EU-Politik

Griechenlands Immigranten - ein humanitäres Drama

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Xenophobie, Rassismus und Gewaltexzesse –

Von WASSILIOS ASWESTOPOULOS, 13. Juli 2009 –

Gestern (Sonntag, den 12. Juli) riss die griechische Polizei in der als Drehscheibe der illegalen Migration geltenden Hafenstadt Patras bei einer großangelegten Aktion zwei Flüchtlings-Siedlungen mit Bulldozern und schwerem Gerät nieder. Dutzende Flüchtlinge wurden dabei festgenommen, unter ihnen 44 Minderjährige. Sie sollen jetzt in Lagern außerhalb der Hafenstadt interniert werden.

In Patras warten mehr als 4.000 verzweifelte Menschen auf eine Gelegenheit, eine der Fähren nach Italien zu erreichen. Die Flüchtlinge hausen seit Jahren auf Grundstücken am Rande des Hafens, auf denen sie etwa mit Plastikplanen oder Wellblech Hütten errichtet hatten. Die Lage der schätzungsweise über eine Million illegaler Einwanderer in Griechenland spitzt sich immer mehr zu.

Manolada – Selbstjustiz nach Art des Ku-Klux-Klan

Am Abend des 17. Juni 2009 legten sich zwei junge Viehbauern in ihren Ställen in „Nea Manolada“, einem kleinen Dorf südwestlich von Patras, auf die Lauer. Seit Wochen hatten sich beide über Viehdiebstähle beklagt. Diesmal wollten sie die Täter auf frischer Tat ertappen. Tatsächlich beobachteten die jungen Männer, wie drei Immigranten – offenbar aus Bangladesh – in den Stall eindrangen und drei Schafe entwendeten. Statt die Polizei zu Hilfe zu rufen, beschlossen die Bestohlenen ein Exempel zu statuieren. Sie warteten den folgenden Tag ab, machten zwei vermeintliche Übeltäter ausfindig, verprügelten sie brutal und nahmen ihnen Mobiltelefone und Wertgegenstände ab. Anschließend entkleideten die selbsternannten Rächer ihre Opfer, banden die bereits Verletzen an Motorräder und schleiften sie vor den Augen der schockierten Bewohner durch das Dorf (1). Das Martyrium der mutmaßlichen Viehdiebe konnte erst durch das Eingreifen der Polizei beendet werden. Die Ordnungshüter nahmen die Bauern und die Immigranten fest. Gegen die Bauern wurde von der „blinden Justiz“ Anklage wegen einer „leichten Straftat“ erhoben, damit können sie auf eine Bewährungsstrafe hoffen. Die beiden malträtierten Ausländer müssen sich wegen einer „besonders schweren Straftat“ verantworten. Dies, obwohl außer der Aussage der Folterer keine Beweise gegen sie vorliegen (2).

Nea Manolada ist nicht zum ersten Mal mit seinem Immigrantenproblem in den Schlagzeilen. Schon im Frühjahr 2008 wurden die katastrophalen Lebensbedingungen bekannt, unter denen mehr als 2.500 Saisonarbeiter auf Feldern und ehemaligen Müllkippen des Ortes hausen (3). Geändert hat sich daran bisher nichts.

Athen Dezember 2008: Rassismus beim Aufstand der Jugend

Als während des heißen Athener Dezembers 2008 jugendliche Demonstranten in ihrer Wut über die Erschießung des 15-jährigen Alexis Grigoropoulos die Stadt mit einer Demonstrationswelle überzogen, kam es am Rande der Auseinandersetzungen in der Innenstadt zu Geschäftsplünderungen (4). Dort, wo sich an den Plünderaktionen Immigranten beteiligten, kam es vor laufenden Kameras zu gewaltsamen Ausschreitungen der Griechen gegen diese Einwanderer. Fortan wurden Immigranten, wenn sie sich nur in der Nähe von gewalttätigen Demonstrationen aufhielten, für potentielle Plünderer gehalten und entsprechend „behandelt“. Wochen später, am 14. März 2009, berichtete die Boulevardzeitung „Espresso“ auf der Titelseite darüber, dass Plündergut in Albanien auf Flohmärkten verkauft werde (5).

Demonstrationen von Muslimen im Mai 2009

Mitte Mai 2009 wurden angesichts der nahenden Europawahlen die Razzien gegen Ausländer ohne gültige Ausweispapiere verstärkt. Sowohl in Berichten der Medien als auch während offizieller Pressekonferenzen mit Regierungsvertretern wurden diese Maßnahmen als „Aktion Besen“ bezeichnet. Minister selbst verwenden den diskriminierenden Begriff nicht, sie schritten aber auch nicht gegen seine Verwendung ein (6).

