Afghanistan-Konferenz: Abzug der Besatzungstruppen bis 2014
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Von SEBASTIAN RANGE, 20. Juli 2010 –
Heute fand in der afghanischen Hauptstadt Kabul eine internationale Konferenz zur Zukunft des Landes statt, an der hochrangige Delegationen aus mehr als 70 Ländern teilnahmen. Neben NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und US- Außenministerin Hillary Clinton nahm auch Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle an der Konferenz teil.
Afghanistans Staatspräsident Hamid Karsai nannte in seiner Auftaktrede die nur siebenstündige Zusammenkunft einen „Meilenstein“ für Afghanistan und einen wichtigen Schritt zur Vertiefung der internationalen Partnerschaft.
Die Teilnehmer wollen sich bei der Afghanistan-Konferenz in Kabul darauf festlegen, die Verantwortung für die Sicherheit in dem Land bis 2014 an die Afghanen zu übergeben. In dem Entwurf für die Abschlusserklärung heißt es, die afghanischen Sicherheitskräfte sollten bis zu diesem Zeitpunkt zur Realisierung „aller militärischen Operationen in allen Provinzen“ in der Lage sein.
Bereits im Herbst sollen beim NATO-Gipfel in Lissabon die ersten Provinzen ausgewählt werden, die schon ab 2011 alleine zurechtkommen sollen. Nach Angaben von Westerwelle soll es sich um drei bis vier Provinzen handeln – eine davon im Zuständigkeitsbereich der Bundeswehr im Norden des Landes. Dort wurden erst gestern vier Bundeswehr-Soldaten durch einen Sprengstoff-Anschlag verletzt.
Westerwelle sagte in Kabul, es sei ein „sehr wichtiger Tag nicht nur für Afghanistan, sondern auch für die Staatengemeinschaft“. Die Konferenz solle eine „Wegmarke sein auf dem Weg zur Übergabe der Verantwortung an die afghanische Regierung“. Zudem erwarte er von der afghanischen Regierung „ganz konkrete Schritte“ bei der Korruptionsbekämpfung und der Bekämpfung des Drogenhandels. Letzteres dürfte allerdings illusorisch bleiben. Denn Mohnanbau ist nicht nur eine wichtige wirtschaftliche Säule des Landes, – mittlerweile deckt Afghanistan 90 Prozent der weltweiten Opium-Nachfrage -, sondern Karsais Halbbruder Ahmad Wali ist selbst tief in den Drogenhandel verstrickt. Im Juli vergangenen Jahres wurde auf seinem Anwesen tonnenweise Opium beschlagnahmt, was allerdings keine negativen Konsequenzen für ihn nach sich zog. „Auf den einschlägigen Listen amerikanischer Dienste über Drogenbarone in Afghanistan rangiert Karsais Halbbruder auf einem der Spitzenplätze – ebenso wie der für die Bekämpfung des Drogenhandels zuständige Vize-Innenminister.“ (1) Kurze Zeit später kam heraus, dass Ahmad Wali Karsai auf der Gehaltsliste der CIA steht, was eine optimale Voraussetzung dafür ist, um in Afghanistans Drogengeschäften mitzumischen.(2)
Als weitere Themen nannte Westerwelle die Wiedereingliederung von Kämpfern der „radikal-islamischen“ Taliban in die Gesellschaft sowie die Aussöhnung der verschiedenen Volksgruppen Afghanistans. „Diese Aussöhnung ist die Voraussetzung für Stabilität und die Rückkehr zu dauerhaft friedlichen Verhältnissen“, so Westerwelle. Die afghanische Regierung will unter anderem ein 600 Millionen Euro schweres Programm vorschlagen, das bis Ende 2010 36.000 Aufständischen zur Niederlegung ihrer Waffen bewegen soll.
Karsai warb auf der Konferenz um Zustimmung für das groß angelegte Aussteigerprogramm. Die Afghanen hätten sich bei der „Friedens-Dschirga“ Anfang Juni darauf verständigt, „die Hand auch bewaffneten Gegnern zu reichen, die gewillt sind, die Verfassung zu akzeptieren und sich vom Terrornetzwerk Al Qaeda loszusagen“, erklärte Karsai. „Von unseren internationalen Partnern erwarten wir daher, unserer Friedensinitiative zuzustimmen und diese zu unterstützen.“
Zum einen ist vorgesehen, Taliban-Mitläufern den Ausstieg durch finanzielle und materielle Hilfe zu erleichtern. Zum anderen soll auch mit ranghohen Kommandeuren der Taliban über ein Ende der Gewalt verhandelt werden. Ihnen könnten unter anderem Straffreiheit und Exil in einem sicheren Drittstaat in Aussicht gestellt werden.
Zur Streichung der Taliban von der UN-Terrorliste heißt es in dem Entwurf, dies solle „in einem auf Beweisen beruhenden und transparenten Prozess“ in Abstimmung zwischen dem UN-Sicherheitsrat, der afghanischen Regierung und der internationalen Staatengemeinschaft erfolgen.
