Bewegung in der Starrheit
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Unter Rodrigo R. Duterte, dem designierten neuen Präsidenten der Philippinen, sollen die ins Stocken geratenen Friedensgespräche mit dem linken Untergrundbündnis der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP) wiederbelebt werden
Vor drei Jahrzehnten, als im Februar 1986 die Marcos-Diktatur stürzte, war die Neue Volksarmee (NPA), die Guerillaorganisation der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP), nach Einschätzung US-amerikanischer Militärexperten „die weltweit am schnellsten wachsende Guerillabewegung“. Bis auf Vietnam, Laos und Kambodscha sind in den anderen Ländern Südostasiens einst starke kommunistische Parteien – wie beispielsweise in Indonesien, Malaysia und Thailand – von der politischen Bühne verschwunden oder durch Counterinsurgengy (Aufstandsbekämpfung) aufgerieben worden. Mit Ausnahme der CPP beziehungsweise der politischen Dachorganisation der Nationalen Demokratischen Front (NDFP – siehe Kasten).
Nun hat der haushohe Sieger bei den am 9. Mai durchgeführten Präsidentschaftswahlen in den Philippinen signalisiert, dass während seiner am 30. Juni beginnenden sechsjährigen Amtszeit ein Neuanfang im Umgang mit der NDFP-CPP bevorsteht. Rodrigo R. Duterte, der bis zu seinem Amtsantritt noch Bürgermeister von Davao City, der größten Stadt in den Südphilippinen, ist, hat Olivenzweige ausgestreckt. Hochrangigen Kadern der Linken, die seit Jahrzehnten im niederländischen Utrecht im Exil leben – unter ihnen José Maria Sison (77), dem CPP-Gründungsvorsitzenden und politischen Chefberater der NDFP –, hat Duterte das Angebot unterbreitet, in die Heimat zurückzukehren und dort am Aufbau einer Regierung der nationalen Einheit mitzuwirken. Ein heikles Unterfangen, zumal die NPA und CPP in den USA und einigen europäischen Ländern noch immer auf der Liste „terroristischer Organisationen“ stehen. Was allerdings die norwegische Regierung nicht daran hinderte, in der Vergangenheit unter der Ägide des Außenministeriums in Oslo als Gastgeber für Friedensgespräche zwischen der Regierung in Manila und der NDFP fungiert zu haben.
Verhandlungen im Zick-Zack-Kurs
Nach dem Sturz der Marcos-Diktatur Ende Februar 1986 war es unter der neuen Präsidentin und der Mutter des jetzigen Präsidenten, Corazon C. Aquino, zur ersten Verhandlungsrunde zwischen Manila und der NDFP-Führung gekommen. Nach einem ständigen Auf und Ab und kurzweiligen Unterbrechungen der Gespräche, für die sich beide Seiten gegenseitig die Schuld gaben, kam es bis 1998 (nach zahlreichen, vorwiegend in den Niederlanden stattgefundenen Treffen) immerhin zur Unterzeichnung zweier wegweisender Vereinbarungen – dem Gemeinsamen Abkommen über Sicherheits- und Immunitätsgarantien (JASIG) und dem Umfassenden Abkommen zur Wahrung der Menschenrechte und des Internationalen Humanitären Rechts (CARHRIHL). Letzteres sah die Schaffung eines Gemeinsamen Monitoringkomitees (JMC) vor, das entsprechenden Beschwerden nachgehen und Rechtsverstöße gemeinsam prüfen sollte. Das JMC nahm seine Arbeit im Frühjahr 2004 auf, als – nunmehr unter der Ägide des norwegischen Außenministeriums – in Oslo zwischen dem Februar und Juni desselben Jahres weitergehende Verhandlungen stattfanden.
Aus den Fugen gerieten die beidseitigen Verhandlungen, nachdem die USA, die Europäische Union und andere Länder in wohlwollender Übereinstimmung mit der damaligen Regierung unter Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo (2001-2010) die CPP und NPA sowie José Maria Sison als „terroristisch” brandmarkten. Übrigens sehr zum Verdruss der norwegischen Regierung, die ihre Rolle als Konfliktmediator konterkariert sah und deren Unterhändler sich düpiert fühlten. Manila beharrte sodann auf dem Standpunkt, JMC-Treffen seien nicht vonnöten, solange die formellen Friedensgespräche stockten, bis deren Unterhändler die Verhandlungen schließlich im August 2005 einseitig und offiziell suspendierten.