Bei einer dieser „Besen“-Aktionen soll ein offensichtlich überforderter Polizist den Koran „geschändet“ haben. Wütende Muslime demonstrierten daraufhin in der Athener Innenstadt, es kam zu Ausschreitungen (5). Diesmal waren es Muslime, die Steine warfen.

Steigende Kriminalität und Raubüberfälle mit zunehmend brutaleren Tätern

Die Polizei berichtet über immer mehr Diebstähle und Raubüberfälle mit ausländischer Beteiligung. Meist handelt es sich bei den Opfern um die Inhaber kleiner Ladenlokale oder einzelne Passanten, die nicht selten mit Waffengewalt zur Herausgabe von Geld und Wertgegenständen gezwungen werden. Teilweise sind dabei Verletzte oder Tote zu beklagen. Die prozentual hohe Beteiligung von Immigranten an der alltäglichen Kleinkriminalität führt bei der Bevölkerung zu einer kollektiven Schuldzuweisung. Ausländer asiatischer oder afrikanischer Herkunft werden von vielen als potentielle Diebe angesehen. Landesweit gesendete Reportagen über Ghettos, in denen Araber vor laufender Kamera behaupteten, sie würden so lange stehlen, bis man ihnen Arbeit und Geld gäbe, tragen ein Übriges dazu bei (Alter TV, Sendereihe „Atheatos Kosmos“, Juni 2009).

Diese Situation wird jedoch nicht originär von den Immigranten verursacht. Wie eine in der Zeitung Kathimerini veröffentlichte Studie von Vassilis Karydis, Professor an der Demokrit-Universität Thrakien, zeigt, beruht der hohe Ausländeranteil in der Kriminalitätsstatistik hauptsächlich auf einer mangelhaften Migrationspolitik (7). Ausländer würden zudem für vergleichbare Delikte in der Regel schärfer bestraft als Griechen. Auch damit, so Prof. Karydis, könne man den hohen Anteil der ausländischen Strafgefangenen in griechischen Haftanstalten erklären. Der Anteil von Immigranten an so genannter Straßenkriminalität sei zwar hoch, entspreche aber nach statistischer Auswertung von Alter, sozialer Herkunft und Wohnsituation durchaus dem Gesamtdurchschnitt. Karydis postuliert, dass Ausländer in der Regel eine zehnfach höhere Chance haben, in eine Polizeikontrolle zu gelangen.

Agios Panteleimonas – ein Stadtteil verslumt

Im Athener Stadtviertel Agios Panteleimonas ist die Situation besonders dramatisch. In herunter gekommenen Wohnhäusern hausen Immigranten in hoffnungslos überfüllten Wohnungen. Die Wohnungen werden meist von „legalisierten“ Asylbewerbern angemietet. Die Legalen beherbergen die Illegalen gegen einen Obolus von 5-10 Euro pro Tag. Wenn der Erwerbstag des Illegalen nicht ertragreich ist, bleiben die Türen zur Wohnung verschlossen. Je mehr die Auswirkungen der Finanzkrise in Erscheinung treten, desto öfter bleiben die auf Hilfsarbeiterjobs, Betteln und Schwarzmarktverkäufe beschränkten Erwerbsversuche der Immigranten fruchtlos.

Der Obdachlose muss in einem Park oder auf der Straße übernachten. Diese Umstände hatten dazu geführt, dass ein Spielplatz und der Park vor der Kirche des „Agios Panteleimonos“ als Wohnlager umfunktioniert worden ist. Bewohner beschwerten sich und ergriffen schließlich unterstützt von national gesinnten Jugendlichen die Initiative zur Räumung des Platzes. Seitdem treffen nahezu täglich rechte und linke Gruppen, Anwohner und Bürgerrechtler sowie Ausländer und Polizisten zu einem Krawallabend zusammen. Alle Gruppen beschuldigen sich gegenseitig, die Menschenrechte der jeweils anderen Gruppe nicht zu achten. Mehrmals kam es in diesem Zusammenhang zu Brandanschlägen auf die Kirche oder zu Übergriffen auf Einwanderer (8) (9).