Pünktlich zur Konferenz meldete sich auch der als „Al-Qaeda-Vize“ bezeichnete Aiman Al-Sawahiri zu Wort. In einer Audiobotschaft sagte er angeblich den Sieg der „Gotteskrieger“ voraus und behauptete, dass die Taliban und ihre Verbündeten noch handlungsfähig seien. Entgegen den Versuchen Karsais und Al-Sawahiris, den Krieg in Afghanistan als Kampf gegen „Al Qaeda“ erscheinen zu lassen, haben US-Geheimdienste – von der deutschen Öffentlichkeit nahezu unbemerkt – bereits im Herbst vergangenen Jahres festgestellt, dass es sich bei den Aufständischen in Afghanistan nicht um „Al-Qaeda“-Kämpfer oder um deren Verbündete handelt.
„Nahezu alle Aufständischen, die die US- und NATO-Truppen in Afghanistan bekämpfen, sind keine religiös motivierten Taliban oder Al-Qaeda-Kämpfer, sondern eine neue Generation von Stammeskämpfern, die um territoriale Kontrolle, Bodenschätze und Schmuggel-Routen kämpfen“, zitiert der Boston Globe aus dem Geheimdienstbericht. „Einige der wichtigsten Gruppen des Aufstands standen sogar in Opposition zu dem harschen islamischen Regime der Taliban in den 1990er Jahren.“ Laut einem US-Geheimdienst-Mitarbeiter, der den Bericht mit ausarbeitete, sei der Widerstand zu neunzig Prozent ein lokaler Stammesaufstand. Nur zehn Prozent seien „Hardcore-Ideologen“, die für die Taliban kämpfen. (3) Die New York Times zitierte einen US-Beamten, wonach es in Afghanistan weniger als 100 „Al-Qaeda“-Kämpfer gebe.(4)
Angesichts der Tatsache, dass die aufständischen Kämpfer in erster Linie nicht religiös motiviert sind, erscheint der Plan, diese parallel zu einem Abzug der ausländischen Besatzungstruppen in die afghanischen Machtstrukturen einzukaufen, nicht als aussichtslos.
In der Abschlusserklärung der Afghanistan-Konferenz wird auch der Wille bekräftigt, 50 Prozent der Entwicklungshilfe durch die afghanische Regierung verteilen zu lassen. Als Bedingung dafür werden aber unter anderem Reformen im Finanzsektor und eine wirksame Korruptionsbekämpfung genannt. Angesichts der weit verbreiteten und wohl kaum einzudämmenden Korruption innerhalb der afghanischen Regierung wird mit der verstärkten Übertragung der Entwicklungshilfe auf eben diese für die Zukunft nur sichergestellt, was die „Entwicklungshilfe“ bislang immer war: ein Selbstbereicherungsprojekt. (5)
Aufgrund stattfindender Kämpfe mussten mehrere Teilnehmer der Konferenz später anreisen. Am Montagabend hatte es in der Nähe des Flughafens mehrere Detonationen gegeben. Offensichtlich wurde niemand verletzt. Der schwedische Außenministers Carl Bildt berichtete in seinem Internet-Blog, dass sein Flugzeug nach einstündigem Warteflug zum US-Militärflugplatz Bagram umgeleitet worden sei. Zusammen mit Ban Ki Moon habe er mehrere Stunden gewartet. Um vier Uhr morgens wurden beide mit zwei Hubschraubern der US-Streitkräfte bei noch nächtlicher Dunkelheit nach Kabul geflogen. Das Flugzeug mit der dänischen Außenministerin Lene Espersen wurde nach Kasachstan umgeleitet. Nach Angaben aus Kopenhagen will die Ministerin von dort direkt nach Dänemark zurückkehren. Diese Vorgänge lassen es als äußerst fragwürdig erscheinen, dass die afghanische Regierung in einigen Jahren die Sicherheit im ganzen Land garantieren kann, wenn sie noch nicht einmal heute, in Zusammenarbeit mit den Besatzungstruppen, die Sicherheit in der eigenen Hauptstadt gewährleisten kann. Präsident Karsai wurde in der Vergangenheit oftmals verächtlich als „Bürgermeister von Kabul“ bezeichnet, weil der Arm seiner Regierung nicht weiter als bis zu den Stadtgrenzen reicht. Aber selbst das erscheint mittlerweile fraglich, und so könnte es bald geschehen, dass man von ihm als den „Bürgermeister eines Stadtteils von Kabul“ spricht.
Anmerkungen
(1) http://www.sueddeutsche.de/politik/drogenfund-bei-ahmad-wali-karsai-halbseidener-halbbruder-1.154252
(2) http://www.sueddeutsche.de/politik/afghanistan-hamid-karsais-bruder-auf-der-cia-gehaltsliste-1.149349
(3) http://www.boston.com/news/world/middleeast/articles/2009/10/09/most_insurgents_in_afghanistan_not_religiously_motivated_military_reports_say/
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(4) http://www.nytimes.com/2009/10/08/world/asia/08prexy.html?_r=2
(5) http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,543280,00.html