EU-Politik

Vom Schicksal der Ratte nach dem Schiffbruch

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Berlusconi am Ende, Italien gerettet? 

Von PEPE EGGER, 04. Dezember 2013 –

Regierungen im befreundeten Ausland mögen frohlocken, dass Silvio Berlusconi und seine Partei nicht länger Teil der italienischen Regierung sind; Italienerinnen und Italiener mögen im Herbst des Patriarchen das lang herbeigesehnte Ende der zwanzig Jahre währenden Vorherrschaft Berlusconis erkennen: Sie übersehen dabei, dass Berlusconis Ende die Wiederkehr der unseligen italienischen Christdemokratie einzuläuten droht.

Dabei ist der Ausschluss Berlusconis aus dem Senat am 27. November eigentlich weniger bedeutend als das Auseinanderbrechen seiner Partei zwölf Tage zuvor. Als letztinstanzlich verurteilter Steuerbetrüger konnte er nicht Senator bleiben – obwohl er versuchte, den Preis für seinen Auschluss mit allen Mitteln in die Höhe zu treiben: Die Regierung werde fallen, Neuwahlen werde es geben, wenn er stürze, werde er viele andere mitreißen. All dies sind  allerdings bloß leere Drohgebärden, seit ein Viertel seiner eigenen Abgeordneten ihm das Geleit versagten, und eine neue „Mitte-rechts“-Gruppierung gründeten, das „Nuovo Centro-Destra“ (NCD).

Dass Berlusconi über die Unterstützung seiner eigenen Parlamentarier nicht mehr vollständig verfügte, hatte sich bereits im Oktober angekündigt, da allen voran sein „Delfino“ und designierter Nachfolger, der derzeitige Vize-Premier Angelino Alfano, die Stabilität der Regierung über die Befindlichkeiten seines Herren stellte. So hatte Berlusconi bei der Vertrauensabstimmung am 2. Oktober nach anfänglichen Drohungen, Premier Letta werde das Vertrauen entzogen, einen schmerzlichen Rückzieher machen müssen, weil seine eigenen Gefolgsleute die Regierung nicht stürzen wollten.

Seitdem vollzog sich der Bruch in Zeitlupe, die Spaltung in Berlusconis Partei „Popolo della Libertà“ in zwei immer offener verfeindete Lager nahm immer mehr zu, hier „colombe“ (Tauben), da „falchi“ (Falken) lieferten sich einen Kleinkrieg, der über Dolchstoßvorwürfe und Bezichtigungen des Verrats schlussendlich in der Abspaltung des NCD gipfelte.

Doch was steht hinter der Partei-Neugründung der Abweichler? Die Abtrünnigen um Vize-Premier Alfano haben ja nicht plötzlich die Stabilität der Regierung als Wert an sich entdeckt, oder Lettas Programm auf einmal schätzen gelernt. Und doch sind sie mehr als bloß die jüngsten Vertreter jenes Phänomens des italienischen Parlamentarismus, der hier „trasformismo“ gennant wird, also des Hin- und Herwechselns der Parlamentarier und Minister zwischen den Parteien, darauf bedacht, die eigenen Pfründe zu retten, und in jeweils neuen Regierungsmehrheiten in immer neuen Politreinkarnationen wiederzukehren.

Der „trasformismo“ mag eine Rolle spielen, schließlich fällt auf, dass alle sechs Minister aus dem Berlusconi-Lager zum NCD übergewechselt sind, und so im Ministeramt bleiben, auch nachdem Berlusconis Partei die Regierungskoalition verlässt. Auf manche Parlamentarier mag auch zutreffen, dass sie wie die Ratten das sinkende Schiff als erste verlassen haben: Berlusconis politische Zukunft sieht ja momentan nicht sehr rosig aus.

Doch die eigentliche Entwicklung, die eigentliche Treibkraft, die eine Abkehr von Berlusconi überhaupt erst möglich gemacht hat, ist das Rennen um die Wiederbegründung einer katholischen Sammelpartei, ist die Frage der Wiederkehr der Democrazia Cristiana (DC). Die Abweichler, wenn sie auch an ihre eigene Positionierung für die Zeit nach Berlusconi denken, haben samt und sonders eine christdemokratische Zukunft am Horizont im Blick.

Eigentlich liegt dies ja auf der Hand: Berlusconis politischer Aufstieg in den 1990er war erst möglich geworden durch die Implosion der DC im Korruptionssumpf. Er hatte das Vakuum gefüllt, das entstanden war, als mehr oder weniger die komplette Führungsriege der DC ins Gefängnis wanderte, nachdem sie Italien 50 Jahre lang regiert hatte (mit wechselnden Partnern gewiss, und mit kurzzeitigen Unterbrechungen in den 1980er Jahren, aber immer in Rufnähe der Schalthebel und Pfründe der Macht). Verschwindet er nun von der politischen Bildfläche, scheint es folgerichtig, dass das katholische Zentrum, die Eliten des ‚moderaten Lagers‘, jenes politisch-sozial-kulturellen Blocks, der seit dem zweiten Weltkrieg bis in die 1990er an der Macht war, ein neues politisches Vehikel benötigen.

Es macht also durchaus Sinn, dass einer der ersten Gratulationsanrufe nach der Spaltung an den Anführer der Abweichler Alfano, so berichtet es die italienische „L‘Huffington Post“, von dem Ex-Präsidenten der italienischen Bischofskonferenz kam, dem Kardinal Camillo Ruini. Der rechte „Il Giornale“ berichtet von mehreren Treffen im Vatikan bereits vor dem Bruch, bei denen drei Minister des NCD mit Monsignor Fisichella, dem Vorsitzenden des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung, die Abspaltung von Berlusconis Partei geplant haben sollen.

