„Letztlich steht die eigene Glaubwürdigkeit auf dem Spiel“
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Über Israels systematische Missachtung von Menschen- und Völkerrecht und die Chance einer Anerkennung Palästinas durch die Europäische Union –
PETER VONNAHMES Briefwechsel mit dem CSU-Europaabgeordneten MARKUS FERBER, 3. Dezember 2014 –
Nachdem Schweden im Oktober 2014 Palästina als Staat anerkannte, kommt Bewegung in den Nahost-Konflikt. Auch das französische Parlament bekundete Anfang Dezember, die Staatlichkeit Palästinas anerkennen zu wollen, wie zuvor bereits die Parlamente in Spanien, Großbritannien und Irland. Eine Abstimmung im Europa-Parlament, die für den 27. November geplant war, wurde kurzfristig auf Mitte Dezember verschoben. Von dem Votum wird eine gewisse Signalwirkung erwartet, auch wenn eine europaweite Anerkennnung Palästinas als unwahrscheinlich gilt – vor allem wegen der Position der deutschen Regierung, die sich bereits gegen eine Anerkennung augesprochen hat: „Wir sind deshalb auch der Meinung, dass uns eine einseitige Anerkennung des palästinensischen Staates auf dem Weg zu einer Zweistaatenlösung nicht voranbringt“, so Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Anfang November begann zudem eine Initiative der European Coordination of Committees and Associations for Palestine, die eine Suspendierung des Handelsabkommens zwischen der EU und Israel wegen dessen permanenter Menschenrechtsverletzungen forderte. Den von hunderten Gruppen und Einzelpersonen unterstützten Aufruf unterzeichnete auch Peter Vonnahme, Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichthof (i.R.). In der Folge ergab sich zur Sache ein Briefwechsel mit dem langjährigen CSU-Europaabgeordneten und Vorsitzenden der CSU-Schwaben, den Peter Vonnahme Hintergrund zur Veröffentlichung anbot. Wir dokumentieren den Briefwechsel mit leichten Kürzungen. (red)
Sehr geehrter Herr Vonnahme,
haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben bezüglich des EU-Israel Assoziierungsabkommen. Im Rahmen des Europa-Mittelmeer-Assoziationsabkommens wurden neben Israel Abkommen mit sechs weiteren Mittelmeerländern geschlossen, die der Liberalisierung des Handelsverkehrs im Mittelmeerraum dienen und die Zusammenarbeit mit diesen Partnerländern im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich fördern.
In Artikel 2 des Europa-Mittelmeer-Abkommens findet sich eine Menschenrechtsklausel, welche die Vertragsparteien zu Achtung der Menschenrechte und der Grundsäte der Demokratie in ihrer Innen- und Außenpolitik verpflichtet. Die Einhaltung dieser Klausel wird durch das Europäische Parlament und die Europäische Kommission regelmäßig kontrolliert und bei einer etwaigen Verletzung werden entsprechende Maßnahmen eingeleitet.
Das Abkommen mit Israel wurde ganz explizit mit dem Ziel einer engeren Zusammenarbeit geschlossen. Diese Zusammenarbeit hat auch einen Einfluss auf die rechtliche Situation in Israel, da die Europäische Union in die Position eines Vermittlers zwischen den beiden Parteien des Nahostkonflikts versetzt wird.
Der Nahost-Konflikt selbst kann nur durch eine Zusammenarbeit auf internationaler Ebene gelöst werden. Zu diesem Zweck ist die Europäische Union auch Mitglied im Nahost-Quartett. Für sich alleine genommen liegt es nicht in den rechtlich vorgeschriebenen Kompetenzen des Europäischen Parlaments, sich um die Situation im Nahost Konflikt zu kümmern, für außenpolitische Beziehungen sind vor allem der Europäische Rat und die Kommission mittels des neu geschaffenen Europäischen Auswärtigen Dienstes zuständig.
