Griechenland und Türkei

„Offen für Austerität, Grenzen zu für Flüchtlinge“

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Europarat debattiert über Griechenland und Türkei – ein Gespräch mit der Bundestagsabgeordneten Annette Groth

Die Situation für die Flüchtlinge – insbesondere für die Kinder – in Griechenland und der Türkei ist unvermindert schlimm. Das macht die Bundestagsabgeordnete der Linken, Annette Groth, aus Anlass der Jahrestagung des Europarates in Straßburg in dieser Woche deutlich. Groth verwies auf die Rede des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras am Mittwoch, aus der griechische Tageszeitungen die Worte zitierten: „Offene Grenzen für die Austerität, Grenzen zu für Flüchtlinge.“ Tsipras bringt damit den Widerspruch von aufgezwungener Sparpolitik einerseits und Flüchtlingspolitik andererseits auf den Punkt. Trotz Fortschritten in der Behandlung der Flüchtlinge gebe es in Griechenland immer noch wilde Flüchtlingscamps und die für das geschlossene Camp an der griechisch-mazedonischen Grenze in Idomeni bereitgestellte Ersatz-Lager sind meist völlig ungeeignet, so Groth.

„Die Situation der Flüchtlinge in den sogenannten Hotspots wie etwa dem auf der griechischen Insel Lesbos ist kaum erträglich. Die Flüchtlinge können diese nicht verlassen, wissen aber auch nicht, wie es mit ihnen weiter geht.“ Einer Delegation des Europarates wurde kürzlich der Zugang verweigert, angeblich, weil ihre Sicherheit nicht gewährleistet war.

Viele unbegleitete Minderjährige haben Eltern oder einen Elternteil in Deutschland oder in einem anderen EU-Land. „Diese haben einen Anspruch auf Familienzusammenführung“, so Groth. „Dieses Recht wird ihnen aber oft durch langwierige bürokratische Verfahren vorenthalten. Und da sind nicht nur griechische Behörden schuld, sondern auch die anderen EU-Staaten wie Deutschland, die Anträge auf Familienzusammenführung sehr langsam bearbeiten. Warum? Soll es als Abschreckung dienen? Diesen Verdacht äußern inzwischen viele Rechtsanwälte und NGOs“, erläutert Groth. „Wenn Kindern die Familienzusammenführung verwehrt wird, ist das eine Verletzung der Kinderrechtskonvention. Das dürfen wir nicht zulassen.“

Auch der griechische Premier Tsipras habe auf der Europarat-Sitzung klar gemacht, dass der Familiennachzug oberste Priorität haben müsse, weil das Problem alleine gelassener Kinder und Jugendlicher in Griechenland sonst immer schlimmer werde. Ohnehin leide das Land noch immer an der Wirtschaftskrise und den Sparprogrammen für die sozialen Einrichtungen.

Ohne die große Hilfsbereitschaft vieler Teile der griechischen Bevölkerung wäre deren Lage noch viel schlimmer. Im Gegensatz zu Deutschland habe es in Griechenland keine Anschläge auf Flüchtlingsheime gegeben, so Alexis Tsipras in seiner Rede – und das bei viel größeren sozialen Problemen der eigenen Bevölkerung.

Unter diesen Umständen sei es verständlich, dass Organisationen wie UNHCR und Ärzte ohne Grenzen ihre Zusammenarbeit mit den Hotspots zunehmend verweigern. „Die Entscheidung von Ärzte ohne Grenzen, kein Geld von der EU mehr anzunehmen hat mich sehr beeindruckt“, so Groth. Das sei absolut nachvollziehbar. „Man darf sich nicht zum Komplizen dessen machen, der konträr zu den eigenen Prinzipien handelt.“

Annette Groth, die sich seit vielen Jahren für Flüchtlinge und Hilfsprojekte in der Welt einsetzt, hält den im Frühjahr vereinbarten EU-Türkei-Deal für inakzeptabel. Sie sei daher froh, dass der Antrag der Gruppe der Linken im Europarat, für den ‚Report des Europarates zur Flüchtlingsfrage‘ den EU-Türkei-Deal zu „überdenken“, angenommen wurde. Groth hält den Plan für unmenschlich und falsch. „Wir brauchen einen Plan B“, fordert sie. Dieser müsse darin bestehen, dass EU-Staaten Flüchtlinge aus Griechenland aufnehmen. Das müsse viel stärker auf freiwilliger Basis geschehen als es in früheren Plänen der EU-Kommission vorgesehen war. „Natürlich können wir Flüchtlinge nicht in ein Land zwingen, das ihnen feindselig entgegensteht.“

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Ohnehin steht der EU-Türkei-Deal zunehmend auf der Kippe, da der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan angekündigt hat, wieder Flüchtlinge zu „schicken“, sofern die EU die Visafreiheit für Türken nicht beschließe. Mit Drohungen auf den Europarat habe er auch einen Beschluss verhindert, der das Monitoring der demokratischen Institutionen der Türkei gefordert hätte. Das wäre eine harte Maßnahme gewesen, aber Ankara hat verstanden, sie zu verhindern.

Noch schlimmer sind Erdoğans Angriffe gegen türkischstämmige Abgeordnete des deutschen Bundestages, wie die Linken-Abgeordnete Sevim Dağdelen. Gegen sie laufen derzeit Strafverfahren der türkischen Behörden nach dem türkischen Strafgesetzbuch wegen „Herabsetzung“ der türkischen Nation und ihrer Institutionen – das bedeutet in der Praxis ein Einreiseverbot. Die Bedrohungen betreffen aber sogar Leib und Leben der Abgeordneten. Diese Drohungen seien eine indirekte Folge von Erdoğans Rhetorik, so Groth.

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