Am Gängelband der Hardliner
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Obama zu Besuch in Israel und Palästina –
Ein Kommentar von SUSANN WITT-STAHL, 21. März 2013 –
Der Besuch von Barack Obama im Nahen Osten wird unter den Palästinensern nur Verbitterung und ohnmächtige Wut hinterlassen. Das stand schon fest, bevor der Präsidentenhubschrauber heute Morgen in Ramallah auf der Westbank landete. Obama kommt mit nichts anderem als mit leeren Händen in das seit nunmehr seit 46 Jahren besetzte Palästina. Kein Friedensplan, kein einziges handfestes Angebot – nur Moralgesäusel und Betroffenheitslyrik. Entsprechend wortkarg und frostig die Reaktionen der palästinensischen Führung.
Was für ein Kontrast: Am Morgen hat er auf der anderen Seite der Separationsmauer noch die Schriftrollen vom Toten Meer im Israel-Museum als Zeugen von mehr als zweitausend Jahre alten jüdischen Lebens in der Region bestaunt. Ein Wink der israelischen Regierung mit dem Zaunpfahl, der signalisieren soll: Die völkerrechtswidrige Annexion der Palästinensergebiete könnte durchaus historisch gerechtfertigt werden? Von Obama sind offenbar keine Einwände zu befürchten. Gestern schwärmte er während der Willkommenszeremonie auf dem Ben-Gurion-Airport in Tel Aviv von der „unverbrüchlichen Bindung“ zwischen den USA und Israel und sagte: „Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Allianz ewig ist.“ Die USA seien „stolz, der stärkste Verbündete Israels zu sein“. Israel werde „keinen besseren Freund finden als die Vereinigten Staaten“. Entsprechend waren die etablierten israelischen Medien voller Begeisterung über den unerwartet netten Besuch: „Präsident Obama kam, um die Herzen der Menschen zu gewinnen, und genau das gelang ihm auch“, berichtete das Boulevardblatt Maariv. Die Zeitung Jediot Ahronot bejubelte die „herzliche Umarmung“ zwischen Obama und Netanjahu, der sich für Obamas Liebesschwur mit warmen Worten revanchierte: „Ich habe heute eine simple Botschaft an Sie und an das amerikanische Volk: Danke. Danke, dass Sie hinter Israel stehen.“ Laut Aussage eines nicht genannten US-Regierungsvertreters gegenüber der israelischen Tageszeitung Haaretz hat Obama sogar geäußert, dass der während seiner ersten Amtszeit auf Israel ausgeübte Druck Israelis und Palästinenser nur noch weiter voneinander entfernt habe.
Das sind Worte, die in den Ohren der arabischen Bevölkerung der besetzten Gebiete, angesichts ihrer von Obama ignorierten verzweifelten Lage, mehr als zynisch klingen und massive Proteste auslösten. Die palästinensische Polizei in Ramallah hatte heute einige Mühe, aufgebrachte Demonstranten unter Kontrolle zu bringen. Mehrere Hundert marschierten in Richtung des Amtssitzes von ihrem Präsidenten Mahmut Abbas, wo Obama am Vormittag mit militärischen Ehren empfangen wurde. Sicherheitskräfte versuchten, Pressefotografen von den Menschenansammlungen fernzuhalten, damit möglichst wenig Bilder entstehen, die die Welt besser nicht sehen soll: Palästinenser, die Obama-Plakate zerstören, anspucken oder mit Schuhen bewerfen – Zeichen tiefster Verachtung für die Servilität des US-Präsidenten gegenüber der Kriegs- und Besatzungslobby in Washington und Jerusalem, die deutlicher nicht sein können.
Bei seinem Amtsantritt 2009 galt Obama in der arabischen Welt, vor allem bei den Palästinensern, noch als großer Hoffnungsträger. „Wenn wir uns nächstes Jahr hier wiedertreffen, kann es schon eine Vereinbarung geben, die zu einem neuen UN-Mitglied führt – einem unabhängigen, souveränen Staat Palästina“, hatte Obama 2010 vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen verkündet. Wenn er fast drei Jahre später, wie zuletzt bei seinem gestrigen Besuch in Tel Aviv, eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israelis und Palästinensern anmahnt und betont, es sei das Ziel, dass ein „sicherer israelischer und ein friedlicher palästinensischer Staat nebeneinander bestehen“, dann klingt das für die arabische Bevölkerung in der Region wie der blanke Hohn.
