201307042664/politik/welt/gewollte-spaltung.html