Komplott gegen die Freiheit: Indizien für eine europäische Koordination der Terrorhysterie
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Von THOMAS WAGNER, 23. Juni 2011 –
Das Szenario klingt seltsam vertraut: Eine Nachrichtenagentur oder eine Zeitung melden die Festnahme von „Terrorverdächtigen“. Boulevardmedien, Funk und Fernsehen schmücken die spärlichen Infos zu den vermeintlichen Anschlagsplänen mit mehr oder weniger apokalyptischen Katastrophenbildern aus und am Ende erweist sich das ganze als Sturm im Wasserglas. Was dann tatsächlich passiert, ist eine zügige Verschärfung sogenannter Sicherheitsgesetze, die den Bürger, der vorgeblich geschützt werden soll, drangsalieren und unter Generalverdacht stellen.
Nach diesem Muster verläuft auch der jüngste „Angriff auf die Freiheit“ (Zeh/Trojanow), den europäische Regierungen zügig umzusetzen planen. Angefangen hatte alles am vergangenen Samstag. Dpa meldete am 18. Juni 2011 von einem Bericht der österreichischen Kronenzeitung, wonach ein zum Islam konvertierte Österreicher seit Monaten am Simulator dafür trainiert haben soll, einen voll besetzten Passagierjet in den Berliner Reichstag zu steuern. Die Wiener Staatsanwaltschaft habe die Festnahme eines 25-Jährigen Verdächtigen bestätigt.
Obwohl sich der Verdacht zu diesem Zeitpunkt nach Angaben der Chefin der Anklagebehörde, Marie-Louise Nittel, nicht bestätigen ließ und auch die deutsche Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gegenüber Tagesspiegel-online verlautbarte: „Wir haben keine Anhaltspunkte auf die konkrete Vorbereitung eines Anschlags in Deutschland“, war wieder einmal die große Stunde der Angstmacher und Gewalt- und Pornoblätter gekommen. „Flugzeug-Anschlag auf Reichstag“ titelte der Berliner Kurier in seiner Sonntagsausgabe und berichtete dann auf Seite 2 und 3 über die „teuflischen Pläne“ der „Extremisten“, ohne dafür irgendwelche Fakten vorlegen zu können.
Nach dem gleichen Muster verfuhr das konkurrierende Boulevardblatt BZ am Sonntag. „Wiener Taliban wollte Reichstag zerstören“, hieß die Titelschlagzeile. Und eine erläuternde Überzeile gab vor zu wissen: „Er übte seit Monaten im Flugsimulator, wollte einen voll besetzten Passagierjet in das Parlamentsgebäude steuern.“
Pustekuchen! Die deutsche Bundesanwaltschaft wies entsprechende Spekulationen umgehend zurück. „Es gibt keinerlei Anhaltspunkte für konkrete Vorbereitungen eines Anschlags in Deutschland“, sagte ein Sprecher der deutschen Bundesanwaltschaft. Außerdem sehe man keine direkte Verbindung zwischen dem 25-Jährigen und einem 26-jährigen Berliner Islamisten, der bereits am 31. Mai in Wien festgenommen worden war. „Es gibt keine strafrechtlichen relevanten Zusammenhänge“, widersprach der Sprecher der Behörde anderslautenden Äußerungen des österreichischen Innenministeriums.
Selbiges beeilte sich, die selbst geschürte Terrorangst als Steilvorlage für eine Verschärfung sogenannter Anti-Terror-Gesetze zu nutzen. Schon am Mittwoch stellten Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Justizministerin Beatrix Karl, beide von der konservativen ÖVP, in Wien ein Gesetzesbündel vor, das neben härteren Strafen mehr Kompetenzen für den Verfassungsschutz vorsieht. Schon die Anleitung für terroristische Aktivitäten soll bestraft werden. „Wer zum Beispiel im Internet Anleitungen für Straftaten anbietet, die dazu geeignet sind, eine juristische Straftat zu begehen, der muss künftig mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren rechnen“, erläuterte die Justizministerin das sehr dehnbare und auslegungsbedürftige Gesetzesmachwerk. Zudem wollen die angeblichen Sicherheitspolitikerinnen den Behörden mehr Befugnisse beim Verknüpfen von Ermittlungsdaten erteilen, und die Abhörtechnik soll verbessert werden. Datenschutz dürfe nicht zum Terrorschutz werden, rechtfertigte die Innenministerin ein Gesetzesvorhaben, das in der Praxis eine eklatante Bedrohung bürgerlicher Freiheitsrechte darstellen dürfte. So sehen es auch die österreichischen Grünen: Die Missbrauchsgefahr sei höher als der Nutzen, Unschuldige könnten leicht ins Visier der Ermittler geraten, gab eine dpa-Meldung deren Einwände wieder.