Kein Wunder. Obama ist in der öffentlichen Wahrnehmung vom lang ersehnten Friedensstifter zum blinden Schutzpatron Israels mutiert, von dem keinerlei Hilfe mehr zu erwarten ist. Denn dem von den Mainstreammedien als „mächtigster Mann der Welt“ titulierten US-Präsidenten ist es vier Jahre lang nicht gelungen, Israels ultrarechte Regierung an den Verhandlungstisch zu bringen. Er konnte sie nicht einmal zu einem Siedlungsstopp bewegen. 2011 ließ er die Anerkennung Palästinas als UN-Vollmitglied scheitern. Seine Aufwertung zum UN-Beobachterstaat im vergangenen November gelang nur gegen den heftigen Widerstand der Obama-Administration.
Mehr noch als George W. Bush erscheint Barack Obama mittlerweile vor allem als tragische Figur am Gängelband der mächtigen neokonservativen Hardliner und fundamentalistischen Christian Rights, die nicht nur bei den Republikanern großen Einfluss haben, sondern auch bei den Demokraten, der Partei des Präsidenten. Die kritische Intelligenz in den USA, beispielsweise Noam Chomsky („Obamas Politik ist der Bushs sehr ähnlich“), sind sich sogar weitgehend einig: „Obama ist der modernste Reaganisierer“, Durchsetzer der neoliberalen Agenda, inklusive imperialistischer Kriege, bringt der Politikwissenschaftler Andrew Levine das Problem auf den Punkt. Für die Palästinenser avanciert der Name Obama zum Inbegriff der unwiderruflichen Zerstörung ihres Traums vom Ende der seit 1967 andauernden israelischen Besatzung und von einem Leben in einem eigenen souveränen Staat.
Nicht alle wollen das wahrhaben. „We have a dream“, war auf den T-Shirts von rund einem Dutzend israelischen Linken zu lesen, die mit Obama-Masken, Palästina-Fahnen und einem Banner, auf dem das „Ende der Apartheid“ gefordert wurde, durch Hebron zogen. Sie wurden von jüdischen Siedlern und der israelischen Grenzpolizei attackiert, zu Boden gerissen und festgenommen.
Tala Rimawi, ein Palästinenser aus Ramallah, sagt zwar, „der Obama-Besuch ist mir egal, weil nichts dabei herauskommen wird“, aber er hofft immer noch: „Vielleicht wird Obamas Gewissen eines Tages erwachen und er unsere Lage dann nicht länger als Politiker, sondern als Mensch betrachten.“
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Dass Menschlichkeit und Obamas Gewissen (ob es nun „erwacht“ oder nicht), wie überall auch im Nahen Osten, nicht die geringste Rolle spielen, sondern ausschließlich die knallharten geopolitischen Machtinteressen der USA und ihrer Verbündeten – das weiß kaum jemand besser als der israelische Historiker Moshe Zuckermann, der die Regierungspolitik seines Landes seit Jahrzehnten kritisch analysiert: „Was Obama hier bislang gesagt hat und wohl auch noch sagen wird, scheint mir, nicht so wichtig zu sein, gemessen daran, was er nicht sagen darf. Ob aber das, was er nicht sagen darf, sich in operative Politik umsetzen wird, muss noch abgewartet werden“, lautet Zuckermanns nüchterne Einschätzung auf Anfrage von Hintergrund. „Das rhetorische Rumgetöne, dessen sich Obama und Netanyahu gestern befleißigten, ist jedenfalls nur schale Äußerlichkeit. Man kann nicht der Zwei-Staaten-Lösung das Wort reden, zugleich aber auch hinnehmen, dass Israel alles tut, um ebendiese Lösung zu unterminieren. Wenn man aber diese Grundeinstellung Israels hinnimmt, dann liegt der Schluss nahe, dass die Zwei-Staaten-Lösung nicht im vordringlichsten Interesse der US-amerikanischen Außenpolitik liegt.“
Moshé Machover, israelischer Sozialist und Mitbegründer der antizionistischen Organisation Matzpen, geht davon aus, dass alle anders lautenden Beteuerungen des amerikanischen Präsidenten in seiner ersten Amtszeit nur Schall und Rauch waren: „Der Niedergang und Zerfall von Obamas Image kann an der Kluft zwischen den falschen Versprechungen in seiner Kairoer Rede vom 4. Juni 2009 und seinem masochistischem Auftritt in Israel und der besetzten West Bank bemessen werden“, so Machovers bitter-böser Kommentar. „Es war eben nur ein Image, das Obama damals vor sich her getragen hatte, aber einige dumme Leute haben ihm geglaubt…“