Marktradikal und russlandfreundich
Die Wahl von François Fillon zum Präsidentschaftskandidaten der Konservativen in Frankreich dürfte sich für den Front National als Glücksfall erweisen – und auch für Moskau
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Mit einem Erdrutschsieg hat François Fillon am Sonntag die Vorwahl der konservativen Republikaner, bei der der Kandidat für die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr gekürt wird, für sich entschieden. Mit 44 Prozent der Stimmen schlug er deutlich den lange Zeit als Favoriten gehandelten ehemaligen Premierminister Alain Juppé, der auf 28 Prozentpunkte kam. Beide gehen am kommenden Sonntag in die Stichwahl. Der drittplatzierte Nikolas Sarkozy, für den 21 Prozent votierten, rief seine Anhänger zur Wahl Fillons auf, weshalb dessen Sieg als ausgemacht gilt.
Sollte es bis zur Präsidentschaftswahl am 23. April nicht zu einem massiven Stimmungsumschwung im Lande kommen, dann werden Fillon und die Vorsitzende des Front National, Marine Le Pen, die meisten Stimmen einfahren – und zwei Wochen später in einer Stichwahl gegeneinander antreten.
Sarkozys Niederlage fiel unerwartet deutlich aus. Der ehemalige Präsident kündigte daraufhin an, sich aus der Politik zurück zu ziehen. „Purer Populismus reicht manchmal eben doch nicht, um eine Wahl zu gewinnen“, heißt es dazu in einem auf tagesschau.de veröffentlichten Kommentar. Sarkozy habe voll auf die „Populismus-Karte“ gesetzt: „Die Idee, zwischen wir (also “echten abendländischen Franzosen”) und euch (also Franzosen mit Migrationshintergrund oder gleich Ausländern, Flüchtlingen, Migranten) eine Mauer zu bauen, hat nicht gefruchtet. Seine spalterischen Umtriebe haben Sarkozy nichts gebracht.“
Dabei ist Fillon auch einer, der Mauern baut und die Gesellschaft spaltet. Mit dem Unterschied, dass die von ihm forcierte Spaltung in erster Line entlang sozialer und nicht ethnischer Trennlinien verläuft. Zwischen 2002 und 2004 leitete Fillon unter Premierminister Jean-Pierre Raffarin das Arbeits- und Sozialministerium. Dabei entwarf er das an der neoliberalen Agenda 2010 orientierte „Gesetz über den sozialen Dialog“, das massive Proteste auslöste. Nachdem er im März 2014 das Bildungsministerium übernommen hatte, zog es dann die Schüler auf die Straßen, um gegen eine von ihm initiierte Reform des Bildungswesens zu demonstrieren. Zwischen 2007 und 2012 war Fillon unter Sarkozy Premierminister – und beschwor mit einem umfassenden Reformprogramm wieder Massenproteste herauf.
Wirtschaftspolitisch hat sich der konservative Katholik mit Margaret Thatcher die Mutter des Neoliberalismus zum Vorbild genommen. Entsprechend fallen die Maßnahmen aus, die der 62-jährige als Präsident umsetzen will: So will er in seiner Amtszeit 600 000 Stellen im Öffentlichen Dienst abbauen, und die Staatsausgaben um 110 Milliarden Euro kürzen – gleichzeitig soll das Verteidigungsbudget um zehn Milliarden Euro angehoben werden.
Den Arbeitsmarkt will er radikal deregulieren und die 35-Stunden-Woche zugunsten einer Obergrenze von 48 Stunden Arbeitszeit pro Woche abschaffen. Zudem will er das Arbeitslosengeld kürzen und das Renteneintrittsalter um drei Jahre anheben. Die von ihm als „dumm“ und „unmoralisch“ bezeichnete Vermögenssteuer soll abgeschafft, gleichzeitig die Mehrwertsteuer, die sich vor allem im Geldbeutel der Geringverdiener bemerkbar macht, angehoben werden.
Mit diesem „radikalen Umbau der Republik“ könnte Fillon „womöglich“ Wähler des Front National für sich gewinnen, meint Spiegel-Online. Dabei dürfte es sich um eine glatte Fehleinschätzung handeln. Zwar haben die islamistischen Terroranschläge, die Frankreich in den letzten Jahren heimgesucht haben, dem Front National, der gegen Flüchtlinge Stimmung macht und vor einer Islamisierung warnt, politisch genutzt. Doch der Erfolg der Partei, die aus den Europawahlen 2014 und aus den letzten Regionalwahlen im Dezember 2015 als stärkste Kraft hervor ging, ist damit allein kaum zu erklären.