Auch in Deutschland ist man eifrig bemüht, die Gunst der Stunde zu nutzen und angesichts der erneut aufgewärmten Terror-Angst um den Reichstag den Koalitionsstreit um Vorratsdaten und „Anti-Terror-Gesetze“ in eine repressive Richtung zu wenden. Die Innenminister von Bund und Ländern haben zum Abschluss ihrer Konferenz am Mittwoch den Druck auf die noch zögerliche FDP entsprechend erhöht und verlangten einstimmig, die Anfang 2012 auslaufenden Gesetze fortzuführen und die Speicherung von Verbindungsdaten aus Internet und Telekommunikation wieder einzuführen.
Der Bund müsse endlich „in die Pötte“ kommen, sagte Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Gegen beides sperrt sich bislang die FDP, die sich als nominelle Regierungspartei in dieser Frage nun aber de facto einer großen Koalition aus Union und SPD gegenübersieht. Die SPD war es ja auch, die als Regierungspartei im Bund die Vorratsdatenspeicherung schon 2007 durchsetzte und die Anti-Terror-Gesetze nach dem 11. September 2001 von Innenminister Otto Schily einführen ließ.
Unterstützung erhielten die professionellen Angstmacher in den Ministerien aus Brüssel. Ein sogenannter blauer Brief mahnte die Bundesregierung, die repressive EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umzusetzen. Das „war gewiss kein Zufall“, hieß es sogar in einer dpa-Meldung. Die Vorgabe der Europäischen Union verpflichtet die Mitgliedsstaaten, anlasslos Telefon- und Internetdaten für mindestens sechs Monate zu speichern, um Ermittlungen zu erleichtern. In Deutschland war die alte Regelung zur Vorratsdatenspeicherung im März 2010 vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden.
Die von der EU-Kommission im seit dem 16. Juni laufenden Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland um eine Stellungnahme gebetene Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kritisierte, dass die EU-Kommission „mit aller Macht“ versuche, in den Mitgliedsstaaten eine Richtlinie durchzusetzen, „die mit Sicherheit nicht in der Zukunft in dieser Form so Bestand haben wird“. Sie selbst will Daten grundsätzlich nur bei einem konkreten Anfangsverdacht einer Straftat sichern lassen.
Trotzdem glaubt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), sich bald mit seiner liberalen Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger einigen zu können. Man sei in „guten Gesprächen“ mit dem Bundesjustizministerium. Schon innerhalb der nächsten Wochen will er einen gemeinsamen Beschluss vorlegen. Auf der Grundlage der Gesetze können die Geheimdienste von bestimmten Stellen wie bei Banken, Fluggesellschaften oder Telekommunikationsunternehmen Daten über „Terrorverdächtige“ abfragen.
Als solche geraten angesichts der zunehmenden Bürgerempörung gegen die EU-Diktate und ihre nationalen Handlanger in ganz Europa zunehmend auch wieder Linke und Demokraten ganz offen ins Visier der Innenminister. Friedrich malte das Gespenst einer „dramatischen Zunahme“ sogenannter linksextremistischer Gewalt an die Wand. Präventiv will man jetzt auf ein repressives Organ zurückgreifen, das man zuletzt gegen die RAF-Terroristen in Anschlag gebracht hatte. Eine eigene Koordinierungsgruppe im Bundeskriminalamt soll sich nun mit der vermeintlich linken Gefahr befassen, verkündete der hessische Innenminister Boris Rhein (CDU).
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Lässt man die Ereignisse der vergangenen Woche Revue passieren, entsteht ein erschreckender Verdacht. Spielen sich Geheimdienste, EU-Kommission, Boulevardmedien hier etwa gegenseitig die Bälle zu, um den Repressionsapparat besser gegen die zunehmend aufmüpfigen Bürger zu wappnen? Wo die Geheimdienste immer mehr Befugnisse erlangen, die Terror-Angst geschürt wird, Polizeispitzel in der EU länderübergreifend agieren und die Bundeswehr mit neuen Richtlinien auf die Aufstandsbekämpfung im Inneren vorbereitet wird, ist dieser Gedanke alles andere als abwegig. Ein koordiniertes Vorgehen in Hinterzimmern, das demokratische Kontrollgremien umgeht, gehört zu den Entstehungsbedingungen der heutigen EU. Warum sollte ausgerechnet in Sicherheitsfragen anders verfahren werden, wenn es um die von rebellierenden Bürgern bedrohten Interessen der Großkonzerne, Banken und Medienmogule geht?
Dass es sich aber beim guten Zusammenspiel von EU-Kommission, Regierungspolitikern aus Deutschland und Österreich sowie den Boulevardmedien im Kontext der vermeintlichen Anschläge auf den Reichstag um einen Zufall gehandelt haben könnte, ist nicht mit letzter Gewissheit auszuschließen. (mit dpa)