Die Suche nach den Ursachen


Herkunft und Zahl der Immigranten

Obwohl Premierminister Kostas Karamanlis die Immigrantenfrage zur Chefsache erklärt hat, gibt es keine offizielle oder verifizierbare Statistik. Bereits 2005 mahnte das Mediterranean Migration Observatory in einer Studie an, dass außer der Volkszählung von 2001 keine fundierte Statistik über Einwanderer nach Griechenland existiert (10). Die Studie stellt fest, dass sich im Jahr 2000 insgesamt 762.191 Ausländer legal und dauerhaft in Griechenland aufhielten. Die Mehrheit davon, 56 Prozent, sei albanischer Herkunft. Insgesamt betrug der legale Ausländeranteil an der Bevölkerung damals 7 Prozent. Bereits zum Zeitpunkt der Datenerhebung der Studie (November 2004) gingen die Autoren in einer konservativen Schätzung von mehr als 1,15 Millionen Ausländern aus.

Rückfragen der Autoren über illegale Einwanderung an verantwortliche Ministerien wurden mit dem Kommentar: „Es liegen keine Daten vor“ beantwortet. Fotis Kouvelis, Abgeordenter des Linksbündnisses SYRIZA, sah sich im Herbst 2008 genötigt, das Innenministerium in einer Parlamentarischen Anfrage um Auskunft über die genaue Zahl der Immigranten und die Methoden der Datenerfassung zu ersuchen (11). Premier Karamanlis antwortete im November 2008 selbst auf eine weitere Anfrage zum gleichen Thema mit den charakteristischen Worten „kein europäisches Land hat verlässliche Zahlen“ (12). Er gab aber zu Protokoll, dass die Türkei, über deren Grenze die meisten Asylsuchenden auf dem See- oder Landweg nach Griechenland gelangen, lediglich 2.150 von 50.000 Flüchtlingen wieder aufgenommen hätte. Allein in den ersten zehn Monaten des Jahres 2008 seien 115.000 Personen wegen illegalem Grenzübertritt verhaftet worden. Die Zahl der Grenzübertritte würde stetig ansteigen.

Außer den über die nördlichen Grenzen einwandernden Albanern stammen viele der Neuankömmlinge aus Pakistan, dem Irak, Afghanistan, Palästina, Kurdistan, Syrien und Somalia. Medienberichte, wie zum Beispiel ein Artikel des Journalisten Kostas Kantouris, berichten von 120.000 Menschen, die an den türkisch-griechischen Grenzen bereits im Sommer 2009 auf die Gelegenheit zum Grenzübertritt warten (13).

Eine Angabe über den gesamten Ausländeranteil in Griechenland ist somit stets das Produkt einer Schätzung. Je nach politischem Standpunkt des Schätzenden ergeben sich Zahlen von 1,5 bis über zwei Millionen Ausländer, die sich dauerhaft in Griechenland aufhalten.

Was geschieht mit illegalen Grenzübertretern?

Illegale Einwanderer werden in Polizeistationen oder abgeschirmten Camps festgehalten. Sie haben in der ersten Phase der Asylantragstellung keine Möglichkeit einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen. Viele werden gar nicht richtig registriert, so dass Wärter oft keine Kenntnis haben, wer gerade gefangen ist. Die Gefangenschaft betrifft sogar Kinder und Schwerkranke. Gewalt gegen Inhaftierte ist alltäglich (20).

Sowohl die Haftbedingungen, als auch die Inhaftierung selbst verstoßen gemäß einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (S.D. v. Greece – Application No. 53541/07 -11 June 2009) gegen geltende Menschenrechtskonventionen (14). Über Asylanträge entscheiden in erster Instanz lokale Polizeidirektoren (15). Die Ablehnungsquote war bereits vor der Novellierung des Gesetzes hoch. Lediglich 380 von 29.080 im Jahr 2008 gestellte Anträge erhielten einen positiven Bescheid. In erster Instanz war lediglich sechs Anliegen stattgegeben worden. Landesweit waren im Mai 2008 elf Beamte mit der Bearbeitung von Asylanträgen betraut (16) (17). In den „Spezialwohnheimen“ für Asylbewerber werden in Zellen für drei Personen bis zu acht Menschen gefangen gehalten (19). Die Wohnheime dienen de facto als Abschiebegefängnisse.