Dieser wurzelt vielmehr in den Krisenerscheinungen, die die wirtschaftliche Entwicklung Frankreichs seit der Jahrtausendwende kennzeichnen – Deindustrialisierung, steigende Arbeitslosigkeit und Verarmung – sowie in der wachsenden Entfremdung zwischen Volk und Regierenden. Nachdem Marine Le Pen Anfang 2011 den Parteivorsitz übernommen hatte, leitete sie einen Prozess ein, der auch als „Entdiabolisierung“ oder „Entdämonisierung“ bezeichnet wird. Parteimitglieder, die sich mit antisemitischen Äußerungen oder positiven Anleihen an den Nationalsozialismus hervortaten, wurden geschasst – allen voran der Parteigründer selbst, Marines Vater Jean-Marie Le Pen. Kürzlich bestätigte ein Gericht dessen Parteiausschluss.
Der Bruch mit rechtsradikaler Rhetorik führte dazu, dass der Front National in der Öffentlichkeit nunmehr zumeist mit dem Etikett „rechtspopulistisch“ statt „rechtsextrem“ versehen wird. Unter Marine Le Pen wurde auch die neoliberale Ausrichtung der Partei über Bord geworfen, wie sie unter ihrem Vater noch gegeben war. Stattdessen positioniert sich der Front National nun gegen die Globalisierung, tritt für eine Verstaatlichung von Banken und für Schutzzölle ein und fordert die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Damit ist es ihm gelungen, auch in traditionell linke Wählerschichten vorzustoßen.
Die Partei habe eine „Hinwendung zum Linkspopulismus“ vollzogen, so Werner Bauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Österreichischen Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung, der in einer Studie die Übernahme antikapitalistischer Positionen durch rechtspopulistische Parteien näher untersucht hat. Die zunehmende „Proletarisierung“ der Wählerschaft sei ein Markenzeichen des neuen Rechtspopulismus und gehe „Hand in Hand mit einem immer pointierteren Sozialprotektionismus“. Der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa gehe „zum überwiegenden Teil auf Kosten der traditionellen Linksparteien“. Deren Anhängern wird es ebenso wie den vielen Franzosen, die in den vergangenen Monaten und Jahren gegen Renten- und Arbeitsmarktreformen ihren Protest erhoben, schwer fallen, dem marktradikalen Fillon bei der Präsidentschaftswahl ihre Stimme zu geben.
Angesichts seiner wahrscheinlichen Nominierung zum Kandidaten der Konservativen „reibt sich der FN sicherlich die Hände“, so Marcel Wagner, ARD-Korrespondent in Paris. Für Le Pen wäre Fillon „eindeutig der bessere Gegner“, da der „Ultraliberale“ bei den gesellschaftlich „Abgehängten“ nicht punkten könne. In der Bundesregierung geht daher die Furcht um, der Konservative sei aufgrund seiner neoliberal gestrickten Pläne im Wahlkampf verwundbar. „Ich persönlich war immer für Juppé, weil er die größte Chance hat, die französischen Wähler rechts und links gegen Marine Le Pen zu mobilisieren“, zitiert reuters einen hochrangigen deutschen Diplomaten.
Der Wahlsieger könnte Moskau heißen
Berlin drängt Paris seit langem, seinem Beispiel – die Agenda 2010 – zu folgen und somit Frankreichs Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten der werktätigen Bevölkerung zu erhöhen. In dieser Hinsicht ist Fillon ein Mann ganz nach den Vorstellungen der Bundesregierung. Mit ihm als Frankreichs Präsident hätte die Bundeskanzlerin zudem einen verlässlichen Partner an ihrer Seite, was eine Fortsetzung ihrer Sparpolitik innerhalb der EU betrifft.
Doch die Kandidatur des Konservativen bereitet der Bundesregierung nicht allein deshalb Sorgen, weil er im Vergleich zu Alain Juppé geringere Chancen hat, aus dem Kampf gegen Le Pen siegreich hervor zu gehen. Denn Fillon gilt als russlandfreundlich, der sich im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ für eine Allianz mit Moskau ausspricht. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte am Dienstag laut der Agentur Tass, Wladimir Putin und Fillon würden sich aus der Zeit kennen, als beide Regierungschefs waren. „Sie hatten intensive Kontakte und nicht nur einmal konkrete Verhandlungen. Damals wurde viel getan für den Ausbau der bilateralen Beziehungen.“
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Der einflussreiche Moskauer Außenpolitiker Alexej Puschkow sagte, ein Sieg Fillons bei den Präsidentschaftswahlen wäre im Hinblick auf Russland das „Ende des Tandems Berlin-Paris“. Da gilt umso mehr im Falle eines Sieges von Marine Le Pen. Die NATO-Gegnerin will sich Russland annähern, die Einmischung des Westens in die Ukraine hatte sie vehement kritisiert. Es ließe sich somit sagen: Wer auch immer bei den französischen Präsidentschaftswahlen das Rennen macht, Moskau gewinnt in jedem Fall. Eine erneute Hiobsbotschaft für die transatlantischen Kräfte.
(mit dpa)