Weltpolitik

Antiamerikanismus!

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Denunziation statt Argumentation. Wie Kritiker der USA zum Schweigen gebracht werden sollen –

Von WERNER PIRKER, 13. Januar 2014 –

Der Antiamerikanismus gehe ihm „gewaltig auf den Senkel“, redete Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich bei seiner Rückkehr aus den USA „Klartext“. Eigentlich hatte er das gegenüber seien amerikanischen Gesprächspartnern tun wollen, ehe er sich von deren lauteren Absichten im „Krieg gegen den Terror“ überzeugen ließ. Mit dem Antiamerikanismus-Vorwurf als schlagendem Argument weiß sich der Minister auf der sicheren Seite.

„Antiamerikanismus!“, ereifern sich auch US-treue Journalisten in den deutschen Medien angesichts der Empörung über das weltumspannende NSA-Überwachungsregime. Wo doch US-amerikanischer Spürsinn im Wesentlichen nur zum Wohle der Menschheit zum Einsatz komme. „Den komplexen Verhältnissen in der Schattenwelt der Geheimdienste“, klagt Richard Herzinger in der Welt vom 4. Juli 2013, „mag man sich hierzulande jedoch ungern stellen. Es ist entlastender, wieder einmal dem plumpen Antiamerikanismus freien Lauf zu lassen.“ Undank ist der Welt Lohn. „Denn der amerikanischen Speicherwut verdankt nicht zuletzt Deutschland zahlreiche lebensrettende Hinweise im Kampf gegen den Terror, an die deutsche Dienste nie selbst herangekommen wären“, lässt uns der Autor wissen. Dass der Kampf gegen den Terror, wenngleich von den Weltordnungskriegern zum wichtigsten Menschheitsanliegen erhoben, die Bespitzelung sämtlicher Erdenbewohner erfordere, ist selbst Sicherheitsfanatikern kaum noch zu vermitteln. Zumal es im „War on Terror“ zu einem seltsamen Rollenwechsel gekommen ist. Die terroristische Aggression, der sich Syrien gegenwärtig ausgesetzt sieht, wurde von westlichen Warlords in Szene gesetzt, wobei Islamisten aus dem Umfeld der Al Qaida als Stoßtruppen des von der Wertegemeinschaft angeordneten Regimewechsels eingesetzt werden.

„Ein paar Jahre Obama-Begeisterung“, schreibt Henryk M. Boder in der Welt vom 13. Juli, „haben dem bösartig romantischen Antiamerikanismus nichts anhaben können. Er begann im 19. Jahrhundert mit dem deutsch-österreichischen Dichter Nikolaus Lenau (‚Die verschweinten Staaten von Amerika‘), und er wird mit Rolf Hochhuth angemessen fortgesetzt.“ Letzterer hatte sich erdreistet, in einem offenen Brief Bundeskanzlerin Merkel aufzufordern, dem NSA-Aufdecker Edward Snowden Asyl zu gewähren.

Der Begriff „Antiamerikanismus“ kommt aus dem „aufgeklärt-liberalen“ Diskurs und soll auf eine reaktionäre Grundhaltung verweisen. Antiamerikanismus erscheint als Amoklauf der Irrationalität und des dumpfen Ressentiments – wurzelnd in unterschwelligen dunklen Strömungen des gesellschaftlichen Bewusstseins. Die Grundmuster einer tatsächlich reaktionären Amerika-Kritik werden aber auch den linken Gegnern der US-imperialistischen Gewaltpolitik unterstellt. Genau dieser Antiimperialismus ist es, der ins Visier der Freunde des Imperiums geraten ist. Zwar wird Kritik an der Politik der USA für prinzipiell zulässig erklärt, doch nur wenn sie von einer Position des Proamerikanismus vorgetragen wird. Was dem Antiamerikanismus unterstellt wird, trifft auf dessen Kritiker selbst zu: die Pflege eines ideologischen Vorurteils, die keine sachliche Auseinandersetzung zulässt und Argumentation durch Denunziation ersetzt.