Nach Abschluss der – gemäß griechischen Gesetzen – maximal zulässigen Haftzeit, werden die Einwanderer entlassen, falls sie nicht bereits zuvor abgeschoben werden konnten. Sie müssen in der Folge bar jeder Arbeitserlaubnis und ohne eine Perspektive ihren Lebensunterhalt bestreiten. Ihr rechtlicher Status stellt eine Grauzone dar: Offiziell müssten sie abgeschoben sein, konnten aber nicht in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden. Besonders die Türkei weigert sich beständig, die auch dort ungeliebten Gäste wieder aufzunehmen. Ohne Papiere können die Unglücklichen bei jeder Polizeirazzia abermals vorläufig festgenommen werden. Es ist nach menschlichem Ermessen unmöglich, in einer solchen Situation an Integration zu denken.

Viele versuchen im Schwarzhandel mit Imitationen von Markenprodukten, Raubkopien von Hollywoodfilmen auf DVDs oder CDs mit Software oder Musik, einen halbwegs ehrlichen Broterwerb zu bestreiten. Die verkauften Produkte werden von Großhändlern an die Straßenhändler verkauft. Diese Großhändler werden nur selten juristisch belangt.

Viele der Perspektivlosen dealen mit Drogen, prostituieren sich oder betteln an Straßenkreuzungen. Stets sind sie dabei der potentiellen Verfolgung durch die Polizei ausgesetzt. Daher transportieren sie ihr Gut in großen Taschen oder schnell zusammenfaltbaren Bettlaken. Sobald ein Polizist auftaucht, raffen die Straßenhändler ihre Ware eilig zusammen und suchen das Weite. Werden sie von den Streifen gestellt, so verlieren sie die Waren, werden abermals für einige Tage auf Polizeistationen festgehalten und geraten immer tiefer in den Strudel der Verelendung. Schließlich müssen viele von ihnen über lange Zeit auch noch die hohen Schlepperkosten abarbeiten.

Die Odyssee der Flüchtlinge in ein „sicheres“ EU-Land

Griechenland grenzt im Norden an Ablanien, die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonion (international FYROM), Bulgarien und zum Osten an die Türkei. Der Landweg von der Türkei nach Griechenland ist vermint. Regelmäßig sterben Menschen bei dem Versuch, das Minengebiet der Evros Region im Grenzgebiet zur Türkei zu durchqueren. Doch auch der Seeweg ist nicht sicher. Auf kleinen Booten versuchen Schieber im Schutz der Dunkelheit ihre menschliche Fracht von der Türkei aus auf eine griechische Insel zu bringen. Werden sie dabei behelligt, versuchen die Menschenhändler ihre Flucht zu erleichtern, indem sie die Flüchtlinge einfach im Wasser aussetzen. Die griechischen Grenzschützer sind machtlos. Sie sind zu schlecht ausgerüstet und unzureichend geschult (18).

Europäische Realität 2009: Leben in Slums

Die meisten der Flüchtlinge hatten nach eigener Aussage ursprünglich gar nicht vor, in Griechenland zu bleiben. Ihr Ziel ist Westeuropa. Viele sammeln sich daher in und um die Hafenstädte Patras und Igoumenitsa. Rund um die Hafenstädte haben die Heimatlosen provisorische Lager errichtet, die an die Slums von Kalkutta erinnern (21). Auf abenteuerlichen Wegen versuchen sie, auf eine der Fähren zu kommen. Dass sie dabei meist Kopf und Kragen riskieren, nehmen die meisten in ihrer Verzweiflung in Kauf.

Von dort, so ihr Traum, können sie ins nächste Schengen-Land, Italien, gelangen. Die Durchgangsstation Griechenland bedeutet jedoch gemäß dem Dublin-II-Abkommen, dass Griechenland für die Asylverfahren und die Unterbringung der Flüchtlinge verantwortlich ist. Schnell verfangen sich die verzweifelten Asylsuchenden im neuen Aufnahmeland in der Tücke des Dublin-II-Rechts, das de facto die reicheren westlichen Staaten der EU abschottet und die humanitäre Katastrophe auf Länder wie Griechenland abwälzt. So schwer der Weg aus Griechenland heraus auch ist, die Abschiebung aus Deutschland, Italien oder Österreich zurück ins hellenische Chaos geht schnell.

Folgerichtig suchen viele der Flüchtlinge die Anonymität der Großstadt. In der Millionenstadt Athen sind bereits ganze Stadtviertel mehrheitlich von Asiaten und Afrikanern bewohnt. Das gilt besonders für die Straßen um den Omonia Platz, das Stadtviertel Kypseli und das bereits angesprochene Viertel Agios Panteleimonas. Die sozialen Spannungen in diesen Vierteln sind groß.