Die Folge: Die nächsten sechseinhalb Jahre herrschte Funkstille und die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und NPA-Einheiten eskalierten in einem Klima staatlich sanktionierter Counterinsurgency, in deren Verlauf bis zum Ende der Amtszeit Arroyos Ende Juni 2010 annähernd 1 200 Personen – vorwiegend linke Aktivisten, engagierte Bauern- und Arbeiterführer, Gewerkschafter, Medienleute und sogar medizinisches Personal – Opfer „außergerichtlicher Hinrichtungen“ wurden. Unter dem neuen Präsidenten Benigno S. Aquino III. kam es zur Jahreswende 2010/11 zur Wiederaufnahme der Gespräche – erneut unter der Schirmherrschaft des norwegischen Außenministeriums.
Ambitionierte Agenda in Oslo
Nach Sondierungsgesprächen Mitte Januar 2011 trafen sich schließlich die Verhandlungsdelegationen beider Seiten unter der Führung des Regierungsvertreters Alexander Padilla und des NDFP-Chefunterhändlers Luis G. Jalandoni vom 15. bis zum 21. Februar 2011 in der norwegischen Hauptstadt. Die Stimmung war gut und entsprechend optimistisch fielen denn auch die Statements beider Emissäre aus, die per Handschlag Freundlichkeiten austauschten.
Folgende Punkte beherrschten die Agenda. Erstens: Einvernehmlich sollten die bis dato gemeinsam unterzeichneten Abkommen (JASIG und CARHRIHL) gewürdigt und deren Gültigkeit bekräftigt werden. Zweitens: Das JMC sollte reaktiviert werden und dessen Mitglieder regelmäßig Treffen abhalten. Drittens: Nachdem bereits im April und Juni 2001 eine erste Verhandlungsrunde stattgefunden hatte, wurde jetzt die Ausarbeitung eines Umfassenden Abkommens über sozioökonomische Reformen (CASER) avisiert. Viertens: Eine neu zu bildende gemeinsame Arbeitsgruppe sollte sich dem Themenkomplex Politische und Verfassungsmäßige Reformen (PCR) widmen. Fünftens: Sollte darüber eine Übereinkunft erzielt und ein entsprechendes Vertragswerk unterschriftsreif sein, könnten abschließend die Modalitäten einer Beendigung der Feindseligkeiten sowie eine Demobilisierung der bewaffneten Guerillaeinheiten festgelegt werden.
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Dieses Prozedere kam den Überlegungen und Erwartungen der NDFP weitgehend entgegen. In früheren Stellungnahmen hatte deren Führung auf eben diese Sequenz neuerlicher Gesprächs- und Verhandlungsrunden gedrängt. Angesprochen auf einen konkreten Zeitplan, gab Manilas Emissär Padilla zu verstehen, dass er davon ausgehe, innerhalb von drei Jahren ein „Gesamtpaket“ geschnürt zu haben, so dass sich noch während der Amtszeit von Präsident Aquino, die am 30. Juni dieses Jahres endet, die ersten Reformen hätten implementieren lassen.
Doch die ursprünglich für Juni 2011 angesetzte nächste Verhandlungsrunde wurde verschoben, da die NDFP der Regierung vorwarf, fortgesetzt Counterinsurgency-Maßnahmen im Hinterland durchzuführen und gegen den Geist des JASIG zu verstoßen. Manila konterte, der NDFP mangele es an Ernsthaftigkeit, die Gespräche zum Erfolg zu führen. Gegenwärtig sitzen 18 akkreditierte Berater der NDFP – zumeist aufgrund fabrizierter Anklagen – hinter Gittern. Sie sind Teil von landesweit insgesamt über 500 politischen Gefangenen, die der neue Präsident möglicherweise durch eine Generalamnestie auf freien Fuß setzt – so denn die neue, von beiden Seiten ersehnte Verhandlungsrunde erfolgversprechend weitergeführt wird.