Die Gegnerschaft zum Imperialismus im Allgemeinen und zum US-Imperialismus im Besonderen hat durchaus nachvollziehbare Gründe. Die USA sind nicht eine imperialistische Macht unter anderen, sie sind die Führungsmacht. Als solche vertreten sie einen universalistischen Anspruch, der weit in ihre Geschichte zurückreicht: „Das Anliegen der Vereinigten Staaten von Amerika ist das Anliegen der Menschheit“, behauptete schon Benjamin Franklin. Doch handelt es sich um einen monopolisierten Universalismus und damit um ein großmachtchauvinistisches Projekt, wovon auch das ständige Berufen US-amerikanischer Politiker auf die nationalen Interessen der USA zeugen. Unter Bush junior kam der unilaterale Anspruch Washingtons offen zum Ausdruck. Unter Obama änderte sich zwar die Tonlage, nicht jedoch die inhaltliche Ausrichtung.  

Der ungarische marxistische Philosoph Georg Lukacs schrieb im Nachwort zu seiner 1954 veröffentlichten Schrift „Die Zerstörung der Vernunft“, dass die USA als „führende Macht der imperialistischen Reaktion“ die Stelle des faschistischen Deutschland eingenommen hätten. Eine Äußerung, die ihn heutzutage umgehend vor den Richterstuhl der „political correctness“ bringen würde. Zumal er auch noch schrieb: „Die ‚antitotalitaristische‘ Ideologie nimmt immer ausgeprägtere faschistische Züge an.“ (S. 198) Den aufgeklärten liberalen Kreisen und deren rabiaten Übertreibern, den als „Antideutsche“ auftretenden deutschen Neocons, gelten die Vereinigten Staaten indessen als eine antifaschistische Macht („USA – Antifa!“).

Der postmoderne Antifaschismus stellt keineswegs die Negation der Totalitarismustheorie dar, sondern deren Fortsetzung. Nach dem Ausfall des antikommunistischen Feindbildes hat der Faschismus, nicht ohne Grund zumeist als Nationalsozialismus bezeichnet, das Gegenbild zum neoliberalen Vorbild abzugeben. Horkheimers berühmte Aussage: „Wer über den Kapitalismus nicht reden will, soll über den Faschismus schweigen“ sieht sich in ihr Gegenteil verkehrt: Wer über den Sozialismus nicht reden will, soll über den Nationalsozialismus schweigen. Dass sich an dieser geschichtsrevisionistischen Umdeutung auch ein Dietmar Bartsch, der den Nationalsozialismus als entarteten Sozialismus bezeichnete, beteiligt, lässt erkennen, wie tief auch Teile der Linkspartei bereits im antikommunistischen Sumpf stecken.

Der Mainstream-Antifaschismus, der erst salonfähig wurde, als Hitlers Kriegsziel, die Zerstörung der Sowjetunion doch noch Wirklichkeit geworden war, ist ein wichtiges Transportmittel der amerikanischen Ideologie. Die USA erscheinen als Hort der individuellen Freiheit, der Aufklärung und der modernen Zivilisation. Diesem „Antifaschismus“ ist jegliche Kapitalismus-Kritik suspekt, ihn kennzeichnet vielmehr offene Kapitalismus-Apologie. Bei den „Antideutschen“ heißt das: Kritik am „regressiven Antikapitalismus“. Kapitalismus-Kritik, die über die Kritik an einem abstrakten gesellschaftlichen Verhältnis hinausgeht, die Subjekte benennt und vom sozialen Antagonismus nicht abstrahiert, gilt als im höchsten Maß verwerflich. Denn läuft das nicht auf die Suche nach Sündenböcken hinaus? Man weiß, wo das hinführt.