Einerseits klagen die Immigranten über Diskriminierung, andererseits befürchten die Griechen angesichts von Schulen, die Klassen mit mehr als 50% Ausländeranteil haben, um die Chancen ihrer Sprösslinge beim einheitlichen Zentralabitur. Positiv ist, dass zumindest die Schulbildung für einige Flüchtlingskinder ermöglicht wurde.

Die Immigranten nutzen meist mangels Alternative minderwertigen Wohnraum in Kellerappartements. Mehr als 500 illegale Einwanderer leben in einem besetzten ehemaligem Gerichtsgebäude am Omoniaplatz, ohne sanitäre Einrichtungen und ohne Elektrizität.

Medizinische Versorgung gibt es nur für Zahlungskräftige

Das griechische Gesundheitssystem leidet unter einem chronischen Defizit. Krankenhäuser, vor allem in abgelegenen Regionen, sind oftmals nicht in der Lage, mehr als die Grundversorgung sicher zu stellen. Griechen müssen oft tief in die Tasche greifen, um durch Bestechung einen Platz in einem Krankenhaus zu erhalten. Kein Wunder, dass sich HIV-positive Migranten über das Fehlen jeglicher Versorgung beschweren. Unregistrierte, chronisch kranke Flüchtlinge werden, so ergaben eigene Recherchen, oft von Krankenhäusern abgewiesen. Zu kostenintensiv sei deren Betreuung, so die in privaten Gesprächen erteilte Begründung. Hilfe erhalten Notleidende von nichtstaatlichen Hilfsorganisationen (22).

Unter den Heimatlosen grassieren Hepatitis B, ansteckende Hautkrankheiten, HIV und Tuberkulose. Weil viele, männlich oder weiblich, der illegalen Prostitution nachgehen und viele der Freier beim schnellen Sex auf den Verzicht von Kondomen bestehen, trägt diese Situation auch zu Griechenlands Status als AIDS-Exportnation bei (23). Es ist bezeichnend, dass Rassisten dies gern als Argument gegen den Flüchtlingsstrom verwenden, dabei aber übersehen, dass die Freier aus den eigenen Reihen stammen können. Dass besonders Freier von homosexuell agierenden Strichern ein gesellschaftliches Doppelleben führen, verschärft die Gefahr der Ausbreitung von Infektionen zusätzlich.

Was macht die Politik?

Angesichts der katastrophalen humanitären Situation, die sich mit starken fremdenfeindlichen Tendenzen in der wirtschaftlich gebeutelten Bevölkerung zu einem explosiven Gemisch vereint, sollte man entschlossene politische Maßnahmen zur Krisenbewältigung erwarten. Erforderlich sind Aufklärungsarbeit, humanitäre Sofortmaßnahmen aber vor allem eine Bewältigung des Problems an der Wurzel des Übels, der kafkaesken Bürokratie.

Sofortmaßnahmen der Regierung

Regierungschef Kostas Karamanlis von der Nea Dimokratia hat versucht, innerhalb der EU Solidarität für das griechische Flüchtlingsdrama zur gewinnen. Beim EU-Gipfel im Juni 2009 versuchte der Grieche das Problem zum Tagesthema zu machen (30). Das Aufgabe sei für seine Regierung nicht mehr lösbar. Er hatte damit keinen Erfolg. In Zeiten der Wirtschaftskrise war kein Staatschef bereit, dem bedrängten Kollegen Hilfe zu leisten.

Stattdessen wird das Asylgesetz weiter verschärft. Am 18. Juni wurde von dem in Sommerbesetzung (100 statt 300 Abgeordnete) tagenden Parlament eine Novelle verabschiedet,

– nach der die maximale Dauer der Abschiebehaft von bisher drei auf sechs bis zwölf Monate verlängert wird. Damit, so die Gesetzgeber, solle dem Rassismus Einhalt geboten werden. Die verlängerte Haft solle verhindern, dass der abgelehnte Asylant kriminelle Straftaten begehen, somit eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen würde. Als gefährlich wird der Asylsuchende bereits dann eingestuft, wenn gegen ihn wegen eines Vergehens, bei dem eine Haftstrafe von mehr als drei Monaten möglich ist, Anklage erhoben wird. Eine Verurteilung ist nicht erforderlich. (Die verprügelten angeblichen Viehdiebe aus „Nea Manolada“ sind somit eine öffentliche Gefahr und können deshalb ohne weitere Rücksichtnahme abgeschoben werden.)

