Atom-Deal mit Iran: Schlacht im US-Kongress hat begonnen
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Von REDAKTION, 15. Juli 2015 –
Der Atomstreit mit Iran ist nach 13-jährigem diplomatischem Ringen beigelegt. Die UN-Vetomächte, Deutschland und Iran erzielten in zuletzt mehr als zweiwöchigen Marathonverhandlungen am Dienstag in Wien eine historische Einigung zur deutlichen Verringerung der Atomkapazitäten der Islamischen Republik.
Laut dieser muss der Iran die Zahl der Zentrifugen zur Urananreicherung von 19 000 auf 6 100 verringern. Es dürfen auch nur ältere, weniger leistungsstarke Zentrifugen eingesetzt werden. Die Höchstgrenze der Anreicherung beträgt 3,67 Prozent. Für eine Atombombe ist eine Uran-Anreicherung auf neunzig Prozent nötig.
Die Bestände von bereits angereichertem Uran werden für fünfzehn Jahre drastisch reduziert, von aktuell fast 12 000 Kilogramm auf 300 Kilogramm. Der Schwerwasserrektor Arak wird zu einem Forschungsreaktor umgebaut. Damit kann er kein zum Bau von Atomwaffen nutzbares Plutonium mehr produzieren. Die lange geheim gehaltene Anreicherungsanlage Fordo wird ein Atom-Forschungszentrum. Die einzige Anlage zur Uran-Anreicherung ist nun Natans.
Das UN-Verbot zur Ein- und Ausfuhr von Waffen wird um fünf Jahre verlängert. Auch Lieferungen, die dem ballistischen Raketenprogramm Irans dienen könnten, bleiben für acht Jahre verboten.
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) erhält einen besonders intensiven Zugang zu allen Atomanlagen Irans, zu Wissenschaftlern und Forschungseinrichtungen. Neben der Kontrolle offizieller Einrichtungen dürfen die internationalen Experten auch dort Nachforschungen anstellen, wo verborgene Atomaktivitäten stattfinden beziehungsweise stattgefunden haben könnten. Teheran muss bei begründetem Verdacht auch seine Militäranlagen öffnen. In Streitfällen soll eine Kommission entscheiden.
Die Wirtschaftssanktionen werden erst dann schrittweise aufgehoben, wenn die IAEA bestätigt, dass Iran seinen Pflichten zur Reduzierung des Atomprogramms nachgekommen ist. Damit wird Ende 2015 gerechnet. In einem ersten Schritt werden dann die Einschränkungen für die Banken und das Öl-Embargo der EU aufgehoben. Damit kann Teheran wieder deutlich mehr Öl exportieren. Obendrein erhält das Land Zugang zu mindestens 100 Milliarden US-Dollar, eingefroren auf ausländischen Konten. Sollte das persische Land gegen die Auflagen des Abkommens verstoßen, treten die Sanktionen wieder in Kraft.
Fast überall auf der Welt wurde das Abkommen mit Erleichterung aufgenommen und begrüßt. „Vielleicht setzen wir mit dieser Vereinbarung ein Signal der Hoffnung den Kräften des Chaos’ im Mittleren Osten entgegen“, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Dienstag in Wien. Das rund 100-seitige Abkommen sei ein Beispiel, wie Konflikte mit zähem Dialog gelöst werden könnten. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sprach von Hoffnungszeichen für die ganze Welt. Russlands Präsident Wladimir Putin war sich sicher, „dass die Welt heute vor Erleichterung laut aufgeatmet hat“. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sprach von einem „historischen und bedeutenden“ Durchbruch.
Scharfe Kritik äußerten hingegen Vertreter Saudi-Arabiens. Das Königreich unterstütze die Aufrechterhaltung von Sanktionen, weil der Iran den Terrorismus fördere, zitierte die staatliche saudische Nachrichtenagentur einen nicht näher genannten Offiziellen. Er warnte Iran nach dem Atomabkommen davor, in der Region Unruhe zu stiften. Riad sieht seine Hegemoniebestrebungen in der Region durch eine Normalisierung der Beziehungen der internationalen Staatengemeinschaft mit Teheran gefährdet.
„Todesurteil für Israel“
Fast einhellig verurteilten auch die saudischen Medien die Vereinbarung. So warnte das Blatt Al-Yaum davor, die Übereinkunft werde Iran mutiger machen, die Welt zu zerstören.
Ähnlich schrille Töne sind auch aus Tel Aviv zu vernehmen. Israel kündigte erbitterten Widerstand an. Die Einigung im Atomstreit geißelte Regierungschef Benjamin Netanjahu als „atemberaubenden historischen Fehler“. Er fügte hinzu: „Die Welt ist heute ein sehr viel gefährlicherer Ort, als sie es gestern war.“ Der Iran habe nun die Möglichkeit, ein „nukleares Arsenal“ aufzubauen.
Netanjahu kritisiert seit Jahren jeden Versuch, zu einem Kompromiss mit dem Iran zu kommen. Vor knapp drei Jahren erwog Israel damaligen Medienberichten zufolge sogar einen Präventivschlag seiner Luftwaffe gegen Atomanlagen in Iran. Nun bekräftige Netanjahu, sein Land fühle sich nicht an das Abkommen gebunden und behalte sich sein Recht auf Selbstverteidigung vor – eine neue Drohung in Richtung Teheran.