Schuld seien natürlich immer die Amerikaner, lautet die sarkastisch gemeinte Klage der leidgeprüften Freunde Amerikas. Für den deutsch-israelischen Historiker Dan Diner ist Antiamerikanismus ein „ideologisch befrachteter Rationalisierungsversuch, die unübersichtlich gewordenen Lebenswirklichkeiten und Lebenswelten durch projektive Schuldzuweisung an den definitiv Anderen erträglicher zu machen“. Die Lebenswirklichkeiten in Ländern, deren Bevölkerungen an den Folgen US-amerikanischer Hegemonialpolitik zu leiden haben – ob in Form ökonomischer Ausplünderung, politischer Unterdrückung durch von Washington geförderte diktatorische Regime oder direkte Kriegshandlungen – dürften Diner nicht sonderlich interessieren. Für ihn sind das alles reine Projektionen. Gäbe es keine Amerikaner, der Antiamerikaner müsste sie erfinden. Wie auch der Antisemit die Juden erfinden müsste, gäbe es sie nicht.

Und damit wäre auch schon die innere Verwandtschaft des Antiamerikanismus mit dem Antisemitismus hinlänglich erwiesen. Kapitalismuskritik, besonders Kritik am finanzmarktgetriebenen Kapitalismus gilt als antisemitisch – über den jüdischen Charakter des Finanzkapitals sind sich Antisemiten – „das deutsche Kapital schafft, das jüdische rafft“ – und Antisemiten-Jäger offenbar einig. Wobei letztere allein schon in der Benennung konkreter kapitalistischer Akteure, welcher ethnischen Zugehörigkeit die auch immer sein mögen, eine unzulässige Personifizierung und damit „strukturellen Antisemitismus“ zu entdecken meinen.

Die Behauptung einer Affinität der Kritik am US-Imperialismus zum Antisemitismus hat ihre eigene denunziatorische Logik. Sie ergibt sich aus der aggressiven Parteinahme deutscher Neocons für das israelisch-amerikanische Kriegsbündnis. Nicht zwischen Anti-US-Imperialismus und Antisemitismus besteht eine innere Verwandtschaft, sondern zwischen dem amerikanischen und dem zionistischen Siedlerkolonialismus, die beide einen biblisch begründeten Anspruch aufs Auserwähltsein beanspruchen.

Barack Obama hat weltweit Hoffnungen auf ein grundlegend anderes Amerika geweckt. Besonders in Deutschland, was zeigt, dass es sich bei den meisten Deutschen nicht um notorische Amerika-Hasser handelt. Doch diese Hoffnungen wurden enttäuscht. Der erste dunkelhäutige Präsident der USA erwies sich als ein von den weißen Eliten Getriebener, deren Allmachtvisionen er gerecht werden will. Die von ihm angekündigte Wende in der Nahostpolitik scheiterte bereits im Ansatz. Die Gefahr, dass die ganze Region in Flammen aufgeht, ist so groß wie nie zuvor. Die extreme israelische Rechte verbittet sich nicht nur jegliche amerikanische Einmischung in ihre Siedlungspolitik, sondern übt über die Lobbyorganisation AIPAC auch massiven Einfluss auf die amerikanische Außenpolitik aus. gemacht.

Die US-Bevölkerung aber ist mittlerweile der vielen Kriege müde. Das hat sich sogar im Kongress bemerkbar gemacht.  Grassiert der Antiamerikanismus, der Unglaube an Amerikas Mission, „Freiheit, Demokratie und freies Unternehmertum“ in die Welt hinauszutragen, nun auch schon in Gottes eigenem Land?  In einem Beitrag für Ossietzky (Nr. 17/2013) schildert Eckart Spoo, wie er und seine Frau im Winter 1982/83 einen Spendenaufruf für die notleidende Bevölkerung von Detroit verfasst haben, nachdem in der ehemaligen Automobil-Metropole der Hungernotstadt ausgerufen worden war. Die Bewohner der Stadt wussten es ihnen zu danken. Der Bürgermeister würdigte in bewegten Worten die Spendenaktion als Ausdruck deutsch-amerikanischer Freundschaft. US-Bundespolitiker aber wollten in dieser Aktion eine Verhöhnung des „American way of life“ und damit einen besonders perfiden Akt von Antiamerikanismus gesehen haben.   

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