Seien Sie versichert, dass ich die Einhaltung der im Abkommen vereinbarten Standards im Auge behalten werde. In der Hoffnung, Ihnen mit meiner Antwort eine Hilfe gewesen zu sein, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Markus Ferber, MdEP [21.11.2014]
Sehr geehrter Herr Ferber,
ich danke Ihnen für Ihre Nachricht vom heutigen Tage.
Sie führen zu Recht den Artikel 2 des Europa-Mittelmeer-Abkommens mit Israel an. Danach beruhen die Beziehungen zwischen den Vertragsparteien […] auf der Achtung der Menschenrechte und der Grundsätze der Demokratie, von denen die Vertragsparteien sich bei ihrer Innen- und Außenpolitik leiten lassen und die ein wesentliches Element dieses Abkommens sind.
Nicht erst seit den letzten Tagen ist offensichtlich, dass sich der Vertragspartner Israel an diese Grundsätze nicht hält. Ich kann Ihnen zahlreiche geeignete Dokumente des IGH, des Weltsicherheitsrates und von UN-Menschenrechtsinspektoren vorlegen, die gravierende Menschenrechtsverstöße belegen.
Ich bitte Sie deshalb in Ihrer Eigenschaft als Mitglied des Europäischen Parlaments, gemeinsam mit Ihrer Fraktion geeignete Schritte einzuleiten, dass Israel an seine Vertragspflichten erinnert und ggf. zur Einhaltung derselben verpflichtet wird. Im Falle der Weigerung sind die vertraglichen Vergünstigungen solange zu suspendieren, bis wieder ein vertragsgemäßer Zustand erreicht ist.
– Nach einer Netzrecherche sieht das Assoziierungsabkommen solche Möglichkeiten durchaus vor. Sollte ich mich irren, bitte ich Sie um konkrete Hinweise, damit ich weiter nachforschen kann:
– Nach Artikel 67 prüft der Assoziationsrat alle wichtigen Fragen, die sich aus diesem Abkommen ergeben, sowie alle anderen bilateralen oder internationalen Fragen von gemeinsamem Interesse.
– Er kann nach Artikel 69 zur Erreichung der Ziele des Abkommens Beschlüsse zu fassen, die für die Vertragsparteien verbindlich sind; außerdem kann der Assoziationsrat auch zweckdienliche Empfehlungen aussprechen.
– Weiter kann jede Vertragspartei den Assoziationsrat mit jeder Streitigkeit über die Anwendung oder die Auslegung dieses Abkommens befassen (Artikel 75).
– Nach Artikel 79 Abs. 2 kann eine Vertragspartei geeignete Maßnahmen treffen, wenn sie der Ansicht ist, daß die andere Vertragspartei einer Verpflichtung aus diesem Abkommen nicht nachgekommen ist.
Ich halte die vorgeschlagenen Maßnahmen für geboten.
Das dient zum einen den ureigenen Interessen des Staates Israel, weil er sich durch sein Jahrzehnte geübtes völkerrechtswidriges Verhalten innerhalb der Staatengemeinschaft immer mehr isoliert. Irgendwann wird die lange gezeigte internationale Solidarität zusammenbrechen. Die Anzeichen für diese Entwicklung mehren sich. Auch hierfür kann ich Ihnen bei Bedarf Belege übersenden.
Ein solches Vorgehen dient aber auch dem Ansehen der Europäischen Union und seiner Organe. Immer weniger Menschen können es verstehen, wenn die Beachtung der Menschenrechte oder des Völkerrechts nur bei vermeintlichen politischen Gegnern eingefordert wird, während bei Bündnispartnern im Falle schlimmerer Rechtsbrüche Stillschweigen herrscht. Das zuletzt häufig gebrauchte Wort „Sanktionen“ wird nicht einmal in den Mund genommen. Vor diesem Hintergrund wird zu Recht der Vorwurf erhoben, man messe mit zweierlei Maßstäben. Letztlich steht die eigene Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.
Bitte unterrichten Sie mich bald, welche Schritte Sie unternehmen wollen. Ich beabsichtige, den Schriftwechsel öffentlich zu machen.