– Wer einem illegalen Immigranten Fluchthilfe leistet, kann mit einer Zuchthausstrafe bis zu 10 Jahren bestraft werden. Darüber hinaus muss eine Geldstrafe von mindestens 20.000 Euro bezahlt werden. Dieser Passus betrifft ausdrücklich auch jene, die aus Unwissen oder in humanitärer Absicht handeln. Denn gewerbsmäßige Fluchthilfe wird mit mindestens zehn Jahren Zuchthaus (bisher zwei) und mindestens 50.000 Euro Strafe bedroht. Als gewerbsmäßiger Fluchthelfer gilt bereits, wer zusammen mit einer weiteren Person den illegalen Grenzübertritt ermöglicht.

Selbst arglose Touristen oder LKW-Fahrer sind nun mit Zuchthaus bedroht. Regelmäßig springen in den Häfen von Patras und Igoumenitsa wagemutige Flüchtlinge auf LKWs oder PKW-Anhänger. Einzelne Touristen berichteten bereits vor Verabschiedung des Gesetzes über ihre eigene Festnahme. So wurde ein deutsches Freundespaar tagelang festgehalten und dem Schnellgericht überstellt, weil sich Palästinenser in einem unbeaufsichtigten Moment im Bootsanhänger versteckt hatten. Die Freunde hatten Glück, denn die Palästinenser sagten vor Gericht aus, dass sie das Boot ohne Einwilligung der Deutschen bestiegen hätten. Nach dem neuen Gesetz könnte allerdings sogar das PKW-Bootsanhänger-Gespann beschlagnahmt werden.

Die Tatsache, dass Menschenschiebern drakonische Strafen drohen, die bei Unfällen mit Todesfolge bis zu 700.000 Euro pro Flüchtling betragen können, trägt nach Aussage der Gesetzesväter auch zur Belebung der Staatsfinanzen bei. Die Novelle wurde gemeinsam vom Finanzminister Ioannis Papathanassiou, dem Justizminister Nikolaos Dendias und dem stellvertretenden Innenminister Christos Markogiannakis eingereicht.

Eine Vervierfachung der Haftdauer bedarf einer adäquaten Kapazität an Unterkunftsmöglichkeiten. Die Regierung plant deshalb die Errichtung spezieller Gefängnisse in stillgelegten Kasernen des Heeres und der Luftwaffe.

Bisher bestehen zwölf Abschiebehaftanstalten, die vom Innenministerium als „Zentren zur Aufnahme von illegalen Einwanderern“ bezeichnet werden. Diese Lager haben eine Kapazität von 2.200 Personen. Innerhalb kürzester Zeit möchte das Ministerium landesweit Kasernen in „humanitäre Einrichtungen für die Beherbergung der Abschiebehäftlinge“ umfunktionieren. Nach Angaben der Zeitung „To Vima“ soll jeder Insasse den Staat täglich lediglich 5,70 Euro kosten (26). Zehn Lager sind in und um Athen herum geplant, der Rest soll im gesamten Land verteilt werden.

Reaktionen der Opposition

Die Mehrzahl der Bürgermeister, deren Gemeinden als Lagerstätten auserkoren sind, protestiert und kündigt scharfen Widerstand an. Die Kommunistische Partei bezeichnet die geplanten Zentren als „Konzentrationslager“ (29). Die PASOK und das Linksbündnis SYRIZA werfen Karamanlis vollkommen planlose und verfehlte Politik vor. Oppositionsführer Georgos Papandreou von der PASOK warf der Regierung vor, sie hätte überhaupt kein Konzept für eine Migrationspolitik und würde keine Unterscheidung zwischen Asylanten und Wirtschaftsflüchtlingen treffen. Er stellte einen Acht-Punkte-Plan zur Integration von legalen Immigranten, Asylanten und Flüchtlingen der zweiten Generation vor. Die illegale Einwanderung möchte jedoch auch er mit schnellen Abschiebungen bekämpfen.

Law and Order als Mittel zum Stimmenfang

Die „Volkspartei der orthodoxen Sammlung“ (LAOS) von Georgios Karatzaferis war die erste Partei, die vor einer „Überfremdung“ warnte. LAOS verdoppelte bei den Europawahlen im Juni 2009 mit einem einfachen „Law and Order“ Programm ihren Stimmanteil auf 7,15 Prozent. Somit zählte die Partei zu den Wahlsiegern. Die ursprünglich als Sammelbecken für Dissidenten des rechten Flügels der Nea Dimokratia gegründete Partei hatte in ihren ersten Jahren mit stramm rechtem Kurs der Nea Dimokratia Stimmen abgeworben und dadurch einen Sitz bei den Europawahlen 2004 errungen. Seit September 2007 ist Karatzaferis Bündnis auch im Athener Parlament vertreten. Karatzaferis, ehemaliger Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung, versucht seiner ehemaligen Partei, der Nea Dimokratia, Stimmen abzugewinnen. Er benutzt dabei sowohl rechtskonservative als auch soziale Themen (31). Er greift die Wirtschaftspolitik der Regierung an und forderte bereits vor den Europawahlen eine schärfere Politik gegen illegale Einwanderung.

