Griechenlands Regierung verkauft neoliberale Radikalkur als „alternativlos“
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Von REDAKTION, 7. Juni 2011 –
Griechenlands Regierungschef Giorgos Papandreou hat die Bürger eindringlich zu gemeinsamen Anstrengungen zur Rettung des Landes aufgefordert. Die Existenz der griechischen Nation hänge von der Einwilligung aller Kräfte in die nötigen Reformen ab, sagte Papandreou bei einer Sondersitzung des Ministerrates in Athen.
Papandreou will die Griechen von dem 78 Milliarden schweren Sparprogramm überzeugen, das bis 2015 laufen soll. Am Mittwoch soll der Ministerrat den Plan billigen, bis Ende Juni soll auch das Parlament zustimmen. Das Sparprogramm ist verbunden mit einem massiven Angriff auf den Lebensstandard der griechischen Bevölkerung.
Die Billigung des Sparprogramms durch das Parlament ist eine der Bedingungen, damit die EU und der Internationale Währungsfonds (IWF) grünes Licht für die Auszahlung der nächsten Tranche der Finanzhilfe für Griechenland über zwölf Milliarden Euro geben. Mit diesen Geldern soll Griechenland in die Lage versetzt werden, seine Schulden bei ausländischen Banken – vor allem bei französischen und deutschen – zu bedienen. Das milliardenschwere Hilfspaket für Griechenland kommt einem Erpressungsversuch gleich: wird das Land nicht rücksichtslos auf einen neoliberalen Wirtschaftskurs ausgerichtet, wird es in die Pleite entlassen.
Die Entscheidung über die Auszahlung der nächsten Tranche soll beim EU-Gipfel am 23./24. Juni fallen. Kommt das Geld nicht, ist Griechenland nach den Worten seines Finanzministers Giorgos Papakonstantinou bis Ende Juli pleite: „Dann können wir die Rollläden runtermachen.“
16 Abgeordnete der Sozialistischen Partei Griechenlands haben bereits Bedenken zum Sparprogramm geäußert. Wenige Abweichler würden reichen, um eine Regierungskrise auszulösen. Die regierenden Sozialisten verfügen über 156 Mandate im 300 Abgeordnete zählenden Parlament. Der Termin der Abstimmung ist noch nicht bekannt, nach Informationen der Athener Zeitung Ta Nea ist es der 28. Juni.
Mit seiner Rede davon, dass die griechische Nation in ihrer Existenz bedroht sei, versucht Papandreou die Reformgegner einzuschüchtern und auf den neoliberalen Wirtschaftskurs einzuschwören. Er stellt den Sachverhalt so dar, als seien die neoliberalen Reformen alternativlos.
Gerne reden Politiker von der „Alternativlosigkeit“ ihrer Entscheidungen, wenn sie wissen, dass diese unpopulär sind, weil sie nur einer kleinen Minderheit von nutze sind. So hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Zusammenhang mit der Griechenland-Hilfe immer wieder behauptet, diese sei „alternativlos“. Sie kürte damit das „Unwort des Jahres“ 2010. “Das Wort suggeriert sachlich unangemessen, dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe“, sagte Horst Dieter Schlosser, der die Jury leitete, die jährlich das „Unwort des Jahres“ bestimmt. (1)
Weder sind die neoliberalen Reformen für Griechenland alternativlos, noch ist eine Staatspleite gleichbedeutend mit dem Ende einer Nation (2), wie sich an Griechenlands eigener Geschichte belegen lässt. Denn 1893 erklärte das Land schon einmal den Staatsbankrott. Auch die USA haben in ihrer Geschichte schon mehrere Insolvenzen erlebt. 1933 ließ Präsident Franklin D. Roosevelt private Goldvermögen beschlagnahmen, um die Zahlungsfähigkeit des Staates wieder herzustellen. Als Präsident Richard Nixon 1971 die Gold-Dollar-Konvertibilität aufhob, wurde dies von vielen Experten als de-facto Staatsbankrott betrachtet. Jüngere Beispiele für die Unfähigkeit eines Staates, seine Schulden zu bedienen ist Russland, welches 1998 faktisch pleite war.
Auch Argentinien befand sich zwischen 1998 und 2002 in einer schweren Wirtschaftskrise. Ähnlich wie gegenwärtig in Griechenland, nutzte der IWF die klammen Kassen des südamerikanischen Staates aus, um das Land nach seinen Vorstellungen zu ordnen.