Mit freundlichen Grüßen,
Peter Vonnahme [21.11.2014]
Sehr geehrter Herr Vonnahme,
haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben bezüglich des EU-Israel Assoziierungsabkommens. […] Selbstverständlich komme ich jedoch Ihrer Bitte nach einer weiteren Antwort gerne nach. Bezüglich des EU-Israel Assoziierungsabkommen stimme ich Ihnen zu: Israel muss sich an die Grundsätze halten, die aus dem gemeinsamen resultieren. Wie ich schon in meinem vorhergehenden Schreiben aufgezeigt habe, wird die Einhaltung der Vertragsbedingungen des Assoziierungsabkommens regelmäßig kontrolliert, bei etwaiger Verletzung werden entsprechende Maßnahmen eingeleitet.
Viele Kriege und endlose Friedensverhandlungen prägen seit Jahrzehnten den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Aktuell spitzt sich die Situation deutlich zu, Spannungen verschärfen sich und Gewalt nimmt zu. Diese Entwicklungen bereiten mir große Sorgen. Meiner Ansicht nach bedarf es daher zum jetzigen Zeitpunkt einer dringenden Überprüfung seitens der Kommission, ob die im EU-Israel Assoziierungsabkommen vereinbarten Verpflichtungen eingehalten werden. Da diese Überprüfung in den Kompetenzbereich der EU-Kommission fällt, erwarte ich hier zügige Schritte seitens der Kommission. Wir müssen sicherstellen, dass sich Israel an die Vertragsverpflichtungen hält.
Vor dem Hintergrund des sich zunehmend verschärfenden Nahostkonflikts begrüße ich es sehr, dass die EVP-Fraktion nun einen Entschließungsantrag über die Anerkennung des Staates Palästina eingereicht hat, über welchen im Dezember im Parlament abgestimmt werden soll.
Die Europäische Union und insbesondere das Europäische Parlament hat sich stets für eine Zweistaaten-Lösung stark gemacht und die Verhandlungspartner des Nahost-Quartetts aufgefordert, im Rahmen friedlicher und gewaltfreier Verhandlungen dieses Ergebnis ernsthaft anzustreben.
Wir brauchen eine friedliche und demokratische Lösung, um endlich Frieden im Nahen Osten zu erreichen. Daher fordert die EVP in ihrer Resolution die EU-Außenbeauftragte Mogherini auf, sich intensiv für die Anerkennung des Staates Palästina als souveränen Staat einzusetzen. Das begrüße ich sehr. In der Hoffnung, Ihnen damit eine Hilfe gewesen zu sein, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Markus Ferber, MdEP [26.11.2014]
Sehr geehrter Herr Ferber,
[…]
Ihr Schreiben enthält altbekannte Positionen, die den Nahostkonflikt in 65 Jahren einer Lösung nicht näher gebracht haben. Im Gegenteil, der Konflikt hat sich dramatisch verschärft. Israel hat während dieser langen Zeitspanne (mit Duldung und sogar Unterstützung der westlichen Demokratien!) seine militärische Dominanz und sein Herrschaftsgebiet entscheidend ausgeweitet.
Der israelische Staat hat sich unter dem Schutzschild des Holocaustopfers der Bindungen des Völkerrechts entledigt. Seine maßgeblichen Vertreter fordern Verhandlungen, während sie gleichzeitig mit viel Geschick solche verhindern. Die gewonnene Zeit nutzen sie, den Bau von Siedlungen auf gestohlenem Land voranzutreiben. Dies alles hat dazu geführt, dass die menschenrechtliche Situation des palästinensischen Volkes heute unerträglich ist. Bei Fortdauer der israelischen Siedlungspolitik und völkerrechtswidriger Militäraktionen wird eine friedliche Lösung des Konflikts von Tag zu Tag unwahrscheinlicher. Die von Ihnen angesprochene Zweistaaten-Lösung ist angesichts der voranschreitenden Zerstückelung Palästinas durch völkerrechtswidrige Siedlungen nur noch schwer vorstellbar. Dies isoliert den Staat Israel innerhalb der Staatengemeinschaft zunehmend.