In einem Interview, das vom staatlichen Radiosender NET am 15. Juni gesendet wurde, forderte er eine europaweite Quotenregelung für Asylanten. Es könne nicht sein, dass „wir 20 Prozent Asylsuchende in der Bevölkerung haben und das übrige Europa nur 2- 2,5 Prozent“. Im Übrigen beruft sich der Politiker auf das Parteiprogramm der deutschen „Die Linke“ von Oscar Lafontaine, dass er mit Begeisterung abgeschrieben habe. Gleichzeitig aber bietet er Karamanlis eine konstruktive Regierungsunterstützung an. Die Nea Dimokratia sei „sein Herzblut“.

Es mag angesichts solcher politischen Äußerungen für Außenstehende schwer verständlich sein, aber LAOS erhält mit dieser Taktik steten Zulauf von prominenten, ehemaligen Unterstützern aller Parteien.

Die poppigen Sprüche und flotten Parolen der noch jungen und unverbrauchten Partei wirken schneller als komplizierte Parteiprogramme. Soziale Themen gemischt mit konservativen Forderungen verwischen die politische Einordnung. Die übrigen Oppositionsparteien geraten angesichts der öffentlichkeitswirksamen Auftritte von LAOS-Politikern in den Hintergrund.

Premier Karamanlis nutzt in diesem Zusammenhang die Gelegenheit, mit einer eigenen „Law and Order“ Kampagne zu Lasten einer durchdachten Migrationspolitik politisch zu punkten. Seine Minister versuchen, Karatzaferis Parolen mit ihren Gesetzesnovellen zu übertreffen. Die Regierungspartei verspricht sich davon den Zulauf verlorener Protestwähler.

Die immensen wirtschaftlichen Probleme des Landes und massive Steuererhöhungen geraten damit kurzfristig aus dem Blickfeld der breiten Öffentlichkeit (32). Die Probleme der Flüchtlinge werden so allerdings nicht wirklich gelöst, sondern nur kurzfristig unter den Teppich gekehrt.