Als Argentiniens Präsident Domingo Cavallo im November 2001 erklärte, dass das vom IWF verordnete Haushaltsziel nicht erreicht werden könne, weigerte sich der Währungsfond, die vorgesehene Tranche in Höhe von 1,25 Milliarden US-Dollar zu überweisen. Die Folge war ein drastischer Vertrauensverlust in den Staat, verbunden mit einer starken Kapitalflucht.
Einen Monat später musste Argentiniens neuer Präsident Adolfo Rodríguez Saá, der sich ganze fünf Tage im Amt halten konnte, verkünden, dass das Land seine Schulden nicht weiter bedienen könne und erklärte die Zahlungsunfähigkeit.
So weit ist es in Griechenland noch nicht. Allerdings gilt es nicht als sicher, dass die Euro-Finanzminister schon im Juni ein zweites Hilfspaket für Griechenland vereinbaren werden.
So wehre sich das Euro-Land Slowakei gegen die geplante Finanzierung aus dem Euro-Rettungsfonds EFSF, berichtet das Handelsblatt unter Berufung auf Informationen aus Brüssel. Berlin favorisiert, den EFSF zu nutzen, dann bliebe der Bundesregierung die Abstimmung im Bundestag erspart. Bundeskanzlerin Merkel soll an diesem Mittwoch ihr Griechenland-Krisenmanagement vor der schwarz-gelben Fraktion erklären.
Widerstand gibt es der Zeitung zufolge auch aus Großbritannien, das wiederum dagegen sei, dass Mittel aus dem EFSM-Fonds der EU-Kommission genommen werden, für den alle 27 EU-Staaten geradestehen. Die nächste Kredittranche über 12 Milliarden Euro solle aber gezahlt werden. Der IWF sei mittlerweile bereit, seinen Anteil über 3,3 Milliarden Euro beizusteuern, vorausgesetzt, das griechische Parlament beschließe die zusätzlichen Sparmaßnahmen.
Papandreou schloss in seiner Rede vor dem Ministerrat nicht aus, die Griechen in einer Volksabstimmung zu den Reformen zu befragen. „Unsere Partner (in der EU) sind bereit zu helfen.“ Sie müssten aber sehen, dass auch die Griechen entschlossen seien.
Es sieht allerdings eher danach aus, als seien die Griechen entschlossen, den Angriff auf ihre sozialen Rechte entschieden zu bekämpfen. Alleine am letzten Sonntag zogen erneut laut Schätzungen der Polizei 250.000 Menschen auf den Platz vor dem Parlament in Athen. Bei der Ankündigung Papandreous bezüglich einer möglichen Volksabstimmung dürfte es sich daher auch nicht um viel mehr als heiße Luft handeln, denn es ist kaum zu erwarten, dass sich eine Mehrheit für die Reformen entscheiden wird. Schließlich erkennen immer mehr Griechen, dass die „Hilfe“ aus den EU-Ländern nicht ihnen gilt, sondern den Banken, die sich verzockt haben und nun darum fürchten, dass die von ihnen vergebenen Kredite und die darauf zu zahlenden Zinsen nicht mehr bedient werden können. Die griechische Regierung hat nur die Wahl, entweder eine geordnete Staatsinsolvenz durchzuführen oder die Kreditzahlungen an die Banken durch Ausplünderungen des Volkes zu gewährleisten. Im ersten Fall würde sie auf einen massiven außenpolitischen Widerstand stoßen, da eine Staatsinsolvenz mit dem Austritt aus der Euro-Zone verbunden sein könnte und die Position der EU insgesamt schwächen würde. Im zweiten Fall würde sie auf massiven innenpolitischen Widerstand stoßen und dürfte kaum in eine neue Amtszeit gewählt werden.
Mehr Aussichten auf Erfolg bei kommenden Wahlen in Griechenland dürften Politiker haben, die wie Ex-Linken Chef Oskar Lafontaine kürzlich in einer Rede die einfache Wahrheit aussprechen:
„Im Moment haben wir doch keine Rettung Griechenlands, wir haben auch keine Rettung Portugals, wir haben wiederum eine Rettung der Banken, die den Leuten hier verkauft wird als Rettung der faulen Griechen oder der unvollkommenen Portugiesen.“ (3)
Anmerkungen
(1) http://www.tagesschau.de/inland/unwortdesjahres110.html
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(2) Siehe auch: http://www.hintergrund.de/201105311569/wirtschaft/finanzwelt/griechenland-staatsbankrott-vorerst-abgewendet-zu-lasten-der-bevoelkerung.html
(3) http://www.jungewelt.de/2011/06-04/054.php