Deren Geduld geht offensichtlich zu Ende. Abstimmungen innerhalb der UN-Gremien und vermehrte nationalstaatliche Bestrebungen, Palästina anzuerkennen (Schweden, GB, Frankreich, Spanien, Dänemark) sprechen eine deutliche Sprache.
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Vor diesem Hintergrund habe ich gerne gelesen, dass Sie persönlich einen Schritt in die richtige Richtung gehen wollen. Sie betonen nämlich, dass Sie den Entschließungsantrag der EVP-Fraktion mit dem Ziel der Anerkennung Palästinas begrüßen. Ich hoffe sehr, dass diesem Bekenntnis bald auch Taten folgen. Ich bin etwas verunsichert, weil nach meiner Information die Abstimmung über diesen Antrag auf Betreiben Ihrer EVP-Fraktion auf Dezember verschoben worden ist. Es wäre fatal, wenn dies der Beginn einer schleichenden Rückwärtsbewegung wäre. Diese Befürchtung ist nicht abwegig, weil die Bundeskanzlerin kürzlich eine staatliche Anerkennung Palästinas durch Deutschland und durch die EU abgelehnt hat. Die Erfahrung lehrt, dass solche Signale oft den politischen Elan bremsen. Bis zum Beweis des Gegenteils bin ich jedoch zuversichtlich, dass Sie, sehr geehrter Herr Ferber, sich nicht beirren lassen, sondern dass Sie als Vorsitzender der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament Ihren Einfluss zugunsten des Entschließungsantrags geltend machen werden.
Seien Sie versichert, dass ich – und viele andere – Ihr Abstimmungsverhalten und das der EVP-Fraktion, die von Ihrem Parteifreund Manfred Weber geführt wird, sehr aufmerksam beobachten werden. Der Preis für Wankelmut und Unentschlossenheit ist der Verlust der Glaubwürdigkeit. Wenngleich ein positiver Parlamentsbeschluss noch nicht zur Anerkennung Palästinas führt, so würde er zweifelsohne den Druck auf die anderen EU-Organe und auf die Mitgliedstaaten erhöhen.
Ich pflichte Ihrem Hinweis bei, es bedürfe einer dringenden Überprüfung, ob die im EU-Israel Assoziierungsabkommen vereinbarten Verpflichtungen eingehalten werden. Die bisherige Überprüfungspraxis seitens der Kommission war – wie sich aus meiner obigen Bestandsaufnahme ergibt – völlig unzureichend. Es ist unübersehbar, dass Israel die in Artikel 2 des Israel-Abkommens verankerte Pflicht zur Achtung der Menschenrechte in der Vergangenheit anhaltend und schwerwiegend missachtet hat und weiterhin missachtet. Ich verweise insoweit erneut auf zahlreiche Dokumente des Weltsicherheitsrates, des IGH und von UN-Menschenrechtsinspektoren sowie auf eine nahezu unüberschaubare juristische Fachliteratur.
Wenn die EU nicht bald die Kraft und die Geschlossenheit zu einer rechtlich belastbaren Haltung aufbringt, dann hat sie jegliches moralisches Recht verwirkt, gegenüber anderen Staaten die Missachtung des Völkerrechts anzuprangern oder gar Sanktionsmaßnahmen zu beschließen. Dass die westliche Medienwelt den Skandal, der in der Anwendung von „double standards“ liegt, weitgehend verschweigt, ist kein Freibrief für weitere Untätigkeit. Große Teile der Welt registrieren diese Doppelbödigkeit. Der Westen und die EU sind im Begriff, ihr Ansehen zu verspielen.
Ich bitte Sie deshalb dringend, Ihrer rechtlichen und humanitären Verantwortung gerecht zu werden. Es liegt auch im wohlverstandenen Interesse Israels.
Mit freundlichen Grüßen,
Peter Vonnahme [01.12.2014]