Weltpolitik

Auf dem Weg zum eigenen Staat: Palästina tritt Strafgerichtshof bei

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Von REDAKTION, 8. Januar 2015 –

Alle Drohungen der USA und Israels vom Überschreiten einer „roten Linie“ haben nichts genutzt: Am Mittwoch machten die Vereinten Nationen den Weg frei zum Beitritt der Palästinenser zum Internationalen Strafgerichtshof (IstGH). Ab dem 1. April werde der dafür notwendige Grundlagenvertrag, das sogenannte Rom-Statut, auch für den Staat Palästina gelten, teilte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon mit.

Damit ist das Gericht für Verbrechen in den Palästinensergebieten zuständig – also im von Israel besetzten Westjordanland und Ostjerusalem sowie dem Gazastreifen. Israelis müssen damit befürchten, wegen der Besatzungs- und Siedlungspolitik in den Palästinensergebieten strafrechtlich verfolgt zu werden. Nach Angaben des Strafgerichtshofs bezieht sich die Anerkennung der Gerichtsbarkeit auf den Zeitraum seit dem 13. Juni 2014. Damit könnten auch Vorfälle während des jüngsten Gaza-Kriegs untersucht werden.

„Das Gericht hat schon angefangen, von uns vorgestellte Fälle zu prüfen“, erklärte der palästinensische UN-Botschafter Riad Mansur am Mittwoch. Er habe sich vor einigen Tagen mit der Chefanklägerin Fatou Bensouda getroffen. Die Palästinenser wollten die Zeit bis zum 1. April nutzen, „um Verfahren so schnell wie möglich ins Rollen zu bringen“.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hatte in der Silvesternacht den IStGH-Beitrittsantrag unterzeichnet, nachdem zuvor eine Nahost-Resolution im UN-Sicherheitsrat knapp gescheitert war – sie erhielt nur acht der nötigen neun Stimmen in dem fünfzehnköpfigen Gremium. Der von Jordanien eingebrachte Entwurf forderte eine gerechte Friedensregelung binnen eines Jahres sowie einen Abzug der israelischen Besatzungstruppen aus den Palästinensergebieten bis Ende 2017. (1) Um eine Neuaufnahme der im vergangenen April gescheiterten Friedensverhandlungen mit Israel nicht zu gefährden, hatten die Palästinenser von einem Antrag zum Beitritt zum Internationalen Strafgerichtshof bislang abgesehen.

Nachdem alle anderen Versuche, zu einer Friedensregelung in der Region zu gelangen, gescheitert seien, hätten sie sich schließlich an die Vereinten Nationen gewandt, rechtfertigte Palästinenserpräsident Abbas das Vorgehen seiner Regierung. „Wir werden jeden Tag auf unserem Land angegriffen, bei wem sollen wir uns beschweren?“, fragte er am Mittwochabend in Ramallah. Der UN-Sicherheitsrat habe die Palästinenser enttäuscht. Deshalb wende man sich jetzt an den Strafgerichtshof.

Vergeblich hatte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zuvor den Strafgerichtshof aufgefordert, einen Beitritt der Palästinenser abzulehnen. Das Gesuch der Palästinenserführung sei scheinheilig, erklärte Netanjahu. „Die Palästinenserbehörde ist kein Staat. Sie ist eine Entität, die ein Bündnis mit einer Terrororganisation gebildet hat, der Hamas, die Kriegsverbrechen begeht“, argumentierte Netanjahu, der die Hamas mit dem „Islamischen Staat“ verglich. „Wer sich vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag fürchten muss, ist die Palästinenserbehörde selbst.“ Israel wirft palästinensischen Kämpfern vor, mit Raketenangriffen auf israelische Zivilisten Kriegsverbrechen begangen zu haben. Doch vor Tel Avivs Drohung, künftig militante Palästinenser vor das Gericht in Den Haag zu bringen, müssen sich diese kaum fürchten: Israel hat das Rom-Statut nie ratifiziert.

Entsprechend sieht sich die israelische Regierung nicht gegenüber dem IstGH verpflichtet. „Wir werden nicht zulassen, dass israelische Soldaten und Kommandeure vor den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gezerrt werden“, sagte Netanjahu, der der Palästinenserbehörde vorwarf, den „Weg der Konfrontation“ gewählt zu haben. Ähnlich lautet auch die Einschätzung der US-Regierung. Sie verurteilte den Schritt der palästinensischen Autonomiebehörde als „völlig kontraproduktiv“. Er trage zur Eskalation bei, sagte Außenamtssprecher Jeff Rathke in Washington.

Doch die Eskalation geht offenkundig von Israel aus. Im April waren die unter US-Vermittlung geführten Friedensgespräche gescheitert, nachdem Israel sich geweigert hatte, getroffene Vereinbarungen umzusetzen. Im Sommer zerstörte Israel mit der Militäroperation „Protective Edge“ große Teile der Infrastruktur im Gazastreifen und tötete dabei nach UN-Angaben über 1400 Zivilisten, darunter 500 Kinder. (2) Anlass war der verstärkte Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen auf israelisches Territorium, durch den in dem mehrwöchigen Konflikt insgesamt sieben israelische Zivilisten getötet wurden.

Zudem setzt Israel ungeachtet aller internationalen Proteste den Siedlungsausbau im Westjordanland und Ostjerusalem unbekümmert fort. Für die Unterstützung des Siedlungsprojektes könnten israelische Poitiker künftig von Den Haag angeklagt werden, so der israelische Juraprofessor Aeyal Gross. „Das römische Statut definiert die unmittelbare oder mittelbare Überführung von Zivilisten in das besetzte Gebiet als schweren Verstoß.“ Es sei nicht schwer zu beweisen, dass Israel das tue, so Gross gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.

Nachdem eine Reihe europäischer Parlamente im vergangenen Jahr ihre jeweiligen Regierungen dazu aufgefordert hatten, einen Palästinenserstaat anzuerkennen, wächst in Israel die Sorge vor einer zunehmenden internationalen Isolation des Siedlerstaates. Zu einer solchen Entwicklung dürfte auch Tel Avivs jüngste Entscheidung ihren Beitrag leisten, den Palästinensern zustehende Steuereinnahmen einzubehalten. Dabei geht es um rund eine halbe Milliarde Schekel (etwa 106 Millionen Euro) aus Steuern und Zöllen, die Israel für die palästinensische Autonomiebehörde einnimmt.

Palästinas Chefunterhändler Saeb Erekat bezeichnete das Vorgehen als „Piraterie“. Die Palästinenserführung reichte unterdessen eine Beschwerde bei den Vereinten Nationen angesichts dieser „Kollektivstrafe“ ein. Eine Entspannung der Lage ist nicht in Sicht. Mit dem Schritt der Palästinenser in Richtung Den Haag sei ein Friedensabkommen beider Seiten gescheitert, äußerte sich der israelische Außenminister Avigdor Lieberman zur jüngsten Entwicklung.


 

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Anmerkungen

(1) Der vollständige Resolutionsentwurf ist nachzulesen unter:
http://www.nytimes.com/2014/12/31/world/middleeast/resolution-for-palestinian-state-fails-in-security-council.html
(2) Siehe Bericht des United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs vom 26. August 2014:  http://www.ochaopt.org/documents/ocha_opt_sitrep_26_08_2014.pdf

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