Niederlage für Madrid
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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte spricht sich für Freilassung von ETA-Gefangenen aus –
Von THOMAS EIPELDAUER, 21. Oktober 2013 –
Es ist ein Urteil von großer Tragweite: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied am heutigen Montag, dass Spanien die politische Gefangene Ines Del Rio Prada freilassen muss. Del Rio Prada war im Juli 1988 in Zaragoza festgenommen, vorgeworfen wird ihr die Mitgliedschaft in der baskischen bewaffneten Gruppe Euskadi Ta Askatasuna (Baskenland und Freiheit, ETA) sowie die Beihilfe zu Attentaten. Nimmt man die Einzelurteile spanischer Gerichte, die gegen die 55-jährige ergangen sind, zusammen, so kommt man auf mehr als 3 000 Jahre Haft. Nun ist allerdings für Fälle wie diesen die Zusammenlegung der Strafen (acumulación de penas) vorgesehen, was für Ines Del Rio Prada eine Höchststrafe von 30 Jahren bedeutet.
Zudem besteht für Häftlinge die Möglichkeit, durch Studium und Arbeitsleistungen während des Gefängnisaufenthaltes eine Haftverkürzung zu erreichen. Im Fall von Del Rio Prada hätte das – sie hat sich 3 282 Tage Erlassung erarbeitet – letztendlich nach bestehenden spanischen Gesetzen zu einer Entlassung am 2. Juli 2008 führen müssen. Die allerdings wurde ihr verweigert. (1)
Wie bei vielen anderen baskischen Gefangenen rechnet die Regierung nämlich den Straferlass auf die Gesamtstrafe und nicht die Höchststrafe an, mit dem Ziel, die politischen Häftlinge so lange wie irgendwie möglich hinter Gittern belassen zu können. Zur Anwendung kommt dabei die nach dem ETA-Gefangenen Henri Parot benannte „Parot-Doktrin“, die der oberste Gerichtshof Spaniens am 28. Februar 2006, also lange nach der Verurteilung und Inhaftierung Ines Del Rio Pradas erließ.
„So schnell wie möglich“
Diese Praxis hat nun die Große Kammer des EGMR für nicht rechtens erklärt – und damit ein bereits bestehendes Urteil des Menschenrechtsgerichtshof vom Juli 2012 bestätigt. Damals, so der Journalist Ralf Streck, sahen die Richter in Strasbourg „gleich mehrere Artikel der Menschenrechtskonvention verletzt“. (2)
Auch im aktuellen Urteil ist die Rede von mehreren Verstößen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention: Es widerspreche Artikel 7, dem sogenannten Rückwirkungsverbot, wonach eine rückwirkende Verschärfung der Strafe unrechtmäßig sei. Seit dem 28. Februar sei Ines Del Rio Prada zudem widerrechtlich eingesperrt, weil gegen Artikel 5/1, der das Recht jedes Menschen auf Freiheit uns Sicherheit garantiert, verstoßen worden sei. Sie sei also „so schnell wie möglich“ zu entlassen. (3)
Der Richterspruch könnte weitreichende Konsequenzen für Spaniens Umgang mit den Gefangenen der baskischen Unabhängigkeitsbewegung haben. Etwa 61 Menschen könnten sofort freikommen, weitere 76 in den kommenden Jahren, meldet die Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf Medienberichte.
Ob und wann allerdings Madrid die Vorgaben des EGMR umsetzt, ist fraglich. Denn trotz eines Friedensprozesses, der vor allem von Zugeständnissen der baskischen Seite getragen wird (4), fährt Madrid eine harte Linie gegen mehrere hundert inhaftierte Basken: Immer wiederkehrende Foltervorwürfe, Isolationshaft und die rechtswidrige Unterbringung in Gefängnissen hunderte Kilometer von ihrer Heimat entfernt sind seit langem fester Bestandteil des spanischen Krieges gegen die baskische Bewegung.
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Anmerkungen
(1) http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng/Pages/search.aspx#{%22languageisocode%22:[%22ENG%22],%22documentcollectionid2%22:[%22JUDGMENTS%22],%22itemid%22:[%22001-127697%22]}
(2) https://linksunten.indymedia.org/de/node/63652
(3) http://hudoc.echr.coe.int/sites/eng-press/pages/search.aspx?i=003-4541406-5482531#{%22itemid%22:[%22003-4541406-5482531%22]}
(4) http://www.jungewelt.de/2013/10-16/024.php