Wenn die Machinationen von Fisichella auch unbestätigt geblieben sind, so ist es sehr wahrscheinlich, dass das katholische Establishment die Abwendung von Berlusconi und Neugründung einer katholischen Mitte-Rechts-Partei mit großem Wohlwollen verfolgt. Obwohl der organisierte Katholizismus Berlusconis Politik zu einem guten Teil unterstützte, und von einer ganze Reihe von Gesetzen profitierte, z.B. in Bezug auf katholische Privatschulen, die steuerliche Stellung der Besitztümer der Kirche, und bei gesellschaftspolitische Frage wie Euthanasie oder Schwulenehe oft die politische (reaktionäre) Linie vorgab, ist anzunehmen, dass die Unterstützung für den „Ritter der Arbeit“ („Cavaliere“, wie Berlusconi immer noch genannt wird) spürbar abgenommen hat, seit er mit seinem Privatleben für immer mehr Schlagzeilen und Gerichtsverfahren gesorgt, und sein politisches Gebaren mehr und mehr der eigenen Strafverteidigung untergeordnet hat.

Eine weiteres Indiz eines christdemokratischen Beweggrundes der jüngsten Vorkommnisse ist die durch und durch katholische Sozialisation der Führungsriege von Alfanos Partei. Alfano selbst war Provinzsekretär der christdemokratischen Jugendbewegung in seiner Heimatprovinz Agrigento, sein Vater Stadtrat und Vizebürgermeister der DC im sizilianischen Agrigento. Ein Teil der Minister und Parliamentarier des NCD, etwa Infrastrukturminister Maurizio Lupi und der Ex-Gouverneur der Lombardei, Roberto Formigoni, sind Exponenten der katholischen Bewegung „Comunione e Liberazione“ (Gemeinschaft und Befreiung). Comunione e Liberazione (CL) ist eine katholische Polit-Seilschaft, die in Italien geschätzte 25.000 Mitglieder zählt.

Was die Frage der kommenden Christdemokratie noch pikanter macht, ist, dass auch in der führenden Regierungspartei, dem sozialdemokratischen Partito Democratico, eine Reihe an verwaisten Christdemokraten sitzen, allen voran der Ministerpräsident Enrico Letta, der in in den 1990ern Vorsitzender der christdemokratischen Jugendorganisation war. Genau wie Alfano wurde er nach ersten jugendlichen politischen Gehversuchen in der DC heimatlos, als die Partei im Korruptionssumpf der ‚Tangetopoli‘ versank, und fand, wie manche linke Christdemokraten, im Zusammenschluss der post-kommunistischen Democratici di Sinistra (Linksdemokraten) und der zentristischen DC-Folgepartei Margherita, neue Aufstiegschancen.

Alfanos Nuovo Centro-Destra hat, bis jetzt, bloß ein Häuflein Senatoren und Abgeordnete, wenn auch ihr politisches Gewicht dadurch viel schwerer wiegt, dass das NCD das Zünglein an der Waage der Regierungsmehrheit darstellt. Worüber das NCD allerdings verfügt, ist Wachstumspotential, vor allem wenn es sich selbst als die kommende Volkspartei der katholischen Mitte darstellen kann. Dann werden andere potentielle Christdemokraten sehr wahrscheinlich auf den Zug aufspringen, etwa aus der implodierten Partei Mario Montis. Das Schicksal von Montis Bewegung mag Alfano dabei als Negativfolie dienen: Sie war bei der katholischen Elite äußerst populär, genauso im Ausland, in den europäischen Staatskanzleien und beim IWF: überall fand sie Zuspruch, nur bei den italienschen Wählerinnen und Wählern nicht.

Montis Schicksal, vom Deus Ex Machina der bitteren Sparpolitik zur politischen Bedeutungslosigkeit mag Alfano und den anderen Abweichlern als Warnung dienen; die Wählerinnen und Wähler aber täten gut daran, bevor sie eine neuerstandene DC begrüßen, oder sie gar wählen, sich daran zu erinnern, was der Regisseur Pier-Paolo Pasolini der DC bereits im Jahr 1975 vorgeworfen hatte. In einem Brief an die Zeitung „Il Mondo“ schrieb Pasolini, man müsse den Anführern der Democrazia Cristiana den Prozess machen, sie vor ein Gericht stellen und aburteilen, für ihre Verbrechen, die da einschließen:“Ehrlosigkeit, Verachtung der Bürger, Manipulation öffentlicher Gelder, Mauschelei mit den Ölfirmen, den Industriellen, den Bankiers, Gewährenlassen der Mafia, Hochverrat zugunsten einer ausländischen Macht, Kollaboration mit der CIA, Amtsmissbrauch von Behärden, etwa dem Geheimdienst, Verantwortung für die Terroranschläge in Mailand, Brescia, Bologna (zumindest in dem Maße ihrer schuldhaften Unfähigkeit, die Ausführenden zu bestrafen), Zerstörung der Landschaft und urbanen Räume Italiens, Verantwortwung für den anthropologischen Niedergang der Italiener (welche Verantwortung durch das Fehlen jedes Bewusstsein davon noch verschlimmert wird), Veranwortung für den skandalösen Zustand der Schulen, der Krankenhäuser, des öffentlichen Sektors, Verantwortung für die Verwahrlosung der ruralen Gebiete, Verantwortung für die unkontrollierte Explosion der Massenkultur und der Massenmedien, Verantwortung für den verfall der Kirche, und schließlich, borbonische Verteilung von öffentlichen Ämtern an Arschkriecher“.


 

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Anmerkung

siehe italienisches Original http://videotecapasolini.blogspot.de/2013/05/pasolini-bisognerebbe-processare-i.html

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