US-Präsident Barack Obama lobte dagegen die Einigung als Garant für einen sichereren Nahen Osten. „Jeder Pfad zu einer Nuklearwaffe ist abgeschnitten“, sagte Obama. Teheran würde allen von den Verhandlungspartnern gemachten Forderungen unter dem Strich nachkommen. „Der Deal beruht nicht auf Vertrauen, sondern auf Überprüfung“, sagte Obama. Einige der Mechanismen für Kontrolle und Transparenz würden 25 Jahre in Kraft bleiben.
„Kein Deal bedeutet eine größere Chance für Krieg im Nahen Osten“, warnte der US-Präsident die Kritiker der Einigung. Es wäre deshalb unverantwortlich gewesen, die Gespräche abzubrechen.
Israel erhofft sich indes, das Abkommen mithilfe des US-Kongresses, der die Vereinbarung binnen sechzig Tagen überprüfen muss, doch noch zu Fall bringen zu können. Noch bevor sie die Vertragsdokumente einsehen konnten, machten führende Republikaner bereits gegen das Abkommen mobil.
Der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, John Boehner, kündigte eine Blockade des Abkommens an und warf Obama vor, mit dem Deal US-amerikanische Interessen aufgegeben zu haben. „Er wird einem gefährlichen Regime Milliarden Dollar an Sanktions-Erleichterungen reichen und den Weg für einen nuklearen Lauf ebnen“, sagte Boehner. Der ausgehandelte Atom-Deal werde einem „Paria-Staat den Marsch zur Nuklearwaffe“ ermöglichen, befand Ed Royce, Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss des Abgeordnetenhauses.
Das Abkommen sei ein „Todesurteil für Israel“, so der republikanische Senator und Präsidentschaftskandidat Lindsey Graham. „Das ist der gefährlichste und unverantwortlichste Schritt, den ich je in der Geschichte des Nahen Ostens mitverfolgt habe.“ Der Kongress werde den Deal „töten“, erklärte der republikanische Senator Tom Cotten.
Auch führende US-Zeitungen äußerten ihre Skepsis. Die Washington Post sprach von einer „leichtsinnigen Wette“, die New York Times von einem „Würfelspiel“, das Wall Street Journal wirft Obama vor, die „außenpolitische Spielanleitung wirkungsvoll geschreddert“ zu haben, „die die USA auf der Weltbühne für Jahrzehnte geleitet hatte“.
Obama drohte dem Kongress mit einem Veto, sollten sich dort die Gegner des Atomabkommens durchsetzen. Um das Veto des Präsidenten nichtig zu machen, bräuchten diese dann eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Kongresses. Dass ihnen dies gelingen würde, gilt als eher unwahrscheinlich – auch wenn viele von Obamas eigenen Demokraten nicht gerade überschwänglich, sondern eher verhalten auf die Vereinbarung reagierten.
Das Kapitol erwartet daher ein politisch heißer Sommer. Der israelische Iran-Experte Meir Javedanfar rechnet mit der „Mutter aller Lobbyschlachten“ von Seiten der Gegner des Deals. Netanjahu werde alles versuchen, um die Einigung noch zum Scheitern zu bringen, sagte der Politikwissenschaftler der Deutschen Presse-Agentur.
Wäre es wirklich die Angst vor einer iranischen Atombombe, die Tel Aviv und Riad umtreibt, so müssten die dortigen Regierungen das Abkommen im Grunde mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen. Schließlich schränken die darin vereinbarten Kontrollmöglichkeiten die Durchführung eines geheimen Atomwaffenprogramms erheblich ein, wenn sie es nicht sogar gänzlich unmöglich machen. Zudem wäre ein Verstoß gegen die Auflagen für Teheran mit erheblichen finanziellen und politischen Nachteilen verbunden.
Warum sich Israel und Saudi-Arabien so vehement gegen den Deal stemmen, liegt auf der Hand: Den Sicherheitsinteressen beider Länder wäre das Abkommen nur dienlich, wenn Iran tatsächlich insgeheim an der Entwicklung einer Atombombe gearbeitet hätte, der nun mit dem Wiener Vertrag ein Riegel vorgeschoben worden wäre.
Anzeichen für ein solches Programm konnten US-Geheimdienste in den vergangenen Jahren jedoch keine finden. Angesichts ihrer Überwachungsmöglichkeiten scheint es äußerst unrealistisch, dass ihnen ein solches Programm verborgen geblieben wäre – die Einschleusung des Computervirus Stuxnet in iranische Atomanlagen zeigt, über welch intime Kenntnisse die Gegner Teherans verfügen.
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Gerade weil das Abkommen eine mögliche Entwicklung einer iranischen Atombombe zukünftig erheblich erschwert beziehungsweise verunmöglicht, reagieren Tel Aviv und Riad so erbost. Denn ihnen kommt damit der politische Popanz einer iranischen Atombombe abhanden, der die Grundlage für Sanktionen bildete, die ihrem Gegner immensen wirtschaftlichen und politischen Schaden zufügten.
(mit dpa)