Weltpolitik

Asyl, aber doch nicht sicher? Diplomatisches Tauziehen um Julian Assange

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Von THOMAS WAGNER, 16. August 2012 –

Obwohl Ecuador dem Wikileaks-Gründer Julian Assange politisches Asyl gewährt hat, ist sein Schicksal längst nicht entschieden, denn London will dem 41-jährigen Australier kein freies Geleit gewähren und droht sogar damit, sich, entgegen der völkerrechtlichen Gepflogenheiten, gewaltsam Zutritt zur Botschaft des lateinamerikanischen Landes zu verschaffen.

Ecuador wiederum hat den Südamerikanischen Staatenbund Unasur und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gebeten, die Außenminister ihrer Mitglieder einzuberufen, um eine gemeinsame Stellungnahme zur britischen Haltung zu vereinbaren.

Nachdem Ecuadors Außenminister Ricardo Patiño am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Quito erklärte, man wolle das Leben des Australiers vor Verfolgungsrisiken in den USA schützen, zeichnet sich ein ernsthafter diplomatischer Streit zwischen Großbritannien und Ecuador ab.

Denn Großbritannien hat in einem Brief an die ecuadorianischen Behörden gedroht, notfalls den exterritorialen Status der Botschaft in London aufzuheben, in der sich Assange seit Mitte Juni aufhält, um den politischen Flüchtling gewaltsam herauszuschaffen. Grundlage dafür soll ein Gesetz aus dem Jahr 1987 sein, das dem Staat grundsätzlich erlaube, in Botschaften anderer Staaten einzudringen, wenn dadurch terroristische Machenschaften unterbunden werden können

Neokoloniale Drohgebärde

Das Gesetz wurde erlassen, nachdem am 17. April 1984 eine britische Polizistin während einer Demonstration von Gaddafi-Anhängern vor der libyschen Botschaft in London erschossen wurde. Daraufhin hatten Beamte das Gebäude tagelang umstellt. Anschließend wies Großbritannien sämtliche libyschen Diplomaten aus und beendete die diplomatischen Beziehungen. Nun wurde eine Regelung gesucht, was mit den aufgelassenen Liegenschaften passieren sollte.

Rechtsexperten halten die Auffassung, das ohnehin umstrittene Gesetz könne auch im Fall Assange die Aufhebung des exterritorialen Status erlauben, für gewagt. Die Ankündigung stehe im Widerspruch zur Wiener Konvention von 1961. Diese regelt, dass diplomatische Vertretungen im Ausland für das Gastgeberland weitgehend unantastbar sind. Diplomaten befürchten zudem, dass mit einem Eindringen in die ecuadorianische Botschaft ein schlechtes Vorbild für andere Staaten geschaffen würde – bis hin zur Frage, ob britische Botschafter in bestimmten Ländern dann ihrerseits überhaupt noch sicher seien. Ecuador wiederum verwahrte sich gegen einen solchen
völkerrechtlichen Tabubruch mit dem Hinweis, die Kolonialzeit sei vorbei.

Aber selbst wenn Großbritannien in dieser Frage nachgäbe, wäre Assange noch nicht aus der Gefahrenzone. Denn das britische Außenministerium hat schon am Donnerstag erklärt, ihm kein freies Geleit für einen Flug nach Ecuador gewähren zu wollen.

Assange hatte in Großbritannien in einem anderthalbjährigen Prozessmarathon versucht, die Auslieferung nach Schweden gerichtlich zu verhindern. Er bestreitet die dort gegen ihn erhobenen Vorwürfe wegen sexueller Belästigung und vermutet, er solle von Schweden in die USA abgeschoben werden, wo ihm schlimmstenfalls die Todesstrafe wegen Geheimnisverrats droht. Der Entscheidung der ecuadorianischen Regierung liegt die Auffassung zugrunde, dass diese Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist. Denn der Name Assange steht für Enthüllungen über die verbrecherische Seite der US-Außenpolitik, die Washington einen schweren Imageschaden bereitet haben.

Wichtige Enthüllungen

Ein weltweites Echo erzielte Wikileaks im April 2010 mit der Veröffentlichung eines Videos der US-Streitkräfte zu einem Luftangriff im Irak, bei dem vermutlich über zehn Menschen erschossen wurden, darunter zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters. Das unter dem Namen „Collateral Murder“ veröffentliche Video wurde Wikileaks zugespielt. Bradley Manning, der US-Soldat, der die Quelle des Videos sein soll, wurde im Mai 2010 festgenommen. Ihm droht in den USA die Todesstrafe oder eine sehr hohe Freiheitsstrafe.

Auch die nachfolgenden großen Veröffentlichungen von Wikileaks im Sommer 2010 werden ihm angelastet: Nahezu 92.000 US-Militärdokumente über den Afghanistankrieg („Afghan War Diary“) enthalten zum Teil erschütternde Details über den Militäreinsatz. Außerdem publizierte die Enthüllungsplattform fast 400.000 geheime US-Militärakten zum Irak, in denen auch Gräueltaten dokumentiert sind und 250.000 vertrauliche Dokumente aus US-Botschaften („Cablegate“): Ihre Veröffentlichung erschütterte im November 2010 die Weltdiplomatie und brachte die US-Regierung in Bedrängnis.

Lateinamerikanische Solidarität

Netzaktivisten der Anonymous-Bewegung haben ihre Anhänger dazu aufgerufen, sich vor der Botschaft Ecuadors in London zu versammeln. „Wenn Ihr gerade in London seid oder dort jemanden kennt: Begebt Euch jetzt zur ecuadorianischen Botschaft“, forderte Anonymous am Donnerstag im Kurzmitteilungsdienst Twitter. „Jetzt ist es Zeit.“

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In anderen Äußerungen aus Kreisen der Anonymous-Bewegung wurde die Entscheidung Ecuadors begrüßt, Assange Asyl zu gewähren. Die Unasur-Minister könnten bereits am Wochenende in Quito zusammenkommen. OAS-Generalsekretär José Miguel Insulza habe eine baldige Minister-Konferenz zugesagt, erklärte Ecuadors Außenminister. Das britische Außenministerium zeigte sich in einem ersten Statement über die Internetplattform Twitter „enttäuscht“ über die Entscheidung in Quito. London hoffe aber weiterhin auf eine Verhandlungslösung, die es den britischen Behörden erlaube, ihren Verpflichtungen auf Grundlage der Auslieferungsgesetze nachzukommen. Das klingt defensiv. Die lateinamerikanische Solidarität scheint Wirkung zu zeigen. Ecuador hat gute Chancen, die Machtprobe mit London zu bestehen.

(mit dpa)

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