Bewaffnete Provokationen: Libyen wird zum Operationsgebiet westlicher Militärs
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Von REDAKTION, 7. März 2011 –
Freitagmorgen vergangener Woche in der Nähe von Bengasi/Libyen: Sechs Männer in schwarzen Overalls steigen aus einem Helikopter. Auf dem Gelände eines Landwirtschaftsunternehmens werden sie von Wachen der Aufständischen aufgehalten und nach Waffen untersucht. Als man ihre Taschen untersucht, findet man Schusswaffen, Munition, Karten und Pässe, die auf mindestens vier Nationalitäten ausgestellt sind. So heißt es in Augenzeugenberichten, die der BBC-Korrespondent in Bengasi, Jon Leyne, wiedergibt. (1)
Britische Kommandoeinheit
Bei den Männern handelt es sich britischen Medienberichten zufolge um Elitesoldaten der berüchtigten Kommandotruppe Special Air Service (SAS), die Gespräche mit den Gegnern des libyschen Machthabers Muammar al-Gaddafi aufnehmen sollten. Zu den Aufgaben der Spezialeinheit SAS gehören Sabotage, Geheimdienstarbeit und Geiselbefreiung. Ihre Mitglieder sind zur strikten Geheimhaltung verpflichtet. (2)
Die Sunday Times berichtete, die Männer seien bei dem Versuch festgenommen worden, einen Diplomaten durch das von den Aufständischen kontrollierte Gebiet im Osten des Landes zu eskortieren. Die Rebellen hätten äußerst verärgert auf die Kontaktversuche reagiert. Sie hätten befürchtet, dass Gaddafi den Vorfall als Beweis für eine militärische Einmischung des Westens nutzen könnte, um damit patriotische Libyer auf seine Seite zu ziehen.
Dass über eine solche militärische Einmischung des Westens nicht nur beraten wird (Stichwort: Flugverbotszone), sondern sie im kleinen Maßstab längst schon Realität ist, hat spätestens die Festnahme von drei niederländischen Marinefliegern Mitte der vergangenen Woche gezeigt. Die Soldaten waren mit ihrem Hubschrauber von dem Kriegsschiff MS Tromp gestartet und in der libyschen Stadt Sirte gelandet, um zwei Niederländer auszufliegen.
Niederländer verletzen Luftraum
Unmittelbar nach der Landung wurden sie von einer Gaddafi-treuen Milizgruppe angegriffen und gefangen genommen. Zunächst war den drei Fliegern Verletzung internationalen Rechts vorgeworfen worden, weil sie ohne Genehmigung in den libyschen Luftraum eingedrungen seien. Sie werden jetzt der Spionage bezichtigt. „Ziel dieses Hubschrauber-Einsatzes war es, Spione entweder abzuholen oder abzusetzen“, hieß es am Samstag im libyschen Fernsehen. Gleichzeitig wurde von einer „internationalen Konspiration“ gegen Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi gesprochen.
Während die niederländischen Soldaten von Gefolgsleuten Gaddafis weiterhin festgehalten werden, sind die Briten von den Aufständischen am Sonntagabend freigelassen worden. Nach offizieller Sprachregelung handelt es sich bei ihnen um ein „kleines Diplomatenteam“. Die Männer hätten „Schwierigkeiten erfahren, die nun aber befriedigend gelöst sind“, sagte der britische Außenminister William Hague am Sonntag nach der Freilassung. Zuvor hatten Sprecher des Außen- und des Verteidigungsministeriums in London erklärt, sie könnten weder dementieren noch bestätigen, dass britische Soldaten festgehalten würden, meldete die britische Nachrichtenagentur PA am Sonntagmorgen.
Der britische Verteidigungsminister Liam Fox trug ebenfalls wenig zur Aufklärung bei, als er einem Fernsehinterview zwar sagte, dass es britische Diplomaten gebe, die in Bengasi Gespräche mit den Rebellen aufgenommen hätten, dazu aber keinen weiteren Kommentar abgeben wollte.
Das libysche Staatsfernsehen strahlte die Aufnahme eines angeblichen Telefonates des britischen Botschafters in Libyen mit einem Sprecher der Rebellen aus. Darin bat der Botschafter den Oppositionsführer, das „Missverständnis“ aufzuklären. Das Team sei in Libyen, um humanitäre Hilfsaktionen vorzubereiten.
Ein BBC-Korrespondent in Bengasi bezeichnete die Aktion als „beschämende Fehleinschätzung“. Die Briten hätten offenbar nicht damit gerechnet, dass es provozierend wirken könne, wenn mitten in der Nacht ein Hubschrauber mit einer Gruppe bewaffneten Männer ankomme.
NATO-Aufmarsch auf Kreta
Unterdessen mehren sich die Anzeichen, dass eine größere Militärintervention des Westens in Libyen in greifbare Nähe rückt. Die USA und andere NATO-Staaten ziehen starke Einheiten auf dem Stützpunkt von Souda im Westen der Mittelmeerinsel Kreta zusammen. Wie griechische Medien und Augenzeugen aus der Region am Samstag berichteten, liefen bereits zwei große amerikanische Schiffe in der Bucht von Souda ein, darunter der Hubschrauberträger USS Kearsarge. An Bord seien rund 1.200 Mann, darunter fast 800 Marineinfanteristen, berichtete der griechische Rundfunk. Das Schiff eignet sich sowohl für Landungsunternehmen als auch für Evakuierungsaktionen.
Zudem sollen im nahegelegenen Flughafen von Souda-Akrotiri Spezialeinheiten aus verschiedenen NATO-Staaten, darunter auch aus Deutschland, angekommen sein. Genaue Zahlen wollte das Verteidigungsministerium in Athen nicht nennen. Einwohner der Region sagten der Nachrichtenagentur dpa am Samstag, sie hätten mindestens sechs Transall-Maschinen gesichtet. Schon am Donnerstag waren auf Kreta rund 400 Soldaten aus den USA eingetroffen, hieß es aus diplomatischen Quellen. Die Bucht und der Flughafen von Souda bilden einen der größten Marine- und Luftwaffenstützpunkte des westlichen Militärbündnisses im Mittelmeer.
Schiffe können von Kreta binnen neun Stunden die libysche Küste erreichen, Kampfjets brauchen etwa 20 Minuten. NATO, EU und USA haben zwar deutlich gemacht, dass ein Militäreinsatz gegen Libyen vorerst nicht geplant sei. Allerdings wurden von den zuständigen Militärs Pläne „für den Fall der Fälle“ vorbereitet, etwa zur Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen.
Die Deutsche Marine begann am Samstagmorgen vor der tunesischen Küste mit einem Hilfeeinsatz für Flüchtlinge. Zwei Fregatten und ein Einsatzgruppenversorger seien vor der tunesischen Hafenstadt Gabes vor Anker gegangen, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin. Mehrere hundert Flüchtlinge würden nun mit Beibooten auf die Schiffe gebracht, die dann Kurs auf deren Heimatland Ägypten nehmen sollen. Einzelheiten zu der Aktion, die vom UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) koordiniert wird, nannte der Sprecher nicht.
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(1) http://via.pulsene.ws/1451L
(2) http://de.wikipedia.org/wiki/Special_Air_Service