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Literatur und Quellennachweise
1. Nea Manolada: http://derstandard.at/fs/1244461044638/Griechenland-Migranten-mit-Motorrad-durch-Dorf-geschleift
2. Nea Manolada – griechischer Blog mit Linksammlungen zum Thema: http://voices.gr
3. Nea Manolada – griechischer Artikel über katastrophale Lebensbedingungen für ausländische Feldarbeiter: http://www.protinews.gr/index.php?option=com_content&task=view&id=9131
4. Überblick über Titelseiten von Zeitungen in Griechenland am 14.03.2009: http://archive.enet.gr/online/online_fpage_text/id=74421876,80150516,14930612,96028020,740660
5. Aufstände in Athen 2008: http://www.hintergrund.de/20081209320/politik/welt/griechenland-chronik-einer-erwarteten-explosion.html
6. Koranschändung und Konsequenzen: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30381/1.html
7. Pressekonferenz des stellvertretenden Innenministers Christos Markogiannakis vom 11. Juni 2009 (griechisch): http://www.primeminister.gr/index.php?option=com_content&task=view&id=7293
8. V. Karydis in der Zeitung Kathimerini (griechisch) zur Kriminalität: http://portal.kathimerini.gr/4Dcgi/4dcgi/_w_articles_mc7_1_15/06/2009_267751
9. Feuer in der Kirche: http://www.athina984.gr/node/51910
10. Kathimerini in der englischen Ausgabe zu Ausschreitungen im Viertel Agios Panteleiomonas: http://www.ekathimerini.com/4dcgi/_w_articles_politics_100010_11/06/2009_107990
11. Mediterranian Migration Observatory: „ΣΤΑΤΙΣΤΙΚΑ ΔΕΔΟΜΕΝΑ ΓΙΑ ΤΟΥΣ ΜΕΤΑΝΑΣΤΕΣ ΣΤΗΝ ΕΛΛΑΔΑ“ Martin Baldwin-Edwards et al., Athen 17.2.2005
12. Parlamentarische Anfrage des Abgeordneten des Linksbündnisses SYRIZA, Fotis Kouvelis, zu statistischen Daten über Migration (griechisch): http://www.syriza.gr/koinoboyleytiko-ergo/fotis-koybelis-41/?searchterm=µeta?ast ??
13. Antwort von Premier Kostas Karamanlis auf eine Parlamentarische Anfrage zur Migrationspolitik, 28.11.2008 (griechisch): http://www.nd.gr/index.php?option=com_content&task=view&id=51224&Itemid=154
14. Kostas Kantouris, Zeitung Makedonia Onlineausgabe 21.6.2009, 120.000 Asylbewerber bereit zum Grenzübertritt nach Griechenland, http://www.makthes.gr/index.php?name=News&file=article&sid=40714
15. Amnesty International zur Verurteilung Griechenlands durch den Europäischen Gerichtshof wegen „inhumaner Behandlung eines Asylsuchenden türkischen Journalisten“ http://www.amnesty.org/en/library/asset/EUR25/006/2009/en/9c49f614-b1ef-4bb6-b378-e5f8ea890956/eur 250062009en.html
16. Amnesty International zur griechischen Realität bei Asylanträgen: http://www.amnesty.org/en/library/asset/EUR25/005/2009/en/9e881a85-f6ce-47d1-9f21-55a362548bff/eur2 50052009en.html
17. Eleutherotypia, elektronische griechische Ausgabe von 11. Mai 2009, Statistik zu bewilligten Asylanträgen: http://www.enet.gr/?i=news.el.ellada&id=43072
18. New York Times zum griechischen Migrationsproblem, Niki Kitsantonis, Oktober 2007, http://www.nytimes.com/2007/10/04/world/europe/04iht-migrate.4.7756077.html
19. Menschenrechtsbericht 2008 der US Regierung über Griechenland http://www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2008/eur/119082.htm
20. Süddeutsche Zeitung „Patras ist die Hölle für Flüchtlingskinder“, 17.06.2008: http://www.sueddeutsche.de/politik/204/445940/text/9/
21. Der Journalist Gerd Höhler zum Flüchtlingslager in Patras, http://www.derwesten.de/nachrichten/waz/welt/2009/4/26/news-118058660/detail.html
22. Humanitäre Organisation Praksis, Pressemitteilung zur medizinischen und sozialen Betreuung von Flüchtlingen, 17. Juni 2009, http://www.praksis.gr/default.asp?pid=16&la=1&did=85
23. Sybille Möckl in „Die Welt“, 3.Juni 2009, Griechenland als AIDS-Exportnation, http://www.welt.de/die-welt/article3849103/Import-Export-Bilanz-bei-Aids.html
24. Novellierung des Gesetzes zum Asyl – Juni 2009 (griechisch): http://www.parliament.gr/ergasies/nomosxedia/Tropologies/656/M-NARKOT.600.pdf
25. Englische Analyse zum neuen Gesetz, “New Laws Being Rushed in Against Migrants”, Apostolis Fotiadis: http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=47329
26. Neue Lager für Flüchtlinge – To Vima, 14.Juni.2009 (griechisch): http://www.tovima.gr/default.asp?pid=2&ct=32&artid=273519&dt=14/06/2009
27. Konzentrationslager statt Wohnheime, eu-digest, 12. Juni 2009, http://www.eu-digest.com/2009/06/setimescom-greece-moves-to-curb-illegal.html
28. Karamanlis bittet um EU-Hilfe für Flüchtlinge, Kathimerini, englische Ausgabe vom 16.Juni.2009, http://www.ekathimerini.com/4dcgi/_w_articles_politics_100002_16/06/2009_108103
29. Profil von Georgios Karatzaferis beim Europaparlament: http://www.europarl.europa.eu/members/expert/inOut/viewOutgoing.do?language=DE&id=28587
30. Englischer Wikipedia Eintrag zu Georgios Karatzaferis: http://en.wikipedia.org/wiki/Georgios_Karatzaferis
31. Abschrift eines Radiointerviews von Karatzaferis für den Staatssender NET 15. Juni, 2009 (griechisch): http://economics.soc.uoc.gr/EuropeanIntegration/print.php?sid=1066
32. Athen dreht an der Steuerschraube, Handelsblatt, 25. Juni 2009: http://www.handelsblatt.com/politik/international/athen-dreht-an-der-steuerschraube;2394152

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